Fünf und dreyßigstes Exempel.

GOtt verhängt über einen Sohn, daß ihm eben derjenige Fuß, mit welchem er vor vielen Jahren seine leibliche Mutter gestossen, ist abgehauen worden.

[121] Ein Edelmann hatte einen Diener, der ihm viel Jahr fleißig und treulich gedient. Nun truge es sich einstens zu, daß der Edelmann durch einen Wald ritte, bey sich habend einen grossen Seckel mit Geld. Wie er nun tief in Wald hinein kommen, suchte er, ob er den Seckel noch bey sich habe. Als er ihn aber nicht mehr fande, fragte er den Diener, der ihm zu Fuß nachgefolget, ob er nicht etwann den verlohrnen Seckel auf dem Weeg ersehen hätte? Da ihm nun dieser mit Nein geantwortet, geriethe der Edelmann auf den Argwohn, der Diener laugne es darum, damit der gefundene Seckel mit Geld ihm bleiben möchte. Dieser Ursach halber ergrimmte er über ihn; stiege vom Pferd ab; zoge den bey sich habenden Sabel aus, und hiebe damit dem armen Tropfen den einten Fuß ab. Als dieses geschehen, liesse er ihn in seinem Blut liegen; stiege wieder aufs Pferd, und nahme den Weeg durch den Wald zurück; in Hofnung, den verlohrnen Seckel wieder zu finden. Der arme Diener, dem der abgehauene Fuß grosse Schmertzen verursacht, erfüllt mit seinem Geschrey und Wehklagen den gantzen Wald. Wie dieses ein Wald-Bruder, so nicht weit von dem Ort, wo dieses geschehen, eine Clausen hatte, vernommen, lieffe er herbey, und fande den Diener, weil er sich ziemlich verblutet hatte, halb todt. Aus Mitleiden nun bewegt, fragte er den Diener, wie ihme gegangen wäre? Und als er von ihm den gantzen Verlauf vernommen, tröstete er ihn, so gut er konte. Weil aber der Diener so schwach war, daß es schiene, er wurde dahin sterben, ermahnte er ihn zu wahrer Reu und Leid über seine Sünden; wie auch, daß er seinem Herrn die unbarmhertzige That verzeihen wollte: Dann auf solche Weis werde ihm auch GOtt seine Sünden gnädiglich verzeihen. Als nun der Diener zu allem sich willig verstanden, hebte ihn der Wald-Bruder auf, nahme ihn auf den Rucken, und truge ihn in seine Clausen. Allwo er ihm den abgehauenen Fuß verbunden, und mit grosser Lieb abgewartet hat. Mithin konte er nicht fassen, wie doch GOtt habe können zulassen, daß der Edelmann so unbarmhertzig mit dem Diener seye umgangen. Fienge demnach an zu zweiflen, ob GOtt auch gerecht, und vorsichtig seye? Indem er mit diesen Gedancken umgienge, erschiene ihm ein Engel vom Himmel, von dem er auf folgende Weis angeredt worden: Was zweifelst du, ob GOtt gerecht, und vorsichtig seye? Steht es nicht geschrieben: HErr, du bist gerecht; und dein Ur theil ist [122] auch gerecht? Psalm. 118. Das weiß ich wohl, sagte der Wald-Bruder, und habe es oft gelesen. Das kan ich aber nicht fassen, wie diesen armen Diener ein solches Unglück habe treffen können, indem er doch von dem verlohrnen Seckel nichts gesehen, und also unschuldig war. Da sagte der Engel: Hüte dich, zu glauben, als wann der Diener gantz unschuldig gewest; und also das Unglück, so GOtt über ihn verhängt, nicht verdient habe. Dann wisse, daß, als dieser Diener vor vielen Jahren mit seiner Mutter auf einein Wagen gefahren, er selbige mit eben dem Fuß, der ihm jetzt abgehauen ist, vom Wagen herunter gestossen. Weilen er sich nun durch diese Unthat an seiner Mutter über die massen schwerlich versündiget, und aber darüber kein solche Reu, wie seyn sollen, erweckt; so hat GOtt aus gerechtem Urtheil dieses Unglück über ihn verhänget; damit er ihm wegen solcher zeitlichen Straf mit der ewigen verschonen könte. Hingegen hat er aus Barmhertzigkeit zugelassen, daß der Edelmann den verlohrnen Seckel mit Geld nicht mehr gefunden; weilen er solches Geld zu allerhand schweren Sünden wurde mißbraucht haben, und mit der Zeit wäre verdammt worden. Letzlich hat es GOtt geschickt, daß den Seckel mit Geld gefunden hat ein frommer, mithin aber armer Mann, der viel Kin der hatte, und nicht zu erhalten wußte. Dem ist dann dieser Fund wohl zu statten kommen. Dann als er den gefundenen Seckel seinem Pfarrer gebracht, damit von der Cantzel möchte verkündet werden: Wer diesen Seckel verlohren, der könne sich darum bey dem Pfarrer anmelden; mithin aber niemand kame, der eine Anforderung dazu hatte: Gabe der Pfarrer den einten halben Theil von diesem Geld dem frommen, und armen Mann; den anderen aber theilte er unter seine arme Pfarr-Kinder aus.

Wie der Wald-Bruder von dem Engel alle Ursachen der göttlichen Verhängnuß verstanden, erkennte er seinen groben Fehler, und bate GOtt mit weinenden Augen deswegen um Verzeihung. Worüber der Engel ihn mit diesen Worten getröstet: Weil du deinen Fehler erkennest, so wisse, daß dir GOtt selbigen auch gnädiglich verziehen hat. Fahre fort, ihm treulich und beständig zu dienen, so wird er dich auch ewiglich belohnen.


Henricus in Dioptra Exemplorum.


Wir klagen oft, wann uns unversehens ein Unglück auf den Hals kommt, und brechen oft voll der Verwunderung in diese Wort aus: Mein GOtt! wie hab ich doch dieses Unglück verschuldet? Allein wann wir gedencken wollten, wie oft und vielfältig wir gesündiget, und doch nicht Buß gethan, wie wir hätten[123] sollen, so wurde das Klagen, und Verwunderen bald aufhören. Vielmehr wurde mancher mit dem gottlosen König Antiochus sagen müssen: 1. Macb. 6. Jetzt kommt mir zu Gemüth das Uebel, so ich gethan hab. Derowegen erkenne ich, daß mir darum dies grosse Unglück begegnet ist. Ja wohl redlich, du unglückseliger König! da hast du aber sollen Buß thun. Und weil du es nicht gethan, hast du dir selbst den zeitlichen, und ewigen Tod zugezogen. Glückselig diejenige, welche die verdiente Straf der Sünden nicht allein erkennen, sondern auch die Sünden von Hertzen bereuen, und darüber Buß thun.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 121-124.
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