5. Die subtile Liebe

[16] 1.

Die Mädgen sind wie Post-Papyr,

Subtil und zart im Lieben,

Denn wer in ihre Zier

Sich nur zu erst hat eingeschrieben,

Der stehet oben an

Da man die schrifft wohl lesen kan.


2.

Er findt ein unbeflecktes Blat,

Da sich die reine Tugend

Noch nie geschwärtzet hat,

Und lockt die Einfalt ihrer Jugend,

Durch die Verträulichkeit,

In alle Gunst-Gewogenheit.


3.

Hingegen wer den Rathschluß fast

Was anders drein zu schwatzen,

Und diesen ersten Gast

Will auß der Liebes-Taffel kratzen,

Der übersieht es doch

Und macht in das Papyr ein Loch.


4.

Auch wann es gut gerathen soll

So muß ein Schandfleck bleiben,

Darauff man nicht so wohl[16]

Die neue Liebe kan beschreiben,

Dann dorte da und hier

Sticht noch die alte Dinte für.


5.

Man hat ja wohl einander lieb,

Doch muß man immer hören

Wie sie den ersten Dieb

In ihren Hertzen heimlich ehren,

Darneben traun sie nicht

Und was man auch vor Worte spricht.


6.

Dieweil nun itzt das kleinste Kind

Die sauer süssen Sachen

Fein zeitlich lieb gewinnt,

So will ich mich an keine machen,

Damit werd ich allein

Kein unglückseelger Schreiber seyn.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 16-17.
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