Vierzehende Begebenheit.

Wunderlich-artige, und aus dem Stegreif ausgesonnene Lob und Trost-Predig, so ein Ordens-Mann zu Strassen-Raubern gehalten.

[512] Nicht weniger lustig, als wunderlich ist, was sich mit einem Pater aus der Gesellschaft JEsu, mit Namen Niclas Bobodilla, einem Spanier zugetragen. Er war ein Mann eines weit aussehenden Verstands, grosser Geschicktlichkeit, und anbey eines gantz lustigen Humors. Einsmahls, als er von Neapel aus nacher Vetlin auf der Reis begriffen, und durch einen Wald seinen Weeg nahme, sahe er eine Rott Strassen-Rauber gegen ihm ankommen. Dem Pater waren diese Vögel nicht unbekannt, welchen man fein geschwind ein Stuck Geld hinwerffen muß, wann man nicht will, daß sie einem die Haut gar über den Kopf abziehen. Weilen er aber als ein armer Ordens-Mann vielleicht nichts, als sein Brevier bey sich hatte, brauchte er einen List, und stellte sich, als thäte er sie nicht mercken; gienge demnach seinen Weeg munter fort. Als aber die Strassen-Rauber zu ihm kommen, umringeten sie ihn, und fragten: wo hinaus? wer er wäre? und was er bey sich trage? Der Pater nicht anderst, als wann er seine beste Bekannte, und werthiste Freund angetroffen hätte, grüßte sie, biethete ihnen die Hand, und gab auf alles gantz poßierlich Antwort. Sagte zu letzt: wie daß sie von ihm, als einem Priester, und Prediger anders nichts zu gewarthen hätten, als ein Lob- und Trost-Predig, die er ihnen zu Ehren gern halten wolte: und solches um desto mehr; weil er wohl wußte, daß sie vieler Verhindernuß halber selten im Jahr in die Predig kommen könten. Wann sie derohalben so viel Zeit nehmen wolten, stunde er bereit. Die Strassen-Rauber sahen einander an, und könten sich nicht genugsam verwunderen ab der Keckheit, und unerschrockenem Gemüth dieses Manns. Nach einigem Verweilen antwortete ihm der Vornehmste unter ihnen: wie daß ihnen sein Anerbieten nicht entgegen wäre, solte es aber kurtz und gut machen: widrigen Falls wurde er ein schlechtes Trinck-Geld davon tragen. Hierauf stellten sie sich in ein Ordnung: und zwar etliche mit gespannten Feuer-Rohren; andere mit blossen Degen in der Hand. Und diese Mörder-Rott solte jetzt der Pater loben; wohl ein gefährliches Predigen bey so heicklichen Zuhöreren: ein eintziges Wort, das sie unrecht werden aufnehmen, wird dem Prediger den Hals brechen. Dannoch schickte sich dieser Pater behertzt zur Sach, stunde unter einem Baum auf einem grünen Bühel, an statt der Cantzel, und fienge nach Anruffung göttlichen Beystands, die Predig folgender Gestalt an:


[513] Im Namen GOtt des Vatters, und des Sohns, und des Heil. Geists, Amen.


Ihr habt unser Weis und Manier zu handlen: Spricht der Heil. Apostel Paulus zu den Philippensern am 3. Capitul.


Viel-werthiste Zuhörer!

Wann ich mich umsiehe, und sowohl das Ort, wo ich stehe, als andere Umständ, in denen ich reden solle, zu Gemüth führe, zweifle ich starck, ob ich jemahlen, Zeit meines Lebens, solche Zuhörer, und eine solche Gelegenheit zu predigen mehr haben werde. Dann ich stehe auf einer Cantzel, wie vor Zeiten der grosse Vorlauffer, und Heil. Tauffer Christi Johannes, welche kein andere ware, als ein grüner Bühel unter einem Baum in dem Wald: Von dannen er die Buß geprediget, und auf das Lamm GOttes, welches hinnimmt die Sünd der Welt, mit dem Finger gezeigt hat.

Sollte mir demnach auch nicht schwer fallen, euch zu Trost an diesem Ort ein Predig zu verfassen: Und bin ich nicht so sorgfältig, was ich sagen wolle; als wie ich euer schuldigstes Lob in so enge Schrancken der Zeit möge einschliessen. Weilen es aber euch also beliebet, will ich in aller Kürtze aus den angezogenen Worten des Heil. Apostels Pauli erweisen, und darthun: Daß ihr Christo dem HErrn, unserem liebsten Erlöser und Seligmacher in vielen Stucken, wo nicht in allen, gantz ähnlich und gleich seyet; welches ja das gröste Lob ist, so ihr von mir erwarten könnet. Höret mich nun auch mit Gedult an.


1. Von der Zeit an, da Christus der HErr die menschliche Natur an sich genommen, und in unbekannter Kleidung auf Erden herum gewandlet, ist erfüllt worden, was der Prophet David am 18. Psalm sagt: Nemlich, er ist aufgesprungen, wie ein Ries, zu lauffen seinen Weeg.

Das wird auch an euch erfüllt: Dann von der Zeit an, da ihr euch zu verkleiden, Haar und Bart zu veränderen, und bald in Gestalt eines Herrns, bald eines Baurens zu erscheinen angefangen habt, was macht ihr nicht für wunderliche Sprüng, Berg auf, Berg ab; durch Felder und Wälder; durch Stauden, und Dorn-Hecken, absonderlich wann ihr vermerckt, daß euch die Schergen mit den Spur-Hunden nachsetzen, und gern das Wild im Garn hätten? Kein Ries konte mit euch in die Wett lauffen.


2. Christus, der Welt-Heyland, wann er sich den gantzen Tag abgemattet, von einem Dorf zu dem anderen herum gezogen, was hat er zu Nachts oft für ein Herberg gefunden? wir wollen ihn selbst reden hören. Matthäi am 8. spricht er also: Die Füchs haben ihre Löcher, und die Vögel des Lufts ihre Nester: Des[514] Menschen Sohn aber hat nicht, wo er sein Haupt könte hinlegen.

Ich nimme die herumstehende Berg und Bäum zu Zeugen, ob es euch vielfältig um ein Haar besser ergangen? Wie oft ist euer Beth ein Gesträuß; euer Ligerstatt die harte Erden, euer Polster ein grüner Wasen gewesen? Wie oft habt ihr bey einfallendem Ungewitter, Sturmwind, oder Platz-Regen, in einer hohlen Eich, oder unter einem abhängigen Schrofen einer Berg-Wand müssen verlieb nehmen? will nichts melden von anderen grossen Ungelegenheiten, die ihr Sommer und Winter in der Wildnuß ausstehen müßt.


3. Christus, der santfmüthige Sohn Davids, ist oft und gern mit den Sünderen umgangen: Hat sich vielfältig bey denen Publicanen aufgehalten, mit ihnen geessen und getruncken.

Das thut ihr auch: Die ihr mit einander esset und trincket, und wie Brüder vertreulich handlet. Wann aber je einer unter euch ohne Sünd seyn sollte, der hebe den Finger auf, damit keinem zu kurtz geschehe.

4. Christus (wie er selbst bekennt) ist nicht kommen, den Frieden auf Erden zu senden, sondern das Schwerdt.

Das ist eben auch euer Meinung, wo ihr hinkommt: Wenigst euer Wehr und Waffen geben solches zu verstehen.

5. Christus hat immerdar etwas wider die reiche Leut gehabt: Ihnen oft gedrohet, und nichts gutes weisgesagt, laut jener Worten, Lucä am 6. Wehe euch Reichen! die ihr eueren Trost, und gute Täg in dieser Welt habt. Und Matthäi am 19. sagt er: Leichter geht ein Cameel durch ein Nadel-Loch, als ein Reicher ins Himmel-Reich. Dieser Spruch hat schon Manchem den Angst-Schweiß ausgetrieben.


Es wird aber auch den Reichen nicht bald so angst und bang, als wann sie unter die Strassen-Rauber gerathen, da heißt es wohl redlich: Wehe euch Reichen! dann so euch ungefehr ein reicher Kaufmann, oder sonst wohlhäbiger Reisender aufstoßt, könnt ihr euch schwerlich enthalten, daß ihr ihm nicht das Felleisen ein wenig ringer macht, und ihn Ritter zu Fuß schlagt, wann es gar gnädig abgeht.

6. Christus hat gewollt, daß, wann man einem den Rock nimmt, er auch den Mantel solle dahinden lassen.

Das wünscht, und wollt ihr ja auch; und nichts mehrers? will einer nicht, so muß er wohl.

7. Christum den HErrn haben viel gehaßt, und waren ihm abhold.

Euere gute Freund seynd gleichfalls bald gezählt: Niemand ist, der euch nicht hasse und verfolge. Die Fürsten der Priester, die Pharisäer und Schrift-Weise, der gesamte Jüdische Rath, geistliche und weltliche Obrigkeit ergrimmten bisweilen wider JEsum, und suchten ihn zu fangen. Ihr seyd auch kein Stund sicher. [515] Endlich wie man ihn in den Banden gehabt, wurde er grausamlich gepeiniget und gemarteret. Jedermänniglich Wunsch ware es, daß man ihn nur fein bald tod sehen möchte: Wie er dann letztlich als ein Ubelthäter hinaus geführt, ans Creutz geheftet, und getödtet worden. Eben so günstig ist euch der Pöbel auch. Hohe und niedere Stands-Personen wünschen von Hertzen, daß man euch nur bald an dem Galgen, oder auf dem Rad erhöht sehen möge. Sollte man nun euer habhaft werden, wurde es zu Neapel, und anderer Orten an einem: Nur fort; fort mit ihm; Creutzige, creutzige ihn, sicherlich nicht ermanglen.


So habt ihr dann in vielen Stücken mit Christo, was eueren Lebens-Wandel antrift, eine Gleichständigkeit.

Ich aber zum Beschluß meiner Predig wünsche von gantzem Hertzen, daß ihr nach dem Beyspiel des rechten Schächers ihme auch in dem Tod möget gleichförmig werden. Und gleichwie dieser Mörder sich noch vor seinem End bekehrt, Buß gethan hat, und von dem Creutz in den Himmel hinauf gestiegen ist; und solches alles durch Gnad und Beyhilf des selbst gecreutzigten und sterbenden Heylands, der nicht will den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre, und lebe: Also auch ihr, und wir arme Sünder alle, uns noch vor unserem letzten End bekehren, und mit Christo in das Paradeiß der ewigen Freud, und Glückseligkeit gelangen mögen. Amen.

Also predigte dieser Pater denen Strassen-Rauberen in dem Wald. Rauscher S.J. in Dominicali 3. Dom. 8. post Pentec. Conc. 2. ex Engelgrave.

Wohl eine seltsame Lob-Predig, wo Schimpf und Ernst beysammen waren, womit er so viel ausgericht, daß sie ihm nicht allein das Leben geschenckt, und ohne eintzige Beleidigung von sich entlassen; sondern noch darzu ihre Sünden mit hertzlicher Reu gebeichtet, und ein besseres Leben zuführen angefangen haben.


Es ist aber aus dieser Schimpf- und Ernst-Predig folgender Schluß zu machen: Daß man an allen Dingen etwas zu loben finde; und auch unsers Nächsten Fehler und Mängel, wo nicht durchgehends entschuldigen, aufs wenigst zum besten auslegen könne, wann man nur will. Die Strassen-Rauber verdienen ja freylich für sich selbst kein Lob, sondern des Henckers-Strick; oder noch was ärgers. Dannoch Bobadilla hat sie gelobt, und ihre Buben-Stücklein nur überzwerch, und poßirlich berührt; weil solche Bescheidenheit, und Klugheit die Umständ erforderten. Hätte er sie bey einer anderen Gelegenheit angetroffen, wurde er ihnen weit anderst gezwagen haben: Hertz und Maul hatte er genug,

Wer eines anderen Sünd siehet, oder weißt, ihn aber weiter nicht angeht, der schweige still darzu. Was [516] dich nicht brennet, das blase nicht, sagen unsere Teutsche im Sprüch-Wort; und wohl. Dann wer etwas blaset, das ihn nicht brennet, der verbrennet eben darum das Maul.


Wann aber je einer etwas darzu zu reden hat, der sehe nicht nur auf den begangenen Fehler, sondern auch auf die Umständ und Tugenden des Uebertretters, und lege ihms zum besten aus. Sage er etwann: Mein GOtt! wie bald ists geschehen? O was gebrechliche Menschen seynd wir! ist sonst ein so guter, frommer redlicher Mann. Ist mir leid, daß er eben da so übel eingangen: Man hat ihn darzu gebracht: Es ist im Rausch geschehen: Die Anfechtung ist so groß gewesen: Er wirds sobald hinfüro nicht mehr thun. Das, das heißt einem anderen ein Sach zum besten auslegen: Gemäß jenem Spruch Christi des HErrn, Lucä 6. Urtheilet nicht, so werdet ihr nicht geurtheiler: Verdammet nicht, so werder ihr auch nicht verdammet.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 512-517.
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