[225] In einem Closter war ein frommer Ordens-Mann: dieser gienge einstens an einem Morgen in aller Frühe im Closter-Garten auf und abspatzieren, bey sich selbst betrachtend die Grösse der himmlischen Freuden: Aus welcher Betrachtung in ihm eine ungemeine Begierd entstanden, solcher Freuden im Himmel ehistens zu geniessen. Allein eines war, das ihm nicht wolte eingehen: wie es nemlich seyn könne, daß, ohngeachtet solche Freuden ewig währen, sie dannoch einem keinen Eckel bringen sollen. Indem er nun dieser Sach nachdenckt, siehe, da hört er auf dem nächsten Baum ein Vögelein über die Massen lieblich singen. Er schaut demnach über sich, und erblicket das Vögelein; konte aber nicht errathen was Gattung es seye: dann er dergleichen sein Lebtag niemahl gesehen. Indem er nun selbiges mit Verwunderung anschaut, und ihm begierig zuhört, floge das Vögelein gähling zum Garten hinaus, und in einen nächst am Closter-Garten gelegenen Wald. Der Ordens-Mann folgte ihm eilends zum Garten hinaus nach, und erblickte es wiederum auf einem Baum sitzend; da es dann auf ein neues zu singen angefangen; und zwar so lieblich, [225] daß der Ordens-Mann sich vor Freuden nicht fassen können; ja gewunschen, ein lauteres Ohr zu seyn, nur damit er die Lieblichkeit dieses Gesangs genug hören möchte. Es sasse aber das Vögelein nicht lang auf diesem Baum; sonderen floge weiter in den Wald hinein: wo es sich jetzt auf diesen, bald auf jenen Baum setzte; jetzt näher herzu, bald weiter weg floge: deme aber der Ordens-Mann alleweil nachfolgte, und ihme mit Erstaunung, und aufgesperrtem Mund zuhörte: bis es letztlich gähling, und mit schnellem Flug so weit in den Wald hinein geflogen, daß es der Ordens-Mann nicht mehr sehen, noch hören konte. Er hofte zwar alleweil, es werde etwann wiederum zuruck fliegen; aber umsonst. Das betrübte ihn nun ungemein, daß seine Freud so kurtz gewährt hätte. Klagte deswegen wider das Vögelein, und brache in diese Wort aus. O liebes Vögelein! wo bist du doch so geschwind hinkommen? ist dann kein Hofnung mehr überig, dich wiederum, wo nicht zu sehen; wenigst zu hören? warum hast du mir die Lieblichkeit deines Gesangs so bald entzogen? hättest aufs wenigst ein Stund; hättest endlich nur ein halbes Stündlein fort gesungen, so wolt ich mich nicht beklagen: aber du hast es gar zu kurz gemacht. Ey ey! was wolte ich geben, wann ich dich nur ein einzi ges mahl noch hören könte: O wie wolte ich meinen Lust büssen! allein, weil er sahe, daß sein Klagen umsonst, und es nunmehr wolte Abend werden, nahme er den Weeg zuruck, und gienge wiederum dem Closter zu. Aber, O Wunder! indem er das Closter wiederum siehet, nimmt er wahr, daß Zeit seiner Abwesenheit, das Closter-Gebäu fast gäntzlich verändert; da und dort ein neue Maur aufgeführt war. Er konte sich demnach nicht genug darüber verwunderen, wie das möglich geweßt seye, indem er erst am Morgen aus dem Closter gangen wär. Das müsse ja ein künstlicher Baumeister geweßt seyn, der in so kurtzer Zeit das Closter dergestalten erneuert hätte. Dessen aber ohngeachtet gienge er der Closter-Porten zu, die er gleichfalls gantz neu fande. Als er nun dort angeläutet siehe! da kam ein Portner herfür, der ihm gantz unbekannt. Der Portner fragte ihn, was er verlangte? dieser antwortete: er verlange in sein Closter. In dieses gehöre er; und seye er ja Kuster darinn. Nehme ihn also Wunder, daß man ihn fragen