Sechstes Exempel.

Einem, der nur einen Tag im Fegfeuer gelitten, kommt es vor, als hätte er schon viel Jahr darinnen zugebracht.

[156] Es ware auf eine Zeit ein frommer und aufrichtiger Mann, der in eine schwere Kranckheit gefallen, mit welcher er ein gantzes Jahr zu thun gehabt, mit grossen Schmertzen, und Verdrüßlichkeit. Er bate demnach GOtt, er wollte sich seiner erbarmen, und diesem Elend mit einem glückseligen Sterbstündlein einstens ein End machen. Was geschihet? GOtt erhört ihn, und laßt ihm durch den Schutz-Engel folgendes sagen: wisse! daß GOtt dein Gebett erhört hat. Allein laßt er dir die Wahl: entweders noch ein Jahr lang diese Kranckheit auszustehen, und darnach von Mund auf in Himmel zu kommen; oder 3. Täg im Fegfeuer zu leiden. Der Krancke besinnete sich nicht lang; sondern sagte: ich will lieber anjetzo sterben, und 3. Täg im Fegfeuer seyn, als noch ein gantzes Jahr mit einer so schmertzlichen, und verdrüßlichen Kranckheit geplaget werden. So seye es, sagte der Schutz-Engel: es geschehe nach deinem Begehren. Bald darauf greift der Krancke in die letzte Zügen, stirbt, und sein Seel wird in das Fegfeuer geführt. Ueber einen Tag hernach kommt der Schutz-Engel zu der Seel, und fragte sie: nun, wie stehts? was machest du jetzt? und wie kommt dir dieses Ort für? O! sagte die Seel! gar übel. O mein Schutz-Engel! wie bin ich hintergangen worden! du hast mir gesagt, ich müßte nur 3. Täg im Fegfeuer seyn; nun aber leide ich hier schon viel Jahr unaussprechliche Pein und Quaal. Ja wohl nicht, sagte der Schutz-Engel zu der Seel: du bist nicht hintergangen worden; sondern die Schärfe des Feuers macht dir die Zeit und Weil so lang. Dann du sollt wissen, daß du erst einen eintzigen Tag im Fegfeuer zugebracht. Jedoch, wann dich die gethane Wahl gereuet, so ist GOtt der HErr noch [156] so gütig, und will dich mit deinem Leib wiederum lassen vereiniget werden; du must aber die vorige Kranckheit noch ein gantzes Jahr ausstehen. O daß GOtt gebe! sprach die Seel: nicht nur ein, sondern mehr Jahr; ja bis auf den jüngsten Tag will ich auf der Welt leiden, wann ich nur einmahl aus dem Fegfeuer komme. Das ist dann auch geschehen; in dem die Seel mit dem Leib wiederum vereiniget worden; und hat dieser Mensch noch ein gantzes Jahr länger die vorige Kranckheit ausstehen müssen. Der hernach alles, was sich mit ihme zugetragen, andern erzählet; ihrer viel zur Buß und Bekehrung gebracht; letztlich wiederum in GOtt verschieden, und in Himmel aufgenommen worden. Cantiprat. l. 2. Apum. c. 16.

O was ist für ein Unterschied der Peinen in diesem Leben; und jener in dem Fegfeuer! ein Schatten ist es, was man hier leidet, gegen dem, was dorten die Seelen leiden. Dann die göttliche Gerechtigkeit selbst zündet jenes Feuer an; sie schärfet es; sie erhaltet es: und da verschont sie nicht; weilen nemlich die Zeit der Gnaden allbereit verflossen, und anjetzo allein die Gerechtigkeit regiert. Welches jener wohl verstanden, so das Lied von den armen Seelen im Fegfeuer gemacht; da er ihre Klag also anstimmet.


O schwere GOttes Hand,

Wie bist allhie zu Land,

So schmertzlich zu gedulten!

Ach wie muß man so theur

In diesem strengen Feur

Bezahlen alle Schulden!

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 156-157.
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