Fünfter Auftritt.

[95] Die Vorigen, Lätorius, junge Bürger.


GRACCHUS. Lätorius! Du!

LÄTORIUS. Volkstribun! Mach dich auf. Wir haben die hölzerne Brücke besetzt, dir die Flucht zu sichern: doch auch dort rühren sich schon[95] die Haufen des Senats. Sie wollen dich einschnüren in ihrem Netz; – auf, laß uns hindurchbrechen, eh es heißt: zu spät!

GRACCHUS. Wie kommst du von dort heraus? Wo warst du die ganze Nacht?

LÄTORIUS. Gerüstet haben wir die ganze Nacht! Unsern Eid noch einmal geschworen, dir, unserm Haupt, Blut und Leben gelobt. Zieht seinen Dolch hervor. So sollen alle Feinde unsrer Freiheit verderben, wie der verdarb, den diese Waffe gefällt hat!

GRACCHUS entsetzt. Was ist das? Beim furchtbaren Pluto, von wem redest du –

LÄTORIUS. Diesen Dolch leg' ich dir zu Füßen, Tribun: dein Fluch hatt' ihn geweiht! Scipio starb für deinen Bruder Tiber; das ist der Anfang der Rache und der römischen Freiheit!

CORNELIA. Weh mir!

POMPONIUS gleichzeitig. Bist du rasend, du –

CARBO außer sich. Die Aventiner haben ihn ermordet! die Verschwornen des Gracchus haben ihn ermordet!

POMPONIUS nach Fassung ringend, während Gracchus von Grauen überwältigt dasteht. Halt! Ruhe. Stille! Zu Lätorius. Wer bist du, wahnsinniger Dämon, daß du deine Mordthat Gracchus zu Füßen legst –

LÄTORIUS. Gracchus, der Volkstribun, wollte Scipio's Tod: darum hab' ich, Lätorius, ihn getödtet! Verflucht war er und dem Tod geweiht und »so verderb' ein Jeder, der ähnliche Werke vollführet!«[96]

CARBO. Das ist Mord; schnöder Mord! – Meineidiger Lügner, der du den Opimius vor uns verklagt und verflucht – du selbst bist der Verfluchte! Bürger, hinweg mit uns –

BÜRGER. Gracchus! Mörder! Mörder!

LICINNIA vortretend, völlig verstört. Halt! Halt ein! Wer ruft »Mörder« und Gracchus' Namen dazu? Das ist sinnlos – unmöglich – es ist keine Gemeinschaft zwischen Mördern und Ihm! Gajus, warum stehst du und schweigst: sag du's ihnen, sprich, schwöre dich los –

GRACCHUS dumpf. Bei wem sollt' ich schwören? Ries ich nicht alle Furien auf ihn herab? Mit einem schauernden Blick auf Lätorius. Den Mord, den dieses Dämons Seele gebar, ich hab' ihn erzeugt; meine Saat ging auf! Verwünscht mich, tödtet mich: hier steht Scipio's Mörder!

LICINNIA ihn anstarrend. Gajus! bist du von Sinnen – – Bürger, Römer, hört ihn nicht an! Rettet euren Tribun!

CARBO. Scipio's Mörder? Nie! Bürger, fort mit uns!

BÜRGER. Fort mit uns! Weg mit ihm in den Tod!

LICINNIA verzweiflungsvoll. Halt – Tödtet mich nicht! Sich hinwerfend. Hier lieg' ich vor euch, das Weib eures Tribuns; euren Tribun könnt ihr nicht verlassen! Rettet, rettet ihn vor Schande und Tod! Bleibt, hört mich an –

LICTOR vortretend. Gracchus, zum letzten Mal ruf' ich dich ins Gericht! Fernes Trompetensignal rechts hinter der Scene. Sie blasen zum Angriff; wer sein Leben retten will, der folge mir nach! Hebt seinen Stab, geht durchs Thor; der Trompeter folgt.[97]

BÜRGER. Fort! Hinunter, hinunter! Tumultuarischer Aufbruch; Carbo und die Mehrzahl der Bürger drängen dem Lictor nach. Neue nähere Hornsignale von allen Seiten.

POMPONIUS mit seiner Erschütterung kämpfend. Gracchus! Sie zieh'n heran – Götter und Menschen fallen von dir ab – Ermanne dich, wehre dich, laß uns für dich sterben! Ein Feuerschein steigt hinten am Himmel herauf. Verworrener Lärm rechts hinter der Scene.

EUPORUS. Schaut, wie ein Nordlicht glüht's! Das ist auf dem Palatin; unser Haus steckten sie in Brand. Hört ihr den Waffenlärm –

AGRICOLA. Volkstribun! Wir, wir stehen zu dir! Eh dort unten das kleine Häuflein wegschmilzt, – auf, auf, mit uns zur Tiberbrücke hinab; sterben, oder hindurch!

LÄTORIUS erschüttert. Gracchus! Sprich – sag' mir ein Wort – Laß mich noch versuchen, dich zu retten! Vor ihm aufs Knie sinkend. Du, der du der Herr meiner Seele warst –

GRACCHUS. Hinweg, Mörder; hinweg! Zieht sein Schwert, will es Lätorius in die Brust stoßen. Lätorius erwartet den Stoß, ohne sich zu rühren. Gracchus tritt zurück, wirft dann sein Schwert dem Lätorius vor die Füße. Du verstehst dich besser aufs Niederstoßen als ich; Aventiner, stoß zu! Ich verwünsche mich, ich verfluche mich: du Rache-Dämon, also gieb mir den Tod!

LÄTORIUS. Gracchus –

GRACCHUS. Stoß zu!

LÄTORIUS. Du bist grausam – erbarmungslos – Was wollt' ich Andres, als du? Scipio war dein Feind, du gabst sein Haupt jedem blutigen Gedanken preis. – – Weh mir! Er hört mich[98] nicht. Der Feuerschein wächst; neue Angriffssignale von allen Seiten. Lätorius in wilder Verzweiflung. Aventiner, auf! Dem blutigen Tod hatten wir uns geweiht: unsere Zeit ist da! Fort, hinunter, in die schmetternden Trompeten hinein; gerichtet, verdammt, verflucht – treu unserm Eid, stürzen wir in den Tod! Ab nach links; die Aventiner ihm nach.

POMPONIUS Feuerschein auch von links. Sie stecken den Hain in Brand; der Feind ist herauf! Verzweifelnd. Nun denn – hab' ich auch griechisch philosophirt, sollt ihr mich doch römisch sterben sehn! – Gracchus, gute Nacht! Winkt den Bürgern, stürmt nach links hinaus; die Bürger und Euporus ihm nach. Trompetenstöße.

LICINNIA. Keine Rettung – nur Tod! – – Mutter Cornelia, steh nicht so da wie ein Bild von Stein; weine, weine mit mir! Wirft sich auf die Erde.

CORNELIA hinausstarrend. Ein Todtenopfer wolltest du dem Tiberius auzünden, wie nicht Achilles für Patroklus gethan: Gajus, du hast's erreicht! Die Flammen lodern. Deine Treuen stürzen in den Tod. Mein Geschlecht geht unter: so mußt' es sein!

GRACCHUS vor sich hinstarrend. Scharf ist des Menschen Zunge wie ein zweischneidiges Schwert! Mit diesem Schwert erschlug ich den Scipio – und Roms Freiheit – und mich. – So zu sterben, Gracchus, – durch Gracchus verflucht! Verflucht bis in den Tod!

CORNELIA. Horch! sie stürmen herauf! Schmetternde Trompeten, näher und näher. Die Tageshelle wächst. Die Sclavinnen stehn um Licinnia her, der Priester an den Stufen des Tempels, sein Gesicht verhüllend.

GRACCHUS. Nun so stürmt denn herauf, ihr blutlechzenden Senatoren, ihr Tyrannen Roms, ich will untergehn, doch mein letzter freier[99] Athemzug soll euch, die Sieger, verwünschen! Euch vererb' ich meinen unvertilgbaren Haß! Euch vererb' ich den Samen der Empörung, den ich ausgesäet, Euch vererb' ich diesen heutigen Tag, dessen Schatten eure Ferse treten wird, bis ihr, von stärkeren Tyrannen in den Staub gedrückt, Sclaven ihrer Sclaven, von Verachtung geschändet, mich beneiden werdet, wie ich unterging! Er zieht einen Dolch aus seiner Toga hervor, wendet sich ab und dem Tempel zu; mit gedämpfter Stimme. Große Göttin, dir bring' ich mein Opfer dar; Gracchus für Scipio – Stößt sich den Dolch in die Brust.

CORNELIA mit furchtbarem Aufschrei. Gajus!

LICINNIA vom Boden auffahrend. Er stirbt! Eilt zu ihm, wirft sich neben ihm hin.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 95-100.
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