möge. Der Portner lächlete, und fragte ihn: wie er dann heisse? und als ihm der Ordens-Mann den Namen angezeigt, sagte der Portner, daß keiner im gantzen Closter dieses Namens wäre. Scheine also, er wolle entweders die Leut betrügen; oder aber er müsse nicht bey sich selbsten seyn. Ueber dieses verwunderte sich der Ordens-Mann noch mehr, und wußte nicht, was er gedencken solte. Endlich bate er den Portner, er möchte ihn wenigst für den Abbt des Closters kommen lassen; der werde [226] ihn wohl kennen. Nun das geschiehet. Aber siehe! wie er für den Abbt kame, da kennte keiner den anderen. Und als ihn der Abbt fragte, was er wolle? gab er ihm Antwort, wie dem Portner. Da ihm aber der Abbt nichts daraus gehen liesse, sondern vielmehr darfür hielte, er wäre nicht bey sich selbst, da hat der Ordens-Mann eben gemeint, er müsse vor Verwunderung vergehen. So verlangte er dann auf die letzte, man wolte aufs wenigst die alte Jahr-Schriften des Closters herfür bringen; da werde man seinen Namen, und daß er Kuster des Closters gewesen, aufgezeichnet finden: Der Abbt, unter dessen Gehorsam er gestanden, habe so und so geheissen: und wann dem nicht also, so solle man ihn nur als einen Leut-Betrüger zum Closter hinaus jagen. Der Abbt, welcher begierig war, aus dem Wunder zu kommen, beruft alsbald den Prior des Closters, und das gantze Convent zusammen, und laßt in aller Gegenwart die alte Jahr-Schriften aufschlagen. Da hat man dann endlich nach langem Durchblätteren mit fast unlesentlichen Buchstaben so wohl den Namen dieses Ordens-Manns, als auch des Abbts, unter dem er gelebt, eingeschrieben gefunden. So war auch dabey aufgezeichnet, was Gestalten unter gedachtem Abbt der Kuster des Closters einstens verlohren worden, ohne daß man hätte können innen werden, wo er hinkommen. Und da hat man gefunden, daß dieser Ordens-Mann (O unerhörtes Wunder!) drey hundert Jahr ausser dem Closter geblieben. Wie nun der Abbt samt dem Convent sich hierüber höchstens verwundert, und es fast nicht glauben können, da hat er ihnen den gantzen Verlauf mit dem Vögelein erzählet: und daß er also diese gantze Zeit in Hitz und Kälte; Regen und Wind; ohne Speis und Tranck sich in dem Wald aufgehalten, und seine Freud allein in Anhörung des Vögeleins gehabt hätte. Uber welche Erzählung alle auf ein neues erstaunet, und GOtt in seinem Diener gelobt haben. Er hatte aber seine Erzählung kaum vollendet, da nahme er an Kräften dergestalten ab, daß er wohl gemerckt, das End seines Lebens rucke herbey, und wolle ihn GOtt aus diesem Zeitlichen abforderen. Begehrte demnach, man solte ihn mit denen gewöhnlichen heiligen Sacramenten der Sterbenden versehen. Welches als es geschehen, gab er unter den Armen der umstehenden Ordens-Brüdern den Geist auf, und machte in dem Himmel der ewigen Freud den glückseligen Anfang. Bidermann in deliciis sacris l. 3. ex spec. exemp.
O GOtt! wann diesem frommen Ordens-Mann in Anhörung eines Vögeleins drey hundert Jahr so kurtz seynd vorkommen, als wären sie kaum ein halbes Stündlein geweßt; wie kurtz wird dann erst denen Auserwählten in dem Himmel in Anhörung der englischen Music die Weil vorkommen? O wie ist da so gar kein Gefahr, daß ihnen die Freud, so sie daraus schöpfen, jemahlen verleiden soll! in [227] Bedencken, daß sie ihnen alle Augenblick gantz neu vorkommen wird. Uns aber solle die Weil lang seyn, bis wir zu solcher Freud gelangen werden.