[395] Conrad, dieses Namens, der anderte Römische Kayser, liebte die Gerechtigkeit so sehr, daß er keinem Menschen was Stands und Würde er auch immer war, das Leben schenckte, welcher wider ihn rebellisch, untreu, und meineidig worden. Nichts destoweniger strebte ihm Lupold ein Schwäbischer Reichs-Graf heimlich nach dem Leben. Weilen aber nichts so klein gesponnen, welches nicht komme an die Sonnen, als er vermerckt, daß man hinter seinen verrätherischen Anschlag kommen, und der Kayser [395] davon berichtet worden, nahme er mit seiner Gemahlin die Flucht in den Schwartzwald, von welchem nicht weit sein Schloß gelegen war. In diesem Wald fande er ein alte zusammen gefallene Mühle, in welcher er sich verborgen, auch mit scharfer Buß den göttlichen Zorn besänftiget, und also der Kayserlichen Rach entgangen. Lupold bliebe lange Jahr also verborgen, bis endlich Conrad in selbige Gegend kommen, in welcher, da er einem Hirschen begierig nacheilte, hatte er sein Hofstatt, und den Weeg verlohren. Er irrete also unter denen dicken Bäumen, und Gesträuß herum, bis endlich die Nacht eingefallen: da er dann zu eben selbiger Mühle kommen, in welcher sein Verräther Lupold verborgen war. Conrad kennete den vor Hunger ausgemergelten Lupold nicht mehr. Sein eingefallenes, runtzeltes Gesicht; sein verwachsenes Haar und Bart verstellten die vorhin bekannte Gestalt dermassen, daß er vielmehr einem Kohlbrenner, als Grafen gleich sahe. Lupold herentgegen kennete den Kayser Conrad nur gar zu wohl, welchen er jetzt unter sein Tach aufgenommen. Deswegen war Lupold die gantze Nacht ohne Schlaf, indem er bey sich zweifelhaftig berathschlagte, ob er sich dem Kayser zu erkennen geben, und um Gnad bitten: oder ihn im Schlaf ermorden; oder (ohne sich zu erkennen zu geben) ihne bey anbrechendem Tag entlassen solte. Er ware des Wald-Lebens nunmehr verdrüßig; mithin aber um Gnad zu bitten, ware gefährlich. Entschlosse sich also, noch länger verborgen zu bleiben.
Aber GOtt wolte die Sach wunderbarlich entdecken. Dann eben selbige Nacht, da Kayser Conrad bey Lupold, unter einem Tach war, geschahe es, daß Lupoldi Gemahlin Söhnlein zur Welt gebohren, bey dessen Geburt sich dreymahlen ein Stimm vom Himmel zum Kayser mit diesen Worten vernehmen lassen: Conrad! du solt wissen, daß dieses Söhnlein, das du jetzt schreyen hörest, mit der Zeit dein Tochter-Mann seyn werd. Was diese Wort in dem Gemüth des Kaysers für seltsame Gedancken werden erweckt haben, kan ihm einer leichtlich einbilden. Was? (sprache er bey sich selbst) solle ich mit der Zeit meiner Kayserlichen Tochter einen Bauren-Sohn zur Ehe geben? solte dieser alle meine Güter, und Reichthum besitzen? das wird in Ewigkeit nicht geschehen. Deswegen beschlosse er, seinen hitzigen Zorn mit dem unschuldigen Blut zu löschen. Er meinte eben, er könne des anbrechenden Tags-Liechts nicht erwarten; weilen er ohne das auf einem harten ungewohnten Beth lage. Da es aber Tag worden, suchte er im Wald seine verlohrne Hofstatt, von welcher er gleichfalls sorgfältigist gesucht, und endlich auch durch der Jagd-Hunden Gespur, und Bellen gefunden worden. Kaum hatte er die Hofstatt erreicht, befahle er zweyen seiner Hof-Herren auf das schärfiste, sie sollten [396] jene Wohnung suchen, in welcher er verwichene Nacht beherberget worden. Sie vermeinten nichts anders, als der Kayser werde selbige Haus-Leut reichlich belohnen wollen; als welche ihn unter ihr Tach aufgenommen. Aber gantz das Widerspiel kame heraus, indem er ihnen unter angedroheter Leibs- und Lebens-Straf befohlen, das in verwichener Nacht gebohrne Kind zu ermorden: und zu einem Kennzeichen der vollbrachten Mordthat das Hertz des Kinds zu überbringen. Die zwey bestimmte Hof-Herren mußten also wider ihren Willen gehorsamen. Suchten demnach die angezeigte Wohnung, und fanden in selbiger das unschuldige Kind in der Schoos seiner Mutter. Was bey diesen betrübten Eltern die unverhofte Zeitung, kraft welcher sie ihres eintzigen Trosts solten beraubt werden, für ein Hertzen-Leid werde verursacht haben, ist