Fünfter Auftritt

[143] Nina, Emy, Baroninn.


NINA UND EMY. Guten Morgen, liebe Mutter! Küssen ihr die Hand.

BARONINN. Mutter, Mutter! Bauernmädchen, Mama bin ich, chère Mama.

NINA UND EMY verneigen sich. Bon jour ma chère Mama.

BARONINN. Und in Gesellschaft gnädige Mama, das ist nobel.[143]

NINA. Aber nicht herzlich.

BARONINN. Das Herz muß nicht immer darein reden, das wird in der großen Welt so oft zum Schweigen gebracht, bis es am Ende gar nichts mehr sagt. Aber freylich – ich darf euch gute Lehren geben, wie ich will, eine Stunde bey eurer Stiefschwester, und das Feld ist wieder voll Unkraut. Meine schönsten Gartenblumen müssen ihrem demüthigen Veilchen und langweiligen Vergißmeinnicht weichen, doch – das hat nun bald ein Ende. Eine von euch ist Braut.

BEYDE erschrocken. Braut?

BARONINN. Nun, was gibt's dabey zu erschrecken?

EMY. Ich weiß nicht, aber das Wort ist mir gerade ins Herz gefahren.

BARONINN. Da gehört es auch vor der Hand hin.

NINA. Wie kann man denn so auf einmahl Braut werden?

EMY. Wir kennen ja keinen Bräutigam.

BARONINN. Den sollt ihr noch heut kennen lernen.

NINA. Geschieht das sonst nicht vorher?

BARONINN. Bey gemeinen Leuten, ja; Vornehme berechnen erst alle Vortheile, dann lieben sie sich.

NINA. Ach Mama!

BARONINN schnell. Was?

NINA. Mein Herz hat schon wieder reden wollen.

BARONINN. Was ist ihm denn Vernünftiges eingefallen?

NINA. Es meint, wenn man einen Mann für das ganze lange Leben heirathet, müsse man ihn doch erst näher kennen.

BARONINN. Wozu das? wenn man den Bräutigam auch[144] Jahre lang kennt, als Ehemann zieht er doch einen ganz andern Rock an, das Hochzeitskleid wird in den Kasten gehängt, und höchstens an Geburts - und Nahmenstagen wieder einmahl angezogen.

EMY. Mit wem haben Sie denn berechnet, daß ihn eine von uns lieben soll?

BARONINN. Mit – ihr erinnert euch wohl noch des alten Onkels?

NINA. Ei freylich!

EMY. Ich sehe ihn noch vor mir.

NINA. Ein großer stattlicher Mann.

EMY. Und dabey so freundlich.

NINA. So gut.

BARONINN. Der Bräutigam ist Herr Waldberg, ein junger Mensch, den der gute Onkel an Kindes Statt angenommen; er kommt noch heute.

NINA. Und der Onkel mit ihm?

BARONINN. Nein.

EMY. Ich möchte den guten alten Mann wohl wieder sehen.

NINA. Ich auch.

EMY. Ob er wohl noch daran denkt, wie ich oft mit seinen grauen Locken spielte, wenn er mich auf dem Schooße hielt.

NINA. Und wie ich ihm Wiesenblumen brachte.

EMY. Die er sehr liebte.

NINA. Weil sie einfach wären, sagte er.

EMY. Wir sollten auch so bleiben.

NINA. Er gab uns gute Lehren.

EMY. Ich weiß noch alles, alles.[145]

NINA. Ich auch.

BEYDE. Ach, könnten wir ihn denn nicht wieder sehen?

BARONINN. Nein!

NINA. Warum nicht?

EMY. Es ist ja nicht so weit.

BARONINN. O ja wohl, sehr weit – kurz, ihr werdet den Onkel nicht wieder sehen, er war schon damahls alt, und jetzt – ist er todt.

BEYDE sehr erschüttert. Ach du lieber Gott!

NINA nach einer Pause. Todt? ganz todt?

BARONINN. Schon seit vier Wochen.

EMY nach einer Pause mit Thränen. Es war ein guter alter Mann –

NINA auch so. Wenn er im Dorf umher ging, rief alles, da geht unser Vater.

EMY. Er war auch allen Vater.

NINA. Der liebe gute Oheim!

EMY leise zu Nina. Wir bethen heute Nacht für ihn.

BARONINN. Seyd vernünftig Kinder, er war schon alt, konnte nicht ewig leben. Und im Grunde hat er es gar nicht um euch verdient, denn er hat euch von seinem großen schönen Vermögen nicht einen Kreutzer vermacht.

NINA. Das hat er gewiß den armen Leuten gegeben.

EMY. Ja gewiß, denn er war sehr gut.

NINA. Die brauchen es auch weit nöthiger als wir.

EMY. Recht Nina – wir haben ja alles.

BEYDE. Das hat der Onkel recht klug gemacht.

BARONINN. Schweigt – das hat er dumm gemacht. Doch, jetzt hört auf zu weinen, das verdirbt den Teint, und[146] heute müßt ihr helle Augen haben. Nehmt euch zusammen, er will unter euch beyden wählen; euer Onkel hat ihn zum Erben aller Güter und Herrschaften gemacht, die muß man jetzt durch ihn an sich zu bringen suchen. Gott mag es dem alten Mann verzeihen, daß er mir es so erschwert zu dem Meinigen zu kommen, aber – es ist nun einmahl so. Läutet.


Bedienter tritt ein.


Madam Vernon soll kommen. Bedienter ab. Die wird nun freylich allerley einzuwenden haben, der kann ich nichts recht machen. Madam haßt mich nun einmahl.

NINA schnell. O nein, gewiß nicht.

EMY. Die gute Schwester!

NINA. Sie liebt alle Menschen, und sollte ihre Mutter hassen?

EMY. Nein, gewiß nicht.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 2, Wien 1817, S. 143-147.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon