Episches Intermezzo

Dummerchen.

Ein Idyll.

Am ersten Maienmorgen wandelt »'Bin«,

Der Pfarrerssohn, – Sabinus ist sein Name –

Auf sanftem Wiesenpfad zum Walde hin

Und denkt an seine neuste Herzensdame.

Er liebt sie schon seit Anbeginn April,

Als just die Weidenkätzchen ausgebrochen,

Und wartet auf den Augenblick seit Wochen,

Da seine Lieb' er ihr gestehen will.


Sie ist ein blondes, süßes, junges Ding,

Geschmeidig wie ein sammetfellnes Frettchen.

In Gang und Haltung wohl zu sehr Soubrettchen,

Nur daß aus saphirblauer Augen Ring[77]

Der sanften Sterne Schein bescheiden flimmert,

Ein Seelchen kündend, das verborgen blüht,

Das, während Lachen auf den Lippen schimmert,

Doch auch für ernste Dinge schön erglüht.


Als Töchterlein des nahen Gutsverwalters

Und jüngst aus der Pension zurückgekehrt,

Hat sie dem Pfarrerssohne gleichen Alters

Der Augen spielend Werben nicht gewehrt.

Zwar seine Siebzehn sind nicht wert die Sechzehn,

Die ihren zarten Busen sanft geschwellt,

Doch würd' es einem jungen Mädchen schlecht stehn,

Nähm' es so kritisch wahr den Lauf der Welt.


So spann bereits denn zwischen diesen Beiden

Die Liebe, die aus scheuen Blicken spricht,

Die ersten Fäden elfenhaft und seiden.

Verräterisch war auch das Purpurlicht,

Das sich bei unvermutetem Begegnen

In ihre jungen Wangen plötzlich goß,

Und den Beglückten, doch auch schwer Verlegnen

Ein köstliches Geheimnis jäh erschloß.


Zu Worten war es endlich auch gekommen.

Doch dessen nicht, wovon die Herzen voll,

Floß dann ihr Mund; sie atmeten beklommen

Und gönnten sich nur karger Rede Zoll:[78]

Vom Wetter, – daß es endlich Frühling werde, –

Daß nächstens auch im Städtchen Jahrmarkt sei

Mit einem Karussell, und nicht bloß Pferde

Auch Hirsche seien, Schwäne mit dabei ...


Wohl war für Ohren, die vom Klang sich nähren

Der andern Stimme, nicht allein vom Sinn,

Auch solcher Redetand Musik der Sphären;

Nur schwanden ungenutzt Minuten hin,

Die leider doch zu häufig sich nicht fanden

Und denen bessere Verwendung ward,

Wenn erst einmal die Lippen sich gestanden,

Was in den Herzen keimte kühn und zart.


Drum wandelt heute 'Bin so in Gedanken

Auf seinem Pfad; die Seel' ist ihm umflort.

Und leise fängt er an mit sich zu zanken:

»Warum nur bin ich immer so verbohrt,

Das dümmste Zeug zu sprechen, statt das Eine,

Wenn mir der Himmel Trudchens Nähe schenkt?

O! käme jetzt sie um den Hag geschwenkt,

Heut' endlich sagt' ich ihr, wie ich es meine.«


Und sieh – da nimmt das Schicksal ihn beim Wort.

Ein lichtes Frühlingskleid am Waldsaum flattert,

Sie ist's! Sie ist's! – Erst steht er ganz vertattert,

Dann eilt in großen Sätzen er dem Ort[79]

Entgegen, wo sich kreuzen ihre Pfade,

Was Trudchen alles weder sieht noch ahnt.

So viel scheint sicher, daß des Himmels Gnade

Die beiden Wege weislich hat gebahnt.


Im neuen Strohhut und in einem Röckchen,

Das vorne tief en coeur geschnitten war,

Um Hals und Schläfe leicht gelöste Löckchen,

Der Mund tief rot, die Augen frisch und klar –

So kam das wohlgeschaffene Persönchen

Mit einem Buschen Flieder in der Hand

Im Wiegegang daher am Waldesrand

Und summte vor sich hin halblaute Tönchen.


's war Mozarts »Veilchen«, was sie leise sang.

Da fiel auf ihren Weg des Jünglings Schatten.

Zugleich zu ihren Muschelöhrchen klang,

Was diese – scheinbar – nicht erwartet hatten:

»Ei! guten Morgen, Fräulein Gertrud!« – –›Ah!‹

Entfuhr es ihr. Dann trafen sich die Blicke.

Und jedes wurde rot bis ins Genicke.

Ach! die Verlegenheit war wieder da.


Trotz allem Vorsatz weiß 'Bin nichts zu sprechen,

Doch hält er ihr zur Seite gehend sich.

Und eben will sie selbst das Schweigen brechen;

Da hört sie: »Lila lieb' ich fürchterlich.«[80]

›Ach! meinen Flieder!‹ spricht sie. Er: »Syringen

Auch nennt man ihn.« Dann wird es wieder still.

Kein weiteres Gespräch will ihm gelingen.

Ach Gott! Geht's denn im Mai wie im April?


Doch nein! – In seiner Angst die Blicke hebend,

(Sie schritten immer noch am Waldessaum,)

Sieht er an jungen Buchenzweigen klebend

Das Käfervolk; es füllt den ganzen Baum.

Und froh, auf einmal ungesucht zu finden,

Was Anknüpfung zu Weiterem verheißt,

Spricht er: »Der Mai mit seinen Angebinden

Ist da!« – indem er auf die Käfer weist.


»O! weh!« ruft Trudchen. »Diese garst'gen Tiere

Verleiden mir seit Jahren schon den Mai.

Oft fragt' ich mich, warum nur existiere

Solch Ungeziefer. Gehn wir schnell vorbei.

Denn, wenn im Haar sich einer mir verfinge –

Es macht mir übel, nur zu denken dies –

Ich glaube, daß vor Grausen ich verginge.

Ist's wohl ein Flugjahr? Ach! gewiß! gewiß!«


Da regt in 'Bin sich etwas vom Schulmeister,

Der leider in den meisten Männern steckt.

Zu zeigen uns als überlegne Geister,

Zu deuten alles, was Natur bezweckt,[81]

Das scheint uns wohlgetan vor unsern Frauen.

Doch stiege mancher vom Piedestal,

Könnt' er ins Herz des kleinen Weibchens schauen,

Das lächelnd lauscht dem weisen Herrn Gemahl.


So hob denn 'Bin dozierend an! »Im Haushalt«.

Doch weiter kam er nicht. Es gellt ein Schrei,

Aus dem die höchste Seelenangst herausschallt;

Und ohne, daß er ahnt noch, was es sei,

Sieht Trudchen wie verrückt im Kreis er tanzen,

Dazu kreischt sie, greift nach dem Busen hin,

Stampft achtlos auf die weggeworfnen Pflanzen, –

– Die Lila, – Worte schreiend ohne Sinn.


Er steht betäubt. Sie aber an den Armen

Ergreift ihn jetzt und stöhnt: »Das Tier! das Tier!

O! helfen Siel O! haben Sie Erbarmen!

Ich kann's, ich darf's nicht fassen ... hier, hier, hier!«

Und da sie stets auf den Encoeur-Schnitt deutet,

Kommt endlich diesem guten, jungen Mann

Verständnis dessen, was die Glocke läutet.

Er merkt: ein Käfer Einschlupf dort gewann.


Und kühn entschlossen senkt er seine Hand

In eine weiche Doppelwallung nieder,

In ein ihm wunderbares neues Land.

Ein Schauer fährt ihm rieselnd durch die Glieder.[82]

Halb ist ihm nur bewußt, was er verspürt;

Doch dünkt ihn, daß von allem, was auf Erden

Es gibt, er jetzt das Feinste hat berührt,

Daß ihm ein höh'res Glück nicht konnte werden.


Zwar einen Augenblick nur darf er weilen,

Bis er gepackt den ungebetnen Gast.

Doch tausend Meilen glaubt er zu durcheilen,

Ein Reich, das jede Herrlichkeit umfaßt.

Und daß es wogt in schauerndem Erbeben

So weich, so warm, so zart, so wonnevoll,

Gießt in die Adern ihm ein stolzes Leben,

Wie's niemals ihn so glühend noch durchquoll.


Der Käfer lag im engen Hügeltal,

Mit seinen Tarsen links und rechts sich klammernd;

Der zarten Haut schuf dies vornehmlich Qual.

Doch stille hielt das Mädchen, nicht mehr jammernd,

Nur harrend, atemlos, daß dem Versteck

Das Untier in des Retters Hand entsteige;

Es galt, daß sie sich rühre nicht vom Fleck,

Der Hand gefällig sich vornüber neige.


Nach einer Ewigkeit von zwei Sekunden

Zieht, halbgeschlossen, sich die Faust zurück.

Das Schreckens-Tier ist fort! Dies wird empfunden

Von Trudchen als ein großes, volles Glück.[83]

Doch in dem Glücksgefühl wird ihr bewußt

Auf einmal auch, – und Glut flammt auf den Wangen –

Daß nicht der Käfer nur auf ihrer Brust

Zu einem Gastbesuch sich unterfangen.


Da schießen Tränen in die Augen ihr,

Die blauen Sterne schwimmen und ertrinken.

Nach einer Stütze greift, ohnmächtig schier,

Das arme Kind; sie wird zu Boden sinken.

Doch plötzlich fühlt sie stürmisch sich umschlungen,

Auf ihre Lippen preßt sich fest ein Mund.

Dann jubelt's: »Gertrud! hab' ich dich errungen?

Ja! du bist mein! Geschlossen ist der Bund!«


Sie duldet zitternd, schweigend die Liebkosung

Und ihre Lebensgeister sammeln sich.

Wenn künftig »Liebe« lauten soll die Losung,

Dann ist – so scheint ihr – nicht so fürchterlich,

Was hier geschah; zwar immer noch zum Schämen

Und jedenfalls zum Wiederholen nicht.

Je nun! sie würde nöt'gen Falles zähmen

Den Wilden und ihn zwingen zum Verzicht.


So ließ sie denn ihr Mäulchen lieblich schwellen

Auf seinen Lippen mit beherztem Druck,

Und Beider Herzschlag ging in hohen Wellen.

Dann, frei sich machend mit entschiednem Ruck,[84]

Sprach sie: »Ach Gott! wie ist es nur gekommen?

Ich war recht dumm! Nun schäm' ich mich zu Tod.

Der Käfer ... ach! ... wie hab' ich mich benommen!

Doch so ein Tier! ... und Not kennt kein Gebot.«


»O! göttliches geliebtes Mädchen, sage

Dergleichen nicht!« rief 'Bin ekstatisch aus.

»Noch immer in der hohlen Faust hier trage

Den Käfer ich und nehm' ihn mit nach Haus,

Weil er der Gründer unsres Glücks geworden.

Dies Tier – nein! fürchte nichts, ich halt' es fest –

Ist nicht ein Sproß gemeiner Käferhorden,

Stammt nicht aus schlechter Engerlinge Nest.


Gott Eros selbst steckt in dem kleinen Wesen,

Der Gott der künftig unsre Liebe schützt.

Drum hatt' er jenes Nestchen sich erlesen –

O! nein! erröte nicht, was gar nichts nützt, –

Ich sag', er hat uns Beide so geleitet,

Wie's unserm wahren Glücke dienlich war.

Ein niedlich Heiligtum sei ihm bereitet,

Dem Käfergott, ein kleiner Hausaltar.«


Doch Fräulein Gertrud, mit erneuten Flammen

Im Angesicht, sprach fest und würdevoll:

»Nein! keinen Schritt gehn weiter wir zusammen,

Wenn dieses Scheusal uns begleiten soll,[85]

Das indiskrete Tier bleibt mir ein Grausen.

Es hat den Tod verdient, – und würd's gespießt!

Der Ekel mag bei seinesgleichen hausen.

Mein Hals ist nicht gepflastert noch bekiest.«


»Hals!« dachte 'Bin. »Hals! das ist wirklich gut!«

Laut aber sprach er: »Sei's, ich will verzichten,

Will keinen Hausaltar dem Schelm errichten,

Der auf dem allerschönsten schon geruht.

Doch ihn zu töten – nein! das wäre Sünde,

Das wäre Mord im Reich der Cherubim.

Er kehre heim in dunkle Waldesgründe,

Die sel'ge goldne Freiheit schenk ich ihm.«


Und so geschah's. Auf einer Weißdornhecke

Ward sorglich ausgesetzt der kleine Mann.

Und dann verschwand das Pärchen um die Ecke,

Das durch ein Käferlein sein Glück gewann.

An jenem Abend aber, als allein

Sabinus sich befand in seinem Zimmer,

Bannt' in ein ganzes Epos er hinein

Des schönen Abenteuers Freudenschimmer.


Romantisch allegorisch drin beschrieb er,

Wie er als Ritter eine holde Maid

Von einem Drachenungetüm befreit.

Man sieht, nicht völlig bei der Wahrheit blieb er.[86]

Der Käfer war kein Lindwurm, ohne Zweifel.

Für dieses Faktum ist auch 'Bin nicht blind.

Doch sagt' er sich im stillen: »Na! zum Teufel!

War's auch kein Lindwurm – etwas doch war lind!«
[87]

Fortsetzung der zweiten Handlung

Quelle:
Josef Victor Widmann: Maikäfer-Komödie. Frauenfeld [o.J.], S. 74-89.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon