Neunter Auftritt.

[104] Grandison, der General.


GRANDISON. Ich habe Ihnen Zeit gelassen, zu Sich selbst zu kommen, Herr General! Wenn Sie jetzt in einer gesetztern Fassung sind, so hören Sie mich an, und lernen Sie mich kennen. Die Sache, wovon ich mit Ihnen reden muss, ist zu zärtlich, als dass ich die Unbilligkeit der Vorwürfe, die Sie mir gemacht haben, in ihr völliges Licht setzen könnte. Es ist auch nicht nöthig. Was die ganze Familie weiss, kann Ihnen nicht unbekannt seyn. Es wird also genug seyn, Ihnen zu sagen, dass ich ohne Absichten nach Bologna zurück gekommen bin. Ihre Ältern, Ihre Brüder verlangten meine Gegenwart; ich folgte dem Rufe der Freundschaft. So sehr ich Ihre Schwester bewunderte, so fühlte ich doch die ganze Stärke der Gründe, die mir, auch in Absicht auf mich selbst, nicht erlaubten, an eine nähere Verbindung zu denken. Ich entschloss mich also mich in einer Sache leidend zu verhalten, worin mir nicht vergönnt war, nach meinem Herzen zu handeln. Ich bin gewohnt, mich in die Stelle andrer zu setzen. Es konnte mir nicht verborgen seyn, dass Ihre Familie sich zu[105] einer Verbindung mit mir nicht ohne Widerwillen bequemen werde, und ich fand diese Art zu denken in ihren Umständen natürlich.

DER GENERAL. Sie haben Sich und um Gerechtigkeit widerfahren lassen.

GRANDISON. Die gleiche Denkungsart, die mich gegen andere gerecht seyn heisst, macht dass ich es gegen mich selbst bin. Ein Beweis davon kann Ihnen seyn, dass ich mich nicht erniedrigen wollte, die Tochter eines Königs unter schimpflichen Bedingungen anzunehmen und dass ich selbst auf Klementinen Verzicht thun, so lange jemand in Ihrer Familie ist, der mich ihrer Hand unwürdig hält. Sie haben meine Erklärung, Herr General! Das Übrige belieben Sie mit Ihren Verwandten auszumachen. Diese werden Ihnen am besten sagen können, was sie zu den verbindlichen Gesinnungen bewogen hat, die sie für mich angenommen haben.

DER GENERAL. Ha! Ist es so weit gekommen, dass uns der Chevalier Grandison Trotz bieten darf? Ich bin ausser mir! Wie? wir sollen uns noch allzu glücklich schätzen, wenn ein Mann, wie Sie, sich erniedrigen will, die Tochter des Markgrafen von Porretta mit seinem Nahmen zu beehren? – Und derjenige, der sich untersteht, mir eine solche Erklärung zu thun, ist weniger als ein König? Er müsste auch mehr als ein Sterblicher seyn, meiner Rache zu entgehen![106]

GRANDISON. Drohungen haben mich nie erschreckt, Herr General. Ich würde mich selbst verachten, wenn ich eine Antwort auf eine so willkührliche Auslegung meiner Worte nöthig hielte.

DER GENERAL. Keine Worte mehr! Ich bin nicht gewohnt, mich der Zunge statt eines Waffens zu bedienen. Kommen Sie mit mir in den Park, Chevalier! Ihr Leben oder das meinige! Die Erde kann nicht zwey so stolze Menschen, als wir sind, zugleich tragen.

GRANDISON. Ich bin bereit mit Ihnen zu gehen, wohin Sie wollen.


Sie gehen ab.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 104-107.
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