[238] Zu Spandau, einer Stadt in Brandenburg, kame einstens ein fremder Soldat an, und kehrte in einem der besten Wirths-Häusern ein. Es war ihm aber mehr um die Ruhe, als um Essen und Trincken zu thun; weilen er sich etwas übel befande: Kame im übrigen wohl bekleidet auf einem dapfern Pferd daher, und führte ein Felleisen nach sich, welches ihm um etlich 1000. Gulden nicht feil war. Ist wohl zu glauben, er werde sich auf das Beutmachen meisterlich verstanden haben. Dem seye aber, wie ihm wolle: Wenigst hatte er braf Geld, und durfte auch in einem Wirths-Haus einkehren, wo man denen Gästen einen silbernen Löffel vorlegt. Allein es gelustete ihn, weder aus Silber, noch aus Zinn viel zu essen: Dann die Kranckheit nahme überhand, und warfe ihn nach wenig Tägen gar in das Beth. Was wollte er nun anfangen? Er war in der Fremde; kein eintziger bekannter Mensch vorhanden, der sich seiner annehmen, oder Hilf leisten konte. Der Wirth, dem allgemach schon Angst um die Zech ware, machte saure Gesichter, und wünschte, daß er bezahlt; sein Gast aber im Himmel, oder anderstwo wäre. Man truge nimmer so wohl zu Essen und Trincken auf, wie zu vor; gienge auch mit dem Herrn-Titul gesparsamer um. Die gute Wort waren so theur, als der Wein: und wo der Wirth zuvor selbst kommen, und aufgewarthet, schickte er jetzt nur seinen Haus-Knecht. Sahe also der gute Soldat wohl, daß er müßte andere Saiten aufziehen, wann er einen freundlichen Wirth haben wollte. Hingegen erzeigte sich die Wirthin noch etwas mitleidigers gegen ihm; und wo ihr Mann einen Holtzbock spielte, brachte sie den Fehler mit einer bescheidentlichen Manier wiederum herein. Deswegen berufte er eines Tags die Wirthin zu sich, und bate sie, kein Mißtrauen der Bezahlung halber auf ihne zu setzen; dann es ihme, GOtt Lob, an Geld nicht mangle, alle bishero angewendte Unkosten, und was noch ins künftig aufgehen möchte, mit Danck abzustatten. Ja, wann er ihrer Treu versichert wäre, wollte er ihr unterdessen ein solches Pfand einsetzen, wormit sie gäntzlich wurde zu frieden seyn. Und mit diesen Worten zoge er einen mit Geld wohl gespickten Sack herfür, welchen seine schwache Händ kaum mehr erheben konten. Frau Wirthin! sagte er: Nehmet hin diesen Sack mit Geld unterdessen in euere Verwahrung, und behaltet ihn zu einem Unterpfand meiner Erkanntlichkeit. Stirb ich, so ist die Zech schon bezahlt: Komme ich aber [239] wie derum auf, so sollt ihr wegen euer mir geleisteten guten Verpflegung eine schöne Verehrung davon haben. Die Wirthin, wie sie diesen Willkomm gesehen, bedanckte sich gar höflich seiner Zuflucht halber: Verpfändete hingegen Treu und Eyd, das Geld in fleißige Verwahrung zu nehmen: Und was er mehr wolle: Sie werde es ihr lassen angelegen seyn, als wann es ihr eigenes Gut wäre. Dieses geredt, wischte sie flugs mit dem Sack dem Winckel eines Kastens zu.
O du einfältiger Tropf! was hast du gethan? Die Wirthin wird ihro freylich den Sack lassen angelegen seyn, als wann es ihr, nicht aber dein Geld wäre. Hättest doch wenigst in Beyseyn anderer ihr das Geld eingehändiget; damit du für allen Fall köntest Zeugen herstellen. Jetzt ist wohl zu sorgen, du habest es das letzte mahl gesehen.
Wie der Sack von der Wirthin in die Verwahrung genommen worden, zeigte sie dem Mann auch etwas davon an, und ermahnte ihn, gegen dem Soldaten ins künftig freundlichere Gesichter zu machen, wann er ihm von diesem Geld etwas zu erhaschen eine Hofnung machen wolle. Als aber der Wirth gehört daß der Sack nur auf Wiedergeben vorhanden wäre, wollte er sich darauf nicht verstehen; sondern befahle seinem Weib, alles in höchster Geheimnuß zu halten, und ohne sein Wissen und Willen den Sack nicht mehr aus den Händen zu lassen. Aber diese Gedgierigkeit ist dem Böswicht bald genug versaurt worden. Dann der Soldat fienge unterdessen an, widerum zu genesen, und erholte sich innerhalb etlich Tägen so weit, daß er seine Reise konte ferners fortsetzen. Begehrte demnach von der Wirthin sein Geld, und daß man ihm die Zech sollte machen. Das arge Bein thate dergleichen, als hörte sie es nicht; wendete die Red anderstwo hin, und wischte zur Stuben hinaus zu dem Wirth, dem sie still in ein Ohr sagte: Der Soldat wolle sein Geld haben: Was jetzt zu thun seye? Dieser gantz gewissenlose Mann befahle ihr, sie sollte laugnen, daß sie jemahl einen Kreutzer von ihm empfangen hätte: Er wollte bald da seyn, und ihr an die Hand gehen. Sie kommt dem Befehl nach: Und wie der Soldat abermahl, was er schuldig, zu wissen begehrte: Macht sie ihm, mit Erzeigung grosses Leidwesens, die Zech; welche (wie leicht zu ermessen) auf ein ziemliches hinauf geloffen. Als er aber noch einmahl Meldung that seines Gelds, und solches von der Wirthin forderte, damit er zahlen könnte, verwunderte sie sich anfangs: Was für ein Geld? Sie hätte von ihm kein Geld bishero empfangen; hoffe aber jetzund, eines einzunehmen. Da gienge dem Soldaten gleich grün und gelb vor den Augen um. Ey! Frau Wirthin (sprach er) ihr habt ja kein so schwache Gedächtnuß, daß ihr euch nicht solltet zu erinneren wis sen, jenes Sacks voll Gelds, den ich euch [240] erst vor 6. Wochen, da meine Kranckheit wollte überhand nehmen, zu mehrerer Versicherung aufzubehalten anvertraut hab? Da stiege der Wirthin wie einer Indianischen Hennen, der Zorn in den Kopf; fienge an, zu widersprechen, und mit allerhand Schmach-Wort zuzuwerfen, und hoch zu betheuren, sie wußte von seinem Geld nichts; sondern wollte jetzt Geld von ihm haben. Was? Sagte der Soldat dargegen: Seyd ihr ein solche? Wollt ihr mein Geld ablaugnen? Und weil sie also mit einander stritten, kame der Wirth darzu: Und nach verstandener Sach, nachdem man zu beyden Theilen die Schmach-Glocken wacker gelitten, Schelm und Dieb durcheinander geworfen, stiesse er mit Hilf seines Knechts den Soldaten die Stiegen hinab, und zum Haus hinaus. Die Unbild thate diesem ehrlichen Soldaten so wehe, daß er sich nimmer enthalten können. Entblößte derohalben den Degen; führte damit einen Stoß nach dem Wirth, und wurde ihn ohne allen Zweifel durchgestochen haben, wann nicht jener entzwischen die Haus-Thür zugeschlagen hätte, und der Stich so tief in die Thür gangen wäre, daß der Degen darinn stecken geblieben. Da wurde alsbald Lermen. Der Soldat donnerte und hagelte vor der Thür; der Wirth und Knecht drinnen im Haus; die Wirthin lieffe unter das Fenster; schluge die Händ ober dem Kopf zusammen; rufte die Benachbarte um Hilf an: Der Mörder, der Soldat wolle ihr das Haus stürmen, und ihren Mann ums Leben bringen. Man lauft zu: Es kommen die Schergen; nehmen dem Soldaten das Gewehr, und führen ihn, ohne viel krummes zu machen, fort in die Gefängnuß.
Das ist nunmehr ein feiner Handel. Wer wirds aber gewinnen? Der Soldat? Oder der Burger? Man wird Wunder hören: Es wird noch seltsam hergehen. Unterdessen, da der Soldat in der Gefängnuß lage, kame der Wirth mit seinen Zeugen für Rath: Forderte den Soldaten für Gericht, und strengte die Klag hart wider ihn an. »Wie daß er diesen Leut-Betrüger so und so viel Wochen in seiner Behausung unterhalten, mit seiner und der seinigen höchsten Ungelegenheit; denselbigen auf das fleißigist bedient; weder an Speis und Tranck, noch an Artzney, wie es der Artzt verordnet, ihme was ermanglen lassen: Zum Danck aber nichts, als Schand und Schaden davon getragen hätte; indem dieser lose Gesell gantz verschlagener Weis auf einen List gedacht: Und damit er ohne Bezahlung möchte davon kommen, ein Stuck Geld von seiner Haus-Frauen, unter dem Vorwand, als wann er ihr solches bey währender Kranckheit hätte aufzubehalten geben, keinen Scheu getragen zu fordern; und also ihn und sie eines Diebstahls bezüchtiget, und zum höchsten Nachtheil seiner Wirthschaft das Haus übel verschreyt gemacht.
[241] Ueber das, zu geschweigen der groben unerträglichen Schmach- und Schelt-Worten, habe er Gewalt gebraucht; den Degen würcklich entblößt, und einen Stoß auf sein eigne Person nach dem Leben geführt; solches ihme auch unfehlbar wurde benommen haben, wann der Degen nicht zu allem Glück in die vorgeschützte Haus-Thür gangen wäre, dermassen starck, daß er auch darinnen stecken geblieben. Woraus die Herren Richter und Rath ohnschwer zu erachten hätten, was durch diese, und vorhin gemelte Frevel-That einem ehrlichen Burger für Schand, Spott, Schaden, und offentlicher Gewalt wäre angethan worden. Solches alles seye zwar der gantzen Nachbarschaft bekannt; habe doch zum Ueberfluß gegenwärtige Zeugen wollen mit bringen, des ferneren Anbietens, wann es die Noth erfordert, hierüber einen leiblichen Eyd abzulegen.
Jetzt seye er da: Begehre billichen Abtrag, und das Lob und guten Namen, den er bishero bey der gantzen Stadt, und allen Ausländern unversehrt erhalten; dieser Ehrlose Mensch aber nicht ein wenig zu schmäleren sich unterstanden, wiederum abzuholen. Bitte derohalben unterthänigst den Hoch-Ehrsamen Rath, dasjenige bey gegenwärtigem Streit-Handel vorzunehmen, was Urtheil und Recht vermag; damit ehrliche Burger an ihrem Haab und Gut schadlos; an guten Namen ungekränckt, in Fried, Ruhe, und Sicherheit forthin vor dergleichen Land-Fahrern, Maus-Köpfen, und Leut-Betrügern verbleiben mögen.«
Solche Klag brachte er mit grossem Ernst, und Nachdruck der Worten, theils durch einen Beystand, theils selbst mündlich vor.
Dem armen Soldaten hätte entzwischen das Hertz im Leib zerspringen mögen vor Unmuth, als er hörte, auf was für Schraufen man die Lugen stellte. Als man ihm befahle, sich zu verantworten, bemühete er sich zwar, zu behaupten, daß er einmahl der Wirthin einen Sack mit Geld aufzubehalten anvertraut hätte: Allein es war alles umsonst und vergebens, was er immer sagte. Dann, neben dem, daß er viel einen spitzigeren Degen, als Zungen hatte, und also dem Beystand des Wirths mit Worten nicht gewachsen ware, wußte er des Gelds halber keinen Zeugen zu nennen. Das Vor-Urtheil stunde für den Wirth, daß er ein redlicher aufrichtiger Mann; er aber ein Fremdling und Soldat wäre: Bey dergleichen Leuten aber seye es nichts neues, daß sie allerhand listige Stücklein ersinnen, die Zech ohne Geld zu bezahlen. Zu dem, daß er den Wirth und sein Weib mit Schmach-Worten an ihren Ehren grob angetastet; über das den Degen über ihn gezucket, und würcklich einen Stoß nach dem Leben geführt hätte, konte er nicht laugnen; dann die Zeugen stunden darum da. Hatte also der gute Soldat einen verlohrnen [242] Handel: Wurde wiederum in die Gefängnuß geführt, und härter verwahrt, als zuvor: Dem Wirth hingegen die Vertröstung gegeben, die Sach wurde bald einen Ausgang gewinnen. Wormit er dann wohl zufrieden sich nach Haus begeben. Darauf hin liesse der Stadt-Rath den gantzen Handel schriftlich verfassen, und überschickte ihn einem höheren Gericht, um darüber den endlichen Ausspruch und Urtheil zu gewarthen. Weilen derohalben kundbar, daß der Soldat offentliche Gewaltthätigkeit verübt, und etwann sonst was hoch angezogen worden, ergienge das Urtheil, daß er das Leben verwürckt hätte: Und wurde noch dazu in den Befehl hinein gesetzt, ohne Verlust der Zeit die Vollziehung des Urtheils zu beschleunigen. Ware also mit dem unschuldigen Soldaten geschehen, und hatte die Bosheit abermahl über ihre Feind den Fahnen geschwungen.
Aber nur nicht zu frühe lamentirt über die unglückhafte Verhängnuß dieses Menschens. Die Richter haben geurtheilt, wie sie es befunden, und für billich erkennt: Es ist aber noch ein Richter im Himmel, der auch die Richter richtet. Die unschuldige Susanna hat einen Vorsprecher gefunden an dem jungen Knaben Daniel, eben dazumahl, als man sie zur Richtstatt hinaus führte: Unser Soldat wird auch jemand finden, der ihm das Wort führe, ob er ihn schon nicht gesucht hat.
Die Nacht zuvor, ehe dieses unschuldige Blut von dem Geitz und Falschheit des Wirths sollte gestürtzt werden, erschiene dem Soldaten der böse Geist: Deutete ihm an, was Morgen für ein heisses Blut-Bad auf ihn warte; erzeigte beynebens ein grosses Mitleiden gegen ihm. Ich weiß (sagte er) daß du unschuldig bist; ich will dir aber noch helfen; wann du dich mir mit Leib und Seel verschreiben willst. Der Soldat erschracke anfangs über die massen ob der Ankunft dieses fremden Gasts, der so fein in der Stille zur verschlossenen Thür hinein kame. Wie er sich aber etwas erholet, antwortete er folgender gestalt: Packe dich fort, du verfluchter Geist: Behüte mich mein GOtt darvor: Das thue ich in Ewigkeit nicht. Hab ich bishero GOTT nicht gedient, wie ich hätte sollen, so mag ich doch dem Teufel auch nicht dienen. Packe dich fort: Ich brauche keinen solchen Beystand. Der böse Geist liesse sich darum so leicht nicht abwendig machen; sondern wendete dargegen ein: Er sollte gleichwohl auch bedencken, das Leben seye lieb, und einem ehrlichen Soldaten ein grosser Spott, also schandlich unter des Henckers Händen sterben müssen. Wann er aber je sich zu unterschreiben Bedencken truge, sollte er ihm aufs wenigst etwas von seinen Kleidern, oder sonst was verpfänden. Der Soldat zeigte sich standhaftig, und sagte hinwieder; Nein: Auch das thue ich nicht. [243] Wann du einmahl den Zaum hättest, wurdest du auch das Roß wollen haben. Lasse mich mit fried. Ich bin nicht der erste, der unschuldiger Weis gestorben; werd auch nicht der letzte seyn. Ich bedarfte deiner Hilf nicht: Will dir schon ruffen, wann ich dich haben will. Allein der listige Satan setzte noch nicht aus; sondern machte es in der Gefängnuß, wie der Fuchs in der Hennen-Steig. Wann dieser zwey Hennen nicht wohl tragen kan, siehet er aufs wenigst, wie er eine davon bringe. Sagt also zu dem Soldaten: Nun dann, so seye es: Ich begehre nichts von dir. Du erbarmest mich aber: Und damit dein Unschuld an Tag komrne, will ich dir umsonst, und um nichts beystehen, und dir wiederum zu deinem Geld, und auf freyen Fuß helfen. Morgen, wann man dich offentlich für Gericht stellen wird, das Hals-Urtheil anzuhören, will ich unter den Zuseheren auch auf dem Rath-Haus erscheinen. Wann man dir alsdann nach Lands-Brauch einen Beystand erlauben wird, der noch ein gutes Wort für dich rede, so begehre mich: Ich will dir den Handel gewinnen. Damit du mich aber aus dem Hauffen erkennest, werd ich einen blauen Hut und Federn auf haben. Seye wohl gemuther: Es wird alles glücklich ablauffen. Der Soldat wollte auch nicht recht ja sagen. Jedoch war ihm das Geld lieb; sein ehrlicher Namen aber, und Leben noch lieber. Weil er also aus Einfalt, und einer Unwissenheit, die er in solchen Umständen nicht zu vermeiden wußte, darvor gehalten, es seye ihm nicht verbotten, des bösen Feinds Anbieten (bevorab, weil dieser keinen Zins von ihm forderte) anzunehmen, sagte er gleichwohl zu, er wolle sich Morgen seiner Hilf bedienen; jedoch mit diesem Beding, daß er für solchen geleisteten Dienst nicht das geringste zu gewarten haben sollte. Und bey dieser Abred ist es geblieben: Worauf der böse Feind auch gleich verschwunden.
Des anderen Tags erschienen zu bestimmter Zeit die Richter auf dem Rath-Haus. Der Wirth mit seinem Anhang stellte sich bey Zeiten ein. Desgleichen wurde auch der Gefangene in Band und Eisen fürgeführt, das Urtheil des Tods anzuhören. Der fremde Beystand im blauen Hut liesse sich unter dem Hauffen des zulauffenden Volcks auch sehen. Nach etlichen gebräuchlichen Ceremonien fragte der Blut-Richter, ob er des jenigen noch ingedenck und geständig wäre, was er schon vorhin in der gerichtlichen Verhör bestanden? In gleichem auch, wann er sonst etwas zu seiner Rechtfertigung vorzubringen hätte, sollte ihm solches in Gegenwarth erlaubt seyn; Sollte es aber nicht lang machen.
Der Soldat gabe mit kläglicher Stimm zu verstehen, wie daß er ja freylich noch etwas vorzubringen hätte: Weilen er aber der Red-Kunst [244] unerfahren, und besser mit Pulver und Bley, also mit Rechts-Händlen umzugehen wüßte, wollte er gebetten haben, man möchte ihm (wie auch anderen diese Gnad wiederfahren) einen aus denen anwesenden Herren um Beystand anzusprechen, großgünstig gestatten. Welches als man ihm bewilliget, erwählte er zu solchem Amt obgedachten Fremdling mit dem blauen Hut. Der sich dann auch nicht lang weigerte; sondern, nachdem er zum Schein sich mit dem Soldaten auf der Seiten ein wenig unterredet, tratte er behertzt in die Mitte, machte denen Richtern einen Reverenz, und fienge sein Red fast auf folgende Gestalt an.
»Wann mir so leicht wäre, für den Beklagten Wort zu finden, als schwer mir fallt, die Unbilligkeit des Anklägers zu verbeissen, wollte ich euch mit einer langen Red nicht überlästig seyn. Weilen es aber um unschuldiges Blut zu thun ist, werdet ihr mich hoffentlich nicht verdencken, wann ich die nothwendige Beschützung etwas weitläufigers vortragen werde.
Ihr habt gegenwärtigen Beklagten zum Tod verurtheilt: Mit was Recht und Billigkeit, gibe ich euch selbst zu erachten. Des Anklägers Arglist (verzeihet mir, daß ich also rede) hat euch hintergangen. Bin aber vergwißt, ihr werdet nach verstandener Sach auf andere Gedancken gerathen, und nicht zugeben, daß die Unschuld ferners unterdruckt, und die falsche Auflag gehandhabet werde. So viel ich kürtzlich Nachricht erhalten, besteht die geführte Klag wider den Soldaten hauptsächlich in 3. Puncten. Erstlich, daß er schelmischer verschlagener Weis ein Stuck Geld, unter dem Schein eines Pfands, an die Wirthin gefordert; und also eines Diebstahls sie verdächtig zu machen getrachtet. Fürs andere, daß er so wohl die Wirthin, als ihren Mann, ehrlichen Burger, und bey männiglich beliebten Gastgeb mit Ehrenrührischen Schmach- und Schelt-Worten angetastet. Drittens (und das, ihm den Hals bricht) den Degen über den Wirth gezuckt, einen Stoß nach dem Leben geführt; und also offentliche Gewaltthätigkeit verübt habe. Welches alles glaubwürdig zu machen, werden Zeugen, nicht nur ein und der andere, sondern die gantze Nachbarschaft beygebracht. Arglistig und verschrauft genug: Ueber die massen treflich alles eingefädlet. Aber ein Gespunst von lauter schwachen Faden, welcher nicht genugsam, dem armseeligen Soldaten einen Strick daraus zu spinnen; und den ich auf einmahl zerreissen will.
Von dem letzten und vornehmsten anzufangen, laugnen wir nicht, daß der Soldat den Degen über den Wirth gezuckt habe. Ist aber nicht zu beweisen, daß er am ersten Gewalt gebraucht; wohl aber, daß er Gewalt mit Gewalt abgetrieben: Nachdem er nemlich (wie ich hernach [245] erweisen werde) gewaltthätiger Weiß beraubet; von dem Wirth und dessen Knecht, wie ein anderer Schelm und Dieb, erstlich die Stiegen hinab, und alsdann gar zu dem Haus hinaus gestossen worden. Und solle es hernach ein Wunder seyn, wann ein ehrlicher Soldat nach solchem erlittenen Schimpf und Unbild den Degen entblößt? Ein Soldat fechtet mit dem Degen, ein Weib mit dem Maul.
Man möchte aber vorwerffen, er habe einen Stoß mit dem Degen geführt. Ich frage: auf wen? Ich bekomme zur Antwort: auf den Wirth. Ich frage aber wiederum, warum nicht auf seinen Knecht? Wann der Stich auf den Wirth vermeynt geweßt, wurde er gewißlich nicht eben gewartet haben, bis die Thür verschlossen, und er nimmer konnte zukommen. Daß er aber erst alsdann vom Leder gezogen, hat er Schanden halber, wegen des zulauffenden Volcks thun müssen: damit man ihn nicht für ein Ledfeigen hielte, und vermeynen dörfte, als hätte er gar keinen Degen in der Scheid.
Seye ihm aber also, daß der Stoß auf den Wirth an gesehen gewesen, was einer für eine Meynung gehabt habe, darüber pflegt der Richter nicht zu urtheilen, wie ihr selbsten wisset: wann nur im Werck kein Schaden weiter zugefügt wird. Nun aber ist die Wunden der Haus-Thür, und nicht dem Wirth zu Theil worden; welche in Wahrheit so groß und gefährlich nicht ist, daß der Schaden nicht mit wenig Kreutzern möge abgetragen werden. Wann also der Beklagte (wie ich erwiesen) nur gezwungener und getrungener Weiß, und zwar nur um sich zu schützen, darein gangen, und den zuvor erlittenen Gewalt mit Gewalt abgetrieben: wann er den Wirth zu beschädigen nicht vermeynt, wenigst nicht beschädiget hat; so sihe ich nicht, warum man ihm deßwegen das Leben absprechen könne: es wäre dann in eueren Rechten ein Hals-Verbrechen, einer höltzernen Thür einen Stich geben, der nicht blutet: worfür ich euch sorgen lasse.
Aber auf den mittlern Puncten der Klag zukommen, daß er den Wirth, einen ehrlichen Burger, und bey männiglich beliebten Gastgeb, mit Schmach- und Scheltworten an seinen Ehren angetastet, kan seyn: will hierinn meinem Gegner nicht widersprechen. Aber wann? nachdem nemlich die Wirthin schon zuvor mit Schelmen und Dieben grob genug zugeworffen, und der Wirth ihrer losen Goschen mit dergleichen schönen Ehren-Titulen Beyfall gethan. Wie man in den Wald hinein schreyt, geht der Hall wiederum heraus. Wann sie aber je so unschuldige und ehrliche Leut seynd, frage man dann die Wirthin, was sie, nicht unlängst aus des Soldaten Kammer getragen? Wessen ist dann [246] der in dem Winckel eines grün angestrichenen Kastens, gleich gegen dem Beth über in der Kammer stehender, von Gelt angefüllter, und mit fremdem Insiegel verpetschirter Sack, wann er des Soldaten nicht ist? und du Ehrenvoller (ob GOtt will) bey männiglich beliebter Mann, sage mir her: was hast du ungefehr vor einem Monath, wie der Soldat sich wieder zu erhohlen angefangen, dich mit deinem Weib einmahls lang in die Nacht hinein unterredet; als wie du sein Geld dir eigen machen, und ihm mit Gift oder sonsten das Leben nehmen könntest; letztlich aber, sicherer zu gehen, beschlossen, und deinem Weib das Geld abzulaugnen befohlen hast? ist es nicht wahr? kanst du es laugnen, hast du nicht eben zuvor, ehe der Tumult angangen, diesen deinen Befehl wiederhohlt? nemlich, wie der Soldat das Geld begehrt, und dich dein Weib, was zu thun, noch einmahl heimlich gefragt hat? laugne es, wann du kanst, und ein ehrlicher Mann bist. Ein solcher magst du vor diesem gewesen seyn; daß du aber anjetzo ein Lugner, ein Betrüger, ein falscher Ankläger, ein Schelm, ein Dieb seyest, wird aus der Widerlegung des ersten Puncten der geführten Klag erhellen.
Du laugnest, daß du jemahlen von dem Soldaten einen Kreutzer empfangen, und empfindest sehr hoch, daß er in Forderung eines Pfandweiß anvertrauten Gelds dein Weib zur Diebin, und dich zum Schelmen machen wollen. Recht so. Warum soll es aber nicht auch der Soldat hoch empfinden, daß ihr solche Lumpen-Leut abgebt. Wohl ein feines paar Ehe-Volck, wo der Mann ein Schelm, und das Weib eine Diebin ist. Wann ihr nie keinen Kreutzer von dem Soldaten empfangen, warum habt ihr ihn dann so lange Zeit in euerem Haus geduldet, und nicht vielmehr in den Spital mit ihm getrachtet? Warum habt ihr ihn so stattlich gastirt, so unverdrossen bey Tag und Nacht bedienet; du, dein Weib, dein Tochter, Knecht und Mägd, das habt ihr sicherlich nicht umsonst gethan. Und was noch mehr ist: warum bist du bey dem Artzt, und in der Apotheck für ihn Bürg worden, für einen Fremdling? für einen unbekannten Soldaten? das ist sonsten anderer Wirthen Brauch nicht. Wirst gewiß du allein aus allen derjenige seyn, der dies alles einem Ausländer zu Gefallen thue, ehe er sich auch nur ein eintzigesmahl erkundige, wer derselbige seye? ob solchen Kosten der Beutel ertrage, oder nicht? ob man wohl auch der Bezahlung halber versicher seye? warthe ein Weil, bis wir dieses von dir glauben. Es ist gewiß nicht Stadtkündig, was du für ein schindhäriger Kis sen-Pfenning seyest, also daß man leichter der Katz den Speck, als dir einen Kreutzer könnte abjagen.
Jetzt rede, jetzt schwöre, jetzt verantworte dich. Was zitterest? [247] was erstaunest du, dein böses Gewissen macht dich bleich; welche Farb allen Schelmen und Dieben gemein ist, und dein verstelltes Angesicht gibt genugsam zu erkennen, daß du ein verlogner, Ehrvergessener, überwiesener Mann seyest. Aber was braucht es so viel Wort, wo man den Augenschein haben kan; man schicke hin in des Wirths Haus, und lasse nachsuchen, in obgedachtem, grün angestrichenen Kasten gegen der Bethstatt über, in dieses Bößwichts Kammer, zu unterst, rechter Hand in dem Winckel, wie man aufthut, wird man einen verpetschirten Sack voll Geld finden, so diesem unbillicher Weiß beklagten Soldaten zugehörig ist. Und sofern sich nicht alles, wie ich da aussage, also befindet, Hochansehnliche Richter! will ich meinen Kopf verlohren haben.«
Mit diesen Worten beschlosse er sein Red, und wiche etliche Schritt wiederum zuruck auf ein Seiten.
Das ware nun ein gantz unverhofter Streich. Die Richter über so hertzhafte Verantwortung wurden eine Zeitlang allerdings stumm, und sahen einander an: absonderlich dem Wirth wurde hierdurch das Lebendige getroffen. Er hätte vor Gift und Zorn zerspringen mögen, und konnte nicht begreiffen, welcher Teufel doch ewiglich diesem Blauhütler alle Geheimnussen so umständlich müsse entdeckt haben. Man sahe es ihm im Gesicht an, daß es nicht recht hergienge. Herentgegen frolockte der Soldat, und bedanckte sich gegen seinem Vorsprecher, daß er der Wahrheit und Unschuld so treulich Beystand geleisten hätte.
