[219] Was dieser für ein grosser Monarch geweßt seye, ist aus folgendem abzunehmen. Zu Feld ist er gezogen in eigner Person mehr dann 70. mal. Auf die 40. mal hat er in Haupt-Treffen den Sieg erhalten. Nichts zu melden von kleinen Scharmützlen, und darinn gemachten Beuthen, welche unzahlbar seynd. 1800. Städt hat er übergwältiget. Auf die 100000. Schlösser in seinen Gewalt gebracht: und (dessen sich vielleicht keiner aus den Obsiegern zu rühmen hat) alle König und Fürsten; und unter diesen auch den Türckischen Kayser Solimann: 3. Kayser zu Mexico und Peru, neben 18. Königen in dem eintzigen Welt-Theil America, hat er entweders geschlagen, oder in die Flucht gejagt, oder gefangen bekommen. Innerhalb 40. Täg hat er 7. mal dem Feind ein Schlacht geliefert, und jedesmahl überwunden: und diese 7. mal allein auf 140000. Soldaten [219] erlegt: wie hievon bezeugt Avancinus in denen Lobsprüchen von den teutschen Kaysern. Was für Schätz, Reichthumen, Scepter, Cronen er durch solche Dapferkeit erworben habe, wurde viel Zeit nicht klecken zu erzählen. Kurtz zu sagen: dieser eintzige Kayser hat mehr Triumph, oder sieghafte Einzüg verdient, als ihm die Welt seinem Verdienst nach halten könte. Nach so vielfältigen Siegen war noch ein eintziger Feind übrig, nemlich der Tod; deme endlich dieser dapfere Held, als ein sterblicher Mensch hat unterliegen müssen. Aber zu erweisen, daß er ihn nicht förchte, hat er sich bey Zeiten zur Gegenwehr gerüstet, und ist ihm zuletzt auch behertzt unter die Augen getretten; und das auf folgende Weis:
Im Jahr 1556. hat er sich der Beherrschung seiner Reich völlig begeben: und zwar das Römische Reich seinem Herrn Bruder Ferdinand (der schon erwählter und gecrönter Römischer König war) abgetretten; die übrige Erbländer aber seinem Sohn Philipp, dem anderen dies Namens König in Spanien, samt allen Rechten und Gerechtigkeiten völlig überlassen; und für seine eigne Person zum jährlichen Unterhalt von allen vorigen unschätzbaren Reichthumen mehr nicht, als 100000. Ducaten ihm vorbehalten: welches für einen solchen Monarchen wohl nicht zu viel war. Wie nun diese so wichtige Sach zu End gebracht worden, beurlaubte er sein liebes Niederland (dann in diesem war er gebohren, und hielte sich dazumahl darinn auf) und brache auf nach Seeland, allwo er sich zu Schif setzte, und mit gutem Wind nach Spanien über fuhre. Als er dort in einem Meer-Hafen eingeloffen, und auf das Land ausgestiegen, solle er auf seine Knie nieder gefallen seyn, und die Erden geküßt haben, sagend: er verehre selbige, als die allgemeine Mutter der Menschen. Nackend und bloß seye er von seiner ersten Mutter auf die Welt gebohren worden; also wolle er auch in den Leib dieser anderer Mutter (nemlich die Erden) kehren. Das waren seine Wort: welche die Umstehende zum häufigen Weinen bewegt haben. Auf dieses hin liesse er sich in einer Senften nach dem Closter des heiligen Justi (dessen Ordens-Geistliche unter der Regul des heiligen Hieronymi leben) tragen. Dieses Ort, so nicht weit von der Stadt Placentz auf einem sehr fruchtbaren Boden liegt, hatte er ihm wegen des gesunden Lufts, und lustigen Aussehens halber schon längst gleichsam für seinen Wittlings-Sitz auserkohren; allwo er von aller weltlicher Unruhe befreyt, die letztere Jahr seines Lebens zu zubringen vorgenommen. Da er noch in Niederland war, liesse er ihm ein Haus an gedachtes Closter bauen, welches in allem 6. oder sieben Zimmer hatte, und im übrigen auch fast Clösterlich zugerichtet war. Die Fenster des Zimmers, welches er bewohnte, giengen gegen einem Garten hinaus; und also machten ihm zu Frühlings-und Sommers-Zeit die [220] vielfältige Blumen-Bettlein des Gartens; die springende Brünnelein und künstliche Wasserwerck; die wohlriechende Kräutlein und Gewächs eine unschuldige Freud und Ergötzlichkeit. So bald er dort ankommen, hat er die übrige Hof-Leut, deren 60. an der Zahl gewesen, beurlaubt, und mehr nicht, als nur 12. Bediente, samt einem eintzigen Pferd; und von Hausgeräth, so viel er dessen nöthig hatte, für sich behalten; das andere aber alles unter seine entlassene Diener ausgetheilet.
Von dieser Zeit an entschluge sich Carl aller weltlichen Geschäft, und brachte in stiller Einsamkeit 2. gantzer Jahr zu. Den halben Tag nemlich den Vormittag, schenckte er dem Gebett, dem Lesen geistlicher Bücher, und Kirchenbesuchen. Den anderen halben Tag wendete er zu seiner Ergötzlichkeit an: und theilte also redlich mit dem Himmel: gabe GOtt, was GOttes ist; und dem Kayser, was des Kaysers ist. Wenigst gebührte ihm noch der Titul eines Kaysers; wiewohlen er nicht mehr regierte. Seine gantze Ergötzlichkeit aber, so er Nachmittag hatte, bestunde in dem: daß er entweders einen eintzigen Laquey, der neben ihm herlieffe, bey sich habend spatzieren ritte; oder in dem Garten mit Pflantzen und Beltzen der Bäumen umgienge; oder etliche Sonnen-Uhren machte. Also, wie gehört, brachte Anfangs Carl den Tag dieser seiner Einsamkeit zu. Wie er aber an Leibs-Kräften immerdar abnahme, und wohl merckte, daß allgemach das End seines Lebens herbey ruckte, brauchte er erstgemeldte Kurtzweilen gar mäßig, und beflisse sich vielmehr, durch allerhand gottselige Werck zu einem Christlichen Tod sich zu bereiten. Er bettete demnach öfter, und länger, als zuvor: wohnte denen Tagzeiten der Closter-Leut im Chor fleißig bey: lase selbst, und liesse ihm geistliche Bücher vorlesen, vornemlich die, so von dem Leben der Heiligen handelten: Führte anmüthige gottselige Gespräch: reinigte öfters sein Gewissen durch das heilige Sacrament der Buß, und empfienge die heilige Communion: casteyete auch seinen Leib mit einer aus harten Stricklein zusammen geflochtenen Geisel bis auf das Blut. Und diese ganz blutige Geisel hat er seinem Sohn Philipp, dem anderen König in Spanien, Testaments-weis vermacht; der sie hernach gleichfalls in dem Todbeth Philipp dem Dritten überreicht hat: welche noch heutiges Tags (wie man sagt) unter denen Kennzeichen der Oesterreichischen Gottseligkeit aufbehalten wird. Entzwischen nahete die Zeit herbey, zu welcher er den Jahr-Tag seiner Frau Mutter, mildseligisten Angedenckens, zu begehen pflegte. Da kame ihn ein Begierd an, auch seine eigene Leichbegängnuß, wie er wolte, daß sie nach seinem Ableiben gehalten wurde, beyzufügen. Doch wolte er vorher seines Beicht-Vatters Rath darüber vernehmen. Und als dieser zur Antwort gabe, wie daß solches zwar in der Catholischen Kirch etwas [221] neues, und ungewöhnliches wäre, daß man einem, der noch bey Leben, die Leichbegängnuß halten solle; jedoch mithin auch nicht zu laugnen, daß es ein Christlicher gottseliger Gedancken seye: vergnügte sich Carl mit dieser Antwort, und ertheilte alsobald Befehl, ihme in der Kirch ein Todten-Gerüst aufzurichten; die Mauren und Saulen mit schwartzen Tücheren zu bekleiden, und allenthalben brinnende Kertzen anzuzünden. Seine Diener müßten die Klag-Kleider anziehen; desgleichen auch die Priester und Singer in gewöhnlichen schwartzen Kirchen-Kleideren sich einstellen. Er selbst erschiene auf den bestimmten Tag in einem schwartzen Kleid und Klag-Mantel; und nach gebräuchlichem Zusammen-Läuten der Glocken, verfügte er sich in die Kirch; begabe sich auf den Chor; wohnte der gantzen Leichbesingnuß und Seelen-Amt mit grosser Auferbäulichkeit des Volcks bey: und sahe also lebendig (welches etwas unerhörtes) seiner eigenen Leich-Begräbnuß zu. Unter dem Amt der heiligen Meß nach der Wandlung mußte sich der Priester zu ihm kehren; er aber mit einer brinnenden weissen Wachs-Kertzen in der Hand tratte hinzu; knyete an dem untersten Stafel des Altars nieder, und mit gen Himmel gerichten weinenden Augen sprache er folgende Wort: Dich, O grosser GOtt! in dessen Gewalt mein Leben und mein Tod steht, bitte ich demüthigst, daß, gleich wie ich anjetzo diese brinnende Kertzen dem Priester an deiner Statt in seine Händ überreiche; also wollest auch du meine arme Seel in deine Händ aufnehmen: wann es dir selbige aus dieser Welt abzuforderen gefallen wird. Als er solches geredt, übergabe er die brinnende Kertzen dem Priester: darnach legte er sich auf die blosse Erden nieder, und streckte die Arm von sich; nicht anderst, als wann er tod wäre. Ueber welches dann bey allen Anwesenden ein grosses Weinen und Weheklagen erfolget ist, er aber verharrete also liegend, bis er völlig besungen worden.
Das ware nun der Vorbott seines bald hernach folgenden Tods; welcher sich auch gleich den nächst-folgenden Tag darauf durch ein Fieberlein angemeldet, so ihn ins Beth geworfen, und nach und nach also ausgezehrt hat, daß er im Jahr 1558. die Nacht vor dem Fest des heiligen Apostels Matthäi ein Leich gewesen. Er rüstete sich aber gantz ritterlich zum Tod, in Beyseyn des Bischofs von Toledo, wie auch vieler Geistlichen, welche durch ihr eifriges Gebett und Zusprechen ihm in seinem letzten Kampf beygestanden, bis er gantz Christlich und starckmüthig den letzten Hertz-Stoß von dem Tod empfangen; und mit aller Gegenwärtigen höchsten Trost, und bester Hofnung, daß er nach so viel erhaltenen Siegen auch der himmlischen Cron wurde theilhaftig werden, gantz sanftiglich abgedruckt hat. Famianus Strada S.J. de Bello Belgico Decade 1. l. 1.
[222] Was für ein schönes Exempel von diesem grossen Monarchen! ohne Zweifel wird er tief zu Gemüth geführt haben den so nachdencklichen Spruch Christi, Matth. 16. Was nutzt es den Menschen, wann er schon die gantze Welt solte gewinnen; wurde aber Schaden leyen an seiner Seel? welches bald geschehen ist, wann man sich nicht bey Zeiten zu einem guten Tod bereitet. So hat ihn auch nicht wenig bewegt jene kluge Antwort von einem seiner Officiren, der von ihm den Abschied, und Entlassung der Kriegs-Diensten begehrt hat. Es hatte dieser Officier dem Kayser viel Jahr im Krieg gute Dienst gethan, also daß er sich die Hofnung machen konte, zu der Stell eines Obristen befördert zu werden. Als er aber, ohngeachtet dieser Hofnung, dannoch gehling und auf einmahl den Abschied verlangte, verwunderte sich der Kayser nicht wenig darüber; und wolte deswegen die Ursach wissen. Die Antwort des Officiers bestunde in diesen wenigen Worten: Allergnädigster Kayser! man muß zwischen den Geschäften dieses Lebens; und zwischen der Stund des Tods eine Zeit ausklauben: damit man sich auch zu einem guten Tod bereiten könne. O wohl ein kluge! wohl ein Christliche, und von einem Soldaten unerwartete Antwort! welche aber bey dem Kayser ein solches Nachdencken verursacht, daß er sie nimmer konte aus dem Kopf bringen. Ja sie vermöchte bey ihm so viel, daß er sich nicht lang hernach entschlossen seinem Officier diesfalls nachzufolgen, und sich von ihm in der Vorbereitung zu einem guten Tod nicht überwinden zu lassen: welches er auch 2. gantze Jahr hindurch redlich gethan hat.
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