Zweites Kapitel

[430] Der weniger mißtrauische Herrmann mußte bei Vignali des Morgens darauf frühstücken. Sie sah ihm wieder so listig, so tückisch aus, daß er sich vor ihr scheute.

»Herrmann«, hub sie nach einigen gleichgültigen Gesprächen mit ihrem Entdeckungstone an, »Sie sind in Ihre Muhme verliebt.«

Ihr größtes Vergnügen war, bei solchen Gelegenheiten den Leuten starr ins Gesicht zu sehn, um die Verlegenheit zu vermehren, in welche sie durch ihre überraschenden Worte gesetzt wurden: die heimtückische Freude lachte alsdann aus allen Zügen des Gesichts. Herrmann war zwar eine gute halbe Minute nach ihrer Anrede wie auf den Kopf geschlagen: allein sein beleidigter Ehrgeiz, daß ihn die Frau so aus der Fassung gebracht hatte, arbeitete sich bald durch, er fragte etwas hastig: »Woher wissen Sie das?« –

Vignali verdroß die Frage: sie tat ihm, statt der Antwort,[430] eine andre mit sehr spitzigem Tone: »Wollen Sie den Mann vor Gerichte verhören lassen, der mir's gesagt hat? Hier ist er!« – Sie wies auf ihn selbst.

Herrmann. Ich? Ich hätte Ihnen jemals so etwas nur mit einem Worte verraten?

Vignali. Pst! Verraten? das ist ein verräterischer Ausdruck.

Herrmann. Entdeckt, anvertraut, wollt ich sagen.

Vignali. Ja doch! Sie versprachen sich. – Aber bei aller Behutsamkeit sind und bleiben Sie doch Ihr eigner Verräter.

Herrmann. Oder Sie eine selbstbetrogne Erraterin!

Vignali sah ihn mit dem stolzesten Ernste an: – »Herrmann! wollen Sie mich Lügen strafen? Gleich gestehn Sie mir, daß Sie das Mädchen lieben! oder es wird Leute geben, die ihr schaden können.«

Herrmann. Eine solche Drohung bewegte mich fürwahr zu keinem Geständnisse: aber was soll ich leugnen, was ich für mein größtes Verdienst halte? – Ja, Madam, Sie haben's getroffen: ja, ich liebe sie.

Vignali. Und sind ihr wohl recht exemplarisch treu?

Herrmann. Das ist eine Frage, die sich selbst beantwortet.

Vignali. Sie werden's nicht lange mehr sein.

Herrmann. Ihr? Ulriken nicht lange mehr treu? – So müßte doch wahrhaftig die Sonne auslöschen und der Mond vom Himmel fallen –

Vignali. Was wetten Sie? Sie müssen ihr untreu werden.

Herrmann. Madam, Sie haben mich zum besten. Außer ihr, das sag ich Ihnen dreist, außer ihr ist kein Reiz für mich auf der Welt, keine Schönheit, die mir nur einen Pulsschlag Liebe abnötigen könnte.

Vignali. Daran ist gar kein Zweifel. – Aber eben darum, weil diese einzige Schönheit so unmenschlich schön ist, müssen Sie ihr untreu werden. Glauben Sie denn, daß Sie der einzige sind, der diese einzige Schönheit empfindet und anbetet?

Herrmann. Das nicht! aber zuverlässig der einzige, von dem sie angebetet sein will!

Vignali. Ah! das ist eine andre Sache. – Sie sind eifersüchtig.

Herrmann. Eifersüchtig? Ich habe gar keine Ursache dazu.

[431] Vignali. Sie sind's! haben auch Ursache dazu! Sie kennen nur diese Ursachen noch nicht recht: aber rechnen Sie auf meinen Beistand! In wenigen Tagen sollen Sie ganz zuverlässig wissen, wieviel oder wie wenig Ursachen zur Eifersucht Sie haben.

Herrmann. Das wäre lustig. Sparen Sie Ihre Mühe, Madam! So gewiß Ulrike das einzige Mädchen ist, das ich lieben kann, so gewiß bin ich der einzige, der von ihr geliebt wird; und eher wollt ich mich überreden lassen, daß heute nachmittag das Ende der Welt kömmt, als daß unsre Treue und Standhaftigkeit in unserm ganzen Leben nur eine Minute lang wanken wird. –

»Lieber Herrmann, wie glücklich ist Ihre Freundin, einen so außerordentlichen Liebhaber zu besitzen!« sprach Vignali mit verstellter Süßigkeit. »Ziehen Sie sich an! wir wollen ausfahren: vielleicht kann ich meine abscheuliche Migräne loswerden. Gehn Sie!«

Auf der Spazierfahrt wurde das Gespräch in dem nämlichen Tone fortgesetzt, und Vignali gab ihm Eifersucht und nahe Untreue mit so dreister Frechheit schuld, daß er fast zu zweifeln anfing, ob er es nicht ohne sein Wissen schon wirklich sei: wenigstens brachte sie ihn doch für diesmal so weit, daß er auf Ursachen zur Eifersucht aufmerksam wurde.

Nachmittags hielt sie mit Lairesse und Rosier eine Ratsversammlung bei verschloßnen Türen in dem innersten Kabinette, wovon freilich Herrmann sich nicht träumen ließ, daß sie ihn betraf. Vignali, als Vorsitzerin, eröffnete die Versammlung mit einer pathetischen Rede.

»Meine lieben Freundinnen«, begann sie, »ich muß euch eine Entdeckung machen, die euch gewiß sehr interessieren wird. Der junge Mensch, den ich ins Haus genommen habe, liebt die Gouvernante bei der Fräulein Troppau und mit einer Zärtlichkeit und Heftigkeit, daß man sich zu Tode lachen muß. Ich habe alle Briefe gelesen, die sie einander täglich schreiben: ehe sie abgegeben werden, muß mir sie der Bursche zeigen, der den Liebhaber bedient; auch da seine Mutter noch ihre geheime Botschafterin war, sind sie schon in[432] meine Hände gekommen: ich habe mir noch gestern eine Migräne über das tolle Zeug gelacht. Das möchte hingehn: aber die Sache wird für uns ernsthaft. Das Mädchen ist äußerst stolz und bildet sich viel auf ihre sogenannte Tugend ein: ich habe sie zwar ins Haus gebracht, weil ich mir etwas anders in ihr versprach, aber sie wurde mir gleich drei Tage nach unsrer angefangenen Bekanntschaft unleidlich; und ich habe deswegen ihr Emporkommen beständig zu hintertreiben gesucht. Der Herr von Troppau war wirklich in sie verliebt, und hätte ich nichts getan, so wäre sie schon längst auf den nämlichen Fuß gesetzt worden wie wir alle; und sähe sie sich einmal auf einer solchen Höhe, dann wäre es um uns geschehen: wir würden zurückgesetzt und endlich gar verabschiedet. Dafür sind wir bisher durch meine Klugheit gesichert worden und werden auch künftig dafür gesichert werden: aber es droht eine andre Gefahr. Ihre närrische Grille von Tugend und Ehre hat dem Herrn von Troppau einige wunderliche Ideen in den Kopf gebracht: er schwatzte mir gestern nach Tische so viel albernes Zeug von der Tugend eines Mädchens daher und besonders so viel von der Tugend und Ehrbarkeit dieses Affen, wie sehr die weibliche Tugend allen noch so glänzenden Schönheiten vorzuziehen sei, daß man doch am Ende ihr Bewunderer werden müsse, auch wenn man sich den Vergnügungen noch sosehr ergäbe, und was dergleichen armselige Lappereien weiter wären: der Himmel weiß, in welchem einfältigen Romane er einmal das tugendhafte Geschnacke aufgelesen haben mag; denn da kriegt er mannigmal solche Paroxysmen von Weisheit. Ich mußte alle Mühe anwenden, um ihn aus seinem Weisheitsfieber herauszureißen: da ich ihn nur einmal soweit gebracht hatte, daß er bei mir blieb, alsdann verging ihm wohl die Weisheit. Wißt ihr, was ich befürchte? – Wenn er erfährt, daß das Mädchen von seinem Stande ist, so sind wir nicht einen Augenblick sicher, daß er nicht die Torheit begeht und sie heiratet; denn er ist wirklich in sie verliebt, sehr verliebt: was er gestern von ihr sprach, war mehr als Bewunderung: es entschlüpfte ihm sogar der Wunsch, daß sie von seinem[433] Stande sein möchte, und er erschrack, da er sich besann, daß er sich so sehr verraten hatte. Seine gottselige Schwester treibt ohnehin beständig an ihm, daß er sich wieder verheiraten soll; weiß sie erst, daß das Mädchen eine Baronesse ist, dann ruht sie nicht, bis sie seine Frau wird, sobald sie nur merkt, daß er sie liebt. Was alsdann aus uns allen würde, könnt ihr leicht raten, die verachteten, zurückgesetzten Nachtreterinnen einer stolzen Ehefrau!

Wie sie itzt schon von uns denkt, und wie sie uns also in einem solchen Falle unfehlbar begegnen würde, das könnt ihr leicht aus zween Umständen ab nehmen. Neulich, als der Herr von Troppau eine kleine Schäkerei mit ihr vornahm, wurde sie so empfindlich darüber, daß sie mir ins Gesicht sagte: sie möchte nicht des Herrn von Troppau Hure sein: – und zwar mit einem so verächtlichen Seitenblicke nach mir, daß sich meine ganzen Eingeweide erschütterten. Ich unterdrückte damals meinen Zorn, aber von dieser Minute an war Rache über sie beschlossen. Glaubt das eingebildete Mädchen, daß sie die einzige Tugend auf der Welt ist? Haben wir nicht sowohl Tugend und Ehre als sie? Ist es nicht die tollste Frechheit, uns einen so erniedrigenden Namen zu geben? Ist das nicht die schmerzendste Beleidigung, die allein schon Rache, die empfindlichste Rache foderte?

Aber das ist noch nicht genug. In ihren letzten Briefen an ihren Liebhaber spricht sie so schlecht von mir, daß ich alle meine Fassung zusammennehmen mußte, um meinen Unwillen nicht gegen den jungen Menschen zu verraten. Sie malt mich als eine schlaue, stolze, boshafte Frau ab, und auch ihr Liebhaber macht keine bessere Schilderung von mir: sie sind beide darinne einig, daß sie mir nicht trauen wollen. Das Mißtrauen ärgert mich, daß ich rasen möchte: aber ihr Elenden! ihr sollt mir trauen und durch euer Vertrauen eure eignen Verderber werden: dafür steh ich. Ich will mein Haupt nicht ruhig niederlegen, bis ich die Würmer zerdrückt habe.

Itzt kennt ihr die Gefahr, die uns alle bedroht, meine Freundinnen, und die Beleidigung, die mir und uns allen widerfahren[434] ist: vernehmt nunmehr auch meine Rache! Das Mädchen muß gedemütigt werden: das einzige, worauf sie stolz tut, weswegen sie uns verachtet, uns solche kränkende Namen gibt, muß sie verlieren: ich beruhige mich nicht, solange sie nicht soweit gebracht ist. Ich habe schon den alten Gecken, den Lord Leadwort, der auch in die Närrin verliebt ist, an sie abgeschickt: er mußte ihr einen sehr anständigen Kontrakt anbieten, aber sie schlug ihn aus: ich bered'te ihn, daß er sie heiraten sollte, und das ehrliche Vieh verstund sich auch dazu. Ich tat ihr in seinem Namen den Antrag: auch diesen wies sie mit der frechsten Naseweisheit von sich. Ich dachte gewiß, sie würde mit auf diese Art ins Garn laufen: sagte sie damals ja, dann mußte noch denselben Abend der Lord seine Brautnacht mit ihr feiern, in einem paar Tagen von Berlin wegreisen und die Braut sich mit der Brautnacht begnügen. Den treuherzigen Lord drehe und wende ich wie ein Stückchen Papier: ich triumphierte schon über meine gelungene Rache und hätte dem Mädchen das Gesicht zerfleischen mögen, als sie mir so ein trotziges Nein zur Antwort gab. Dem Fratzengesichte steckt ihr Herrmann im Kopfe: auf diesen gesetzten, gewissenhaften, soliden Philosophen baut sie ihre Hoffnung wie auf einen Felsen: dieser nachdenkende, altkluge, übermäßig weise Junge hat ihr ganzes Herz. Wißt ihr nun, was zu tun ist? – Wir müssen die Liebe zerreißen. Erstlich wollen wir den warmen Liebhaber eifersüchtig machen: ich will dem Mädchen Liebhaber über Liebhaber zuschicken: der Bube ist sehr heiß vor der Stirn, und ich wette mit euch, ehe eine Woche vergeht, sollen sich die beiden Leute nach Herzenslust zanken. Facht ihr nur in allen Abendgesellschaften seine Eifersucht recht an! weder Lügen noch Betrug müssen gespart werden. Sind sie erst veruneinigt, dann nehmen wir den Liebhaber vor und setzen ihm alle drei aus allen Kräften zu, daß wir ihn zu einer Untreue verleiten: aus Verdruß, Eifersucht und Rache gegen das Mädchen wird er schon von seines Herzens Härtigkeit nachlassen: die ihn unter euch gewinnt, soll diesen Ring zur Belohnung von mir empfangen. Erfährt das Mädchen seine[435] Untreue – und sie soll sie gewiß die Minute darauf erfahren, dafür will ich sorgen –, dann wird sie sich rächen wollen: man schickt ihr einen Liebhaber zu, der den Augenblick des Verdrusses zu nützen weiß; und fällt sie da noch nicht, dann muß sie ihr Liebhaber selbst zugrunde richten, selbst demütigen und unser aller Schande und Gefahr an ihr rächen.

Betragt euch klug und verschwiegen, das rate ich euch! bedenkt, daß ihr mir euer Glück zu verdanken habt, daß du, Lairesse, eine Tänzerin, und, Rosier, ein Waschmädchen warst! Um euch an mein Interesse zu knüpfen, hab ich euch erhoben: gehorcht ihr mir nicht in allem pünktlich, seid ihr nicht verschwiegen wie die Mauern, dann wißt, daß der Töpfer so gut den Topf zerschmeißen kann, als er ihn bildete. Troppau muß von nun an nicht eine Stunde zur Besonnenheit kommen: wir müssen ihm seinen Paroxysmus von Weisheit ganz vertreiben: er muß mit Vergnügen überfüllt werden, daß es ihm gar nicht einfällt, an seine Liebe zu dem Mädchen zu gedenken. Ich will schon sorgen, daß er sie wenig zu sehen bekömmt. Itzt wißt ihr alles, was ihr zu tun habt: ich ermahne euch noch einmal – seid klug und verschwiegen oder – zittert!«

Sie sprach's, räusperte dreimal ihren rauhen Hals, und beide Zuhörerinnen klatschten ihr Beifall zu und gelobten ihr Gehorsam und Verschwiegenheit an. Lairesse wälzte sich vor Freuden auf dem Sofa, daß sie den jungen Menschen zum Narren haben sollte, und Rosier hüpfte wie eine Elster und lispelte mit Händeklatschen: »Das ist hübsch! das ist hübsch!« – Die Ratsversammlung erhub sich in das Zimmer, Vignali stimmte ihre Muskeln zur Freundlichkeit und Liebe um, und Herrmann wurde zur Gesellschaft gerufen.

Quelle:
Johann Karl Wezel: Hermann und Ulrike. Leipzig 1980, S. 430-436.
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