Erstes Kapitel

[12] Im Jahre nach Erschaffung der Welt, als die Damen kurze Absätze und niedrige Toupets, die Herren große Hüte und kleine Haarbeutel und niemand leicht Gold auf dem Kleide trug, der nicht wenigstens Silber genug in der Tasche hatte, um es bezahlen zu können, wurde auf dem Schlosse des Grafen von Ohlau ein Knabe erzogen, der bei dem Publikum des dazugehörigen Städtchens nicht weniger Aufmerksamkeit erregte und in den langen Winterabenden nicht weniger Stoff zur Unterhaltung gab als Alexander, ehe er auf Abenteuer wider die Perser ausging. Graf und Gräfin, deren Liebling er einige Zeit war, nannten ihn Henri, seine Eltern Heinrich und das ganze Städtchen den kleinen Herrmann, nach dem Geschlechtsnamen seines vorgeblichen Vaters – seines vorgeblichen, sage ich; denn sosehr die körperliche Ähnlichkeit mit ihm es wahrscheinlich machte, daß er sein wahres, echtes Produkt sein möchte, und sowenig auch der erfahrenste Physiognomist auf den Einfall gekommen wäre, eine andere wirkende Ursache zu vermuten, so hatte doch jedermann die Unverschämtheit, trotz jenes wichtigen Grundes ihn seinem Vater völlig abzuleugnen, und zwar aus der sonderbaren Ursache – weil der Sohn ein feiner, witziger, lebhafter Knabe wäre und gerade soviel Verstand als sein Vater Dummheit besäße.

Freilich war wohl diese Ursache etwas unzureichend, einem armen Sterblichen seine ehrliche Geburt abzusprechen; auch gab der alte Herrmann nichts weniger zu, als daß er dumm sei, und bewies sehr häufig durch die Tat, daß er sich hierinne nicht irrte: gleichwohl hätten sich die Leute eher bereden lassen, nicht mehr an den Kobold zu glauben, als den jungen Herrmann für den rechtmäßigen Sohn des alten Herrmanns zu erkennen. Indessen, so genau alles, alt und jung, in dieser Behauptung übereinstimmte, so verschieden wurden die Meinungen, wenn es darauf ankam, die Entstehung des[12] Knabens zu erklären; und wenn man alles, was darüber gedacht und gesagt worden ist, sorgfältig aufbewahrt hätte, so würde eine solche Sammlung ungleich mehr Drucker und Setzer ernähren als alle Träumereien der Philosophen. Einige, die des Sonntags zweimal in die Kirche gingen und darum billiger dachten als andre, die wöchentlich nur eine Predigt hörten, nahmen doch seinem Vater nicht die ganze Ehre des Anteils an der Erzeugung seines Sohns, sondern gestunden mit einem weisen Achselzucken, daß ihm vielleicht die eine Hälfte angehören könnte: allein es wird vermutlich weltkundig sein, daß ein gelehrter Akademist die Unmöglichkeit einer solchen Entstehung sonnenklar dargetan hat, und die Anhänger jener Meinung werden mir daher vergeben, daß ich diesem Manne, der den Homer, Virgil und die sämtlichen Erzväter des Alten Testaments auf seine Seite zu bringen weiß, eher Glauben beimesse als ihnen – Leuten, die nie ein griechisches Wort gesehen haben.

»Der Herr Major im letzten Kriege mag ihn wohl zurückgelassen haben«, sagten andere Leute, die sich etwas besser auf Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit verstunden.

»Er ist ein Sohn von dem Herrn Grafen«, zischelte sich jedermann ins Ohr, der auf die Gunst neidisch war, die die Herrmannische Familie von dem Grafen genoß; und dieses war das ganze Städtchen. – Tausend ähnliche besser und schlechter gegründete Vermutungen erzählte man sich als Wahrheiten, vertraute man sich mit geheimnisreicher Miene. Wenn in den kühlen Abendstunden des Sommers zwo Nachbarinnen vor der Tür beisammensaßen, wenn sich zwo Freundinnen am Brunnen trafen, bei dem Spinnrocken oder der Kaffeetasse plauderten, war zuverlässig der kleine Herrmann ihr Gespräch. Wer aber unter allen am sichersten der Wahrheit zuviel weder zur Rechten noch zur Linken gehen wollte, der versicherte schlechtweg – der kleine Herrmann ist ein Hurkind.

Natürlicherweise muß mir unendlich viel daran liegen, daß diese Meinung nicht unter meinen Lesern Glauben gewinnt,[13] da der Kunstgriff, den Helden seiner Geschichte aus einer Galanterie entstehen zu lassen, seit des alten Homers Zeiten schon so abgenutzt ist, daß sich ein honneter Dichter schämen muß, etwas mit Hurkindern zu tun zu haben. Es ist eine auf Urkunden gegründete Wahrheit, daß der alte Herrmann den Dienstag nach Misericordias unter priesterlicher Einsegnung das Recht empfing, einen Sohn zu zeugen, und daß seine innig geliebteste Frau Ehegattin ihn den vierten Advent des nämlichen Jahres gegen Sonnenuntergang mit einem Wohlgestalten Knäblein erfreute, welches zugestoßener Schwachheit halber in derselben Nacht die Nottaufe empfing; und dieses war der Herrmann, dessen Geschichte ich erzähle. Wer nach einem so einleuchtenden Beweise noch eine Minute zweifelt, muß entweder mich oder meinen Herrmann hassen.

Quelle:
Johann Karl Wezel: Hermann und Ulrike. Leipzig 1980, S. 12-14.
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