Erstes Kapitel

[136] Schwinger fand durch wiederholte Proben zu seiner großen Unruhe nichts gewisser, als was er vermutet hatte: die Neigung seines jungen Freundes zur Baronesse war unverkennbar. Den Verliebten konnte die Entfernung, in welcher ihn seine Schüchternheit und so viele Aufpasser hielten, nicht so quälen als seinen Lehrer jene Gewißheit: er übersah alle die traurigen Folgen für das Schicksal des jungen Menschen und für sein eignes, die eine solche Liebe begleiten müßten, die Vorwürfe, die man ihm deswegen machen würde, besonders da er immer sein Verteidiger gewesen war und gewissermaßen es über sich genommen hatte, für ihn und seine Neigung zu stehn: er ängstigte sich selbst mit der Besorgnis, daß er vielleicht in der Erziehung einen Fehler begangen, ihn nicht genug bewacht, die falsche Methode in seiner Bildung ergriffen, nicht genug getan habe, einer gefährlichen Leidenschaft zuvorzukommen. Bald wollte er nunmehr selbst anhalten, seinen Freund aus dem Hause zu entfernen: aber welch ein Schmerz für ihn, wenn er an diese Trennung gedachte! welche neue Unruhe, was aus ihm werden könne! wer sollte ihn unterstützen, mit Rat und Geld auf der Bahn weiterführen, auf welche er ihn geleitet hatte?

›Wie unrecht tat ich‹, sprach er oft zu sich selbst, ›daß ich diesen Durst nach Ehre in ihm rege machte! daß ich ihn in eine Laufbahn hinzog, in welcher er sich unmöglich erhalten kann! Sein Elend hab ich in der besten Absicht bewirkt: er wird nach Ehre wie nach dem höchsten Gute aufstreben und seine Armut ihn wie einen Vogel, dem Blei an die Flügel gebunden ist, wieder zurückziehn; und dann wird der Unglückliche sich im Staube wälzen, sich selbst durch Kummer und Ärger zerstören und dem fluchen, der ihn fliegen lehrte, da er nach dem Willen des Schicksals nur kriechen soll. – Meine künftigen Tage, die das Bewußtsein, einen edlen Menschen gebildet zu haben, erheitern sollte, werden unaufhörlich[136] in Wolken und Stürmen über meinen Scheitel dahergehn. O daß mir mein erstes, mein hoffnungsvollstes Werk mißlang! Was konnt ich Elender, den das Geschick für die enge, kümmerliche Sphäre bestimmte, wo weder Ansehn noch Belohnung meiner warten, wo ich nicht durch Verdienste glänzen und nur mir selbst gefallen kann – für die enge Sphäre eines Landgeistlichen, der gern den Dank einer Nation verdienen möchte und alle seine Wirksamkeit auf eine Handvoll einfältiger Bauern einschränken muß –, was für Trost konnt ich in solch einer niederschlagenden Stellung wünschen und suchen, als einen Menschen gebildet zu haben, der verrichtete, was ich nicht verrichten konnte? – Auch dieser Trost ist dahin! Ich soll schlechterdings Kräfte und Willen haben und nichts mit ihnen nützen. – Geh, Verachteter! predige, taufe, begrabe, gräme dich und – stirb!‹

›Aber‹, tröstete er sich zu einer andern Zeit, ›seine Liebe ist noch schüchtern: ich will meinem Plane treu bleiben und diesem Winke nachgehn, seine Ehrbegierde, seine Tätigkeit von neuem bis zum Zerspringen anspannen, seine Schüchternheit durch alle Mittel erhöhen, Tag und Nacht über ihn wachen, und wann es zum äußersten kömmt – ihn entfernen. Vielleicht macht mir unterdessen ein lebenssatter Seelsorger in der Herrschaft des Grafen Platz: dann soll er bei mir wohnen, bei mir leben, bis ich ihm zu einem Gewerbe oder einer Kunst verhelfen oder auf der Bahn der Ehre weiterbringen kann. Aus solchem Tone muß ein edles Gefäß werden, oder es springe!‹

Dem gefaßten Entschlusse gemäß verdoppelte er täglich die Beschäftigungen seines jungen Freundes, gab sich unendliche Mühe, daß ihn Graf und Gräfin einer höhern Aufmerksamkeit würdigen und durch Beifall aufmuntern sollten: sie taten es beide und warfen dem Zöglinge, seinem Erzieher zu Gefallen, zuweilen einen Brocken Lob als eine Gnade zu, mehr mit derjenigen nachsichtigen Güte, womit man der Marotte eines Menschen willfahrt, dem man nicht ungeneigt ist, als aus wahrer lebendiger Überzeugung. Bei der Gräfin mochte es noch ein Rest von Zuneigung sein, aber es war gewiß nur[137] ein Rest: denn solange er ein Knabe war, hielt sie es nicht für unanständig, sich mit ihm abzugeben: allein sein jetziges Alter setzte sie gegen ihn in das völlige Verhältnis des ungleichen Standes: sie sprach und handelte gegen ihn wie eine gnädige Herrschaft, und wenn sie auch mehr Vergnügen in der Herablassung fand, so durfte sie vor dem Grafen nicht zu weit gehn, der so etwas eine Unanständigkeit nannte.

Sonach mußte Schwinger das meiste tun: er ließ sich gegen niemanden von Heinrichs Liebe etwas merken, und Graf und Gräfin waren durch das Alter der Baronesse sicher gemacht, sie zu argwohnen, weil sie ihr nunmehr Verstand genug zutrauten, sich nicht mit ihrer Zuneigung wegzuwerfen. Auch ließ es besonders der Graf nicht an Bemühung fehlen, ihr Stolz und Verachtung gegen alle Personen unter ihrem Stande einzupflanzen und die Vertraulichkeit zu benehmen, mit welcher sie sich gegen solche Leute betrug: seine Lehren fruchteten wenig: je mehr er sie zu Steifheit, zu Ernst und zerimoniöser Gravität zwingen wollte, je mehr wuchs ihr Mißfallen daran, das sie freilich wohlbedächtig verbarg. Daher gefiel sie auch fast niemanden von ihrem Stande: sie spielte wider ihre innern Antriebe eine angenommne Rolle, und es war nicht zu leugnen, daß ihr Betragen, ihre Manieren dadurch etwas ungemein Gezwungenes, Linkisches bekamen: sie war eine Puppe, die im Drahte geht, weil sie nicht natürlich gehen soll. Nicht besser fielen auch ihre Reden in der Gesellschaft aus: bei jedem Einfalle, der in ihr aufstieg, hielt sie sich zurück, aus Furcht, zu frei, zu unanständig zu sprechen, und sagte in solchem Zwange meistens etwas Albernes. Man sagte allgemein: es ist ein gutes Mädchen, das Ökonomie lernen und einmal einen Landkavalier heiraten muß: für die Welt wird sie niemals. Die Damen rückten ihr ihren Mangel an Lebhaftigkeit vor, tadelten sie, daß sie zu still sei, rieten ihr, sich ein wenig aufzumuntern, den jungen Herren zu gefallen zu suchen, um durch sie aufgeheitert zu werden, und sie ward durch die öftern Aufforderungen noch gezwungner, noch ängstlicher.[138]

Die Herren gaben sich die Ehre, sie lustig machen zu wollen, wie sie es nannten: ihre laue Fröhlichkeit erwärmte die Baronesse, daß die ihrige in Flammen ausbrach, sie wurde im eigentlichen Verstande lustig, das heißt, sie vergaß sich und fiel in ihre Natur zurück: gleich erging durch Fräulein Hedwig ein Befehl an sie, sich nicht zu frei und wider den Wohlstand zu betragen: da stand das arme Geschöpf und war wieder eine unleidliche stumme Drahtpuppe! Desto mehr hielt sie sich auf ihrem Zimmer wieder schadlos, wiewohl auch hier Fräulein Hedwig gleich über Unanständigkeit schrie.

Sie wunderte sich äußerst, daß ihr geliebter Heinrich seine Spaziergänge auf einmal so ganz einstellte, und kundschaftete aus, daß er den ganzen Tag mit Schwingern beschäftigt sei: – keine erfreuliche Nachricht für sie! ›Nun wird er mich wohl ganz vergessen‹ – dachte sie, aber sie hatte das nicht zu besorgen. Der gute Bursche war ein Fuhrwerk, an beiden entgegengesetzten Enden mit Pferden bespannt: bald zog das vorderste Gespann den Wagen eine kleine Strecke vorwärts, und gleich zog das hinterste an und riß ihn nach sich hin. Die Arbeit war ihm zur Last: wenn ihm Schwinger die goldnen Früchte der Ehre vorhielt, griff er nur mit halber Entschlossenheit darnach, weil ihm die Liebe schönere Lockungen darbot: er hörte, er las, ohne oft etwas zu verstehen: sein Kopf war mit Nymphen, Liebesgöttern, Grazien und allen übrigen schönen Bewohnerinnen der poetischen Liebeswelt angefüllt, die ihm mancherlei interessante Szenen zusammen vorspielten: er suchte nur Bücher auf, die ihm dieses Theater mit mehr Schauspielern und mannigfaltigern Auftritten versorgten; und da er die Alten nicht hinreichend dazu fand, wandte er sich zu den Neuern: je üppiger, je wollüstiger ihre Bücher mit der Imagination spielten, je willkommner waren sie ihm. Schwinger konnte ihn von dieser Lektüre nicht abziehn und wollte sie ihm geradezu nicht verbieten, weil er durch das Verbot seine Begierde darnach nur mehr zu entflammen glaubte: er suchte sie ihm also anfangs mit guter Manier aus den[139] Händen zu spielen, packte alle von diesem Schlage, die in seiner Bibliothek waren, heimlich in einen Kasten zusammen und las sie nie, als wenn sein junger Freund schlief.

»Aber warum hatte Schwinger, ein so gesetzter Mann, ein künftiger Seelenhirt, solche schädliche Bücher? Warum las er solche verderbliche Schriften, Sauflieder, Hurengesänge, solch Buhlgeschwätze und verliebtes Zeug?« – Kurzsichtiger, der du so fragst! Weil ein solcher Mann ein Bedürfnis fühlte, solche Schriften zu lesen, ist das nicht Antworts genug? – Er las sie und würde sie auch seinem Freunde nicht verschlossen haben, wäre dieser mit ihm in einem Alter und nicht in so einer kritischen Seelenlage gewesen: und da er ihren Verlust gelassen zu ertragen schien und in seinen Arbeiten wieder wie vorher fortfuhr, so glaubte er ihn völlig genesen. Der leichtgläubige Arzt! denkt, daß der Patient gesund ist, weil er nicht mehr im Bette liegt!

Noch mehr wurde er in seinem wohlmeinenden Selbstbetruge durch einen Vorfall bestärkt. Als er einstmals aus dem Kabinette herauskam, fand er Heinrichen, vor dem Tische hingestellt, den Kopf auf beide Hände gestützt, den Blick starr auf eine Büste des Antonins gerichtet, die vor ihm stand. Er redete ihn an und blieb ohne Antwort: er ging um ihn herum und sah ihm ins Gesicht: große Tränentropfen rollten über die eisstarren Wangen aus den unverwandten Augen. – »Was weinst du«, fragte ihn Schwinger, Heinrich sprang erschrocken auf. »Daß mein Vater kein Kaiser ist«, sagte er zornig und stampfte. – »Warum ist dir denn das itzo erst so unangenehm?« – »So könnt ich doch noch etwas Gutes in der Welt ausrichten«, war Heinrichs Antwort, »aber so bleibe ich zeitlebens ein schlechter Kerl, und. –«

Er verstummte: ein Erröten und der gesenkte Blick hätten Schwingern leicht belehren können, was er verschwieg. – ›Und ich dürft es ungescheut wagen, die Baronesse zu lieben‹, dachte er sich so deutlich, als es hier gedruckt steht: aber Schwinger war von dem vermeinten glücklichen Erfolg seiner Kur so sehr bezaubert, daß er die Retizenz nicht einmal wahrnahm. Er setzte die Kur einige Zeit unermüdet fort,[140] um ihn von Grund aus zu heilen: allein nicht lange! Hatte sich der junge Mensch durch die gehäuften Beschäftigungen zu stark angegriffen? Oder erschöpfte dies Hin- und Hertreiben zweier Leidenschaften, worunter die eine seine ältre und die andere seine liebere Freundin war, seine junge Maschine? – Er wurde krank: er verfiel in ein Fieber.

Die Baronesse erschrak bis zur Ohnmacht, als sie die erste Nachricht davon bekam: nun war Graf und Gräfin samt Fräulein Hedwig zu schwach, sie zurückzuhalten: daß sie sich verraten und daß diese Leute sie trefflich dafür ausschelten würden, daran dachte sie gar nicht, sondern hören, die Tür aufreißen, die Treppe hinauf, ins Zimmer hinein und vor sein Bette treten, das war alles eine Handlung, in einem Paar Atemzügen getan. Die Zusammenkunft war für den Kranken so verwirrend als unvermutet: er wagte sich kaum zu freuen; er stammelte furchtsam etwas her, wenn sie ihn fragte; er zog schüchtern die Hand zurück, wenn sie nach ihr griff: er war so verlegen, so ängstlich, so überwältigt vom Zwange, daß er aus sich selbst nichts zu machen wußte. Ehe man sich's versahe, siehe! da kam Fräulein Hedwig herangekeucht.

»Ulrikchen! Ulrikchen!« schnatterte sie und schlug sich auf den Schoß – »was machen Sie hier? Wenn das der Graf erfährt?« –

Die Baronesse. Mag er! Ich bleibe hier, bis Heinrich wieder gesund ist.

Hedwig. Sind Sie gar toll? – Was das für ein Unglück werden wird, wenn Graf und Gräfin dahinterkommen!

Schwinger. Sie sollen es nicht erfahren: trösten Sie sich!

Hedwig. Ja aber – Sie wissen ja wohl!

Schwinger. Was soll ich wissen? – Was Sie vermuten, ist bloße Grille, bloße Einbildung. Ich stehe dafür. Lassen Sie die Baronesse immer ihren Besuch verlängern –

Die Baronesse. O ich bin nicht zum Besuch da. Ich bediene Heinrichen; daß Sie's nur wissen.

Schwinger. Ach das! Ich will Ihr Mitbediente sein.

Hedwig. Sie werden ja ihrer Tollheit nicht noch forthelfen? –[141] So etwas gebe ich nicht zu. Kommen Sie, Ulrikchen! den Augenblick fort! – Ihn da gar zu bedienen!

Schwinger. Was ist denn Böses darinne? – Sie sind ja sonst so gelehrt: kennen Sie denn die Königin in Frankreich nicht, die den Kranken in den Hospitälern aufwartete? – Es ist ein Beweis von der Baronesse gutem Herzen.

Hedwig. Ja, und – wenn man nicht wüßte.

Schwinger. Sie wissen auch immer, was andere Leute nicht wissen. Ich bleibe beständig hier am Bette sitzen; und wenn die Baronesse ihres Amtes überdrüssig ist, dann bring ich sie zu Ihnen.

Hedwig. Das geht nicht! das geht nicht! Bedenken Sie doch die Unanständigkeit! Der Mensch liegt ja, so lang er ist, im Bette.

Schwinger. Diese Freiheit entschuldigt die Krankheit.

Hedwig. Ja, liegen mag er; das wird ihm niemand wehren: aber ihn liegen sehen – schämen Sie sich, Baronesse!

Schwinger. Verderben Sie doch dem lieben Kinde die gutherzige Freude nicht durch unzeitige Vorwürfe! Soll sie sich denn eines guten Werks schämen, weil sie es einem jungen Menschen unter ihrem Stande erweist? – Ich möchte, daß alle Vornehme ihrem Beispiele folgten und keinen Sterblichen für einen Liebesdienst zu gering achteten.

Hedwig. Das ist wohl freilich wahr: wir sind allzumal Sünder und Adams Nachkommen: mortalis nascimus: aber Sie wissen ja, wie der Graf ist.

Schwinger. Wenn er hierinne dem Vorurteil und nicht der Vernunft folgt, so ist es unsere Pflicht zu verhüten, daß seine Anverwandtin nicht seine Denkungsart annimmt, da sie keine Anlage dazu hat. Der Graf soll es nicht erfahren, daß die Baronesse dem Triebe ihres menschenfreundlichen Herzens mehr gefolgt ist als den lieblosen Gesetzen ihres Standes.

Hedwig. Ich kann es wohl geschehen lassen; aber daß nur nicht die Schuld hernach auf mich kömmt. Sobald es dunkel wird, marsch ab! Wie können Sie sich nur so etwas Einfältiges einkommen lassen? hierbleiben zu wollen, bis der Bursche[142] gesund wird! Sie werden doch nicht gar die Nacht hierbleiben wollen?

Schwinger. Die Baronesse ist viel zu verständig, als daß sie so etwas nur wollen könnte. Das war Scherz: wie Sie nun alles gleich im bittersten Ernste nehmen!

Hedwig. Ja, der Ernst kömmt mannichmal hintennach: aber Sie sind ein Ungläubiger, der liebe Gott muß Sie mit der Nase darauf stoßen. – Nu! sobald es dunkel ist, marsch ab!

Sie ging. Schwinger ließ sich in ein Gespräch mit der Baronesse ein; aber sie hielt nicht lange darinne aus: alle Augenblicke war sie besorgt, daß der Kranke etwas brauchen möchte, erkundigte sich bei ihm darnach und war so freudig als über ein Geschenk, wenn er etwas verlangte: machte er in seinem Verlangen eine zu lange Pause, gleich war sie mit dem Wasserglase, mit dem Löffel oder mit der Arznei da. – »Wollen Sie nicht trinken? Sie durstet gewiß.« – »Itzt müssen Sie einnehmen.« – »Das Kopfkissen liegt nicht recht.« – »Sie haben ja den ganzen Nachmittag noch nicht eingenommen.« – »Sie trinken ja gar nicht.« – »Wollen Sie Limonade?« – Bald zupfte sie an der Decke, um ihn recht warm einzuhüllen, bald am Kissen, um es ihm aus dem Gesichte zu ziehen, bald wedelte sie ihm mit dem Schnupftuche Kühlung zu, itzt jagte sie eine Fliege vom Bettuche, daß sie ihn nicht künftig stechen sollte, itzt wischte sie ihm den Schweiß von den kleinen Fingern, um sie unter dem Schnupftuche verstohlen zu drücken: itzt summte eine Schmeißfliege am Fenster – sie machte Jagd auf sie und ruhte nicht, bis sie gefangen war: itzt schloß der Kranke die Augen – gleich wurde Schwingern gewinkt, daß er schwieg, sie saß wie erstarrt, sie atmete kaum, und wenn ihr ein ganzes Heer Fliegen das Blut aus der Stirn zapften, so hätte sie nicht die Hand nach ihnen bewegt, sie zu vertreiben, und wenn Schwinger nur einen Finger regte, so winkte sie ihm schon unwillig mit den Augen: sobald der Patient die Augen wieder aufschlug, flog ihm auch gleich ein freundlicher, erquickender Blick entgegen. Die Dämmerung kam: sie ließ sich ungern, aber ohne Weigerung, von Schwingern zurückführen; und bei dem[143] Abschiede wußte sie es so listig anzufangen, daß ihr Begleiter schlechterdings auf einen Augenblick ins Kabinett gehen mußte: sie bat sich ein Buch von ihm aus, und indem er's holte – hurtig hatte der Kranke einen Kuß weg.

Der Kuß steckte seine ganze fieberhafte Imagination in Brand: mit einem wehmütigen, durchdringenden Schauer empfing er ihn, und sooft sich in der Nacht seine Augen zu einem kurzen Schlummer schlossen, wurde er im Traume von Grazien, Nymphen und den sämtlichen Göttinnen des Olymps, die zu seiner Bekanntschaft gehörten, wiederholt. Liebesgötter trabten auf Zephirn vom Himmel herab: andre tummelten sich auf bäumenden Grashüpfern herum: ein kleiner Verwegner wagte sich auf Alexanders Bucephal und wurde für seine Kühnheit bestraft; das Roß spottete wiehernd der leichten Bürde, lehnte sich auf und schüttelte den schreienden Knaben ab: dort lag er wie tot vor Schrecken, verlacht von dem umringenden Haufen seiner mutwilligen Brüder. Ein andermal zogen ihn und Ulriken sechs schneeweiße Rosse an einem römischen Triumphwagen: Graf, Gräfin und die ganze vornehme Welt, die er kannte, begleiteten sie zu Fuß in den festlichsten Kleidern; der Zug ging nach dem prächtigen Kapitol, das wie ein Tempel auf seinen Kupferstichen groß und majestätisch vor ihm stand: die Menge jauchzte. Plötzlich, als wenn ein Wind sie wegführte, verschwand die zauberische Szene, er lag bis an den Kopf in herkulanischen Schutt vergraben und arbeitete sich mit allen Kräften hervor, daß ihm der Schweiß über die Stirne rann: die Baronesse, in weißen, strahlenden Atlas gekleidet und mit einer goldnen Glorie umgeben, erschien, reichte ihm die Hand und riß ihn leicht heraus: dankend wollte er sie umarmen, einen Kuß auf die Lippen drücken, und hielt in den zusammengeschlossnen Armen – die dicke, schielende Hedwig. Zu einer andern Zeit lag er tot am Rande des Styx: seine Seele irrte ängstlich am Ufer hinab, um über ihn zu setzen, und vermochte es nie: endlich gesellte sich zu ihm eine andre peinlich suchende Seele: es war Ulrike, die ihren Körper verlassen hatte, um ihm nachzueilen, sie flohen miteinander[144] zu ihren Leibern zurück, belebten sie von neuem und starben nie wieder. – So ergötzte ihn mit unendlichen Schauspielen seine träumende Phantasie; er schlief jede halbe Stunde zu neuem Entzücken ein, und die Baronesse erwachte jede halbe Stunde, um sich zu beklagen, wie lang die Nacht sei.

Nach dem Tee war sie schon wieder vor dem Bette: ihre Gouvernante fand in mannigfaltiger Rücksicht ihre Rechnung bei den Abwesenheiten der Baronesse und setzte sich nicht mehr dawider, vornehmlich da Schwinger darauf bestund, daß man sie in ihrem freundschaftlichen Mitleiden nicht stören solle, und beständig Aufsicht über ihre Besuche zu haben versprach. Auf solche Weise brachte sie alle Zeit, wo nicht Onkel und Tante ihre Gesellschaft foderten, mit der sorgsamen Pflegung ihres Geliebten zu: sie las ihm vor, und jede Stelle, die Zuneigung und Liebe ausdrückte, wurde durch einen nachdrücklichen Ton ausgezeichnet und von einem Blicke auf den Kranken begleitet: auch er gewöhnte sich sehr bald an diese geheime Sprache: er tat, als ob er gewisse verbindliche Stellen nicht verstanden habe, und wiederholte sie unter diesem Vorwande mit der bedeutungsvollsten Pantomime: so spielten sie in ihres Aufsehers Gegenwart, den Roman und gaben sich die feurigsten Liebesversicherungen, ohne daß er's wahrnahm.

Die Krankheit wuchs in einer Nacht plötzlich: als sie am folgenden Morgen heraufkam, lag Heinrich sinnlos, ohne Bewußtsein und Bewegung da: die verdrehten Augen standen weit offen, und doch erkannten sie niemanden: die Lippen waren dick und blau, als wenn das Blut in allen Adern von der strengsten Kälte geronnen wäre: jede Muskel lag unbeweglich, abgespannt, und aus jedem seelenlosen Zuge starrte der Tod hervor. Minutenlang stand sie vor ihm wie ein Marmorbild, von Schrecken und Schmerz versteinert. Schwinger wollte sie bereden, daß er schliefe. – »Nein«, schrie sie mit hohlem, schauerndem Tone, die Augen unverwandt auf ihn gerichtet, »er ist tot!« – »Er ist tot!« schrie sie noch einmal – und dann in einem Atemzuge: »Heinrich![145] Heinrich!« – Nicht eine Fiber rührte sich an dem Kranken. Sie hob seine Hand auf; schlaff, kraftlos fiel sie wieder auf das Bette. Sie faßte den Kopf, konnte ihn kaum aufbringen: starr, schwer fiel er wieder aufs Kopfkissen. Sie rief dicht in das Ohr: »Heinrich! Heinrich!« – Kein Zuck!

Die Tränen standen wie geronnen in ihren Augen, bis zum Überlaufen voll; und keine konnte fließen. Ohne ein Wort zu reden, stürzte sie sich zur Tür hinaus, die Treppe hinunter, und wer ihr begegnete, den stieß sie vor sich hin und rief: »Den Arzt!« Sie flog in die Küche, in den Stall, brachte alles in Aufruhr, befahl allen, den Arzt zu holen: niemand ging. Sie zürnte, sie tobte, sie stieß die Leute fort: schwerfällig blieben sie stehn, sahen sie an und wußten nicht, was sie von ihr denken sollten. – Hie und da kam eine phlegmatische Frage: »Warum denn? Für wen denn?« – oder so etwas. – »Er ist tot!« schluchzte sie mit halbverbißnem Worte. – »Wer denn?« fragte man abermals. – »Heinrich!« rief sie und hätte die dumpfen, trägen Geschöpfe mit den Händen zerfleischen mögen. Sie bekam weiter nichts zur Antwort als ein langgedehntes »So?«, das die ganze Küche in einem Tutti aussprach. Niemand ging.

Der Zorn kochte wie ein Strudel in ihrer Brust: mit glühendem Gesichte verließ sie das untätige Volk, und in den Hof! – Mit aufgestreiften Armen, im Hemde, ein kurzes, schwarzes Pfeifchen zwischen den Zähnen, lehnte der Stallknecht an der Tür und sah in die Sonnenstäubchen. Sie erblickte ihn: in einem Fluge auf ihn los und ihn um den schmutzigen Hals! – »Ich bitte Euch um Gottes willen, holt den Arzt!« – Der Bursche, durch den andringenden Ton in Bewegung gesetzt, rennt mechanisch über den Hof weg: als er an die Tür kam, besann er sich, daß er nicht wußte, wohin er sollte: »Wen soll ich rufen?« fragte er und kam wieder zurück. Indem die Baronesse von neuem entbrennen wollte, stand Schwinger hinter ihr und brachte ihr die Nachricht, daß der Medikus bei dem Grafen gewesen und bereits oben bei dem Kranken sei. Viel Freude für sie! Mit vorstrebender Brust eilte sie so geschwind hinauf, daß ihr Schwinger kaum folgen konnte.[146]

Das erste Wort, was durch die aufgerißne Tür flog, war – »Lebt er wieder?« – »Ja«, versicherte der Arzt und bewies seine Versichrung aus dem zunehmenden Pulsschlage. Sie wollte den Beweis ganz ungezweifelt haben und fühlte selbst an den Puls, hielt ihn lange Zeit, um sein steigendes Zunehmen zu bemerken, und in dieser Stellung erblickte und fühlte sich der Kranke bei seinem Erwachen aus der Betäubung. Welch ein glückliches Erwachen zu einem Bilde, das seine Nerven in verdoppelte Schwingungen setzte und ins Herz drang, um einen unlöschbaren Eindruck zurückzulassen! – »Itzt blickt er mich an!« rief die Baronesse, und die Freude ging in ihrem Gesichte auf wie der volle Mond am Ende eines trüben Horizonts, wenn die Wolken vor ihm weichen.

Leben und Vergnügen auf beiden Seiten wuchs mit jedem Pulsschlage: sie konnte sich nicht genug über die fühllosen Kreaturen ärgern, die an Heinrichs vermeintem Tode nicht so vielen Anteil genommen hatten als sie: auch der Arzt kam nicht ohne Schmälen weg, daß er so kalt von seiner Besserung sprach und so gleichgültig versicherte, daß er wohl sterben würde, wenn so ein Sturz noch einmal käme. Sie zog ihn am Ärmel zurück, als er gehn wollte, und verlangte schlechterdings, daß er diesen zweiten Sturz abwarten möchte: allein er entschuldigte sich sehr höflich und gab zur Ursache an, daß er zu einer Braut müsse, bei der man vorige Nacht auf das Ende gewartet habe. – »Sie wird wohl nicht mehr am Leben sein«, setzte er frostig hinzu, »aber ich muß mich denn doch erkundigen, ob sie wirklich tot ist.«

Die Baronesse stieß ihn von sich und mochte ihn vor Verachtung über seine Kälte nicht ansehen. »Ich hätte«, sagte sie zu Schwingern, als er hinaus war, »ich hätte dem krummnasichten Doktor ein Paar Ohrfeigen geben mögen, so hab ich mich über ihn geärgert. Sprach er nicht von Heinrichs Tode, als ob er gleich wieder einen andern aus seinen Büchsen herausdestillieren könnte, wenn dieser gestorben wäre? Ich bezahlte ihn gewiß nicht, wenn ich der Onkel wäre.« –

Noch hatte weder Graf noch Gräfin erfahren, wie tätig sie sich mit der Wartung des kranken Heinrich beschäftigte:[147] ein einziges Mal verriet sie sich bei der Tafel. Der prophezeite zweite Sturz hatte sich eingefunden, und ein Bedienter brachte die Nachricht, daß Heinrich eben gestorben sei. Der Gräfin stieg eine Träne ins Auge, die sie durch ein Umdrehen des Kopfes nach dem Bedienten, der die Nachricht gebracht hatte, vor ihrem Gemahle verbarg, der schon zu beratschlagen anfing, wie man ihm, ohne seinen Stand zu überschreiten, ein distinguiertes Begräbnis veranstalten solle. Die Baronesse ließ vor Schrecken den Löffel auf den Teller fallen, daß der Milchcreme weit herumspritzte: sie schob ihren Stuhl mit dem Fuße zurück, blieb verwildert, sinnenlos kurze Zeit in halb fliehender Stellung: plötzlich warf sie die Serviette in den Creme hinein und ging zum Zimmer hinaus, langsam die Treppe hinauf- der Schrecken hatte ihre Knie gelähmt –, und große Tropfen rollten wie Perlen über das bleiche, stumme Gesicht. Schwingern schauderte vor dem Anblicke, als immer eine Träne die andre über die eiskalte, starre, steinerne Miene hinjagte. Sie mußte sich setzen, denn ihre Knie sanken. – »Was haben Sie, liebe Baronesse?« fragte Schwinger. Sie redete nicht, sah immer steif vor sich hin. – »Was fehlt Ihnen?« tönte eine ängstliche, schwachatmige Frage hinter dem Vorhange des Bettes hervor. Es war Heinrichs Stimme. Die Freude traf sie wie ein elektrischer Schlag:

sie fuhr zusammen und stürzte vom Stuhle. Schwinger erhaschte sie zu rechter Zeit noch, Fräulein Hedwig, die man ihr gleich nachgeschickt hatte, kam eben an und trug mit schwerfälligem Galoppe alle Fläschchen, die sie ansichtig wurde, herbei und hielt sie unter die Nase, sie mochten riechen oder nicht. Endlich kam sie wieder zu sich: sie saß Heinrichs Bette gegenüber, der, um zu sehn, was vorging, die Vorhänge ein wenig zurückgeschoben hatte, und bei dem ersten Eröffnen der Augen traf Blick auf Blick. Wie mächtig Gefühl und Imagination durch solche Spiele des Zufalls aufgeregt und welche bleibende Eindrücke durch sie der Seele eingedrückt werden, wird jedem Leser sein eignes Gedächtnis belehren; und warum sollte ich also mit Worten beschreiben, was ihm seine Erfahrung besser berichten kann? –[148]

Nach einigen Verwunderungen, Fragen und Antworten auf allen Seiten entwickelte sich's, daß der Bediente entweder aus boshafter Schadenfreude oder aus der Gewohnheit dieser Leute, Vermutung als geschehne Gewißheit wiederzuerzählen, gelogen hatte; denn es war ihm nichts weiter von der Kammerjungfer im Vorbeigehn gemeldet worden, als daß Heinrich wieder schlimmer sei und wohl sterben werde: und die ganze Sache war nichts als eine kurze Betäubung, die schon lange vor jener Todesbotschaft aufgehört hatte.

Der Graf war über das Betragen der Baronesse ein wenig stutzig geworden: nicht als ob er Liebe dabei mutmaßte! – davon hatte er gar keinen Begriff –, sondern eine zu große Vertraulichkeit zwischen beiden jungen Leuten argwohnte er; und die Idee, daß seine Schwestertochter sich zu einer so ausgezeichneten Betrübnis um den Sohn seines Einnehmers erniedrige, hatte so viel Widriges für ihn, daß er Fräulein Hedwig wegen ihrer schlechten Erziehung tadelte, ihr einen Verweis für ihre eigne Person erteilte und einen zweiten für die Baronesse in Kommission gab. Die Gräfin mußte auch einen versteckten annehmen, weil sie ihre Tränen nicht genugsam verborgen hatte. Um sich nicht in seinen Augen so verächtlich zu machen, als ob sie aus Mitleid um den Sohn seines Einnehmers geweint hätte, wandte sie einen starken Schnupfen vor, der ihr bei jedem Worte das Wasser aus den Augen triebe; und damit ihr Gemahl nicht bei ähnlichen Vorfällen auf die Spur der wahren Ursache geraten möchte, die ihre geheime Mutmaßung für unleugbar hielt, redete sie ihm mit ihrer gewöhnlichen Kunst alles aus, was er besorgte, und nahm es über sich, die Baronesse über ihr unanständiges Betragen selbst zu bestrafen.

