[132] In Welschland war ein von Stammen und Geschlecht zwar hochadelicher Jüngling; mithin aber schandlicher Sclav seiner Begierden, und ein Leibeigner der Unzucht. Als dieser einstens eine nicht allein mit Schönheit, sondern auch Tugend, Zucht und Ehrbarkeit gezierte, und über das mit dem Gelübd der Keuschheit gegen GOtt verbundene Jungfrau auf der Gassen angetroffen, und etwas stärckers ins Gesicht gefaßt, da sie ungefehr mit einem Bett-Buch unter dem Armb, aber villeicht nicht [132] mit genugsam unterschlagenen Augen in die Kirchen gienge, wurde er gleich mit unzimlicher Lieb gegen ihr gefangen, und traffe an ihren hell-leuchtenden Augen zwey Irr-Stern an, durch deren Glantz seine Vernunft und Zucht bald zu Grund gangen, und in den Wellen unreiner Begierden ersoffen seynd. Dann ob er schon sonst ein gantzes Jahr in kein Meß und Predig kame, fande er sich doch in derjenigen Kirchen zum öftern ein, wohin er wußte, daß sein Holderstock zu gehen pflegte; und stellte sich mit Fleiß an ein solches Ort, wo er seinen fleischlichen Augen ein erwünschte Weyd könte anrichten, und anderer seiner schändlichen Lüsten pflegen; ohne daß ein eintziges mahl umschauete, ob nicht der Teufel hinter ihm stunde, und ein gantzes Schreib-Täfelein voller Tod-Sünden aufzeignete. Von dieser Zeit an gienge ihm diese Jungfrau je länger, je mehr ein. Er laurete ihr so lang auf, und liesse ehender nicht nach, bis er sie letztlich (weiß nicht, mit was Gelegenheit) an einem Ort ihrer Behausung allein erwischt hat. Die keusche Jungfrau bey seinem ersten Anblick wolte gleich die Flucht nehmen: er aber gestattete ihr solches nicht; sondern trohete ihr den Tod, wann sie nicht an der Stell halten, oder mit einigem Schrey sich wurde vernehmen lassen. Fienge alsdann an, sein unziemliches Verlangen vorzubringen. Sie aber widersetzte sich dapfer, und erinnerte ihn, wie daß sie durch das Gelübd der Keuschheit verbunden, ohne GOttes-rauberische Untreu darwider nicht handlen könte, noch wolte. Weil aber dieses nichts verfienge, ersahe sie in ihren Aengsten in dem Zimmer ein andächtiges Unser Lieben Frauen-Bild; deutete mit dem Finger darauf, und sagte mit weynenden Augen: Ich bitte dich durch diese Allerreiniste Jungfrau, du wollest mir ihr etwegen verschonen: Widrigenfalls sollest du wissen, daß diese Jungfrau, unter dero Schutz ich lebe, diese Schmach nicht werde ungerochen lassen hingehen. Allein der vor Geilheit brinnende Jüngling lachte darzu, und sprache Gottslästerischer weis: Und wer ist dann diese gewaltige Jungfrau, welche also zur Rach geneigt ist, und mir ein solche Reu einjagen wird? Dieses geredt, brauchte er Gewalt und beraubte die Jungfrau ihrer Ehr. Der Jüngling hatte nunmehr seiner Begierd ein Genügen gethan, und achtete es wenig, daß er neben begangenem gottsrauberischen Gewalt noch über das die alerseeligste Mutter GOttes gelästert hatte. Aber GOtt, welcher die Ehr seiner Heiligen jederzeit zu verfechten pflegt, hat auch diesen doppelten Frevel alsobald gerochen. Dann kaum war der Jüngling nach Haus kommen, da fiele er Stein todt nieder, ohne eintziges Zeichen der Reu; ohne Empfahung der Heil. Sacramenten. Wie die Seel werde gefahren seyn, ist leicht zu erachten. Die hochansehnliche Freundschaft, welche grosses [133] Leyd-Weesen über diesen traurigen Fall bezeugte, liesse den Leichnam in der Kirchen der Cappuciner beysetzen; welche aus guthertziger Meynung, und weil sie nichts um das wußten, was fürübergangen, den Verstorbenen nach Catholischen Brauch zur Erden bestättigten. Gleich die erste Nacht der Begräbnuß, als ein frommer Pater um die Metten-Zeit etwas frühers in die Kirchen kame, erblickte er ob dem Grab des verstorbenen Jünglings ein erschröckliches Gespenst; darob er sich dermassen entsetzte, daß er schier in eine Ohnmacht gefallen. Wie er sich aber wieder etwas erholet, lieffe er eylends zu dem Pater Guardian hin, und erzählte, was ihm eben jetzt für ein Abentheuer aufgestossen, erbotte sich doch beynebens, wann er ihm solches unter dem Gehorsam befehlen wolte, wieder umzukehren, und das Gespenst zu beschwören. Der Guardian laßt noch etliche aus denen älteren zu sich beruffen, und berathschlagte sich mit ihnen, was zu thun wäre? Sie befinden des gedachten Paters Anerbieten für gut: gehen darauf, nachdem sie sich mit geweyhten Kertzen, und Heiligthümern wohl versehen, samt ihme hin, und finden ebenfalls das oben beschriebene erschröckliche ungeheure Thier auf dem Grab. Der Pater hebt die Beschwörung an: Worauf sich das Gespenst bewegt; die Gestalt verändert; bald wie ein geschüppete gesprengelte Schlang sich ineinander gewickelt; bald wie ein Drach Feur ausgespyen, und endlich folgender Gestalten zu reden angefangen hat. Ich bin der Geist des allda begrabenen Jünglings: wegen eines gebrauchten gottsräuberischen Nothzwangs gegen einer mit dem Gelübd der Keuschheit verbundenen Jungfrau; und ausgestossenen Gottslästerung wider die GOttes Gebährerin immer und ewig verdammt. Mein Leib ist von denen Teuflen auch schon aus diesem Grab weggeführet, und neben dem reichen Mann in der Höllen vergraben worden. Wann ihr das Grab werdet eröffnen, so wer det ihr meine Wort wahr finden. Und mit diesem ist das Gespenst verschwunden. Die Patres alle ertattert, sahen einander an, und erwegten villeicht bey sich selbst, wie so gar anderst die Urtheil GOttes, und der Menschen beschaffen wären. Diesen Jüngling hatte man für einen frommen Menschen angesehen, Mitleyden mit ihme getragen, und den blinden Tod einer Tyranney beschuldiget, daß er ohne eintziges Absehen auf das hoch-adeliche Geschlecht, und junge Jahr, einen von allen schönen Gaaben der Natur, und des Glücks gezierten Jüngling in der besten Blühe seines Alters also tölpisch und bäurisch hinweg geraffet: Da er doch vor denen Augen GOttes eine stinckende, und nur mit Schnee bedeckte Mistlachen der greulichsten Sünden und Lastern gewesen; den nunmehr GOtt, als seinen abgesagtisten Feind, auf ewig verworffen, und der Teuffel in seinen Klauen hatte.
[134] Unterdessen ward bey denen Patres beschlossen, das Grab zu eröfnen. Kaum aber hatte man oben her von der Erden etwas wenigs hinweg gescharret, da gienge ein so unleidentlicher Gestanck heraus, daß etliche mit Verhebung der Nasen sich in die Flucht begaben. Letztlich wurde doch der höltzerne Sarch heraus gebracht; sahe aber gantz kohlschwartz und verbrennt aus, also, daß Niemand zweiflen konnte, daß ihn die Händ der kohlschwartzen Teuflen berührt hätten. Als man den Deckel hinweg ruckte, und nach dem todten Aas umsahe, war keines vorhanden; sondern auf ein neues fuhre ein unerträglicher Gestanck heraus. Und weil man kein ehrliches Orth für ein solches faules Aas finden konnte, wurde es endlich (mit Gunst zu melden) auf den Mist hinaus geworffen. Siehe aber Wunder! zu mehrer Bekräftigung, daß denen höllischen Raub-Vöglen das in dem Sarg liegende Luder über die massen wohl müsse geschmeckt haben, flogen alsobald vier schwartze Raben herzu, welche Zweifels ohne vier verstellte Teufel waren, zerrissen und zerbissen mit ihrem Schnabel die Todten-Bahr, und verschluckten ein abgepicktes Stücklein nach dem anderen, bis nach kurtzer Zeit kein Schifer mehr davon überblieben: Worauf sie, als von einer guten Mastung wohl ersättiget, davon geflogen. Theoph. Raynaudus in Prato spirituali. Historia 85.
O Augen! oder besser zu sagen: O Schrofen! an welche schon so oft das Schif (ich will sagen, das Hertz) eines jungen Menschens getrieben worden: wo hernach die Keuschheit gescheitert, und ein solcher an Leib und Seel jämmerlich zu Grund gangen. O verschreyte Schrofen! wann wird man euch fliehen? Wann man nemlich von fürwitzigem Anschauen fremder Gestalten sich enthalten wird. Die Augen seynd Liechter; ist wahr: aber Irrliechter, die das menschliche Hertz verführen, und ins Verderben bringen. Darum warnet Christus Matth. am 5. Capitul einen jeden Menschen mit diesen Worten: Wann dich dein Aug ärgert (das ist: zur Sünd anreitzt) so reisse es aus (er will sagen: hüte dich vor fürwitzigem Anschauen fremder Gestalt) dann es ist dir besser, daß eins von deinen Gliederen verderbe, als daß dein gantzer Leib in die Höll geworffen werde. Nemlich, fremde Gestalt dringt leicht durch die Augen, und durch diese in das Hertz hinein: aber man bringt sie sobald nicht mehr daraus. Die Erfahrnus gibt (leider!) davon Zeugnus über Zeugnus.
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