leichter zu gedencken, als mit Worten zu erklären. Ist das die Kayserliche Belohnung, dieweil wir ihm die Nacht-Herberg gegeben? (schrye auf die weinende Mutter) soll dann mein Söhnlein nicht einen Tag beym Leben verbleiben? was hat doch das unschuldige Blut gesündiget? ermordet viel mehr uns Eltern; damit wenigst in dem Kind unser Gedächtnuß überbleibe. Die himmlische Stimm hat dich, O grausamer Kayser! zu solchem Blut-gierigen Zorn veranlasset: aber du streittest nicht wider die Menschen; sondern wider GOtt selbst, dessen Schutz wir unser Kind anbefehlen: weilen wir doch solches anderst nicht von deinem rachgierigen Gewalt erretten können. Auf diese klägliche Red gabe die betrübte Mutter dem saugenden Kind den letzten Beurlaubungs-Kuß, und benetzte mit ihren mütterlichen Zäheren dessen zarte Wängelein. Durch welche grosse Liebs-Neigung auch die Abgesandte zum Mitleiden bewegt worden. Weilen sie aber aus Forcht des Kaysers dem Kind das Leben nicht schencken durften, es wäre dann Sach, daß sie sich ihres eignen berauben wollen, rissen sie das Kind (O wer kan solches ohne Mitleiden anhören?) aus der mütterlichen Schoos; und mußten also die betrangte Eltern zusehen, wie man die lebendige Leich aus dem Haus trage.
Das allerseits verlassene Kind konte von niemand, als von GOtt allein beschützt werden, welcher dem Gerechten, und Unschuldigen auch die Verfolgung kan zu Nutzen machen. Die schöne zarte Gestalt, und Holdseeligkeit des Angesichts begunte nunmehr die Abgesandte zur Barmhertzigkeit zu bewegen, durch dessen liebreiche Anblick die Hertzen beyder Hof-Herren also erweicht wurden, daß so oft einer die Hand wollte an das Schwerd legen, selbige von heimlichen Naturs-Gewalt gleichsam zuruck gezogen wurde. Deswegen einer zum anderen sagte: ich kan mich einmahl zu dieser Mordthat nicht entschliessen: ich will meine Händ mit diesem unschuldigen Blut nicht [397] beflecken. Wurde also der Schluß gemacht, das Kind auf den nächsten Waasen hinzulegen, und es gleichwohl der göttlichen Vorsichtigkeit zu überlassen. Nachdem das arme Kind also dahin gelegt worden, waren sie besorgt, was sie dem Kayser für ein Hertz an statt des kindlichen überbringen solten. Aber nachdem sie einen an der Hand mit sich geführten Jagd-Hund los gelassen, laufte dieser den gantzen Wald durch, und brachte zu den Füssen seiner HErren einen Haasen. Dem haben sie dann (dieser Gelegenheit sich bedienende) das Hertz ausgeschnitten, und selbiges dem Kayser überbracht; welcher selbiges ansehend ihre Treu gelobt, und sie reichlich belohnet hat.
Sehet aber die wunderbarliche Vorsichtigkeit GOttes! dann durch das Schreyen und Weinen des Kinds ist ein teutscher Fürst, mit Namen Ernestus, welcher in selbigem Wald irr geritten, zu dem Waasen auf welchem das Kind lage, hingelockt worden. Welcher dann selbiges aus Mitleyden aufgehebt, und heimlich mit sich nach Haus getragen. Und weilen seine Gemahlin niemahl kein Kind erzeugt, vermeinten sie beyde, dieses Söhnlein seye ihnen von GOtt zu einem Erben ihres Geschlechts, und Fürstenthums zugeschickt worden.
Damit aber diese Begebenheit einen besseren Fortgang hätte, berathschlagte sich Ernestus mit seiner Gemahlin, sie solte sich bey eitler Nacht stellen, als wann sie ein Söhnlein gebohren hätte; zu welchem End sie dann gewisse Leut mit Geld bestochen hatte, dieses Vorgeben bey anderen glaubwürdig zu machen. Ernestus machte gähling ein Freuden-Geschrey von der neuen höchst-erwünschten Geburt; und hatte alles einen glücklichen Ausgang. Dann es versamlete sich des anderen Tags der hohe Adel um Glück zu wünschen; (und wie man zu schmeichlen pflegt) rufte man das Kind aus, als sehe es dem Fürsten Ernestus gantz gleich. Ernestus und seine Gemahlin, nachdem sie die Stelle des Vatters und der gebährenden Mutter arglistiglich vertretten, liessen das Kind tauffen, und ihm den Namen Heinrich geben, welchen sie dann in tugendsamen Wandel, und adelichen Ubungen auferzogen. Es wußte auch Heinrich von keinen anderen Elteren, als von Ernestus und seiner Gemahlin.
Als er das zwantzigste Jahr erreicht, wurde er wegen seiner sonderbaren Tugend und Geschicklichkeit, wie auch hohen Adel an dem kayserlichen Hof angenommen; von allen beliebt, und hochgeschätzt, theils wegen vortrefflichen Naturs-Gaaben, theils auch wegen angebohrner Freundlichkeit, mit welcher er aller Menschen Hertzen einzunehmen wußte.
Die öftere Gegenwart dieses jungen Heinrichs erweckte wiederum bey dem Kayser die schon einmahl vergangene Forcht, dieser seye vielleicht eben das Kind, welches er zu ermorden befohlen. [398] Deswegen entschlosse er sich, den Heinrich tödten zu lassen. Weilen dann die Kayserin dazumahl zu Aachen in Westphalen vom Kayser entfernet ware, schriebe er ihr mit eigner Hand einen Brief, mit dem Befehl, sie solte dessen Uberbringer alsobald ermorden lassen, so lieb ihr das eigene Leben seye. Heinrich mußte der Uberbringer dieses Briefs seyn, unter dem Vorwand, als wolte der Kayser dieses geheimiste Geschäft keinem anderen anvertrauen. Heinrich sich keines Bösen, oder Lebens-Gefahr besorgend, kame dem kayserlichen Befehl schleunig nach, und ritte Tag und Nacht auf der Post.
Unter Weegs aber, weil er von der Reise sehr abgemattet war, kehrte er um Mittags-Zeit bey einem Dorf-Priester ein; und nachdem er das Mittagmahl eingenommen, legte er sich auf ein Beth hin, ein Stündlein lang auszurasten. Als nun der Priester sahe, daß aus dem Sack des Schlaffenden ein kayserlicher Befehls-Brief hervorgienge, stache ihm der Fürwitz zu wissen, was in selbigem enthalten wäre. Gienge also in aller Stille zu dem Schlaffenden hin, nahme den Brief unvermerckter Dingen heraus, und eröfnete solchen ohne Verletzung des Sigills. Als er aber daraus verstanden, daß dieser wohlgestaltete, und Tugend-volle Jüngling solte ermordet werden, erschracke er heftig darüber. Gienge also aus Erbarmnuß hin, und kratzete alles aus, was dem unschuldigen Jüngling schädlich war; schriebe aber darfür (ohne Zweifel aus liebreicher Anordnung GOttes) hinein, was zu des Jünglings höchstem Glück dienlich war; und das mit solcher Geschicklichkeit, daß es niemand mercken konte. Dann er des Kaysers Hand-Schrift vollkommentlich nachzumachen wußte. Die Wort aber waren diese: wisset, meine liebste Gemahlin, daß es mein ernstlicher Befehl seye: sobald ihr diesen Brief werdet empfangen haben, dessen Ueberbringer mit unserer kayserlichen Tochter zu vermählen; wann er ihr anderst gefallen wird. Nachdem dieses geschehen, steckte er dem Schlaffenden den Brief wiederum unvermerckter Dingen in den Sack. Nach vollendtem Schlaf aber beurlaubte sich der Priester von dem Jüngling, und batte ihn, er wolle seiner mit der Zeit als ein kayserlicher Tochtermann in Gnaden ingedenck seyn. Heinrich lachte hieruber, als über eine Schertz-Red, und bedanckte sich höflich für das eingenommene Mittagmahl. Alsdann eylete er der Kayserin zu; welche, weil sie keinen Betrug vermerckte dem kayserlichen Befehl nachzukommen, kein Bedencken getragen; sondern den Uberbringer des Schreibens noch denselbigen Tag nicht ohne offentliches Freuden-Fest mit ihrer kayserlichen Tochter (als welche im ersten Augenblick dieses adelichen und überaus wohlgestalteten Jünglings mit Liebe entzündet war) hat vermählen lassen. Godefridus Viterbiensis [399] ad annum Christi 1168. penes quem sit fides. Da ist wahr worden, was das Sprüchwort sagt. Was einem GOtt beschehret, das muß ihm werden. Und wiederum: wider GOtt gilt weder Rath noch That. Ist nichts gewissers.
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