V

[139] Eine der merkwürdigsten Gestalten des musikalischen Wien, von der ich noch nicht gesprochen habe, ein Charakterkopf, ist Marie Wilt, die Sängerin. Ihre Stimme ist mir als die schönste erschienen von allen, die ich je gehört; ihre Erscheinung war ein tragischer, auch tragikomischer Widerspruch gegen diese Stimme, und in ihrer Seele waren wiederum tragische Widersprüche gegen die Erscheinung. Oberflächliche Betrachter haben davon nichts entdeckt, sie fanden die breite, stämmige, sich mehr und mehr rundende, plebejische Gestalt in bestem Einklang mit der »Koch-und Waschfrau« in ihr, mit all der Derbheit in Sprache und Form, die wohl stadtkundig war. Doch das täuschte, äffte; sie war reicher angelegt, als sie schien, es war eine gewisse Größe in ihr, oder, wenn man lieber will, neben der »Waschfrau« war eine Größere in ihr, die sich »auf Flügeln des Gesanges« über die andre erhob. In ihrem ungefälschten Wienerisch konnte sie mit großem, trockenem Humor über sich selber spotten, ihre »Wirtschäftlichkeit« persiflieren, sich als »schmutzig geizig« schildern; und ebenso hatte sie Hochsinn genug, sich über die Mängel ihrer Darstellungskunst lustig zu machen, wenn sie zu einem Verstehenden sprach. Es schmerzte sie nur tief, wenn die Nichtverstehenden mit erbarmungslosem Witz ihre Erscheinung verhöhnten, ihre Pfunde zählten; und auch gute Witze, wie der von der »Reise um die Wilt in achtzig Tagen«, den ich einmal in Wiener Zeitungen las (das beinahe gleichlautende Stück ward damals gespielt), haben ihr das Leben an der[139] Wiener Oper wohl verleiden helfen. Ihr Leben war ohnehin schon reich an Widersprüchen; bei ihrer wunderbaren Stimme außerordentlich spät zur Ausübung ihrer Kunst gekommen, dann in ihrer Ehe gescheitert, aber offenbar liebefähig und liebebedürftig wie die Allerschönste, fand sie wohl noch spätes Glück, aber noch viel später das verhängnisvolle Schicksal, am Rande des Greisenalters sich in blühende Jugend wehrlos zu verlieben. Sie befreite sich endlich, indem sie aus einem vierten Stock auf die Straße sprang....

Richard Voß, der Dichter, der mit ihr befreundet war, hat in einem Feuilleton der »Neuen Freien Presse« aufs anschaulichste dargestellt, wie die Unglückliche in diese Tragödie geriet und durch sie hindurchging. Sie war einmal in ihrem Elend zu ihm geflohen, um dem seelenkundigen Freund zu beichten, ihren Jammer auszuschütten. Sein ergreifender Bericht sollte wohl auch solchen zu Herzen gehen, die, wenn das sogenannte Alter noch liebt, nur das Grinsen des Spottes haben. Nach der Arithmetik geht's nicht allemal, wenn es sich um Frühling, Sommer und Herbst von Menschenseelen handelt; am wenigsten bei Künstlerseelen, und am allerwenigsten bei den Künstlerseelen, die Blut genug haben müssen, um die großen tragischen Leidenschaften darzustellen.

Die Persönlichkeit der Marie Wilt hat sich wohl nirgends liebenswürdiger ausgesprochen als in der schönen Geschichte, die mir einmal Josephine Gallmeyer erzählte und die meines Wissens nicht öffentlich bekannt geworden ist. Die Gallmeyer, diese wohl genial zu nennende »Soubrette« und Possenspielerin, hatte unter anderm ein starkes Talent, zu parodieren, und hat's oft[140] getan; wie es denn so oft in diesen und andern Sachen hieß: »Die Pepi wird's machen!« Als Marie Wilt in ihrer Blüte an der Hofoper war, sollte auch sie daran glauben, parodiert zu werden, und eines Tages tritt Fräulein Pepi Gallmeyer bei ihr ein und stellt sich ihr vor. »Meine liebe Frau von Wilt,« sagt sie ungefähr, »man hat mir den ehrenvollen Auftrag erteilt, Sie zu parodieren; ich steh' nun aber jeden Abend, den Gott werden laßt, vor dem Publikum, in die Oper komm' ich halt nie, hab' noch nicht das Vergnügen gehabt, Sie auf der Bühne zu sehn. Wie soll ich Sie da parodieren? Das gibt's ja net! – Da komm' ich in meiner Not zu Ihnen: wenn Sie die Gnad' haben möchten, mir ein bissel eine Anweisung zu geben, zu zeigen, wie Sie's machen – daß ich Ihnen dann doch auf meine Art was nachmachen kann!«

Marie Wilt nimmt es ohne weiteres so, wie's kommt. »Da kann ich Ihnen schon helfen,« sagt sie, sachlich und gemütlich. Sie zu parodieren, das werd' wohl nicht schwer sein: sie hab' so allerlei an sich, das man gut ins Lächerliche ziehen, übertreiben könne. Da ihre Schauspielkunst nicht weit her sei, habe sie sich für ihre Opernrollen bestimmte Manieren angewöhnt, mit denen behelf' sie sich; »zum Beispiel, wann ich weinen muß, wissen Sie, dann mach' ich halt so; wann ich mich erschrecken oder mich fürchten soll, tu' ich das und das. Große Aufregung oder Leidenschaft, dafür hab' ich das. Ja, und dann kann ich Ihnen noch was zeigen, schauen Sie her!«

Indem sie spricht, macht sie ihr alle die Gebärden vor, mit denen sie sich behilft, wenn sie weint oder sich fürchtet oder großartig wird. Die Gallmeyer sieht[141] mit Andacht und mit heimlichem, hochachtungsvollem Staunen zu.

»Ich dank' Ihnen gar schön, liebe Frau von Wilt,« sagt sie endlich, als die Vorstellung aus ist. »Damit laßt sich schon was machen. Wenn Sie nur noch die Gnad' hätten, mir ein bissel was vorzusingen; davon hab' ich noch nichts gehört.«

»Was wollen's denn daß ich singen soll?«

»Nu, so recht was von Ihrer Art. So, wie grad die Wilt singt und keine andre.«

Marie Wilt stellt sich hin und beginnt – ich weiß nicht was. Irgend einen ihrer großen dramatischen oder lyrischen Gesänge in der Oper singt sie ins Zimmer hinein. Sie wird mehr und mehr zu der, die sie darstellt; sie vergißt, wo und wer sie ist. Als sie ausgesungen hat, schaut sie wieder in die Ecke, wo die Pepi Gallmeyer sitzt. Der laufen die Tränen über das Gesicht. »Was haben Sie?« fragt die Wilt.

Die Pepi schüttelt nur so den Kopf, sie kann noch nicht reden. Endlich steht sie auf: »Ich dank' Ihnen schön, Frau von Wilt. So hab' ich in meinem Leben noch nicht singen hören. Ich werd's nicht vergessen. Aber parodieren – nie!«

»Mich nicht parodieren?«

»Nie, nie! Eine Frau, die so himmlisch singt! Das kann ich nicht, das tu' ich nicht. Allerschönsten Dank und leben Sie wohl!«

»Hab's auch nicht getan!« setzte die Gallmeyer hinzu, als sie mir's erzählt hatte, und ihre Augen blitzten mich an. »Das tu' ich nicht, hab' ich ihnen gesagt; bin dabei geblieben!«[142]

Es gibt nicht viele so schöne Theatergeschichten; und man weiß nicht, wem sie mehr Ehre macht, der Schauspielerin oder der Sängerin.

Ich glaube aber, jeder fühlt, daß die beiden etwas Zusammenstimmendes, Verwandtes, einen Zug von humoristisch wirkender Größe hatten; und merkwürdig ist, daß diese Ähnlichkeit noch weiter ging; auch die lustige Pepi lebte eine Tragödie, fast wie die der Wilt. Auch ihre Seele steckte in einem Körper, in dem ihr oft nicht wohl war, in dem sie sich entwürdigt fühlte: diese untersetzte, derbe, sinnliche Gestalt war für jeden Übermut, jede Posse, jede Faungebärde gut, aber nicht für das, wonach sich diese Seele in so vielen dunklen Stunden sehnte. Sie wollte nicht nur faunisch, sie wollte auch sein, edel, rührend sein; sie hatte einen Ehrgeiz, dem ihr Körper feind war, der da drinnen wie gefangen saß. Um sich freizumachen, suchte sie unter anderm ihre beschränkte Bildung zu erweitern; noch in reisen Jahren nahm sie Unterricht im Französischen, im Englischen, und trieb mit Eifer Musik. Es genügte ihr immer weniger, daß sie die gefeierte, verhätschelte, »geniale« Pepi war, daß sie das Gewagteste wagen, mit ihrem Publikum übermütig sein durfte wie kein anderer, daß die Possendichter so oft mit dünnleibigen, witzarmen Manuskripten kamen: »Was da noch fehlt, das macht die Pepi!« Nein, lieber den Geist der Größeren würdig wiedergeben; lieber den Menschen ans Herz, in die Seele sprechen!

In einem Fall, der mich selber betraf, hab' ich so recht erlebt, was da in ihr vorging. Mein Schauspiel »Die Tochter des Herrn Fabricius« war im Burgtheater[143] gespielt worden; Sonnenthal als Fabricius hatte alle Herzen windelweich geschüttelt, Baumeister hatte neben ihm als Rolf seine Wärme ausgestrahlt, die ganze Vorstellung war lebendig, das Haus stets gefüllt. Eines Tages sagte mir Leopold Rosner, mein Verleger: »Heut geht endlich auch die Pepi, die Gallmeyer, hinein; hat 'nen freien Abend. Mich freut's schon, was die sagen wird; das ist recht was für sie!« – Als ich Rosner demnächst wiederseh', ist er kleinlaut: »In der Gallmeyer kenn' ich mich nimmer aus. Eben erzählt mir einer, der neulich auch im, Fabricius' war, sie hat unten in einer Log' gesessen – aber nach dem zweiten oder dritten Akt ist sie fortgegangen. Hat sich nicht einmal das ganze Stuck angesehn!« – Wieder nach einer Weile kommen wir zusammen. »Das hat sich jetzt aufgeklärt!« sagt Rosner, seine schwarzen Augen erwärmen sich. »Weißt du, was das neulich war mit der Pepi im ›Fabricius‹? Es hat sie so furchtbar gerührt, der Sonnenthal und alles, und ihr ist so weh worden, daß sie das nicht kann, daß sie nie so rühren soll, so zum Herzen spielen. Da hat sie so heulen müssen, daß sie's nimmer ›dermacht‹ hat, und ist fortgelaufen.«

Sie hatte es schon vordem versucht, große ernste Rollen zu spielen; sie hat's auch später noch versucht, wenn ich mich nicht irre; es ist nicht geglückt. Was der Geistinger gelingen konnte mit ihrer schönen Theatergestalt, ihrer feineren, geschulteren, geschmeidigeren Stimme, das blieb der armen »faunischen« Pepi versagt, in der doch die größere Naturkraft wohnte.

Tragödien wie diese entstehen offenbar, naturnotwendig,[144] durch die ewige Zufälligkeit der Mischungen, wenn ein neuer Mensch entsteht; denn wie auch etwa Mann und Weib zu einander streben, an harmonische Ergänzung denkt auch der Tausendste nicht. So kommen oft – von den ungekannten Ahnen her – Silen und Ariadne, zuweilen selbst Miranda und Kaliban zusammen. Der Natur ist alles recht: alles soll einmal werden, alles einmal geschehn. Und schauen wir dann näher zu, so kommen wir wohl gar darauf, daß auch in dem »unharmonischesten« Werden und Geschehen ein Sinn, ein Wert, etwas Lebenswürdiges steckt, das in seiner Einzigkeit wieder ein anzustaunendes, wenn auch nicht leicht zu ergründendes Geheimnis ist.