Die Bestrafung fiel sehr gelind aus. Die Gräfin besaß von Natur viel Reizbarkeit, allein ihre Empfindung war durch die Erziehung ihrer Eltern und den Stolz ihres Gemahls in beständigem Zwange gehalten worden. Sie hatte sich dadurch eine gewisse künstliche Kälte erworben, dadurch gleichsam eine Eisrinde um ihr Gesicht gezogen, die ihr inneres Gefühl nicht durchschmelzen konnte, wofern es ein[149] Vorfall nicht zu plötzlich in Flammen brachte. Das Bewußtsein ihres eignen Fehlers – denn dafür mußte sie es nach allen Begriffen erkennen, die ihr die Erziehung davon beigebracht hatte – machte sie gegen die Empfindlichkeit der Baronesse ungemein nachsichtig: der Rest von Güte des Herzens, den ihr Eltern und Gemahl nicht hatten auslöschen können, überredete sie, ihrer jungen Anverwandtin ein Vergnügen nicht ganz zu verwehren, das für sie selbst eine verbotne Frucht war: sie hatte es wohl ehemals aus Furcht vor dem Grafen getan, allein da sie die Baronesse nunmehr für alt und verständig genug hielt, ihre Würde nicht ganz zu vergessen, so empfahl sie ihr bloß Vorsichtigkeit und Zurückhaltung und vor allen Dingen Wachsamkeit über sich selbst, um sich in Gegenwart des Grafen nichts Verdächtiges entschlüpfen zu lassen.

Das Verfahren der Gräfin war in Ansehung der Absicht, die sie erreichen wollte, äußerst zu mißbilligen: wenn sie eigentliche Liebe bei der Baronesse verhüten wollte, so mußte sie ja durch die stillschweigende Anerkennung, daß man ihr einmal etwas unrechterweise verboten habe, und durch den Rat, einen vormals unrechterweise verbotnen und itzt erlaubten Umgang unter der Bedingung fortzusetzen, daß sie ihn dem Onkel verheimlichte, notwendig auf den Weg geführt werden, diese nämliche empfohlne Klugheit auch wider die Tante zu gebrauchen, wenn es diese einmal für heilsam erachtete, das alte Verbot zu erneuern. Außerdem beging die Gräfin einen ungeheuren Fehlschluß, daß ihr die Aufhebung des Verbots itzo weniger notwendig schien: doch man hatte einmal falsche Maßregeln genommen, und bei der Erziehung machen die ersten falschen Schritte meistens alle nachfolgenden zu Fehltritten: man verbot, da man erlauben, und erlaubte, da man verbieten sollte. Man glaubt nicht, wie listig die Leidenschaft bei aller Unbesonnenheit ist, die man ihr Schuld gibt: sie kennt ihren Vorteil so gut als ein Finanzpachter; und man darf ihn nur von fern weisen, so macht sie schon Projekte darauf.

Auch hatten die Maßregeln der Gräfin wirklich alle Folgen,[150] die man erwarten konnte: die Baronesse ging ohne Scheu mit Heinrichen nach seiner Genesung um, und weder Fräulein Hedwig noch Schwingern durften etwas dawider einwenden, weil sie die Begünstigung der Gräfin hatte, die allen einzig anbefohl, nichts davon zur Wissenschaft des Grafen gelangen zu lassen. »Zudem«, sagte sie zu sich selbst, »wird Ulrike oder der junge Mensch bald aus dem Hause kommen: mein Gemahl wollte sie ja neulich schon in eine Stadt tun, wo ein Hof ist; und so mag sie immerhin sich zuweilen mit einer jugendlichen Schäkerei vergnügen: die feinern Sitten des Hofes und der großen Stadt werden das alles wieder verdrängen: ein Mädchen muß in ihrem Leben einmal rasen: besser also früh als spät!«

So hatte der Schutzgott der Liebe alle Hindernisse durch die vermeinte Klugheit derjenigen selbst weggeräumt, die am feindseligsten gegen sie handeln wollten. Die Neigung der beiden jungen Personen wurde täglich durch Gefälligkeiten, Umgang und kleine Vertraulichkeiten genährt und flammte allmählich zur Leidenschaft empor. Wie sollte Heinrich nicht ein junges Frauenzimmer lieben, das sich so lebhaft in seiner Krankheit für ihn interessierte, das täglich durch neue Unbesonnenheiten ihres guten Herzens und ihrer Zärtlichkeit für ihn sich Ungelegenheit und Verdruß zuzog und nichts achtete, wenn sie ein paar Minuten mit ihm zubringen konnte? Und wie sollte die Baronesse den Eindruck eines jungen Menschen mit so einnehmender Figur und Bildung, von so auszeichnendem Charakter, so vieler Lebhaftigkeit und Unterhaltungsgabe von sich abwehren? – Die Fesseln des Zwanges wurden auf beiden Seiten mehr und mehr abgeworfen und ihrer Leidenschaft ein anderes Gewand dafür angelegt – die Hülle der Heimlichkeit.

Quelle:
Johann Karl Wezel: Hermann und Ulrike. Leipzig 1980, S. 136-151.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon