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[75] Faust, Helena, Theodor, Elisabeth.
Helena mit zerstreuten Haaren, mit einem blutigen Dolch stürzt aus der Mittenpforte. Hinter ihr sieht man den sterbenden Theodor. Er kriecht heraus, Elisabeth hält ihn weinend in ihren Armen.
FAUST. Mein Vater! Meine Mutter! – Helena, was hast du gethan?[75]
HELENA. Ich wollte dich retten, und mit diesem Blut das deinige erkaufen.
FAUST. Unglückseelige, was hast du verübt! Du hast die Höllenschlange gehört. Wisse, diese Minute muß ich sterben. Ich habe Gift getrunken.
HELENA. Du must sterben? – Ich bin getäuscht – Ich sterbe mit dir. Sie sticht den Dolch in die Brust. Verflucht sey der Arm, den ich über diesen Unschuldigen ausgestreckt habe; er soll am Leide verdorren!
THEODOR. Mein Sohn, wo bist du?
FAUST. Mein Vater!
THEODOR. Bald wird dieser entkräftete Staub zur sanften Ruhe einschlummern. Ich kehre fröhlig in mein Geburtsort zurück; aber du bist aus deinem Baterlande auf ewig verwiesen. Ich sehe dich zum letztenmale. Wir werden uns dort nicht mehr begegnen. O Sohn soll ich denn die Stunde deiner Geburt verfluchen? Nein, ich bin noch dein Vater, ich fühle es, mein Herz erinnert mich stäts darauf. Ich vergebe dir, und vergebe meiner Mörderinn.
HELENA. Fluche mich, verwünsche mich; aber nein, ich bin deines Mitleids würdig. – Du kannst mir vergeben – Wie oft durchbohrst du mein Herz. Sieh dieß strafbare Blut rächet schon deinen Tod. Dein Feind hat ihn gefodert, und ich war blind genug seinem höllischen Rath zu folgen.[76]
THEODOR. Betrogne Kinder. Ihr dauert mich beyde. Der verschlagenste Geist ist euer Verführer. Eure menschliche Blindheit macht mein ganzes Mitleid rege. Ich sterbe; aber mein Tod soll nicht euch zur Last fallen, er falle über den Verführer! – Reicht mir eure Hände, ich vergeb euch von Herzen.
FAUST. Mein bester Vater!
HELENA. Laß mich diese wohlthätige Hand küssen.
Theodor erhebt sich, sammelt die letzten Kräften, ergreift die Hand der Helena und des Faust, und betet.
THEODOR. O Vater der Menschen, du hast uns nicht in deinem Zorn, sondern aus Liebe geschafen. Du ruftest uns aus nichts, damit wir an deiner Seeligkeit Theil nehmen sollten. Warum, Herr, willst du solche Würmer wie wir sind, in deinem Zorne zertreten? Es ist die schönste That eines Gottes zu verzeihn. Begnüge dich mit unserm Blut, und nimm unsere Seelen mit väterlichen Händen auf. Segne mit meinem menschlichen Segen deinen göttlichen Segen herab. Gieb zu gnädiger Vater, daß ich mit meinen Kindern zugleich sterbe, und einst mit ihnen lebe!
FAUST. Mein theuerster Vater!
HELENA. Erlaube daß ich dich mit diesem mir süssen Namen nenne – O verzeih mir!
THEODOR. Ja, ich verzethe dir, und nehme dich an. Meine Kinder lebt wohl. Erhebt eure Herzen, zu dem, der allein verzeihen kann. Elisabeth,[77] theure Elisabeth, erhole dich, bestes Weth.
ELISABETH. Vater, mein Geist wird dich begleiten. Meine Kinder betet, verliert keinen Augenblick.
HELENA. Meine Seele hat sich im Gebet mit der eurigen empor geschwungen, eine sanfte Tröstung fiel auf mich herab.
FAUST. Wenn ich den Allmächtigen bitte, wird er nicht mit Donnern mich anhören. – Du unerschöpflich gütiger Gott, ruf itzt deine Wetter zurück, und höre den mindsten deiner Knechte. Warum willst du an mir deine Allmacht verschwenden? Erniedre nicht deine Größe mit einem Staube. Du bist lauter Liebe, lauter Güte, lauter Barmherzigkeit. Verliere mich in dem Meere deiner Gnaden. Erhalte mich; damit nicht deine Feinde sagen können; Sieh, er hat Wesen gemacht, um sie zu peinigen. Herr, laß mich Gnade vor deinen Augen finden; laß mich O Vater nicht ungesegnet, nicht unbegnadet vor dir erscheinen.
THEODOR. Du hast mein Herz gerührt. Leb wohl, – Lebt alle wohl!
ELISABETH. Ich sinke – Gott sieh uns bey!
Es schlägt die Uhr Zwölf.
HELENA. Ich erblasse –
FAUST. Gnade! Gnade!
Sie fallen einander in die Arme, und alles ist unbeweglich.
[78]
Ausgewählte Ausgaben von
Johann Faust
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