[255] Kaiser Ludwig. Ebo von Rheims. Agobard von Lyon. Wala von Corvey treten auf von links.
Judith und Karl sinken beim Eintritt des Kaisers in die Knie.
LUDWIG die Knienden betrachtend.
Seht, welch ein Bild – Liebreizende Gemahlin,
Erhebt Euch, kommt, ich biet' Euch meine Hand.
Er reicht ihr die Hand.
JUDITH erhebt sich, ebenso Karl.
Erhabner Kaiser –
LUDWIG.
Nein, von diesen Lippen,
Die heute noch in gleicher Blüte prangen
Wie damals, als ich sie zuerst geküßt,
Laßt meinen Namen zärtlicher ertönen. –
Wie geht es meinem süßen Sohne Karl?
JUDITH.
Es geht ihm wohl mein gnädiger Gemahl,
Wenn ihn sein Vater liebt.
LUDWIG.
O dann mein Sohn,
Geht es dir wohl. Glaubst du, daß ich dich liebe?
KARL küßt seine Hand.
Ja, gnäd'ger Vater.
LUDWIG.
Ihr geliebten beiden –
Ihr strengen Männer, seht den Knaben an:
Ist dieses Haupt nicht ganz so königlich
Wie meiner andren Söhne?[255]
JUDITH.
Ja, das ist's!
EBO.
Wir wissen wohl –
JUDITH.
Das Blut in seinen Adern
Stammt aus dem Quell, aus welchem seine Brüder
Das ihre tranken. Judith, Tochter Welfs,
Ist schlechter nicht als Irmengard es war!
AGOBARD zu Ludwig.
Mein gnäd'ger Herr, wir hören, was wir wissen,
All dies ist uns bekannt und wohl erwogen. –
LUDWIG.
Und dennoch heischt Ihr, daß ich diesem Jüngsten
Unväterlich das Teil der Ältren weigre?
EBO.
Ihr seid nicht nur der Vater Eurer Söhne,
Ihr seid der Kaiser, Herr, des Frankenreichs,
Das heißt, der Vater vieler Millionen –
JUDITH.
Doch zwischen ihm und diesen Millionen
Ward nicht das heilig große Band geschürzt
Wie zwischen ihm und diesem seinem Sohn,
Sie sind nicht seines Bluts –
AGOBARD.
Erhabene Frau,
Dies hier ist Reiches Sache.
JUDITH.
Meine Sache
Geht vor: es ist die Sache der Natur!
LUDWIG.
Geliebtes Weib, seid ruhig; glaubt, mein Herz
Spricht so für Euch und unsern teuren Sohn,
Daß es unnötig ist –[256]
JUDITH.
O mein Gemahl,
Ich weiß, des Weibes Stimme ist verbannt
Von da, wo staatsklug Männer sich beraten,
O mein Gemahl, den Worten jener Männer
Leiht Euer Ohr – doch Eures Weibes Worten
Leiht Euer Herz, denn aus dem Herzen kommt es:
Der Ruf des Sohnes ist es an den Vater,
Der große Schrei der Menschheit an das Recht.
WALA.
Wer nimmt sein Recht dem Knaben?
JUDITH.
Diese dort;
Und wenn Ihr diesen beiden zustimmt, Ihr!
WALA.
Beim Himmel, Ihr sprecht kühn.
JUDITH.
Und Ihr, beim Himmel,
Ihr sprecht nicht fein zu Eurer Kaiserin!
WALA.
Nun solches –
LUDWIG zu Judith.
Nein – seid nicht zu hitzig, Liebe.
Zu Wala.
Denkt, werter Abt, sie spricht für ihren Sohn.
Zu Karl.
Geh, Karl, mein Sohn, dies hier ist nicht für dich.
Karl durch die Mitte ab.
JUDITH.
Und weil ich's tue, darf er kühn mich schelten?
Wer darf zum Sohne sagen, du tust unrecht,
Wenn er vom Vater, der ihm Leben gab,
Den Boden heischt, auf dem er leben kann?
WALA.
Wer nimmt den Boden ihm? Noch einmal frag' ich.
Gebt Eurem jüngsten Sohne, Kaiser Ludwig,[257]
Soviel an Land und Lehen als er braucht,
Daß er der Erste sei der fränk'schen Edlen –
Doch König sei er nicht.
JUDITH.
Ah!
LUDWIG zu Judith.
Laßt – ich bitte.
WALA.
Ich saß im Rate Eures Vaters, Kaiser.
Im Namen denn des allgewalt'gen Karl,
Der von der Ostmark, wo die Slawen hausen,
Bis an die Küsten, die der Ozean
Dumpf brandend anspült, baute dieses Reich,
Und der es trug auf dem granitnen Nacken,
Zerbrecht das heil'ge Reich der Franken nicht.
LUDWIG.
Gott schütze mich – Ihr meint, daß ich zerbräche –
WALA.
Es ward geteilt; noch einmal teilen heißt
Zerspalten dieses Reiches große Einheit.
LUDWIG zu Judith.
Wie dünkt Euch, Liebe?
JUDITH.
Nein – er rät Euch falsch.
WALA.
Tollkühne Frau, so meistert Ihr den Willen
Des großen Karl?
JUDITH.
Der große Karl ist tot,
Doch mein Sohn lebt, und mit ihm lebt sein Recht.
Er soll Vasalle seiner Brüder sein?
Kraft welchen Rechtes?
WALA.
Kraft des Rechtes, Weib,
Das Ihr nicht ändern sollt, der Erstgeburt.[258]
Kaiser, es drängt die Zeit, trefft Eure Wahl:
Dort Euer Weib, mit wilder Seele eifernd
Für ihren und den Vorteil ihres Sohns,
Hier Walas schneebedecktes Haupt, und drunter
Ein Wunsch, ein Ziel: das Heil des Frankenreichs.
LUDWIG.
Wie von zwei Seiten Ihr mein Herz zerreißt.
WALA.
Entscheidung, Herr; der Reichstag endet morgen,
Auf Euren Lippen ruht das große Wort,
Das Frieden birgt und Krieg: haltet den Schwur,
Und friedlich rollt das heil'ge Reich der Franken
Den großen Lauf ins Meer zukünft'ger Zeit;
Zerbrecht den Eid – und pflanzet die Zerstörung,
Neid, Gift und Haß in Euer eignes Haus.
LUDWIG.
Wer soll den Eid verletzen, den er schwur?
Und wer ein Herz zerbrechen, ein geliebtes?
WALA.
Besser, ein Herz gebrochen, als ein Eid!
Entscheidet Euch: bleibt's bei dem Schwur zu Aachen?
LUDWIG.
Es kann nicht anders sein, geliebte Judith.
O – seht mich nicht mit solchen Augen an,
Dies Wort zerreißt mich ganz so sehr wie Euch –
Ich kann nicht anders teilen, als ich teilte.
Judith zuckt auf; dann steht sie stumm und starr da.
WALA.
Gesegnet seid für dieses Wort.
EBO UND AGOBARD.
Gesegnet!
WALA.
Kommt, Kaiser Ludwig – folgt uns zur Kapelle,
Tragt Euer Herz vor Gott, und wenn sie singen[259]
»Frieden auf Erden«, dann erhebt das Haupt,
Denn Frieden schenktet Ihr der Christenheit.
LUDWIG.
So gehen wir. –
Zu Judith.
O tröstet, Teure, Euch,
So reichlich statt' ich unsern Knaben aus –
Er wendet sich mit Wala, Ebo und Agobard zum Abgehen nach links, in demselben Augenblick kommt.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Karolinger
|
Buchempfehlung
Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro