Zwey und zwantzigstes Exempel.

Ein armer Student, wird mit der Zeit Cardinal, und stellt sich gegen einer armen Wittib, die ihn Zeit seines Studirens beherberget, danckbar, und reichlich ein.

[33] Matthäus Schiner, aus dem Waliss im Schweitzer Land, ward von armen Elteren gebohren. Nachdem ihm selbige weggestorben, und er also ein Waißlein worden, begabe er sich nach Bern (da nemlich diese Stadt noch catholisch war) um alldort eine Gelegenheit zum studiren zu finden: dann er von Natur nicht allein einen ungemeinen Lust; sondern [33] auch besondere Fähigkeit darzu hatte. Wie er nun zu Bern angelangt, suchte er zu erst eine Herberg, wo er aus und eingehen könnte. Die Kost betreffend, mußte er sich entschliessen, selbige von Haus zu Haus zu erbettlen: dann er hatte nichts, als ein abgeschabenes Mäntelein, zerrissene Schuhe, und schlechtes Röcklein, in welchem er sich kaum därfte sehen lassen. Da geschahe es dann, daß ihn ein arme Wittib aus Mitleiden in ihr Haus aufnahme, wo er aus- und eingehen könnte; im übrigen aber für das Essen selbsten sorgen liesse; als welche für ihre Person genug zu thun hatte, wie sie das Maul hindurch bringen möchte. Auf solche Weis nun machte Matthäus dem studiren den Anfang; und das mit solchem Eifer, und unverdrossenen Fleiß, daß man sich darüber verwundern mußte. Dann wie wohl er das Allmosen von Haus zu Haus heischen mußte, so verhinderte ihn doch dieses im geringsten nichts von dem studiren: indem er von einer Gassen in die andere gehend, stäts (O unerhörter Eifer!) ein Buch in der Hand hatte, und darinnen lase; nur damit ihm kein Zeit, etwas zu lernen, fruchtlos hingienge. Durch diesen angebohrnen Lust, und unermüdeten Fleiß brachte er es mit der Zeit so weit, daß er im studiren alle andere Studenten übertraffe, und letztlich zur Würde eines Doctors in der GOtts-Gelehrheit befördert wurde. In dieser Doctors-Würde nun (worzu eine von Natur angebohrne Wohlredenheit schluge) führte er sich so klug und verständig auf, daß ihn eine löbliche Eidgenossenschaft für würdig erachtete, in einem wichtigen Geschäft an Ihro Päbstliche Heiligkeit nach Rom, als einen Abgesandten, abzuschicken. Welche Gesandschaft ihm auch würcklich aufgetragen wurde. Wie man nun zu Rom seine grosse Wissenschaft, Wohlredenheit, und Erfahrnuß mit Bewunderung ansehen mußte, hat ihn Ihro Päbstliche Heiligkeit zu einem Cardinal (so eine der vornehmsten geistlichen Würde in der Catholischen Kirchen, und die nächste nach dem Pabstum ist) gemacht. Nachdem er in dieser Würde lange Zeit der Kirchen grosse Dienst gethan, schickte ihn einstens der Pabst als einen Abgesandten in die Schweitz, um allda zwischen denen Teutschen und Frantzosen nach langwirigem Krieg einen erwünschten Frieden aufzurichten. Dieser Gelegenheit nun bediente sich der Cardinal, einen Abweeg auf seiner Reiß zu nehmen; damit er sein liebes Bern einstens wiederum sehen, und daselbst den Einkehr nehmen könnte. Wie dann auch geschehen; und er als Päbstlicher Abgesandter von der gantzen Stadt mit grosser Ehrerbietung, und Freuden-Bezeugungen empfangen worden. Das erste, so er bey seiner Ankunft zu wissen verlangte, war dieses: ob nemlich jene Wittib (und die nennete er mit Namen) die ihn Zeit seines Studirens zu Bern beherberget, noch bey Leben wäre? und da ihm mit ja geantwortet worden, bezeugte er darüber grosse Freud: befahle demnach seinen Bedienten, [34] ohnverzüglich Tappetzereyen, Sessel, Silber-Geschirr, und anders, was einem grossen Herrn seinem Stand nach zu bewürthen nöthig, in der Wittib Haus zu tragen, und auf ein Mittagmahl Tafel zu decken. Wie nun die Bediente in der Wittib Haus angelangt, und in die Stuben kommen, fanden sie selbige allein, und zwar an der Kunckel spinnend: grüssen sie mithin gantz freundlich, und sagten zu ihr: Mütterle! thut die Runckel auf ein Seiten und kehrt darfür das Haus und die Stuben aus; damit wir alles mit Tappezereyen auszieren, eine Fürst liche Tafel rüsten, und selbige mit Sessel umstellen können. Die Wittib dies hörend, fragte sie: wer sie dann wären? und was dieses bedeuten solte? sie bekame aber keine andere Antwort, als diese: sie solte nur thun, was ihr befohlen worden; sie werde es bald erfahren, wer sie wären; und auf was es angesehen seye? indem nun die Wittib dem Befehl nachkommen, und überall sauber ausgekehrt, mithin den Kopf zu einem Fenster ausgestreckt, um zu sehen, wer dann mehr in ihr Haus kommen werde; da siehet sie einen Wagen mit Brodt, Wein, Fleisch, Vögel, Wildpret, und anderen bey Fürstlichen Taflen gewöhnlichen Speisen, und Confect beladen, dem Haus zufahren: hinter dem Wagen aber eine Fürstliche Gutschen, in welcher der Cardinal sasse, samt einigen der vornehmsten Herren der Stadt, so aus Befehl des Magistrats den Cardinal Ehren halber dahin begleiteten. Sie gienge also dem Cardinal eilends bis zum Haus hinaus entgegen: und da er aus der Gutsche gestiegen, fiele sie vor ihm aus Ehrerbietung auf ihre Knie nieder, und erwartete gleich wohl, was dann die Ankunft eines so grossen Herrn bedeuten solle. So bald der Cardinal die Wittib das erstemahl wiederum gesehen, sagte er zu ihr: stehet auf, Mütterle! und grüß euch GOtt! wie ist es? kennet ihr mich noch? schaut mich nur recht an. Ich bin derjenige, den ihr vor diesem als einen armen Studenten Zeit meines Studierens aus Mitleiden in diesem eurem Haus beherberget, und darinn aus- und eingehen lassen. Jetzt bin ich kommen, euch in der alten Herberg heimzusuchen, und euch für die Lieb, die ihr mir erwiesen, Danck zu sagen. Laßt uns dann mit einander in die Stuben hinauf gehen; dann bey euch will ich das Mittagmahl einnehmen. Wie sie in die Stuben hinauf kommen, und der Cardinal mit der Wittib eine Zeit lang von den alten Händlen ein freundliches Gespräch gehalten, befahle er, Speis und Tranck auf die Tafel zu tragen: welches als es geschehen, sagte er: jetzt Mütterle! wollen wir über Tisch betten. Nach verrichtem Gebett, hiesse er die Wittib neben sich an die Tafel hinzu sitzen: die sich aber anfänglich geweigert, sagend: es wäre ihr höchste Schuldigkeit, einem so grossen Herrn als ein Magd unterthänigst aufzuwarten. Allein weil ihr der Cardinal nichts liesse daraus [35] gehen, und es kurtz um haben wolte, mußte sie letztlich gehorsamen. Da legte ihr dann der Cardinal selbst alle Speisen vor, und sprach ihr freundlich zu: sie wolte es ihr nur recht belieben lassen, und sich vor ihm nicht scheuen. Nachdem nun ein und andere Speisen aufgeessen waren, begehrte der Cardinal, man solte ihm einen grossen silbernen und vergoldeten Becher vom besten Wein einschencken. Als dieses geschehen, nahme er den Becher in die Hand; kehrte sich damit gegen der Wittib, und sagte: nun, Mütterle! ich brings euch zu; und zwar auf eure eigene Gesundheit. Und nachdem er einen Trunck gethan, stelte er den Becher der Wittib zu. Allein diese getraute sich nicht, den Becher anzunehmen. Wie aber der Cardinal darauf drange, und nicht aussetzte, sagend: Mütterle! ihr müßt mir auch eines aus diesem Becher Bescheid thun: ich lasse es euch nicht nach: nahme sie endlich den Becher, wie wohl mit zitterenden Händen an. Indem sie aber nicht wußte, wie sie diesem grossen Herrn müßte den Titul geben, und demnach jetzt: ihr Excellentz! bald gestrenger Juncker! sagte; mußte der Cardinal ob ihrer Einfalt wohl hertzlich lachen. Gleichwohl damit er ihr ein Hertz zu trincken machte, sagte er zu ihr: Mütterle! heißt mich nur wie vor diesem: dann ich bin eben derjenige, dem ihr vor diesem manches mahl eines zugebracht. Auf dieses Zusprechen hebte die Wittib den Becher über sich, und sagte: so seye es dann, Herr Schiner! weil ihr es doch so haben wolt: ich brings euch zu, auf euere gute Gesundheit. Unser HErr wolle euch noch viel Jahr gesund erhalten. Der Cardinal bedanckte sich; und nachdem er noch eine Zeit lang bey der Tafel gesessen, stunde er endlich auf, und bedanckte sich gegen der Wittib noch einmahl, daß sie ihn vor diesem Zeit seines Studirens so mitleidig beherberget: nahme darauf behüt GOtt von ihr, und hinterliesse ihr nicht allein, was von Speis und Tranck in grosser Menge überblieben; sondern auch die silberne Schüßlen, Teller, Trinck-Geschirr, Sessel, Tappezereyen, und anders, was er mit sich gebracht. Ja, er verehrte ihr noch darüber zu einem Leben-länglichen Angedencken, zwey hundert Ducaten. Womit er das Haus verliesse, und seine Reiß weiters fortsetzte. Wie nun dieses alles in der Stadt Bern ruchtbar worden, da ist nicht auszusprechen, mit was Lob-Sprüchen die gantze Burgerschaft diese unerhörte Demuth, und Danckbarkeit des Cardinals gegen der armen Wittib erhebt habe. Auf allen Gassen hörte man nichts anders, als dieses freudige Ausruffen: es lebe glückselig, dieser demüthige und danckbare Cardinal! GOtt gebe, daß seine Tugend einstens den höchsten Ehren-Gipfel auf Erden besteige! Gazæus in Piis Hilar. Tom 2.


Nehmen die arme Studenten von der Demuth und Danckbarkeit dieses Cardinals ein Exempel, und folgen [36] sie ihm nach. Machen sie es nicht, wie etwelche grobe und undanckbare Gesellen, welche, wann sie durch das Glück mit der Zeit zu einer Würde erhöht werden, nicht allein gegen ihren Gutthätern nicht erkanntlich seynd; sondern nicht einmahl dergleichen thun, als wann sie selbige noch kenneten. O wie schandlich ist dieses! aber was gewinnen sie damit? nichts anders, als daß alle recht geschaffene, Ehr- liebende Leut diesen ihren Hochmuth, und Undanckbarkeit verfluchen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 33-37.
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