Man befahle denen Partheyen einen Abtritt zu nehmen, und nach gethaner Umfrag wurde beschlossen, die Gerichts-Diener in des Wirths Haus zu schicken, mit Befehl, den Schlüssel von der Wirthin zu obbeschriebenen Kasten zu begehren, oder mit Gewalt aufzubrechen, und einen gewissen verpetschirten Sack mit Geld (den man ihnen mit mehrerem beschriebe) ohnverzüglich anhero zu bringen. Als nun solcher Rath-Schluß auch dem Wirth angedeutet wurde, und man ihn ermahnte, GOtt die Ehr zu geben; und wann er sich schuldig wüßte, die Wahrheit redlich zu bekennen; beklagte er sich höchlich, als über ein unerhörte Sach, daß man ihm auf das blosse Aussagen eines Fremdlings, der nichts mit Grund darthun könnte, wollte lassen Truchen und Kästen eröfnen, worfür er feyrlich protestirt, und gebetten wollte haben. Aber umsonst. Die Vollziehung des Befehls gienge fort: worauf dann der Soldat und sein Beystand starck trangen. Wie nun der Wirth sahe, daß er nichts ausrichtete, fienge er an erschröcklich zu fluchen: GOtt sollte keinen Theil an ihm haben, der Teufel solle ihn zerreissen, wann er, oder sein Weib jemahlen einen Heller von dem Soldaten empfangen. [248] Man ermahnte ihn, zu schweigen, so gar der verstellte Beystand gewarnete ihn, mit Schelten und Fluchen nicht zu laut zu schreyen; der Teufel habe dünne Ohren, man dörffe ihme nicht lang ruffen, er komme für sich selbst schon. Er aber fuhre in seiner verstockten Weiß fort, und betheuerte abermahl mit einem erschröcklichen Fluch: Der Teufel sollte ihn mit Leib und Seel an der Stell hinführen, wann er die Unwahrheit redete. Hierauf fienge der verstelte Beystand an die Gestalt zu veränderen, in dem Angesicht schwartz zu werden, ihme lange Nägel an den Händen, und Hörner auf dem Kopf herfür zu gehen, und mit feurigen Augen und gantz entsetzlicher Stimm sprache er: Nun, so seye es dann, weilen du es also haben willst. Siehe! da bin ich. Und mit diesen Worten ergriffe er ihn bey der Gurgel, und mit erschröcklichem Getöß, Erschüttung des gantzen Gebäues, in Ansehung aller Anwesenden führte er ihn zum Fenster hinaus, über den Platz durch den Luft fort, also daß man kein Härlein mehr von ihm gefunden. Allen Anwesenden stunden die Haar gen Berg: etliche vor Forcht und Zitteren schryen überlaut; andere sancken schier dahin in eine Ohnmacht, andere sahen nach der Thür um, und lieffe einer da, der andere dort hinaus. Auch der Soldat erschracke, und erzählte, was sich vergangene Nacht mit ihm, und dem bösen Feind in der Gefängnus verloffen; und wie weit er sich eingelassen, ihne für einen Beystand zu gebrauchen: hätte aber gleichwohl nicht vermeynt, daß die Sach einen solchen Ausgang nehmen wurde. Unterdessen wurde der Sack mit Geld von denen Gerichts-Dienern auch herbey gebracht, dem Soldaten eingehändiget, und er auf freyen Fuß gestellt, nicht ohne sonderbahre Verwunderung über die Urtheil GOttes, welcher den bösen Geist für einen Werckzeug hätte wollen brauchen, die unterdruckte Unschuld zu retten, und die Boßheit zu straffen. Wie es der Wirthin ergangen, meldet der Geschicht-Schreiber nicht: hab auch ich ferners davon nichts zu berichten. Martinus Delrio S.J. Libro Magicarum Disquisitionum Parte 1 ma. Quæst. 7. Sect. 1.
Was hat diesem Wirth seine Untreu, Geldgierigkeit, und falsches Fluchen auf sich selbst genutzt, als daß er das Gewissen verletzt; GOtt schwerlich beleydiget, einen Unschuldigen in Leib- und Lebens-Gefahr gebracht, sein Ehr und guten Namen dabey eingebüßt, und letzlich mit Leib und Seel dem Teufel selbst ist zu Theil worden? und wann GOtt schon nicht allzeit so erschröcklich straft, so thut ers doch zu Zeiten, und hats auch an diesem diebischen Wirth gethan, anderen zu einem Beyspiel, daß sie sich daran stossen sollten. Und wann GOtt das thäte, O wie wenig wurde man mehr von solchen Lasteren, welche den unglückseeligen Wirth um Leib und Seel gebracht, hören müssen.
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