[136] Am nächsten Morgen ging sie zeitig in die Küche hinab und fand dort den Pfarrer geschäftig hin und her trippelnd, während er mit dem Schweif seines langen Schlafrocks Zwiebel- und Eierschalen und sonstigen Kehricht, mit dem der Küchenboden bedeckt war, nach sich schleppte; eine stämmige Köchin, wild, wie es schien, über den ungehörigen Eingriff in ihre Rechte, warf ganze Arme voll Scheiter in ein loderndes Feuer, auf dem der Kaffee überkochte, während der Pfarrer mühselig daneben ein kleines Feuerchen auf einer Kohlenschüssel anblies. »Aber was machen Sie da?« fragte Luise verwundert. – »Ach, nur Adelens Moosschokolade,« sagte er, etwas beschämt; »es war indes jeden Morgen der Jammer, daß sie nicht gut bereitet sei, da wollt' ich's selbst einmal versuchen.« – »Nun, das überlassen Sie jetzt mir,« sagte sie, das Feuerchen anblasend, »und gehen ruhig auf Ihre Studierstube. Nicht wahr, wir leiden nicht gern Herren in der Küche?« sagte sie lächelnd zur Köchin hinüber, die, durch diese Vertraulichkeit schon gewonnen, ihren Kaffee in etwas ruhigerer Weise besorgte.
Eben war die Schokolade fertig, als aus einer Hinterstube ein vielstimmiges Geschrei ertönte: »Mine, wo sind meine Schuhe?« – »Ich finde meine Strümpfe nicht!« – »Ich muß andre Hosen haben!« – »Der Otto will aufstehen!« – »Hab' ich die Kindsmagd ins Dorf schicken müssen um Milch,« brummte die Köchin, »jetzt schreien sie gleich alle zusammen! Könnt ihr nicht warten, ihr Racker?« Luise winkte lächelnd den[136] Pfarrer zurück, der soeben mit kläglicher Miene zu Hilfe kommen wollte, und ging hinüber in die Kinderstube, die weder fürs Auge noch für den Geruchsinn anziehend war. Da wälzten sich vier kleine Kreaturen von sieben bis zu zwei Jahren in verschiedenen Stellungen und sehr unreinlichem Nachtzeug auf dem Boden oder im Bett herum, stritten und schrien: »Mich muß man zuerst anziehen!« – »Nein, mich!« – »Meine Schuhe sind ja zerrissen!« Und so fort. Die Erscheinung einer Fremden machte einigen Eindruck, und sie ließen sich lautlos eins ums andre von Luise waschen, kämmen und ankleiden, soweit dies mit höchst mangelhaften Hilfsmitteln überhaupt möglich war. Es war ein unerhörter Vorgang, daß sie noch vor dem Frühstück angekleidet wurden, und sie starrten bald einander, bald die fremde Frau an, die so emsig und rasch an das schwierige Werk ihrer Reinigung ging.
Der Pfarrer war indes noch in Verlegenheit gewesen, wie er Adele von der Ankunft der neuen Hausgenossin benachrichtigen solle, ohne sie zu sehr anzugreifen. Die isländische Moosschokolade bahnte den Weg dazu. »Wer hat sie diesmal gemacht? Die schmeckt nun doch einmal, wie sie soll,« sagte die Kranke, als sie ihr gebracht worden. – »Luise Stein, die ich ja hierher gebeten zu deiner Unterstützung, kam gestern abend und hat sie zu machen versucht.« – »So, das ist gut, ich möchte sie bald sehen.« Es war der Kranken auf dies Sehen bang, wie auf alles, was einem Ereignis glich; aber Luisens anspruchs- und geräuschlose Weise, die herzliche Teilnahme, die ihr die Tränen ins Auge trieb, als sie die junge Frau so krank und abgezehrt auf dem Lager fand, die sie nur einmal gesehen in der Blüte der Jugend und des Glückes, beruhigten diese leicht, und Luise saß bald an ihrem Bette und ordnete ihr die Kissen und reichte ihr den Trank, als hätte sie immer da gesessen. Als nun der Vater draußen beim Frühstück, das in der Studierstube genossen werden mußte, damit die Mutter den Kinderlärm nicht hörte, die Kinder gewaschen und gekleidet vorfand und zum erstenmal keinen Streit zu schlichten hatte, weil alle noch von dem unerhörten Ereignis mit der fremden[137] Frau, die sie gewaschen hatte, verblüfft waren, da dämmerte es ihm seit lange wieder wie das Morgenrot einer besseren Zukunft.
Es war sehr schwierig, dieses Morgenrot heraufzuführen. Luise stieß allenthalben auf solche Berge von Hindernissen, Kammern voll angehäuften unnennbaren Gerümpels, Schränke voll ungeflickter Wäsche; im Besuchzimmer Motten in den eleganten Möbeln, gestickte Vorhänge von Mäusen zerfressen; in den andern Zimmern kein einziges wohlerhaltenes Stück. Der Garten war eine Art von Tiergarten, in dem Katzen und Hunde, Hühner und Gänse freien Spielraum hatten und den die Magd der Bequemlichkeit halber beinahe ganz mit Salat angebaut hatte, an dem sich Herr und Kinder fast krank essen mußten.
Des Pfarrers Studierstube diente bei schlechtem Wetter zur Kinderstube, um der kranken Frau den Lärm ferne zu halten; seine Pfeifen waren ins Gartenhaus verbannt, weil die Frau nicht einmal das Dasein einer Pfeife im Haus ertragen konnte; Schuhe und Speisereste wurden in ein und demselben Kasten verwahrt; – es überstieg Luisens Begriffe, und sie glaubte der Aufgabe erliegen zu müssen.
Sie erlag aber nicht. Sie griff mit frischem Mut an, nicht im Sturm, nur leise und allmählich, aber rastlos und unablässig. Sie drückte über keine ihrer Entdeckungen Verwunderung[138] aus; sie fragte nur die Köchin, ob es ihr nicht etwa so auch passend vorkomme, und ließ sie teilnehmen an jeder Neuerung. »Es ist eine rechte Jungfer,« gab selbst diese zu; »ja, es ist gut mit ihr arbeiten,« gestand auch die Stubenmagd.
Und die Kinder hingen an ihr mit einer Liebe, wie sie sie nimmer erfahren, seit man ihre kleinen Brüder fortgeführt, und folgten ihrem Wink, und der Pfarrer schaute sie so dankbar an, und die Kranke, die nichts ahnte von den Gebirgen, die Luise überstiegen, wenn sie so harmlos zufrieden sich zu ihr setzte, lächelte ihr entgegen, so oft sie ins Zimmer trat. – Luise betete oft, Gott möge ihr ein demütiges Herz erhalten, daß sie sich nicht überhebe, weil ihr so viel anvertraut sei, und sie hatte gar nicht Zeit, an vergangenes Leid zu denken.
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