Josephine Gallmeyer hatte für ihre tragischen Anfälle einen guten Tröster, einen vortrefflichen Kameraden: den immer wieder aufblitzenden Pepischen Humor. »Sie sind mir eigentlich eine Nacht schuldig,« sagte sie mir einmal, mit dem unbeschreibbar funkelnden Lachen ihrer kleinen, aber wie dunkelglühende Kohle sengenden Theateraugen. »Warum?« fragte ich. »Weil ich neulich Nachts Ihre ›Arria und Messalina‹ gelesen hab'; hab' spät angefangen und nicht wieder aufhören können; so verlor ich die ganze Nacht!« – Sehr spät im Leben war es ihr noch gekommen, daß sie sich vermählte; wir sahen sie zu jener Zeit in Berlin, meine Frau und ich. Mit der tapfersten Selbstverspottung, dem glücklichsten Humor gab sie sich in dieser neuen Rolle preis; sie sah an sich hinunter, sprach von ihren Jahren: »Vierzig Jahr', ei, ei! Recht ein schönes ›Älter‹, wenn man eine junge Frau ist!« Damals gastierte sie am Berliner Residenztheater; das Theater hatte schlechte Zeiten, vielleicht[145] waren auch ihre Stücke schlecht, kurz, die Abende waren schwach besucht, was sie redlich wurmte. Meine Frau sprach von der merkwürdigen Tatsache, daß das Publikum der schlechtbesuchten Wochentage voll Sympathie und Dankbarkeit für den Künstler sei, dagegen das volle Sonntagshaus ihn mit offenbarer Mißgunst behandle, gleichsam von oben herab. Die Gallmeyer hob den Kopf und in göttlicher Laune sagte sie: »Ich hab' aber doch lieber die vielen (die vüllen), die mich verachten, als die wenigen, die mich gern haben!«

Sie war zu verwöhnt, zuletzt reizte es sie doch unbändig, daß die Berliner sie so im Stich ließen; wenigstens ward uns erzählt, daß sie eines Abends – sie, die alte Improvisiererin – in ihre Rolle die Verse eingelegt und gesungen habe, die damals im Schwang waren:


Du bist verrückt, mein Kind,

Du mußt nach Berlin;

Wo die Verrückten sind,

Da gehörst du hin!


Man sollte ihr daz uhel qusqznommzn huhen. huse Worte sollten gefallen sein. Ich weiß nicht, ob's so war; wir reisten ab, und ich habe sie dann nicht mehr gesehn. Ihr Leben ging einem frühen, für sie wohl zu wünschenden Ende zu.

Wenn ich hier nach ihr und der Wilt, als dritte die Fürstin Pauline Metternich nenne, so soll das nicht ein Scherz sein, der wohl sehr ungeschickt und geschmacklos wäre; ich fühle nur das innerlich Verwandte, das die vornehme Dame mit diesen »Kindern[146] des Volks« verbindet: eine starke künstlerische Begabung, in der das Rassige, Urwüchsige, Kernfrische vorwaltet; auch das Musikalische, die Sängerin, spielt bei allen mit. Fürstin Metternich war für die Bühne geboren; sie wuchs denn auch über die Dilettantin hinaus; ihr großer Kunstverstand sagte ihr, wie viel Arbeit, wie viel Entwicklung und Erfahrung dazu gehört und wie »lang« die Kunst ist. »Ich weiß sehr gut,« sagte sie mir einmal, »zwanzig Jahre braucht man, um ein ganzer, vollreifer Schauspieler zu werden!« Wie oft sie wohl in kleineren Kreisen gespielt hat, eh' ich sie kennen lernte, das weiß ich nicht; wie lange sie später noch gespielt haben mag, auch das weiß ich nicht. In mein Dasein trat sie durch einen der artigen Zufälle, mit denen uns das Leben dann und wann überrascht. Ich kannte sie noch nicht persönlich, wußte nur von ihrem großen Talent, da besuchte mich einmal Sonnenthal (Ende Januar 1876), um mich zu fragen: »Möchtest du nicht eine Bluette schreiben, nur für zwei Personen, für die Metternich und mich? Die Fürstin würde gern am 18. Februar, auf einer Geburtstagssoiree bei Hohenlohes, etwas Lustiges spielen, mit mir Ich wär' mit Vergnügen dabei. Du auch?«

Ich hatte vor zeiten an einem einaktigen Lustspiel phantasiert, das im Grunde nur zwei Personen brauchte: »Von Angesicht zu Angesicht.« Auch ein schriftlicher Entwurf war schon da; den las ich nun durch. Er gefiel mir aber ganz und gar nicht mehr; das Bühnenblut, das dramatische Vorwärts fehlte. Ich dichtete ihn um, beschränkte ihn auf zwei Personen, ihn und sie: zwei noch leidlich junge Menschen, Graf und Gräfin,[147] die sich nur durch Briefe kennen, sich zu kennen glauben, füreinander fühlen; endlich kommt der Tag, wo er hinreist, um sie zu besuchen. Sie möchte ihn doch ein wenig auf die Probe stellen, studieren (ihr pocht das Herz); sie empfängt ihn als ihre Kammerjungfer. Wie nun deren neckende Grazie, ihr Geist, all ihr Reiz ihm gefällt, nur zu sehr gefällt, wie ihm dann die Karikatur mißfällt, in der sie ihm sich selber spielt, um den Schmetterling zu strafen – und wie sie am Ende über die irreführenden Briefe hinweg doch zusammenkommen – das ist ungefähr das Stück.

Ich schrieb es in einigen Tagen und gab es Sonnenthal zu lesen; der 18. Februar war nicht mehr fern. Es gefiel ihm, nur die eine Szene schien ihm gefährlich oder für die Fürstin nicht geeignet, in der sie sich dem Grafen als eine Art von geistiger Vogelscheuche vorspielt. Ich war nicht seiner Meinung, und hier gab mir der Ausgang recht: der Fürstin leuchtete grade diese Szene ein, und wenn sie alles andre mit Geist, mit Humor, mit einer frischen, kraftvollen Anmut spielte, so spielte sie (schon auf der ersten Probe, bei ihr) grade die Vogelscheuche mit einer unwiderstehlichen, wilden Genialität. Hier entlud sich eben all das »Rassige«, Urwüchsige, das ich vorhin meinte, in dem sie derGallmeyer gleichsam blutsverwandt war. Über den Abgrund der Posse ging sie auf gespanntem Seil festen' Schritts dahin, mit der Balancierstange des wohlerzogenen Geschmacks.

Mittlerweile hatte ich sie auf dem offiziellen Ball des Grafen Andrassy (des »Ministers des schönen Äußern«, wie ihn Lenbach nannte) kennen gelernt; bald darauf[148] begannen die Proben, bei ihr und im Augartenpalais, in dem der Fürst Hohenlohe als Obersthofmeister wohnte. Fürst Metternich hatte seiner Frau zu jedem der Schnadahüpfl, die sie als angebliche Kammerjungfer am Klavier zu trällern hat, eine neue, wirksame Melodie gesetzt; sie sang sie mit außerordentlicher Kunst und Frische. So konnte sie ihres Erfolges wohl sicher sein, als sie am Festabend vor einem erlesenen, zumeist aus kunstverständigem Adel bestehenden Publikum auf die Bühne trat. Es ward ein schöner, heiterer Sieg für die Darsteller und das Stück; obwohl Sonnenthal, nach furchtbaren Spiel-, Proben- und Geschäftstagen jammervoll erschöpft, die letzte Nerven- und Willenskraft ins Gefecht führen mußte, um auch auf seinem Flügel zu siegen.

Zuletzt waren alle glücklich, er auch; die Fürstin leuchtete von Erfolgs- und Theaterfreude. Ein Teil der Versammlung blieb zum Souper in dem schönen, poetischen Wintergarten; außer uns »Mitschuldigen« auch Dingelstedt, damals Direktor des Burgtheaters, und einige der prinzlichen und gräflichen Freunde.

Bei dieser einen Vorstellung blieb es nicht: im April desselben Jahres spielten die Fürstin und Sonnenthal das Stück öffentlich, in zwei Wohltätigkeitsvorstellungen (Generalprobe und Aufführung) in der »Komischen Oper«, die später als »Ringtheater« verbrannte. Die fürstliche Schauspielerin hatte die großen Ehren des Abends; sie hatte auch alle Luft und alles Feuer ihrer Kraftnatur gegeben.

Ob sie zuweilen noch Sehnsucht, Heimweh nach solchen Erfolgen hat? Sie hat seitdem viele andere auf anderm Boden gehabt, als Erfinderin und Schöpferin[149] großer wohltätiger Feste. Auch da hat die Künstlerin in ihr mitgetan; und mit der Künstlerin die »Herrscherin«. Und beide haben Schönes und Gutes getan; – das könnte wohl manche Sehnsucht, manches Heimweh stillen.

Quelle:
Wilbrandt, Adolf: Erinnerungen. Stuttgart, Berlin 21905, S. 139-150.
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