Erster Auftritt

[149] Hermann steht am Fenster, durch den Gardinenspalt hinausblickend.


HERMANN. Kommt noch nicht – kommt noch immer nicht – muß doch zwölf Uhr durch sein? Er zieht die Uhr. Natürlich – längst – die Alte könnte nachgrade schlafen. Er verläßt das Fenster, geht im Zimmer auf und ab. Glaube wahrhaftig, ich bin aufgeregt. Wie ein Tertianer beim ersten Stelldichein. – Er setzt sich vor den Schreibtisch, zieht ein Fach auf, nimmt eine Geldrolle heraus, wiegt sie in der Hand. Die Badereise für Madame Schmalenbach – was nicht aus'm Menschen werden kann – mit einmal ein Wohltäter! War ordentlich rührend, wie das Mädchen sich bedankte. – Er holt eine zweite Rolle aus dem Fache. Das ist für ihre Wohnung in Berlin. Wo denn am besten? In der Taubenstraße. – Ne – da wohnt die Ida – möchte nicht, daß sie mit dem Frauenzimmer zusammenkäme – ist doch was anderes. – Fabelhaft – solche Unschuld – hält mich wahrhaftig, glaub' ich, für 'ne Art Heiligen – man könnte ordentlich stolz werden. Er versinkt in Gedanken, dann fährt er auf. Nanu? Wahrhaftig, ich glaube ich werde sentimental – einen Kognak! Er geht an den Schrank rechts, nimmt eine Kognakflasche heraus, schenkt sich ein Glas, voll, trinkt es hinunter, schüttelt sich. Das geht vorüber. Er nimmt eine andere Flasche aus dem Schranke. Was ist das? Malaga. Du kommst mir gelaufen! Er greift aus dem Schrank einen Pfropfenzieher. Das ist was, für die Weiber, das süße heiße Zeugs. Während er dabei ist, die Flasche zu entkorken, lauscht er auf und eilt ans Fenster. Hm? – Ne – ob sie denn überhaupt kommt? Er tritt vom Fenster zurück, zieht den Stöpsel aus der Flasche, schenkt sich ein Glas voll, kostet. Der tut's – Pros't Haubenlerche! Er trinkt das Glas aus, dann lauscht er wieder auf. Aber das war die Gittertür! Er setzt hastig Flasche und Glas in den Schrank zurück, wirft die Schranktür zu, stürzt ans Fenster. Das ist sie – da kommt sie! [149] Er drückt das Gesicht an die Fensterscheibe. Donnerwetter – scheint eben aufgestanden, das Haar hängt ihr lang 'runter – das Haar! Das Haar! Jetzt wutscht sie ins Haus – jetzt kommt sie – Er verläßt das Fenster, geht im Zimmer auf und ab, wild erregt, seine Hände greifen in die Luft, öffnen und schließen sich. Wie das schön ist! Wie das sich neigt und beugt in seiner Angst, wie ein Rosenstock im Gewitterregen. Ich muß sie haben – ich – muß das Frauenzimmer haben – ich – Er geht an den Schreibtisch, reißt die Hülsen von den Geldrollen, ein Haufen Goldstücke fällt heraus, er rafft das Geld zusammen. Da – so macht sich's besser – so – wirkt das mehr – alles sollst du haben – Er lauscht nach der Tür rechts. pst – da ist jemand Er legt das Gold auf den Schreibtisch zurück. nur Ruhe jetzt – nur Ruhe – kaltes Blut – Er geht an die Tür rechts, öffnet sie halb, spricht heiser, mit erzwungener Gleichgültigkeit. Na Lene – bist du da?


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1911–1918, S. 149-150.
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