59.
Kleonidas an Aristipp.

[336] Fast besorge ich, Freund Aristipp, irgend eine gefällige Epheserin habe das Bild unsrer edeln Freundin in deinem Kopf ein wenig abgebleicht. Du möchtest wissen, schreibst du mir, was sie zu dem Preise, den Parrhasius auf seine Leda setzt, sagen würde? – Das will ich dir nicht verhalten, mein Lieber. »Parrhasius,« sagte sie, »mag nur in Zeiten, wofern es nicht schon geschehen ist, für eine hübsche Anzahl Copien sorgen; denn an Leden, die seinen Preis nicht zu hoch finden werden, kann es ihm so leicht nicht fehlen; und er wird wahrscheinlich, wenn ihm die Lust ankommt den Schwan zu spielen, jede lebende schöner finden als seine gemalte.« –[336] Dieß ist alles was sie sagte, und ich dächte das hättest du errathen können.

Ich bin im Begriff nach Theben und Athen abzugehen, und hoffe meine Leute in wenig Tagen beisammen zu haben. Denn ich brauche nichts als Umrisse und hier und da einen charakteristischen Strich; das übrige soll sich wohl in meinem Gedächtniß erhalten. Meinen Rückweg werde ich über Samos nehmen, wo bei einer öffentlichen Gemäldeausstellung Parrhasius und Timanthes mit einigen andern um den Preis streiten werden, den eine Gesellschaft von Kunstliebhabern auf die beste malerische Darstellung des Streits um die Waffen Achills im Lager der Griechen vor Troja ausgesetzt hat. Doch, das hast du ja schon vom Parrhasius gehört. Die Reise nach Mitylene hat mir ein glücklicher Zufall erspart. Der Besitzer des berühmten Demos Athenäôn ist vor einiger Zeit gestorben; seine gesammelten Kunstwerke werden von seinen Erben verkauft, und jenes kostbare Stück hat Hegesander, ein Günstling des Plutus zu Milet, um fünfhundert Dariken an sich gebracht. Ohne Zweifel wird es, um die Zeit da du nach Milet zurück kommst, in seiner Galerie zu sehen seyn. Parrhasius hat viel geleistet; aber die Kunst ist unendlich. Keiner kann alles, keiner erreicht das Ziel, und selbst in dem, worin einer alle seine Vorgänger übertroffen hat, kann und wird er von irgend einem Nachfolger übertroffen werden. Zeuxis wird wegen der Richtigkeit seiner Umrisse und des Täuschenden seiner Färbung bewundert: Parrhasius glaubt, es ihm in beidem zuvorzuthun, und hat vielleicht Recht; aber daß er die höchste Stufe in beidem schon erstiegen habe, glaube ich[337] wenigstens nicht, wenn ich auch nicht sagen könnte, worin, geschweige wie er übertroffen werden könne. Die Fortschritte, welche die Malerkunst in den letzten dreißig Jahren gemacht hat, sind zum Erstaunen; lass' uns noch dreißig oder vierzig Jahre leben, und wir werden vielleicht aus den Schulen derer, die jetzt den Vorsitz haben, eines Parrhasius, Timanthes, Zeuxis, Pausias, Künstler hervorgehen sehen, die diese eben so weit hinter sich zurücklassen162, als sie ihren Lehrmeistern vorgesprungen sind. Da ich des Timanthes erwähnt habe, darf ich nicht vergessen, daß er sich diesen ganzen Monat über zu Milet aufgehalten hat, um das Gemälde zu vollenden, womit er zu Samos um den Preis streiten will. Ich habe mich, wie du denken kannst, um seine Freundschaft beworben; Lais begegnet ihm mit ausgezeichneter Achtung, und er fehlt nie bei den Symposien, die sie den vorzüglichsten Männern, Einheimischen und Fremden, welche sich hier aufhalten, häufig zu geben pflegt. Zur Erkenntlichkeit hat er sie mit einem kleinen Gemälde beschenkt, worauf Hebe der Götterkönigin eine Schale mit Nektar reicht, und in dieser die schöne Lais, in jener die liebliche Musarion unverkennbar ist, wiewohl ihm keine von beiden gesessen hat. Ehe ich dieses Stück sah, hatte ich keinen Begriff davon, daß man gemalten Augen so viel Geist, gemalten Lippen und Wangen eine so herzgewinnende Beredsamkeit geben, und aus dem Ganzen einer nachgeahmten Gestalt einen so täuschenden Widerschein des unsichtbaren Innern hervorleuchten lassen könne. Ich müßte mich sehr irren, oder hier ist mehr als Parrhasius. – Timanthes würde sich auch ohne sein Talent in jeder guten Gesellschaft[338] als ein vorzüglicher Mensch ausnehmen; so wie unter seinen Kunstverwandten wenige seyn mögen, die mit so viel Ursache zum Stolz eine so edle Art von Bescheidenheit besitzen wie er.

Aus unsrer Vaterstadt, lieber Aristipp, habe ich kürzlich so gute Nachrichten erhalten, daß die immer näher rückende Aussicht an meine Zurückkunft mich erfreuen würde, müßt' ich mich nicht von so manchen liebenswürdigen Personen trennen, die ich in Griechenland zurücklassen werde, mit der Gewißheit sie nirgends wieder zu finden, als vielleicht da, wo der arme Kleombrot zu frühzeitig hingegangen ist.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 22, Leipzig 1839, S. 336-339.
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