Fünf und zwantzigstes Exempel.

Ein Sohn laßt sich aus Liebe gegen seiner alten nothleydenden Mutter unschuldig, als ein Dieb, auf Leib und Leben gefangen setzen.

[43] Zu Meaco, einer Statt in Japonien (so ein Kayserthum in der neuen Welt ist) waren 3. Brüder, welche mit saurem Schweiß und harter Hand-Arbet sich bemühet, eine lange Zeit ihre alte nothleydende Mutter zu ernähren. Da aber eine grausame Verfolgung wider die Christen im Königreich Arima entstanden, ward ihnen zugleich die Gelegenheit benommen, forthin mit ihrer Arbeit etwas zu gewinnen, und folgends der Mutter die nothwendige Nahrung zu verschaffen. Dieses dopplete Schwerdt der Armuth und Verfolgung durchdrange das Hertz der betrangten Brüderen über die massen empfindlich; weil sie nicht mehr im Stand waren, der Mutter hülfreiche Hand zu bieten. Was geschihet? es steht nicht lang an, da erschallet im gantzen Kayserthum eine allgemeine Erinnerung an alle Unterthanen: daß wofern einer einen Dieb ertappen, oder selbigen vor Gericht stellen, und des Diebsstahls wurde überweisen können, der solle eine reichliche Belohnung zu gewarten haben. O Liebe! was erdenckst du nicht? gedachte 3. Brüder kommen zusammen; werden eines Raths und Entschlusses, daß einer aus ihnen, wie wohl unschuldig, sich für einen solchen Dieb ausgeben; die andere zween aber denselben an Stricken gebunden, als einen schuldigen für Gericht stellen solten: um die versprochene Belohnung einzunehmen und damit der nothleydenden Mutter hülfflich beyzuspringen. Das Los fiele auf den jüngsten. Dieser laßt sich willig binden, von den anderen als ein Dieb für Gericht stellen, und des Diebsstahls beschuldigen. Als nun [43] der Richter die Anklag vernommen, lobte er die Treu der Ankläger; liesse ihnen das versprochene Geld erlegen: den Beschuldigten aber in die Gefängnuß werffen. Ehe und bevor aber jene davon zogen, wolten sie von ihrem Bruder, der das End-Urtheil erwarten mußte, den letzten Abschied nehmen. Das geschahe nun beyderseits mit so zarter Neigung, daß sie vor häuffigen Zäheren nicht ein Wort reden konten. Ja es fiele ihnen fast unmöglich von einander abgesöndert zu werden: also hatte sie die natürliche Lieb mit einander verbunden. Der Richter stunde nicht weit von dannen; sahe dieser hertzlichen Beurlaubung zu; gedachte aber bey sich selbst: ey! dieser Beschuldigte kan kein Ubelthäter seyn; sonst wurden ihne seine Ankläger nicht so liebreich umfangen, so hoch bedauren, und so freundlich anschauen. Befahle demnach einem seiner Bedienten, diesen zweyen auf dem Fuß nachzugehen, all ihr Thun fleißig zu beobachten, und ihm hernach unverzüglich von dem gantzen Verlauf Bericht zu ertheilen. Entzwischen ward mit dem Urtheil inngehalten. Als nun gedachte zwey Brüder bey der betrangten Mutter angelangt, gaben sie ihr das Geld: bekenneten mithin aufrichtig, mit was List sie es zu ihrer Hülf, dem jüngsten Bruder aber zu gröstem Nachtheil bekommen hätten. Die fromme Alte erschracke hierüber über die massen: weinte bitterlich, und schrye überlaut: hinweg mit disem ungerechten Gewinn! es seye weit von mir, daß ich dis Geld auch nur anrühren solte; werffet es in das Wasser; dann es ist ein Blut-Geld meines allerliebsten jüngsten Sohns. Tausendmahl will ich lieber vor Hunger sterben, als mich mit dem Blut meiner Kinder ernähren. Der Gerichts-Diener hatte alles vernommen: lieffe eilends nach Haus, und ertheilte seinem Herrn völligen Bericht. Alsobald wird der Gefangene aus dem Kercker herzu geruffen, und über diese Begebenheit examinirt: der dann alles aufrichtig bekennet, und sich allein mit der kindlichen Liebe gegen seiner Mutter entschuldiget hat. Als nun der Richter alles mit höchster Entsetzung angehört, verschobe er das Urtheil, gienge zu dem Kayser, und gabe ihm Bericht von dieser wundersamen Begebenheit. Der Kayser erstaunte darüber, lobte doch die Liebe in der Unthat, und wolte diese 3. Brüder sammentlich bey sich sehen. Als sie nun vor ihm erschinen, lobte er abermahl ihre wiewohl übermäßige, doch auch ungewöhnliche Zuneigung: bestimmte dem Jüngsten, der sein Leben für die Mutter aufgesetzt, 1500. den anderen zweyen en 500. fl. zum jährlichen Einkommen: davon sie sich, samt der Mutter forthin reichlich, und ohne Gefahr zu erhalten hatten. Hazart S. J. in den Japonischen Kirchen-Geschichten. p. 5. c. 17. fol. 156.


[44] O ihr Kinder in Europa! wie soll euch dises Exempel schamroth machen, wann ihr eure Elteren mit allerhand Undanckbarkeit betrübet, ja in höchster Bedürftigkeit verlasset! soll ein Volck, das in dem äussersten Welt-Winckel ligt, die Christen unterweisen, mit was Ehr und Lieb-Pflicht ein Kind seinen Elteren zugethan, und gewogen seyn solle? O Schand!

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 43-45.
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