Das zehnte Abenteuer

Wie die Goldburg zusammenbrach und einer von neuem geboren ward


[343] Nach dem Mittagsmahl ging ich allein, derweilen der Oheim sein Schläfchen tat, zum Lager der Soldateska; Branntweinstein hatten die Schreiberhauer neuerdings den Platz benamset. Ich fand meine Leute bei Spiel und Tanz, und mancher hatte dem Becher schon weidlich zugesprochen. Im Zelt der Marketender ward mit Knöcheln der Sold vertan, dazu gellte die Pfeife, und aus rauhen Kehlen erschollen Lieder. Unweit auf ebener Matte drehten sich zur Fiedel Soldaten, auch Schreiberhauer Burschen und etliche Dörferinnen. Jauchzen grüßte mich, und gute Miene mußte ich machen zu diesem Treiben, das mir anfangs nicht behagte. Wie ich aber selber einen guten Trunk getan und mit den Leuten mich gemein machte, ward ich ihnen ähnlich und zutunlich.

Als die Sonne sank, kam aus dem Walde ein bewaffneter Haufe, voran der Führer in blauem, silberbetreßtem Wams. Grüßend schwenkte er den Federhut und rief: »Juhu, Viktoria!« – »Ist das nicht Maiwald? Und Dreßler? Sie sind's!« meinte die Preislerin, und man stimmte bei: »Wahrhaftig, der Maiwald! Ei, so schauet doch, wie ein Herr gekleidet!« Ich ging dem Zuge entgegen und ergriff die Hand, die Maiwald freudestrahlend mir bot: »Viktoria, Johannes, gute Botschaft! Ich bringe, was wir brauchen! Da sein zuvörderst dreißig tapfre Schmiedeberger, zwanzig an dere hab ich in Dreßlers Auftrage angeworben, als wir über Hirschberg zogen. Was aber das beste, wir han als Kriegsknechte gleich gute Arbeit getan. Drunten bei der Kirche sein drei Wagen und sechs Gäule davor, auch neun Reitpferde. Die haben wir als Beute mitgebracht. Und denke nur, was Kostbarkeit unter den Wagenplanen! Silbergeschirr, eia, schwere Becher und Kannen, Tafeldecken und Tapezereien mit Bildern darauf, Prachtgewänder, wie ich[344] eins anhabe; feine Zeuge, Sammet und Seide, Federbüsche und Hüte. Überdies ein paar Fäßlein edlen Weines. Das alles bringen wir heim, mit unsern Waffen erbeutet. Wie wir nämlich zwischen Warmbrunn und Hermannsdorf unsere Straße ziehen, kommt einer von meinen Kundschaftern dahergeloffen und meldet: Vom Kynast nahen drei Planwagen mit zwanzig Reitern. – Mit denen werden wir fertig! sag ich und lasse alsogleich meine Leute an einen Ort zurückgehen, wo der Weg von Wald umgeben. Hier machen wir unsere Feuerrohre fertig und kauern im Hinterhalt. Wie nun die Wagen kommen, strecken unsere Schüsse gleich fünf Reiter zu Boden, die übrigen schlagen wir nieder. Nur einen Mann haben wir verloren. Leicht ist es freilich nicht gewesen, die Beute herzuschaffen, ohne von der Kynastbesatzung erspäht zu werden. Wir mußten einen Umweg durch Waldung nehmen. Nun aber sind wir hier und möchten unsern Sieg feiern.«

»Vivat Maiwald!« schrien die Leute. »Viktoria!« Da man mich fragend anblickte, nahm ich das Wort: »Ich danke dir, Dreßler, daß du nach meinem Auftrag getan und im Gebirge verkündet hast, was wir wollen. Auch dir, Maiwald, weil du Soldaten bringest, danke ich. Was aber das Beutemachen anlangt, so kann ich es nicht billigen. Wenn wir ein neues Reich gründen, besser als die alte Haderwelt, dürfen wir nicht mit Mausen beginnen. Merket ihr alle (und meine Stimme ward scharf): daß mir keiner ein Gartbruder werde! Unrechten Gutes bedürfen wir nicht. Erhaltet ihr nicht reichen Sold? Und können wir nicht genung Lebensmittel kaufen mit dem Golde, das ich schaffe?« Maiwald riß vor Überraschung Aug und Maul auf, Murren erhub sich unter den Leuten. Ich aber befahl mit Strenge: »Maiwald, sorge sofort, daß keiner sich an dem Gut vergreife. Das gehört den Kindern unseres armen Herrn Schaffgotsch, den seine Widersacher ausplündern möchten. Morgen soll ein Bote nach Kemnitz zu Herrn Gottwald, ihrem Vormund, und[345] melden, daß wir den Kaiserischen Wagen genommen, die zum Gute der jungen Schaffgotsche gehören. Weil ihr es aber gut vermeinet habt, ihr neuen Soldaten, so gebe ich jedem von euch ein Goldstück, eurem Anführer Maiwald aber zehn. Wohlan, nun ist es gut, lasset uns mitsammen fröhlich sein, ihr seid zum Feste geladen.« So war denn alles begütigt. Dreßler hielt Maiwalds Arm gefaßt und redete auf ihn ein: »Unser Johannes hat ganz recht, aber freilich du bist ein Hauptkerle, ein kecker Fuchs.« Drauf so hub die Musika wieder an, und die Angekommenen nahmen teil am Schwatzen, Trinken und Tanzen. Ich zog Maiwald, der noch immer betreten war, zum Marketender und ließ Wein geben. Bald stimmte er mir bei, und seine Verdrossenheit bezog sich nur darauf, daß er sein prächtig Herrengewand wieder lassen solle. Aber Dreßler meinte: »Was willst du mit dem Pfauenkleid in unsern Bergen? Mach dir ein Lederwams!«

Mein Aufmerken ward jetzo auf eine Gruppe von Soldaten gelenkt, die einem der mitgebrachten Soldatenweiber lauschten. Von Magdeburg ging das Gerede: »Wie die Magdeburger sollten auch wir's machen. Dann kann unsere Burg nicht eingenommen werden.« – »Was sollen wir wie die Magdeburger machen?« sprach ich hinzutretend. Da eiferte das Weib: »Die Magdeburger haben ein Stadttor uneinnehmbar gemacht.« – »Uneinnehmbar?« entgegnete ich; »weiß Sie denn nicht, daß Magdeburg längst über und zerstört ist? Ich selber bin Magdeburger und hab unter Falkenberg die Stadt verteidigen helfen.« – »Das weiß ich wohl. Mein Mann war ja einer von den Pappenheimern und hat mir gute Beute ins Lager von Neu-Haldensleben gebracht. Aber das Krökentor ist doch beim Sturme festgeblieben, ist nur durch Umzingelung eingenommen; die Pappenheimer sind durch die Hohe Pforte in die Stadt gedrungen, und da blieb dem Krökentor freilich nichts übrig als zu kapitulieren.« Düster starrte ich drein: »Solch toller Aberglaube darf hier nicht aufkommen.[346] Daß Sie davon fürder schweige!« Das Weib zuckte die Achsel und murrte frech. Abseits wandte ich mich, lieber bei säuselnden Tannen war ich als bei diesen Menschen; meine Verdrossenheit galt es zu beschwichtigen. War das ein neues Reich, was also anhub? Ein Lichtreich, wie es Berthulde nannte? Durfte es sich gründen auf dieselbigen Mängel und Laster, die es doch bekämpfen wollte? Waren mir rechte Helfer zur Seite, und war ich selber meines Unternehmens würdig? Hatte ich nicht mit Gaukelei begonnen und mit meinem Golde dies Gesindel an mich gelockt? Wo ein Aas ist, da sammeln sich die Raben. Und nun was weiter? Wie bessere ich das Verfehlte?

»Herr Johannes! Eine Freudenpost! Viktoria!« rief es hinter mir, und zween Männer hasteten herbei; der eine war Christianus, der Preislerin Sohn, mit einem Papier winkte er, als bringe er wichtige Botschaft. Ich stutzte, und etwas sprach in mir: Wie deine Leute knöcheln, so wirft eine dunkle Hand die Würfel deines Geschickes, und da ist nun wieder ein Wurf geschehen, einstweilen verdeckt durch den Würfelbecher, sogleich aber offenbar; vielleicht sind die Würfel dir zum schwärzesten Unheil gefallen ... doch nein, wohl eher zum Glück ... Freudig blickt Christianus. »Sie lebt!« ruft er – und es durchzuckt mich die Hoffnung, Thekla sei gemeint. Vor Beklommenheit kann ich kaum sprechen: »Wer lebt?« – Nun ist Christianus bei mir und beut mir das Papier: »Hie stehet es geschrieben von ihrer eigenen Hand!« – Zitternd nehme ich den Brief: »Rede doch, Christian! Wer denn, wer lebt?« Da kommt die Antwort, nach der meine Sehnsucht oft flehend verlangt hat: »Sie – Eure Eheliebste – die Gräfin Thekla lebt!« – Das war zu viel des Glückes so auf einmal; gelähmt stund ich, wie vom Blitze getroffen, es wankten die Tannen rings und die Berge, es drehte sich alles, ich taumelte. »Halt ihn!« rief Christianus. Dann saß ich im Beerenkraut, die beiden Männer waren um mich bemüht, aus einer Flasche sollte ich trinken. Ich strich mir über die Stirn. Sie lebt![347] ging es mir durch den Sinn. Sagt nicht Christianus also? Von ihrer eigenen Hand stehe es im Briefe geschrieben? Da ist ja der Brief! Hastig entfaltete ich ihn, während Christianus sprach: »Dieser Bote hat ihn vor kurzem meiner Mutter gebracht.«

Ich erkannte die Schriftzüge, Theklas Hand, und las:


»Liebwerte Preislerin! Ehrsame Witfraue!


Nachdem ich meinen Johannes verloren und vor wenig Wochen auch noch meine zweite Mutter, die edle Frau Zetteritz, weiß ich niemand sonsten in der kalten Welt, bei dem ich Zuflucht suchen könnte, als meine gütige Preislerin, wofern, sie überhaupt noch am Leben. Denn der Oheim Tobias ist ja wohl verstorben. Wenigstens sind zween Briefel, so ich vor drei und vier Jahren durch Soldaten an Tobias Tielsch gesandt, ohne Antwort geblieben, und mein zweiter Bote hat mir die Kunde gebracht, der alte Tielsch sei tot. Damit Sie aber weiß, liebwerte Preislerin, welche Lebensumstände mich treiben, in Schreiberhau Zuflucht zu suchen, so vermelde ich, daß jetzo, nachdem meine Beschützerin, die edle Frau Zetteritz, verstorben, ihr Sohn, ein kaiserlicher Obrist, mich heuren will, wiewohl ich ihn nicht mag. Da will ich nun heimlich entweichen. Darf ich nach Schreiberhau kommen? Sollten diese Zeilen an einen andern guten Menschen gelangen, mag der sich mein erbarmen. Wiewohl als Gräfin geboren, bin ich kein müßig Fräulein. Arbeit ist meine Lust; ich will mich nützlich machen, wie ich kann. Ich weile in Altenhof, einem festen Hause des Ritters Zetteritz, gelegen bei Melnik in Böheim. Mit Zähren trauernder Liebe gedenk ich der Stunden, da ich von meinem Johannes aus der Gefangenschaft zu Euch gebracht ward und an seiner Seite im Schreiberhauer Bergwald hausete. O daß ich wiederkehren dürfte! Meine Grüße sind so innig wie dieser Wunsch, und ich verbleibe treulich Eure


Witfrau Thekla Tilesia, geborene Gräfin Schlick.«


Auf sprang ich und lachte laut, den Brief an mein Herze[348] gepreßt. »Sie lebt, sie kehrt wieder, sie ist mein!« rief ich und überflog von neuem die köstliche Botschaft. Dann griff ich den Boten, der den Brief gebracht hatte, bei den Armen: »Lebt sie wirklich? Sprich, wie fandest du meine Thekla! Ich meine sie, die den Brief dir gab.« – »Nun ja doch,« nickte er, »freilich lebt die Witwe Tilesia und ist wohlauf, wie mir scheint. Sonsten weiß ich nichts; ich sah sie nur das eine Mal. Bin ein Roßhändler, so auf der Reise im Wirtshaus zu Melnik herbergte. Da nun die Witwe Tilesia vernommen, daß ich nach Schlesingen reise, hat sie mir ein gut Stück Geld geboten, wenn ich den Brief besorge.« Ich drückte dem Manne die Hand. »Gehet zum Feste, lasset mich allein! Christian, gib dem Mann zu essen, zu trinken! Feiert, freuet euch! Ich komme bald nach.« Sie gingen, und tief atmend starrte ich ins grüne Dämmern der Tannen. Vor mir schwebte ein Traumgesicht. Wie Flackern war's und gaukelte und lockte, daß ich der Flamme folgte. Doch da ich nach ihr haschte, sank mein Fuß in Schlamm und Moder. Zugleich verblaßte die Flamme und zuckte matt, derweilen das Morgenlicht geflutet kam. Kommst du, Sonnenbraut, reine, strahlende? Bist endlich da, meine Thekla? Auf die Knie warf ich mich ins Moos und rang vor Jubel die Hände. Dann sprang ich auf und kehrte zum festlichen Treiben froh zurück, begrüßt von einer Gruppe, die soeben von Christian vernommen hatte, welch Heil mir widerfahren. Die meisten Feiernden merkten auf eine Prozession weißgekleideter Jungfern, die jetzo singend von Schreiberhau her aus dem Walde kam.

Voran schritt Berthulde, um deren Gewand sich eine Purpurschärpe schlang, während das Haupt mit dem aufgelösten Goldhaar Fichtenzweige krönten. Die anderen Festjungfern waren ebenfalls bekränzt. Ein Schwarm von Kindern, älterem Weibsvolk und Männern gab das Geleite, auch Beate und der Oheim waren dabei. Die Junggesellen auf dem Festplatz krähten vor Lust, lachend bildeten die Jungfern einen Halbkreis, und in dessen Mitte trat Berthulde. Durch[349] einen Baumstumpf erhöht, gebot sie mit winkender Hand Stille und sprach: »Will Mannsvolk Freude ha'n, so darf das Weibsvolk nicht fehlen. Wir Jungfern sind kommen, mit euch zu feiern. Zur Lust hat uns Allvater geschaffen, und das Lichtreich, das unser Herr der Berge mit uns gründet, es sei ein Garten der Lust. Lasset dieses Gartens Blümelein euch gefallen, ihr Kriegsmannen! Heiloh!« Jauchzend stimmte das Mannsvolk zu, Berthulde aber sprach weiter: »Bringet Wein her!« Sogleich tat man desgleichen. Sie nahm den Becher und erhub ihre Stimme: »Heil der Burg und denen, die sie bauen! Heil dem Reiche, das wir gründen! Heil dem Herrn der Berge, unserm König!« – »Vivat unser König!« erscholl es unter Hüteschwenken. »Heiloh! Hoch, hoch!« Nun trat Berthulde mir entgegen, blickte in mein Auge und tat den Becher an ihre Lippen. Wie sie ihn kredenzt hatte, und ich ihn leerte, rief ein Soldat: »Vivat auch die Königin!« Und aber schrie man: »Vivat!« Berthulde warf mir einen Blick voll zärtlichen Feuers zu und schlug die Augen nieder, ihr Busen wogte.

Mich indessen überkam Verwirrung, mir war, als solle ich in ihre Arme geführt werden, und widerstrebte doch. Zwar nicht immer hatte ich so widerstrebt; ich dachte an den Kuß, den ich ihr vor wenigen Tagen gegeben; hatte der ihr den Kopf verdreht? Ich schämte mich und beschloß, ohne Verzug die rechte Antwort zu geben auf Berthuldens stummes Bekenntnis, nämlich offen zu verkünden, daß ich meine Eheliebste wiedergefunden. Auf dem Baumstumpf, von wo Berthulde geredet hatte, stund ich, von frohlockenden Menschen umringt, und sprach, die Arme erhoben in Heller Freude: »Vivat auch die Königin! So hat einer gerufen, und das ist ein Prophet. Erfüllt hat sich sein Spruch; eure Königin ist da; die ich verloren glaubte, lebt. Hier ist ein Brief, von ihrer Hand geschrieben, und dorten schmauset der Mann, so vor wenig Tagen sie gesehen hat. Meine liebe Frau ist es, meine Thekla ...« Ich sah, wie Berthulde erblich. Leid tat[350] sie mir. Doch wie unter den verfinsterten Hexenbrauen ein dräuender Blick herfürschoß, zuckte ich die Achsel und sprach weiter, ohne nach ihr zu sehen: »Thekla ist eine Tochter des Grafen Schlick, jenes böhmischen Helden, den die Jesuiter aufs Blutgerüst gebracht haben. Nachdem ich mit ihr aus Böheim gen Magdeburg geflohen, ward sie die Meine in jenen Schreckensstunden, die meine Vaterstadt in Blut und Asche legten. Am zweiten Tage drauf ward mir mein Weib entrissen, und wie ich auch seitdem geforscht, ganz ausgelöscht blieb jede Spur, bis nun auf einmal der Brief .... der Brief ....« Und wie ich ihn ob meinem Haupte schwenkte, schrien die Leute: »Hoch!« Um zu danken, erhub ich aufs neue die Stimme: »Ihr sollet meine Freude teilen. Morgen reise ich, mir unsre Königin zu holen, und in wenigen Tagen führ ich sie heim. Sintemalen nun nächste Woche Johannis, der Sonne längster Tag, an dem sie triumphieret, so wollen wir alsdann ein ganz groß Festin feiern; unserm Lichtreich soll es gelten und zugleich unsrer Königin, meinem trauten Weibe. Zum Hochzeitsmahl, zu Spiel und Tanz seid alle geladen. Des Lichtreiches Sonne sei meine Liebste!« – »Vivat! Heil dem Goldmacher! Heil dem Herrn der Berge und seiner Königin!« Und in der Jauchzenden Arme sank ich, man riß sich um mich mit Lachen, indessen Pfeife und Fiedel gellten. Wie trunken traf ich nun meine Anordnungen. Eine Handvoll Gold gab ich dem Boten und verhieß ihm eine zweite, so er mein Führer nach Altenhof sein wolle. »Auf, Segebodo!« sprach ich, »laß die Pferde holen, die Maiwald bei der Kirche hat. Wir beide reisen, wenn der Tag graut und nehmen funf gute Reitersleute mit.« Noch eine Weile blieb ich beim Feste. Saß beim Oheim und der alten Beate. Meine Hände hatte ich diesen Getreuen dargereicht, und stumm vor Glück streichelten sie die Hände, wie man einem Kindlein schön tut. Dann trieb es mich vom Getümmel hinweg; ich sehnte mich nach der Abendburg, nach meiner stillen Klause und dem Gott im Herzen, von dem der Friede kommt.
[351]

Wie ich einsam mit meinen Hunden heimwärts schritt, war die Nacht hereingebrochen. Doch der ziemlich volle Mond lugte über die Waldberge und streute bläulich Licht auf den Felsenpfad und das Beerenkraut. Der Nadelzweige sachtes Sausen war meinem Herzen frommer Jubelsang, des Mondes Strahlen klangen dazu als heimliche Harfensaiten.

Da schlugen die Hunde an, und hinter einem Felsen, wo es zur Linken steil hinuntergeht, trat herfür eine schimmernde Gestalt. Berthulde war's im weißen Gewand, und nahe gekommen, sah ich unter dem Fichtenkranz vom Monde beglänzt ein höchst trauervoll Angesicht. Unter den niedergeschlagenen Augen hingen Zähren, die sonst schwellenden Lippen waren zusammengepreßt, matt neigte sich das Haupt, schlaff hingen die Arme. »Was ist mit dir, Berthulde?« sprach ich bestürzt. Da kam ein Wimmern: »Mir ist so weh!« Erbarmen trieb mich zu ihr, ich legte die Hand an ihre Schläfe: »Still, mein Kind, gräme dich nicht!« Sie lehnte die Wange mir an die Brust und weinte leis. Ich enthielt mich nicht, ihr Haupt zu streicheln: »So sprich dich aus. Warum denn ist dir wehe? Hab ich dich gekränkt?« Da hing sie schluchzend an meinem Halse, ich fühlte die weichen geschmeidigen Mädchenglieder in meinem Arm, sie zitterte, durchschauert von der Minne Feuer. Oder zitterte sie vor Sorge, ich könne verschmähen, was schmachtend sich mir bot? Ich spürte wohl, wie Zärtlichkeit mich lockte, doch warnend erhub sich eine Stimme in meines Herzens Kammer: »Was willst du tun? Laß du das Irrlicht gaukeln und folge nicht. Magst du denn deiner Sonnenbraut vergessen?« Und ich wand mich aus Berthuldens Arm, sie schlug ihre Hände vors Angesicht, als schäme sie sich. Ihr stummer Gram ging schneidend durch mein Herz, mein Blick mied sie und starrte in den Mond. Da ward an meinem Wams gezerrt, und auf den Knien lag sie wimmernd: »Johannes, bleibe doch, verlaß mich nicht!« Ich[352] zog sie empor. »Was tust du? Wer will dich denn verlassen?« Wild griff sie mit den Händen sich ins Haar, daß ihr der Kranz zu Boden glitt. »Doch, Johannes! Willst ja die andere holen. Tu es nicht, tu es nicht! Mich sollst du minnen, mich allein! Bin ja so heiß entbronnen, dein bin ich ganz. Dir dienen will ich, deine Magd; will alles tun, gebeut nur! Schaffen laß mich an deiner Seite, daß dir das Lichtreich gelinge, laß mich helfen mit dieser Herzensglut, helfen mit Lichtvaters Kraft, der mich zu seiner Huldin geweiht, helfen mit meiner Magie. Ich bin dein würdig, Herr der Berge, du mein König, mein Gott!«

Bestürzt machte ich mich los: »Aber Berthulde! du bist von Sinnen; komm zu dir! Wie kann ich der Deine sein? Sie lebt ja, mein Eheweib lebt!« Mit einem gräßlichen Schrei sprang Berthulde auf, verzerrt das Angesicht; wie Krallen spreizten ihre Finger sich, sie griff nach ihrem Halse. Doch wie ich schon glaubte, sie wolle sich würgen, hielt ihre Hand die Kapsel, so ihr Busen trug. Sie starrte darauf hin und knirschte mit den Zähnen: »Verfluchtes Zauberding! Du hast ihn mir entrissen! Du scheuchest ihn, daß er sich von mir wendet. Hinweg mit dir!« Sie riß die Kapsel von der Schnur und warf sie hinter den Felsen, in die Tiefe, man hörte das Ding drunten aufschlagen, und Berthulde zischelte: »Ha, ächze nur, flammarischer Dämon! Was gilt mir noch dein Dräuen? Ich spotte dein, du tückischer Betrüger, und wenn du wiederkommst, mir deinen Stachel einzubohren, so triff dies Herze, dies zuckend arme Ding, triff es gleich recht! Ich mag nicht weiterleben, da mein Liebster mich verschmäht.« Dann spähte die Rasende mit ängstlich aufgerissenen Augen mir ins Angesicht und schrie, den Arm erhoben: »Johannes, kannst du mich verstoßen? Bringst du es über dich, nun ich dir alles opfere und ledig bin des Zauberdinges, vor dem du Abscheu hast? Weg ist es – da! Frei bin ich; und so es wiederkommen will, weiß ich mir einen Retter, das bist du, ja einzig du! deine Minne kann mich lösen. Doch freilich, wenn du mich[353] nicht magst, so holt mich der flammarische Dämon in seine Flammen. Denn ich bin der Dreizehnte, so ihn besitzt – habe kein Glück in der Minne – zum drittenmal kein Glück!«

Kläglich waren die letzten Worte gesprochen; aus meinen Worten und Mienen entnahm sie, daß ich nicht in ihre Arme mochte. Plötzlich greift sie in ihre rote Schärpe, und ein Messer blinkt in der erhobenen Hand, die Augen rollen, daß ich das Weiße sehe, und zurücksinkend, will sie die Schneide in ihren Busen senken, als ich zugreife und ihr den Stahl entwinde, um ihn gleich darauf hinter dem Zauberdinge dreinzuschleudern. Sie blickt mich wie eine reißende Wölfin an, preßt die geballte Faust an ihren fletschenden Mund und knirscht: »Ha warte, Königin – ha warte!« Nach dieser wütenden Drohung rennt sie weg wie ein gehetztes Wild, fern ein gellender Aufschrei, und nur der Tannen Sausen ist noch zu vernehmen. Jetzo klang dies Sausen bang, als raune die Sorge. »Ein Dämon!« sprach ich in mich hinein. »Hat denn ein Dämon diese Jungfer besessen? Zuvor war sie so liebreich, und nun –! Doch fort damit, fort mit allem Düstern! Thekla ist ja mein! Nur etliche Tage noch, und ich halte die Süße umschlungen.« Aufatmend machte ich mich wieder auf den Weg, und weiter ist mir nichts in dieser Nacht begegnet. Nur daß noch ein zweites Mal die Hunde anschlugen, und ich links unten auf der Iserstraße Hufschlag vernahm. Jemand von den Iserbauden, dachte ich, wird vom Feste heimgeritten sein. Die gleiche Meinung sprachen die Soldaten aus, so die Wache bei der Abendburg hatten.

In der Morgenfrühe erhub ich mich von kargem, unrastigem Schlummer und stieg, zur Reise gerüstet, den kurzen Pfad hinunter zur Iserstraße, wo Segebodo mit den andern fünf Reitern, die zum Mitreisen beordert waren, sowie dem Boten harrte. Sie hatten mein gesattelt Reisepferd. Ich grüßte meine Leute, in der Morgenfrische beglückt von meinem Vorhaben. Segebodo tat die Meldung, in der Nacht sei eins der Pferde, die Maiwald erbeutet, weggekommen.[354] Nach Einbruch der Nacht sei ein junger Bursch, den man in Schreiberhau nicht erkannt habe, plötzlich in den Sattel gesprungen und spornstreichs hinweggetrabt, in der Richtung nach dem Festplatze. Vermeinend, er begehre noch spät daselbst etwas Freude zu erhaschen, habe man ihn nicht verfolgt. Doch seien Roß und Reiter bisher nicht zurückgekehrt. »Es wird derselbe gewesen sein,« entgegnete ich, »den ich nach der Iserwiese traben hörte. Gewiß ein Junggeselle, dorten heimisch, der hier mit seinem Lieb getanzt hat.«

Wiewohl ich vom Boten aus Böheim mehr über Thekla herauszubringen suchte, wußte er nichts als das schon Berichtete. Dies mußte er oft wiederholen, und jedes Wort, jede Gebärde Theklas, jeden Zug in ihrem Angesicht beschreiben. Dann hielt ich mich an Segebodo und erzählte, was ich mit Thekla durchlebt. Nicht ohne Unruhe dachte ich an Zetteritz. Wie ging es zu, daß Thekla so lange in seinem Hause verweilen konnte? Was hielt sie? Seine Mutter? Thekla nennt sie ihre Beschützerin. Nun freilich, das läßt sich hören. Geduld! Alles wird bald klar!

Am dritten Reisetage zählte ich die Stunden und jeden Schritt des Rosses. Wie ein Schmachtender nach Labetrunk verlangt, so brannte mein Herz und konnte kaum sein Heil erwarten. Nun wies der Bote auf eine Häusergruppe hinter Büschen: »Da ist Altenhof.« Segebodo zügelte sein Pferd. »Halt! Erst gilt es zu beraten. Den Boten, denk ich, kannst du entlassen, Johannes!« Ich stimmte bei und gab dem Boten seine Handvoll Gold. Er strahlte ob der reichen Gabe und nahm Urlaub unter Dank und Hutschwenken.

»Laß mich allein hinreiten«, sprach Segebodo; »ich werde kundschaften, ob die Luft rein. Denn es könnte ja der Zetteritz bereits gekommen sein. Wenn ich pfeife, so komme du mit den Leuten nachgeritten.« Ich nickte und hielt mit den Vieren auf der Straße, indessen Segebodo nach dem Hause ritt. Bald darauf hörte ich ihn mit erhobener Stimme sprechen, doch waren die Worte nicht zu verstehen. Dann[355] kam er im Galopp, sein Feuerrohr in der Faust, finstern Blickes. Ich wußte nun schon, daß er nichts Gutes bringe, zog den Degen und ließ die Feuerwaffen in Bereitschaft setzen. »Der Zetteritz ist da«, meldete Segebodo; »wie ich hinkam, starrten mir aus Schießscharten Rohre entgegen, und eine Stimme rief: Halt, was gibt's? Reiße nicht aus, sonsten schießen wir, steh Rede! Was willst du? – Ich sagte nun: Wohnet allhie die hochgeborene Gräfin Schlick, Frau Tilesia? Dann habe ich Botschaft für sie. – Richte die Botschaft aus! Wer sendet dich? hieß es. Ich gab zur Antwort: Mein Herr ist bei mir und wünscht Frau Tilesia zu sprechen. – Dann muß er erst mich sprechen, ich bin der Ritter Zetteritz, kaiserlicher Obrist. Bring deinen Herrn her! – Und ich erwiderte: Vor Eure Feuerrohre mag ich ihn nicht bringen. So Ihr aber ohne Waffen mit ihm verhandeln wollet, wird er sich einfinden. Kommet unbewaffnet heraus, in ziemlichem Abstande von Euren Leuten mag die Unterredung stattfinden. Auch wir werden ohne Waffen kommen. – Diese Proposition hat der Zetteritz angenommen. War's recht von mir getan, Johannes, und bist du einverstanden?« Ich nickte düster und seufzete, den Hoffnungen grollend, die mir ein nahes Glück vorgegaukelt hatten. Dann gab ich meine Waffen in die Hände meiner Leute, Segebodo tat desgleichen und befahl, man solle abwarten und nicht eher herbeieilen, als bis er pfeife.

Zu Fuße nun begaben wir uns nach dem Hause. Es war von Steinmauer und einem Graben umgeben, den ein Bach mit Wasser gefüllt hatte; hinüber führte eine Zugbrücke zum festen Tor. In angemessener Entfernung blieben wir stehen, Segebodo winkte mit dem Hut. Da kam durch die Torpforte ein Mann in fürnehm soldatischer Tracht, und ich erkannte Zetteritz. Bleich und finster sah er aus, seine höhnische Art verzerrte ihm die Miene, als er sprach: »Sehet doch, der Tielsch! Ich ahnte ja, der steckt dahinter. Doch warum kommt Er nicht allein, Tielsch? Hab ich nicht mit Seinem Boten ausgemacht,[356] daß nur wir zwei mitsammen reden?« Ich schwieg, Segebodo gab zur Antwort: »Nichts für ungut! Der Herr Ritter mag es halten wie mein Herr, und von seinen Leuten einen zur Unterredung herzuziehen. Nicht anders hab ichs gemeint.« Da winkte Zetteritz nach seinem Hause und rief einen Namen, worauf ein Soldat aus der Pforte kam und herbeieilte. Es fiel mir auf, daß der den Degen an der Seite trug, doch ich sagte nichts dawider, weil meine peinliche Ungeduld Auskunft über Thekla begehrte. Zetteritz kam mir im Reden zuvor mit einem grimm lauernden Blicke: »Wo hast du sie? Gib Thekla heraus!« Auf den Grund seines Herzens suchte ich meinen Blick zu bohren, als ich versetzte: »Ebendiese Worte wollte ich an dich richten, Zetteritz.« Die Zornröte schoß ihm ins Gesicht, er starrte wie ein lauernd Raubtier und polterte heraus: »Keine Flausen, Schelm! Gib sie heraus, sage ich! Hast sie ja entführen lassen.« Ob dieser Rede, die keine Lüge sein konnte, stutzte ich und tat einen fragenden Blick auf Segebodo. Der zuckte die Achsel: »Entführt ist Thekla?« stammelte ich beklommen. Mich immerfort anstarrend lächelte Zetteritz bös: »Heuchler! Mich täuschest du nicht. Vor drei Stunden war ein Weib hier, das sie entführt hat.« – Ich schrak zusammen; mir kam der Einfall, die eifersüchtige Berthulde könne mir zuvorgekommen sein und Thekla beseitigt haben. »Ein Weib? Wie sahe das Weib aus?« Zetteritz winkte mit rollendem Auge dem Soldaten, der bei ihm war, und dieser antwortete: »Eine saubere Jungfer mit gelbem Haar und dunklem Auge – so sagt die Magd, die sie gesehen.« Ich zuckte und wandte mich an Segebodo. Er war gleich mir bestürzt und raunete: »Berthulde war's!« – »Heuchler!« schrie Zetteritz, »du hast dich verraten. Hast sie entführen lassen! Und möchtest den Unschuldigen spielen! Gib sie heraus! Wo ist sie? Ich erwürge dich!« Schäumend vor Wut wollte er mich packen, ward aber von Segebodo zurückgestoßen. Nun zog der Soldat seinen Degen und wollte einen Hieb auf Segebodo tun. Ich fiel ihm in den Arm und[357] rang mit ihm. Da packte mich eine Faust im Genick und riß mich, daß ich taumelte. Gleich darauf blitzte die Klinge mir vor den Augen, und an der Schläfe getroffen, stürzte ich.


Von dem, was weiter geschehen, ist mir kein deutlich Empfinden worden – nur daß mir zuweilen wie durch dunkle Hülle Gesichte kamen und wirre Reden. Es war, als schwebe ich zwischen Rossen und Reitern. Das Trappen der Pferde durchrüttelte mich, brennend schmerzte mein Haupt. Dann wieder lag ich still, mit Wasser kühlte jemand meine Schläfe.

Eine Zeit voll Angst und Stöhnen durchlebte ich, weiß aber nicht, was mir begegnete. Kein Fiebertraum war's, daß ich in meiner Balkenklause lag. Was ist mit mir? Ach ja, verwundet bin ich, habe eins über den Schädel bekommen. Thekla wollte ich heimholen. Wo ist Thekla? Entführt? Von Berthulden entführt! – Da fühl ich einen Kuß auf meiner Hand. Wer ist das? Thekla? – Mühsam richt ich mich empor. Nicht Thekla, Berthulde ist bei mir. Über mich gebeugt starrt sie ängstlich. Im todblassen Angesicht lodern die schwarzen Augen, schmerzlich sind die dichten Brauen emporgezogen. »Du, Berthulde?« Wehmütig lächelnd flüstert sie: »Johannes, erkennest mich?« Und abermals drückt sie die Lippen auf meine Hand. Ich aber zucke zurück: »Laß mich, Tückische!« In meinem Herzen kocht es, jäh aufgerichtet pack ich ihren Arm: »Wo hast du Thekla? Gib sie heraus! Sie ist mein ehelich Weib!« Versteinert schweigt Berthulde, nun pack ich auch den andern Arm. Sie wehrt sich nicht, die Lippen zusammengepreßt. »Antwort!« – »Von Thekla weiß ich nichts.« – »Lügnerin! Hast sie entführt. Zetteritz hat es gesagt. Wo ist Thekla? Was hast du ihr angetan? O wehe, Leides hast du ihr angetan!« Da entwindet sich Berthulde mir, ich sinke zurück und liege ächzend. Und wieder beugt sie sich über mich. »Still doch, Johannes![358] Sei lieb zu mir! Ich bin ja dein! Bin deine Magd!« In meiner Hilflosigkeit kommen mir Tränen, und ich wimmre: »So gib doch Thekla heraus! Gib mir mein Weib heraus!« – »Das kann ich nicht!« zischelt sie; »es geht nicht mehr. Fort ist sie, ganz fort, kehrt nie wieder, gib sie auf! Mich hast du ja, ich bin dein!« Zuckend windet sich mein Herz, nicht fassen kann ich das Entsetzliche. »Nie kehrt sie wieder? O Berthulde, warum denn nicht? Ist sie tot? Ach tot! ermordet!« Und auf einmal seh ich Berthulden wie in jener Mondnacht, da ich vom Festin heimkehrte. Sehe das mondbeglänzte Messer in der erhobenen Faust, die rollenden Augen, die fletschenden Zähne. Entsetzen schüttelt mich, abermals fahr ich empor und klammere mich an Berthulden: »Du hast sie umgebracht! Leugne nicht! Offenbar ist deine Tücke!« Die Hexenbrauen hochgezogen, starrt sie mich an, den Mund weit offen vom erstickten Angstruf. Sie schweigt, aus ihrem stechenden Auge lugt das Böse, nicht verhehlen läßt sich ihre Untat. »Mörderin!« kreische ich und kralle nach ihrer Kehle. Sie stößt mich zurück, schwarz wird es mir vor den Augen, ich sinke hin und ächze: »Teufelin! Mir aus den Augen! Fluch dir, Fluch!« Da lacht es gräßlich: »Mein Messer traf sie gut, Viktoria! Sie ist in ihrem Pfaffenhimmel, du bist mein, wir kommen mitsammen in Lichtvaters Halle. Der soll uns trauen! Bist mein, du spröder Bräutigam! Dich küsset deine Königin!« Und auf meinem Munde fühl ich ihre Lippen. Schwindel packt mich, ich sinke und sinke ...

Dann toset es dumpf, als weile ich beim unterirdischen Bache. Ach ja, das ist die Höhle, das sind Tropfsteinzacken, von Fackelschein beleuchtet, und da hält der steinerne König sein Schwert erhoben. Grausiger Götze, was hast du mir getan? Willst mich richten mit deinem Schwert? Soll ich büßen, daß ich dir die Ruhe gestört und dein Gold entwendet?

Schritte kommen gestampft, ein Schuß fällt, noch einer. Vergebens tracht ich, mich aufzurichten. Und finster wird's, der Fackelschein erstirbt, es toset das Höhlenwasser und toset.[359] Dann kommt ein Stöhnen, und wieder ein Stöhnen. Wer ist das? Ich selber bin's wohl! Meine Lippen brennen, am Gaumen klebt die Zunge.

»Wasser!« So ächzete jemand. Wer war's? Kam dies Wort aus meinem Munde? Oder liegt hier noch einer? Ich lausche gespannt. Und abermals ächzt es: »Wasser!« Ich richte mich auf und fühle mehr Kraft als zuvor. Muß wohl geschlafen haben, seit die Schüsse fielen. Hat hier ein Kampf stattgefunden? Und liegt hier wer verwundet? – Von neuem das Stöhnen, und jetzt weiß ich, etliche Schritte seitwärts muß ein hilfloser Mensch liegen. Ich greife mir an den Kopf, der ist mit einem nassen Tuch verbunden. Um mich tastend, find ich einen Krug mit Wasser. Zitternd heb ich ihn empor und trinke.

Nun fühl ich mich gestärkt und krieche, den Krug mit mir nehmend, zum Verwundeten. Ich betaste ihn, er stöhnt. Der Oheim ist es nicht, dieser Mensch hat langes Haar und einen breiten Spitzenkragen. »Wer bist du?« raune ich, doch er antwortet nur mit Stöhnen, dann höre ich wieder das Flehen um Wasser. Es gelingt mir, ihn ein wenig aufzurichten und zu tränken. Doch von der Anstrengung ermattet, werde ich selber hilflos, und ächzend liegen wir nun beide nebeneinander. Hilfe! Bin ich hier ganz verlassen? Wo sind meine Leute? »Tobias!« rufe ich. Doch es antwortet nur des Höhlenbaches Tosen.

Da kommt mir in den Sinn, wie ich schon einmal so verzweifelt lag, am Ufer der Elbe, durch Zetteritz in Fesseln geschlagen, zu den Wölfen ausgesetzt. Damals flehte mein Herz zum Himmel, er möge mir vergönnen, nur einmal noch den Frieden der Bergeinsamkeit zu atmen und die Abendburg zu schauen. Meinem Geistesaug erschien damals mein Vater, verheißend, ich werde gewißlich zur Abendburg gelangen. Und nun lieg ich hier, aufgetan hat sich die Abendburg und gar ihr heimlich Gold mir dargereicht. Gleichwohl bin ich nicht besser dran als in jener Nacht, da den Gefesselten[360] die Wölfe umheulten. Todwund bin, meine Stunden sind gezählt, und von neuem ist mir die kaum gefundene Thekla entrissen. Ist das nun der Schatz, der mir verheißen ward und mich seit jungen Jahren lockte, als könne mein Leben nichts Würdigeres finden? – Und siehe, wiederum schwebt vor mir mein Vater, ich sehe den Reinen, wie er in der Schulstube das Evangelium auslegt, sehe das gütige, traurigmilde Antlitz, die ernste klare Stirn, die träumenden Augen, und sanft spricht seine Stimme, als hauche in ihr Gottes Friede: »Merket, Kinder, was die Welt einen Schatz heißet, ist Staub und tut dem Menschen nicht anders, als daß ihm Herz wie Hand mit Staube besudelt wird. Einen andern Schatz weiset unser Heiland. Nennet ihn einen Schatz im Himmelreich, den nicht die Motten und der Rost fressen. Es ist aber selbiges Himmelreich nicht ferne von einem jeglichen, maßen ja das ewige Licht offenbaret: Inwendig in euch ist das Himmelreich! So haben wir denn in uns selber den wahren Schatz. Nicht in der Erde Tiefen wühle – lieber steige hinunter zu deines Herzens Grunde.« So mein edler Vater. O du weiser Deuter, wie närrisch ist dein Kind von deinem Worte abgefallen! Und bin doch ein Weilchen allbereits auf rechtem Wege gewesen. Die letzten Jahre, da ich als armer Eremit allhie hausete, ward mir jene Gnade, die dem Johanniskinde bei der Abendburg widerfahren soll: Die Allnatur ward mir kenntlich als meine Abendburg und hat sich magisch umgewandelt zum wundervollen Königsschlosse. »Ja, weil du reinen Herzens warst, mein Kind«, so höre ich meinen Vater in mein Sinnen hineinreden. »Aufs Herz kommt alles an; die wahre Abendburg, davon das Märlein gilt, ist das Menschenherz. Es ist verwunschen gemeiniglich, verstört vom bösen Geiste. Erlöse drum dein armes Herz, Johannes, den rauhen Felsen wandle zum Palast, in dem du König bist.« – »O Vater, wie gerne möcht ich, hilf mir nur, o Hilfe!« Und aber wähn' ich mich in der Lateinschule zu Hirschberg, lese auf Vaters Geheiß die heiligen Worte: »Du[361] sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten als dich selbst. Jesus aber sprach: Du hast recht geantwortet, tue das, so wirst du leben. Er aber wollte sich rechtfertigen und sprach: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho und fiel unter die Mörder; die zogen ihn aus und schlugen ihn und gingen davon und ließen ihn halbtot liegen ....«

Das Wimmern neben mir mahnte mich, daß nicht bloß von Jerusalem und Jericho die Rede galt, sondern daß ich hier zu dieser Stunde erweisen solle, ob ich ein töricht plappernder Heide sei oder in mir jenen Christus habe, der da verheißet: »Tue das, so wirst du leben!« Und ich wußte auf einmal: keinen andern vermeinet der Heiland als mich, wie er weiter erzählt: »Ein Samariter aber reisete und kam dahin. Und da er ihn sahe, jammerte ihn sein, ging zu ihm, verband seine Wunden und goß drein Öl und Wein und hub ihn auf sein Tier und führte ihn in die Herberge und pflegte sein.« Wiewohl das Fieber mich kalt durchschauerte, war mir im Herzen, als erblühe tief innen die lieblichste Sonne. Mein Nächster und ich sind eins! sprach es in mir, und mir war wie einem, der sich den Schlaf aus den Augen reibt und durch zerreißende Schleier die heilige Wahrheit erschaut. O Menschenkind, was ist das nur mit dir, daß du so wirr in Gottes Welt hineingeblickt hast und dich narren ließest vom Wahn, der dir die Sinne verklebte? Halte einen Stab schräg ins Wasser, so siehest du ihn gebrochen; und doch ist er das nicht; betaste ihn, so ist er ganz. Nicht anders war ich betrogen, da ich vermeinete, ich und mein Nächster seien zweierlei. Ich spüre jetzo jenen tiefen Grund, allwo die Wesen eins sind, und jener Spuk der Eigensucht, der den Menschen trennt, zerflattert im Morgenstrahl. Im Lichte lächelt das neue Reich, ich hab es gründen wollen, doch meine Mühe war umsonst, ein Irrlicht hat mich genarrt. Das Himmelreich[362] kommt nicht mit äußeren Gebärden, ein innerlich Einswerden ist es, ein Hirt und eine Herde, ein heiliger Leib, der uns zu Gliedern hat, ein durchdringend Strahlen, so in die heimlichen Herzwinkel leuchtet, eine Güte, die alles versteht und alles verzeiht, ein jauchzend Leben im Reichtum des Menschensohnes und ein Aufsteigen von einem Himmel zum noch höheren. Gleich in der Höhle hier ist eine Stufe solchen Aufstieges, hier ist die dunkle Schwelle meines Himmelreiches. Hilflos neben mir liegt mein Nächster, und sein Gott ist eben der, so in mir waltet, ich muß ihm sein der Vater im Himmel, mein Nächster ist mein Kind, mein armes, liebes.

Und mit den letzten Kräften, die ich zu sammeln vermochte, richtete ich mich auf und tastete nach dem Verwundeten. Benetzt ward mir die Hand von einer warmen Feuchte, die aus dem Lederkoller quoll; hier war die Wunde, die mußte ich stillen und kühlen. Und ich tat des Kollers Knöpfe auf und zerrte das blutgetränkte Hemd von der Brust; das Tuch, das meinen Kopf verband, nahm ich ab, goß Wasser darüber, wusch des Stöhnenden Brustwunde, preßte mein nasses Tuch darauf und knöpfte den Koller drüber. Dann kroch ich zurück zum Orte, wo ich zuvor gelegen, vermutend, außer dem Wasserkruge, den ich daselbst gefunden, könne man mir sonst noch etwas Heilsames hingetan haben. In der Tat fand ich eine Schale mit saurer Milch, auch Eier nebst Brot. Sogleich kroch ich zu meinem Nächsten zurück und flößte ihm Milch ein, dann nahm ich selber Nahrung zu mir. Doch meine Kräfte, übermäßig anstrengt, wurden hinfällig, ich streckte mich auf den harten Stein. Meine Stirn begann wieder zu schmerzen, und ich war zu matt, ihr einen neuen Verband zu machen. Zugleich fühlte ich mein inneres Himmelreich getrübt, als ob ein Wolkenschatten darüber gleite. O wehe mir, Thekla, du bist ja fort, Berthulde hat dich umgebracht. Oder war's ein Traum, daß sie es eingestanden, da ich sie zur Rede gestellt? Berthulde war doch bei mir droben in der Grotte! Sie wollte mich betören mit ihrer Liebeswut, die Räuberin,[363] die Mörderin! Sie rühmte sich, ihr Messer habe Thekla gut getroffen!

Wie ich mich in erneutem Seelenschmerze winde, seh ich auf einmal wieder meines Vaters gütig Angesicht: »Was tust du, ungestümer Johannes? Vergeben sollst du, nicht verdammen! Wenn sie gemordet hat, so wußte sie nicht, was sie tat, verblendet von demselbigen Wahn der Eigensucht, der dich selber lange verstörte. Bedenke doch auch, die Minne war's, die tolle Brunst des jungen Blutes, was der Eifersüchtigen das Meuchelmesser in die Hand gab! Minne war's zu dir, mein Sohn, und du selber hast sie ihr ins heiße Herz gepflanzt. Begreife doch! Willst du das neue Reich gründen, so mußt du verstehen und vergeben.«

Auf meines Vaters Rede folgt erneutes Stöhnen des Verwundeten neben mir, und horch, »Thekla!« ruft er. Ich schrecke zusammen. Wie kommt er zu dem Namen? Oder hat mich mein Sinn getäuscht? Hab ich selber den Namen gesprochen? Von neuem und ganz deutlich stöhnt der Mensch: »Thekla!« und wälzt sich wie gefoltert von innerer Unrast. Ich richte mich auf und taste voll Bangen nach des Mannes Haupte. Sollte es Zetteritz sein? Wahrhaftig! Er hat sein langes Haar, und hier ist der gedrehte Schnurrbart, am Kinn der Spitzbart, auch der breite Kragen. »Zetteritz, bist du es?« Ich rüttle ihn, da stöhnt und haucht er: »Ja, Johannes! Hilf mir und sage mir, wo hast du Thekla?« Nun seh ich rote Flecke tanzen, es wankt der Erde Grund ...

Wirre Gesichter trieben lange ihr dämonisch Spiel mit mir, doch ich rang mich empor aus dieser neuen Versuchung, und immer klarer ward es mir, wie nur in ihres Wahnes Nöten die Menschenkinder sich sorgen und vor Angst einander berauben, unwissend, wo der wahre Schatz zu finden. Und wie sie immer nur meinen, der Irrwisch, dem sie nachjagen, sei das Köstliche. So tat der Zetteritz, nicht anders tat auch ich.

Wie denn aber? Thekla ein Irrwisch? Nicht doch! Nur was Zetteritz von ihr erlangen wollte, war sein Irrwisch. Wie[364] aber stund es denn mit mir? War's etwa auch von mir Verblendung, daß ich mein Weib zurückbegehrte? Nicht doch, sie liebte mich ja, wie ich sie liebte; uns beide einte jenes gütige Verstehen, aus dem das göttliche Reich wie aus einem Keim erwächst. Aber ist nicht solch ein Keim auch in Zetteritz? Liebt er denn nicht denselben Engel, der mir ein Bote Gottes ist? Und kann nicht unsere Liebe zu Thekla uns beide so einig machen, daß jeder einsieht: dein Nächster bist du selbst?

Wiederum kam über mich stilles Glück. Auf Stufen klomm ich, die führten hinan zur lichten Friedenshöhe. Mir nach aber schleppte sich der matte Zetteritz. Da war Thekla auf einmal bei uns. Mit flehender Liebe sahe sie mir ins Auge, und meine Hand reichte sie dem sich anklammernden Zetteritz. Was dann geschehn, liegt mir umschleiert, daß ich die wirren Bilder nicht mehr zu deuten vermag.

Besinnung kam mir erst, als mir ein Licht ins Antlitz fiel und ich über mich gebeugt den Oheim erkannte. Auch er mußte am Kopfe eine Wunde haben, denn der war verbunden. Die Schläfen wusch er mir, feuriger Wein rann in meinen Mund. »Tobias«, lallte ich und tastete nach seiner Hand; »hilf auch dem Zetteritz! Er ist mein Nächster!«

Seitdem ward es heller in und bei mir. Ein wärmend Holzfeuer hatte Tobias angezündet, es flammte vor dem thronenden Riesenpaar, und der rote Flackerschein huschte über die rätselvollen Steingesichter. Kühle Verbände machte mir der Oheim und letzte mich mit Nahrung. Wie ich nach erquickendem Schlummer abermals bat, Zetteritz solle doch ja nicht vergessen werden, erhielt ich zu meinem Staunen die Antwort: »Der Zetteritz ist allbereits seit dreien Tagen droben in der Grotte und so genesen, daß er morgen helfen wird, dich hinaufzutragen.«

Richtig stund nach etlicher Weile neben dem Oheim Zetteritz vor mir. In seinem Angesicht, das die Laterne beleuchtete, zuckte es seltsam, als ringe ein weich Gefühl den Trutz des Mannes nieder. Herkniend ergriff er meine Hand und[365] stammelte: »Dank, Johannes, du hast mich gerettet, und ich war dein Feind. Vergib mir!« Antworten wollt ich, konnte aber nur stumm seinen Händedruck erwidern. Dann überwältigte mich erneutes Leid um jene, die uns beide widereinander gebracht, weil wir beide sie begehrten; und die wir gemeinsam nun verloren hatten. Oder war's vielleicht doch nur ein Traum gewesen, daß Berthulde sie umgebracht? Gewißheit mußt ich haben! »Ich bitte dich, Oheim, und auch dich, Zetteritz, wollet alsogleich mir Aufschluß geben über Thekla. Ist sie wirklich tot?« Beschwichtigen wollte der Oheim, Zetteritz schwieg düster, an seine Lippe die Faust gepreßt. »Ihr foltert mich«, rief ich flehend. Da seufzete schwer der Oheim: »Fasse dich! Ja, sie ist tot.« Nun erlosch meines Hoffens letztes Fünklein, nichts blieb mir übrig, als jenem heiligen Schatze nachzutrachten, den mein Vater angedeutet. Dumpf fragte ich weiter: »Wie starb sie? Ist es wahr, daß Berthulde sie umgebracht?« Traurig nickte der Oheim: »Berthulde hat es eingestanden.« – »Bringt mir Berthulden, ich muß sie sprechen!« Der Oheim wehrte mit der Hand: »Berthulde ist tot, selbst hat sie sich gerichtet, doch frage jetzo nicht weiter. Das alles ist so voller Grauen, daß du es nicht hören darfst, solange du krank. Versuche jetzo, aufzustehen, mein armer Johannes. Lege den Arm um meinen Nacken; Herr Zetteritz, wollet auf der andern Seite als Stütze dienen, recht so, vorwärts ans Tageslicht! Mach dich aber bereit, Trauriges zu schauen. Was wir unternommen haben, arg hat es sich gewandelt in diesen sechs Tagen.« – »In sechs Tagen?« staunte ich. Der Oheim versetzte: »Daß du die Wunde davontrugest, ist noch länger her. Das war ja ein paar Tage vor Johanni.« – »Und vor sechs Tagen?« forschte ich weiter – »was hat sich denn da zugetragen?« – »Da hat der Feind die Abendburg erstürmt und alles wüst gemacht.« Zusammenzuckend nahm ich meinen Arm von des Zetteritz Schulter. Er blickte trübe und sagte dumpf: »Ich tat das nicht, brauchst mir darob nicht zu grollen. Stütze dich nur[366] wieder fest auf mich, ich möchte dir vergelten, was du mir Gutes getan – wiewohl ich nicht hehle, daß ich zu deinen Feinden gehörte und damals gern getan hätte, was die andern taten.« Ich hatte wieder den Arm um seinen Nacken gelegt, schleppenden Schrittes ging es vorwärts. »Welcher Feind hat die Abendburg überwältigt, und was ist aus unsern Leuten geworden?« – »Colloredos Volk, die Besatzung des Kynast hat den Wachstein erstürmt und ist zur Abendburg heraufgedrungen, hat uns einen Tag und eine Nacht belagert und dann mit blutiger Waffe überwältigt. Alles haben sie geplündert und wüste gemacht. Haben auch drunten des Dorfes nicht geschont, wie denn mein Häusel, mein lieb Häusel niedergebrannt, mein Laboratorium zerstört ist. Beate, unsre gute Beate – vor Schrecken starb sie – der Schlag hat sie gerührt, oh!« – Und es weinte der Oheim, auch mir kamen Zähren. Nach einer Pause sprach er weiter: »Was unsere Leute betrifft, so sind die einen tot, die andern gefangen, die letzten geflüchtet. Doch laß gut sein, Johannes, uns bleibt ein Trost: Das Niedergerissene werden wir neu errichten. Diese Höhle ist geblieben, wie sie war. Niemand ist eingedrungen oder hat davon erfahren, niemand sonsten als hier der Ritter, der aber hat gelobt, verschwiegen zu sein.« Zetteritz beteuerte das aufs neue, und der Oheim meinte: »Es ist ja nur, Herr Ritter, weil wir bei den vielen Feinden, die uns erstanden sind, einen Schlupfwinkel haben möchten.« – »Ich verrate nichts«, versicherte Zetteritz. Seufzend stund ich da; doch dieser Seufzer machte leichter mein Herz. »Ich danke dir, Zetteritz, und sinnen will ich, ob ich nicht das Rechte finde für uns alle.« Wir waren an den Höhlenbach gekommen, über den die schmale Steinbrücke führt. Da wir nicht nebeneinander hinüberkonnten, ich aber allein bei meiner Schwäche in die Felsenschlucht hätte taumeln können, so trugen mich die Männer; der Oheim hielt mich um die Brust gefaßt, Zetteritz bei den Beinen. Auch durch den schmalen Gang mit der Eisentür trug man mich. Endlich[367] ging es die obersten Stufen hinauf, und in der Grotte waren wir, erschöpft sank ich auf das bereitete Mooslager.

Umherblickend vermißte ich den Ofen und alle Geräte des Laboratorii. Der Oheim deutete auf tönerne Trümmer: »Die Plünderer haben hier alles nach dem Schatz durchwühlt, den sie beim Goldmacher erwarteten.« Wie ein seltsam trauter Gruß mutete es mich an, daß an der Felsenwand meine Harfe lehnte. »Wie kommt es, daß die verschont ist?« – »Sie war nicht hier,« antwortete der Oheim, »sondern im Dorfe bei Hollmanns, wo du sie gelassen, nachdem sie bei deiner letzten Predigt ertönte. Ich habe sie gestern heraufgeholt.« – »Erkläre mir, warum die Plünderer nicht in die Höhle hinuntergedrungen sind, da sie doch hier in der Grotte waren?«

Der Oheim setzte sich zu mir: »So höre denn, Johannes! Wie ich und Dreßler gesehn, daß wir uns gegen die Belagerer nicht halten konnten, hat Dreßler gesprochen: Retten wir den Johannes! Er wenigstens muß übrigbleiben, er schafft das Gold und kann das neue Reich gründen auch ohne uns. Ich gab Dreßler recht und ging mit ihm in die Grotte, wo du in deinem Wundfieber lagest. Da hab ich dem Dreßler den Höhleneingang entdeckt, und wir haben dich hinuntergetragen, auch Nahrung mitgenommen. Bleibe du mit Johannes unten, sprach Dreßler, ich will den Stein wieder auflegen und mit Schotter verbergen. Da war ich nun mit dir, Johannes, wie lebendig begraben. Bald darauf ist der feindliche Sturm losgegangen. Hinter der verschlossenen Eisentüre hab ich das Poltern droben vernommen, zum Schusse fertig die Muskete, falls einer eindränge, und entschlossen, die Tür zu verteidigen bis zum letzten Odem. Aber sie haben unsere Höhle nicht entdeckt und sind gegangen, wie aus den öden Felsen nichts mehr zu holen war. Zwei Tage drauf hab ich gewagt, den Steindeckel hochzustemmen und ans Tageslicht zu gehen. Habe die Verwüstung erschaut und viele Erschlagene gefunden, zumeist Leute von uns; auch[368] Dreßler ist dabei gewesen. Als Kundschafter bin ich zum Hohen Stein geschlichen. Da ist mir eingefallen, daß ich ja den Höhleneingang offengelassen. Voller Angst bin ich zurückgehastet, gleich zu dir hinunter. O Heiland! Da fand ich einen Mann, der gezückten Schwertes mich anherrschte: Des Todes bist du, so du nicht sogleich gestehst, wo der Tielsch meine geraubte Braut verbirgt!« Vom Oheim, der hier innehielt, wandte ich fragend den Blick auf Zetteritz. »Ja, ich war's«, sagte er. »Nach dem Treffen mit dir, das mich meine wenigen Leute gekostet hatte, war ich deiner Spur gefolgt, um Thekla wiederzugewinnen. Bedenke, Johannes, die Liebe zu ihr trieb mich.« Ich nickte, und der Oheim fuhr fort: »Wer mir so entgegentrat, mußte mein Feind sein. Und ich brannte mein Pistol los, erhielt freilich gleich darauf einen Hieb, daß mir die Sinne schwanden. Ei ja doch, eine starke Klinge führet der Herr Zetteritz; nur war sie nicht so hurtig wie meine Kugel, an der er schier verblutet wäre, wenn du ihm nicht geholfen hättest. Ich lag derweilen betäubt vom Hieb. Wie ich zu mir kam, fand ich euch beide und habe ihm geholfen, weil du darum batest, Johannes.«

Stumm nickte Zetteritz. Ehrfurcht sprach aus seinen Augen. Sein Antlitz, matt beleuchtet vom Tageslicht, das durch den Spalt der Grottendecke kam, war bleich, die finstern Falten zwischen den Brauen, die roten Narben auf Stirn und Wange mahnten an seine Wildheit. Wüst starrten um den Knebelbart sprossende schwarze Stoppeln. In seinem Lederkoller war noch das Loch, wo des Oheims Kugel eingedrungen, und den seinen Kleidern war anzusehen, daß ihnen erst jüngst Blut ausgewaschen war. Traurig schüttelte ich den Kopf, bedenkend, wie sonderbar und gänzlich unvermutet das Schicksal unsere Lage umzuwandeln wußte. Das war nun derselbige Mensch, mit dem gemeinsam ich in die Lateinschule zu Hirschberg gegangen. Gerauft hatte ich mit ihm, da wir Union und Liga spielten, ferner auf dem Kynast in der Comoedia vom verlorenen Sohn. Vor vier Jahren[369] hielt er mich auf dem Elbkahn gefangen und ließ mich schließlich gefesselt ans Ufer werfen, um Thekla für sich allein zu behalten. Nun aber blickten wir beide einander an, ge schlagen und gedemütigt. In öder Felsenwüste hatten wir nebeneinander liegen müssen, hilflos, der eine auf den andern angewiesen. Und der ewige Grund, aus dem alles quillt, hatte es so gefügt, daß dem Verblutenden von seinem Nebenbuhler geholfen ward, und daß die Feinde ineinander den gemeinsamen Menschensohn erkannten.

Auch Zetteritz mochte dies alles bedenken, in seinem Blick war starres Staunen, kopfschüttelnd meinte er: »Seltsam bin ich verwandelt. Muß wohl verblendet gewesen sein, als ich dir feind gewesen. Was aber war's, das mich verblendet? Sie doch nicht, die ich liebte, die ich lieben werde bis zu meinem Grabe.« Und es zuckte über sein Antlitz wie verhaltenes Weinen. Auch ich blickte starr auf das Geheimnis unserer Herzen und fand nach schweigendem Sinnen die Worte: »In uns beiden lebt die eine Liebe. Wenn sie nun bisher nicht vermocht hat, uns zu einen, so muß wohl ein Störendes in ihr gewesen sein, so jeden von uns eigensüchtig vom andern abweichen ließ. Es wollte halt jeder ihm allein solle Thekla gehören, wie ein köstlich Ding, das man eigentümlich besitzt. So freilich mußte jeder des anderen Nebenbuhler sein.« – »Und jetzo?« fragte Zetteritz, die Hand auf seine Stirn gelegt, »wie kommt es, daß du mir nicht mehr Nebenbuhler bist?« – »Sie ist ja tot!« erwiderte ich mit bebender Stimme; »genommen ward sie uns beiden, entrückt von dem Schicksalsgrunde, darin wir wurzeln und weben. Verblieben ist uns eine Thekla, um die zu hadern völlig sinnlos wäre. Ihr Bildnis hat sie jedem unserer Herzen hinterlassen. Wohlan, Zetteritz, verehren wir einträchtiglich diesen heiligen Schatz.« Aufschluchzend warf sich der Kriegsmann zu meinem Lager auf die Knie und preßte mir die Hand, indem er stammelte: »Bruder!« – »Genung!« sagte da der Oheim fest, wiewohl ihm Tränen im Auge stunden. »Höret[370] auf, von Thekla zu reden. Bedenket, die Kopfwunde ist noch nicht heil.« – »Schon recht, guter Tobias«, gab ich zur Antwort; »doch Aussprache gibt mir eher Ruhe als Verschweigen. Unkenntnis foltert mich. Drum tu Bericht über alles, was sich zugetragen, vom Tag an, als ich die Abendburg verließ.« Da sahen der Oheim und Zetteritz einander an, als sei zwischen ihnen stilles Einvernehmen, und Zetteritz sprach: »Sag ihm, Tobias, was er wissen muß, mir aber wollet derweilen Urlaub geben; ich werde draußen graben.« – »Was will er graben?« fragte ich, und seufzend kam die Antwort: »Wir haben Gräber nötig.«


Wie wir beide allein waren, vernahm ich vom Oheim folgenden Bericht: »Berthulde hat durch einen Burschen, dem sie's angetan, vom Boten den Weg zu Thekla erkunden und ein Pferd stehlen lassen und ist dann in der Nacht des Festes davongaloppiert. So ist sie dir zuvorgekommen und hat dein Weib entführt, vorgebend, zu dir solle die Reise gehn. Du hast dann zu Altenau die Wunde davongetragen und bist von deinen drei übriggebliebenen Leuten heimgebracht.« – »Nur drei sind übriggeblieben?« fragte ich; »und Segebodo?« Segebodo ist mit den zwei andern in Altenau gefallen.« Nach trauervollem Schweigen bat ich den Oheim, fortzufahren, und er sprach: »Mit dir langten die Reiter am Morgen der Johannisfeier hier an. Tags zuvor schon war Berthulde gekommen ...« Angstvoll unterbrach ich den Oheim: »Hatte sie Thekla bei sich?« Düster schüttelte er das Haupt und ergriff beschwichtigend meine Hand: »Unterwegs hat die Eifersüchtige die Untat verübt – wo, weiß keiner. Aber sie hat es eingestanden, hat sich der Tat gerühmt.« Ich fuhr zusammen, als habe ich eine Viper berührt. »Ruhig, Johannes, höre weiter. Eine Hexe ist sie gewesen, des Teufels Anbeterin. Ich Blinder, der ich das nicht gleich gesehen, der ich gar die[371] Zauberin dir empfohlen habe! Nun hat sie all dies Unheil über uns gebracht. Schon das flammarische Ding hätte mich warnen sollen. Denke nur, diese Putzkeller bringen ihrem Moloch lebendige Menschen zum Opfer.« – »Woher willst du das wissen?« fragte ich. – »Woher? Hat sie denn nicht ihre heidnische Ketzerei unseren Leuten hier in den Kopf gesetzt und mit ihrem Aberglauben selbst etliche aus Schreiberhau verseucht? Hat sie nicht eine heimliche Partei gebildet, am Johannistage dem Feuergötzen Menschenopfer darzubringen? Und ist sie nicht vor meinen eigenen Augen in die Opferflamme gesprungen?« Tobend hatte der Oheim diese Worte herausgeschrien; verzerrt das Angesicht, schüttelte er die Fäuste. Wie versteinert war ich, dann murmelte ich: »In die Opferflamme gesprungen? Der flammarische Dämon hat ihr den Kopf verrückt!« Mit scheuem Raunen fuhr der Oheim fort: »Wie die Verruchte am Tage vor Johanni hier wieder auftauchte, hielt sie sich von mir zurück. Heimlich war sie beflissen, die Johannisfeier vorzubereiten, damit das Lichtreich, wie sie sagte, würdig beginne. Ihrer Kränzeljungferngilde hat sie eigne Lieder beigebracht und, in ihrer tollen Brunst für ihren König, wunderliche Anordnungen getroffen, wie man dich empfahen und wie man abends die Lichtmette begehen solle. Ihre Helferin ist ein Soldatenweib gewesen, und schier alle fremden Soldaten haben der jungen Hexe gehuldigt. Schrecken aber hat uns befallen, wie du auf einmal halbtot gebracht wurdest. Aufgekreischt hat die erblichene Berthulde, nach ihrem Herzen getastet und mit blauen Lippen gemurmelt: O wehe, da sticht mich mit seinem Stachel das Zauberding – verfallen bin ich ihm, habe ja kein Glück in der Minne! Denn es stirbt mir mein Liebster, o weh! Johannistag aber ist heut, und huldigen wollten wir dem Herrn der Berge. Gebet nun acht, ihr Leute, schauen sollet ihr, wie ich ihm huldige. Ich opfere mich für sein Lichtreich – fliege gleich dem roten Hahn hinauf zu Lichtvaters Halle – meinem Liebsten voran, der bald folgen wird. Ich hielt solche Rede[372] für Narretei, ohne zu ahnen, welch ein Vorhaben sie andeute. Berthuldens Anhänger blickten auf sie mit scheuem Staunen. Dann heischte sie, um dich zu sein und dein zu warten. Ich habe nichts dawider gehabt. Verzweifelt hat sie sich gebärdet, da du bewußtlos und röchelnd in der Balkenklause lagst. Inzwischen war das Festgetümmel im Gange, denn ein Verwundeter bekümmert wenig die Soldateska, und man wollte sich das vorbereitete Fest nicht stören lassen. Sie tranken und sangen, knöchelten und tanzten, und bald waren die Köpfe heiß. Da vernahm ich, es sei vom Soldatenweibe das Gerede aufgebracht, du liegest im Sterben, und so werde der Goldquell bald versiegt sein. Gruppen tuschelten, und ich besorgte, man sinne auf Meuterei. Wie ich nun mit Dreßler derohalben Rates pflag, meinte er, man solle das fremde Gesindel baldigst wieder abschieben, solle zu diesem Zwecke sagen, mit dem Herrn der Berge werde die Goldmacherei endigen, weil ja niemand sonsten das alchymistische Geheimnis kenne. Einstweilen freilich sei des neuen Reiches Säckel annoch gefüllt. Kaum hatte Dreßler solchen Bescheid dem Soldatenweib eröffnet, als ein Wachstein-Soldat angehastet kam und von Maiwald, der dorten das Kommando hatte, die Botschaft brachte, ein Feindeshaufe mache Miene, den Wachstein anzufallen, und es solle meine waffenfähige Mannschaft lieber das Lichtfest aufgeben und Sukkurs bringen. ›Oho!‹ schnarchten da etliche Saufkehlen, ›wir wölln uns verlustieren. Die vom Wachstein mögen sich alleine plagen. Sie gönnen uns das Feiern nicht.‹ Und dieser Meutergeist nahm überhand. Nur wenige Söldner hatten die Zucht, mir zum Wachstein zu folgen. Dorten sah es nicht so übel aus. Die Angreifer, der Besatzung Kynast angehörig, waren ohne Überlegenheit und von ihrem Angriffe mit blutigen Köpfen heimgeschickt, die Unseren hatten dabei kaum einen Schuß zu tun brauchen. Hatten, um Kraut und Lot für den Nahkampf zu sparen, auf den Feind Felsblöcke gewälzt, während er grade in enger Bachschlucht sich zusammendrängte.[373] Weiter unten im Tale sah ich – es schien mir so ...« Hier machte der Oheim eine Pause und starrte, die Stirn gerunzelt, vor sich hin. »Nun?« fragte ich beunruhigt. Der Oheim schüttelte das Haupt: »Ich habe mich wohl versehen. Aber wisse, Johannes, mir war's, als sei unter Colloredos Volk der Giacomini gewesen.« – »Wie? Unserer Schatzbeschwörung Kumpan? Das wäre schlimm! Ich habe dir wohl schon gesagt, daß er zu meinen Angebern in Prag gehörte.« – »Ich sah einen kleinen Buckligen bei den feindlichen Führern; er saß zu Pferde und blieb behutsam in der Ferne.« – »Wie dem auch sei,« sprach ich – »erzähle weiter!« Und der Oheim fuhr fort: »Zur Abendburg ging ich, für den andern Tag das Rechte zu bestellen. Da fand ich alles in Bestürzung und Rumor. Die Pest sei ausgebrochen, sagte Dreßler, während umstehende Weiber die Hände rangen. Und er führte mich abseits, indessen die Leute scheu zurückblieben. Im Tann auf dem Moose lag reglos ein Soldat. Ihm war das Wams abgezogen, daß man den nackten Oberkörper sah. Er ist unlängst verendet, sprach Dreßler, und man hat an ihm das Zeichen der Pest gefunden. Es überrieselte mich kalt, da ich auf das fahle Antlitz blickte, dem die erloschenen Augen nicht zugedrückt waren und die bläulichen Lippen voll Schaum stunden. Lassen wir ihm gleich hier sein Grab scharren, um Gold wird sich ein Totengräber finden, meinte ich. Zum Festplatze zurückgekehrt, sahen wir ältere Leute aus Schreiberhau heimziehen, wiewohl das Festin, da die Sonne unterging, erst seine Höhe erreichen sollte. Die übrigen gaben sich um so wilder dem Taumel hin. In einer Ansprache prahlte das Soldatenweib: Seid unbekümmert! Mit Pest und Feindesgefahr werden wir schon fertig. Berthulde ist Zaubers mächtig und will das Unheil durch ein Opfer beschwichtigen. Obacht! das gibt ein Schauspiel! Wir gingen nun in die Balkenklause, um nach dir zu sehen. Bei deinem Lager hockte Berthulde, du warfest dich im Fieber hin und her. Jählings aufgerichtet schriest du Berthulden an:[374] Mir aus den Augen, Mörderin! Berthulde fuhr zurück und zitterte bei der Türe, bleich und stumm. So geh doch! fuhr Dreßler sie an; du machst ihn wild! Sie rollte die Augen und stampfte mit dem Fuße: Der Meine ist er doch! Höhnisch auflachend schlüpfte sie dann zur Tür hinaus. Sie darf nicht wieder zu ihm, sagte Dreßler; wir müssen einen Mann zur Pflege bestellen. So taten wir, da wir beide andern Ortes nötig waren. Um nämlich vor dem Feinde unsern Proviant zu sichern, wollten wir unverzüglich Vieh und Vorräte vom Branntweinstein nach einem Versteck am Roten Floß schaffen. Nebst etlichen besonnenen Leuten, die wir noch auftrieben, gingen wir ans Werk. Als die Sterne längst glommen, war es getan, so daß wir zur Abendburg heimkehren durften. Schon von weitem sahen wir roten Rauch und Funken aufgehen. Man schwenkte Fackeln und rollte flammende Räder den Bergeshang hinab. Beim Felsen, nicht auf der Seite der Balkenklause, sondern auf der andern, wo er steil abfällt, loderte prasselnd ein groß Feuer, von Männern genährt mit aufgeworfenen Fichtenstämmen. Während etliche Leute, darunter das Soldatenweib, schrien, lachten und einander umhalseten, als wären sie voll und toll, schluchzeten andere und rangen die Hände, die dritten aber starrten düster oder bekundeten Abscheu. Was hat's denn? fragte ich. Da umringten mich etliche Schreiberhauer und, ganz außer sich, redeten sie auf mich ein: Der Teufel ist los! Das fremde Gesindel begeht eine Teufelsmette! Fort von hier! – Eine Teufelsmette? fragte ich. Was tun sie denn? Was ist geschehn? – Da kam die grauenvolle Antwort: Das Feuer frißt zween Menschenleiber – lebendige Menschen werden hier dem Teufel geopfert. Berthulde, die Hexe, hat vom Felsen zum Volke geredet, man solle den Lichtvater versöhnen, durch das kostbarste Opfer solle man ihn bestimmen, daß er die Pest stille und die Burg uneinnehmbar mache. Dann ist diese putzkellerische Lichtbraut in die Flammen gesprungen.«

Schwer atmend, hielt der Oheim inne. Ich war zuerst[375] wie versteinert, dann riß mich Entsetzen empor, und ich raunte heiser: »Verbrannt?« – Starren Blickes nickte der Oheim und fügte dumpf hinzu: »Das Kindlein mit ihr.« – »Wie denn? Ein Kindlein? Was für ein Kindlein?« Der Oheim wollte nicht mit der Sprache heraus, so daß ich schon besorgte, jetzo werde das Allerschrecklichste kommen. Dann aber zuckte er die Achseln und gab seufzend den Bescheid: »Es war halt ein Opferkind, so nannten es die Leute. Wem es gehörte, was weiß ich? Ein fremdes Kind, das sie auf ihrer Reise aufgelesen haben mag, die Teufelsbraut! Laß uns nicht weiter davon reden, frag auch den Zetteritz nicht danach. Ruhe tut uns allen not, Ruhe! Nun du alles erfahren, schlafe und werde bald gesund. Ich will dem Zetteritz beim Graben helfen.«

Wie Tobias gegangen war, schlug ich die Hände vor mein Antlitz und flehte zum Menschensohn in meiner Tiefe, daß er mir Kraft gebe in dieser Bitternis. Rief meines Vaters Geist herbei und beriet mit ihm, wie ich es denn nun anfangen solle, dem düstern Felsen meines Herzens seinen Abendburgschatz abzugewinnen. Erschöpft von der Seelenfolter, die mir diese Stunde beigebracht, sank ich endlich in Schlummer.

Vom leisen Eintreten des Oheims erwacht, spürte ich an meiner Erquickung, daß ich sattsam geschlafen hatte. »Gib mir zu trinken und zu essen, Oheim«, sprach ich. »Auch verlangt mich, ans Sonnenlicht zu kommen. Ich glaube wohl, ich kann alleine gehn.« Erhub mich also und trat zur Grottentür hinaus ins Freie. Ach sieh, da war keine Balkenklause mehr, am Boden lag Asche und halbverbranntes Holz. Der Anblick schnitt mir ins Herz. Dann aber hing mein Blick an der Sonne, die ob dem bläulichen Tann im goldklaren Abendhimmel glühte. Getrost! Es gab noch eine Sonne! – Zetteritz war herbeigekommen und saß nebst dem Oheim bei mir im Beerenkraut. Nachdem ich mich an der Bergwelt erquickt hatte, ließ ich das Auge über die Stätte der grausigen[376] Heimsuchung schweifen. Vom Festgetümmel und dem darauffolgenden Kampfe waren Rasen und Kraut niedergestampft. Des Burgwalles Umzäunung, die aus zugespitzten Pfählen bestund, klaffte hier und dort auseinander. Ein Aschenhaufen bezeichnete die Stätte des Opferfeuers. In Steinwurfes Weite war ein offenes Grab. »Wer soll da begraben werden?« fragte ich, und der Oheim antwortete: »Dreßler; sein Leichnam liegt im Walde. Ich glaube, es wird dir lieb sein, wenn du sein Grab in der Nähe hast. Den andern Gefallenen haben wir ein Massengrab im Walde bereitet. Neben Dreßlers Grube siehest du einen kleinen Hügel, drunter liegt, was ich vom Opferkindlein übrig fand.« Erschaudernd schwieg ich. Dann sorgte ich mich um die Schreiberhauer und fragte: »Wie ist die Lage im Dorfe? Ist es von der Pest heimgesucht?« – »Außer dem einen Pestfall,« versetzte der Oheim, »von dem ich berichtet, weiß ich nur noch von einem zweiten. Am Tage nach der Johannisfeier war's, als Colloredos Volk den Wachstein erstürmt und uns oben umzingelt hatte, da erlag ein zweiter Soldat der Seuche. Um den Leichnam zu entfernen und zugleich die Belagerer zu schrecken, haben wir ihn in eine Ochsenhaut gehüllt und den Abhang hinuntergerollt, hier, wo die Bäume niedergeschlagen sind. Den Feinden vor die Füße ist der schlimme Gast gelangt. Haben sich aber nicht abschrecken, sondern zu unverzüglichem Sturme reizen lassen und, wiewohl wir uns das erstemal gehalten haben, ist im erneuten Sturm die Feste genommen. Was aber das Dorf betrifft, so weiß ich nichts von Pesterkrankung daselbst.« – »Und wie behilft man sich im Dorfe nach der Plünderung? Hat man Proviant bewahrt?« – »Ich fürchte,« versetzte der Oheim, »mancher leidet Not, da unser Vorrat, den ich nach dem Roten Floß geschafft, vom Feinde hinweggeführt ist und die Plünderer den Hütten alles erreichbare Gut geraubt haben.« – »Aber Tobias!« sprach ich vorwurfsvoll, »da müssen wir ohne Verzug helfen!« Zu Zetteritz gewandt, fuhr ich fort: »Mit Tobias hab ich zu ratschlagen und bitte dich, für[377] ein Weilchen uns allein zu lassen.« Zetteritz ging, und ich redete hastig auf den Oheim ein: »Geh sogleich ins Dorf und gib den Leuten Gold, laß sie ins Böhmische reisen, Vieh und Korn zu kaufen. Wir wollen jetzo aus der Höhle das benötigte Gold holen.« – »Das brauchen wir nicht«, entgegnete der Oheim; »ich habe viele Münzen bei mir.« – »Gib sie hin, ans Werk!« Bevor der Oheim ging, rief er Zetteritz zurück und empfahl ihm, mir Speise und Trank zu holen. Dann setzte er sein Pistol in Schußbereitschaft und entfernte sich in der Richtung zum Hohen Stein.

Zetteritz kam nun aus der Grotte mit einem Laibe Brot und einem Kruge. »Habe zwar schon bessern Trunk getan,« sprach er lächelnd, »doch man gewöhnt sich an euern herben Beerenwein.« Er reichte mir den Krug, und ich erquickte mich. Darauf so tat er mir Bescheid: »Auf treue Brüderschaft!« Beisammen saßen wir und ließen auch das Brot uns munden. Wie das Mahl beendet war, verglomm die Sonne hinter den Iserbergen, und zugleich kam von der andern Seite ein Summen geschwommen, sanft wie ein Vogel auf reglosen Schwingen. Es war das Abendgeläut der fernen Dorfkirche. Zetteritz faltete die Hände und versank in Gebet. Wie er nach einer Weile aufseufzete, sah ich sein Auge feucht. Durch eine Bewegung seines Kopfes wies er auf den Abendstern, so zart am erblichenen Himmel schimmerte, und sprach leise: »Weißt du, an wen der Stern mich erinnert? An Thekla! Ich redete einmal mit ihr vom Abendstern.« Wie Zetteritz sinnend verstummte, bat ich ihn, weiterzuerzählen. »Aus Theklas Briefe hast du, mein Bruder Johannes, wohl bereits entnommen, daß ich oft in Thekla gedrungen bin, sie solle mein Weib werden. Dich hielten wir ja für tot, und heiß war meine Liebe zu ihr. Weil ich nun ein anhänglicher Sohn der heiligen Kirche bin, so hätte ich gern Thekla in ihren Schoß zurückgebracht. Da haben wir zuweilen mitsammen über den Glauben geredet, und von der Gottesmutter hab ich ihr gesprochen. Sintemalen ich nun als Kind von meiner guten[378] Amme vernommen, auf dem Abendstern wohne die Gottesmutter, so ist mir solches in den Sinn kommen, wie ich einmal mit Thekla diesen Stern betrachtet habe; und ich habe es ihr gesagt. Da hat sie die Frage getan, wie ich zur Gottesmutter bete, worauf ich ihr mein Ave vorgesprochen habe. Seitdem nun mahnet mich der Abendstern an Thekla, und ich bete dann zur Gottesmutter. So war's im Feldlager, und so ist es jetzo hier.« – »Willst du nicht auch mich dein Ave lehren?« fragte ich weich. Da faltete Zetteritz abermals die Hände: »Gegrüßet seist du, Maria! Bist voller Gnaden, der Herr ist mit dir, gebenedeiet ist die Frucht deines Leibes, Amen!« Verlegen lächelnd wie ein Scholar, der unzulänglich gelernt hat, fügte er hinzu: »Wie es der Priester spricht, lautet das Ave wohl etwas anders; ich hab's vergessen, ich halte mich an das, was ich kann und gewohnt bin. Die Gottesmutter, denk ich, wird es auch so gelten lassen. Sie ist voller Gnaden. Das hab ich in mancher Feldschlacht erfahren, mein Schlachtgebet war stets dies Ave.« – »Ein schön Gebet«, erwiderte ich und überdachte die Worte. Da ergriff Zetteritz meine Hand und drückte sie: »Versuche du doch auch einmal, zur Gottesmutter zu beten! Ich kann nicht reden wie ein Pfaff, doch glaube mir: nur in der wahren Kirche findest du den Stab und Halt, ohne den deine Seele in die Irre schweift. Haben dich diese Unglückstage nicht belehrt, daß du Gefahr läufst, gänzlich vom Himmel abzukommen? Hast ja nicht bloß den katholischen Glauben, sondern auch noch den evangelischen verloren. Dieweilen es unmöglich, daß der Mensch auf nichts stehe, so bleibet dem Ungläubigen, in Ermangelung kirchlichen Beistandes, nichts übrig, als selber sich ein Bildnis vom Göttlichen zu machen. Aber ach, dabei ist er auf seinen Eigenwillen angewiesen, und wunderlich webt seine Willkür, bis er sich schließlich gänzlich in Ketzerei verstrickt und in seinem Götzendienste gar auf den Teufel fällt. Laß dich warnen, Johannes, durch den Frevel, der an dieser Stätte sich ereignet hat. Die Saat des Heidentums hat ihre Giftfrucht getrieben. Wende[379] dich ab von der Bahn, die zur Teufelsmette führt. Bete zur Gottesmutter!« Er war bei diesen Worten ein Eiferer worden, doch seine Treuherzigkeit rührte mich, und ich antwortete: »Habe Dank, du meinst es gut, und still für mich will ich deine Rede prüfen, zumal mir wundersam friedevoll zumute beim Schauen des Abendsternes und bei deiner Mahnung an Thekla und die Gottesmutter. Ach, Bruder, hole mir meine Harfe! Es drängt mich, mein schweres Herz im Gesange zu erleichtern.«

Gern erfüllte er den Wunsch, ich stimmte die Saiten und griff träumerisch leise Akkorde. Den Worten vom Himmelreiche sann ich nach, die meines Vaters Geist zu mir gesprochen: Inwendig ist das Himmel reich. Ist dem so, muß alles, was frommer Glaube heilig hält, im innern Himmelreiche wohnen. Nicht auf dem Abendstern, im Menschenherzen hat die Gottesmutter ihr Heim, und hier auch suche die gebenedeiete Frucht ihres makellosen Leibes. Ja, Menschenkind, so deine Seele nicht selbst Maria wird, kannst du den Heiland nicht empfahen. In dir muß der Gottessohn geboren werden ... Und zum Klange ward dies Sinnen, heimlich fügten sich die Worte und vermählten sich mit einer alten Weise. Wie mir das neue Lied vor der Seele schwebte, sprach ich zu Zetteritz: »Nun laß mich sagen und singen, wie ich zur Gottesmutter bete, und welcher Glaube mich der wahre deucht.« Im nächtlichen Dunkel lagen die starren Wogen der Waldberge. Wie eine blumenbesäte Aue schimmerte das himmlische Gezelt von Sternen, als ich nun harfend anhub:


»Marie, Gebenedeite,

Mit Kind und Myrtenkrone,

O bleib nicht in der Weite,

Auf hehrem Sternenthrone!

Komm in dies Hüttelein

Und mir im Busen wohne!


Es hat das Reich der Himmel

Hier innen allen Raum.[380]

Daß fern im Morgenland

Mein Eden blüht, ist Traum!

Die wache Seele fand

In sich den Lebensbaum.


Sei, Seele, selber du

Die keusche Himmelsmaid,

Vom Licht aus Sternenschoß

Umflutet und umfreit,

In Minne makellos

Zur Mutterschaft geweiht.


Zu Bethlehem die Krippe

Ist jeder Herzensschrein;

Soll mich und meine Sippe

Der Gottessohn befrein,

Er muß aus Menschengrunde,

Aus mir erboren sein.«


Auf diesen Sang schwieg Zetteritz und meinte dann: »Bin ein rauher Soldat, des Geistes Geheimnisse bleiben mir verschlossen. Mir ist es am besten, wenn ich dem traue, was Gottes Kirche seit 1600 Jahren verkündet. Doch lieblich und fromm klingt deine Weise, ich danke dir. Laß mich nun eine Bitte tun. Ich vermisse meinen Rosenkranz, den ich betend noch in Händen hielt, wie ich verwundet in der Höhle lag. Er wird mir dorten entglitten sein. Ich will freilich nicht hehlen, daß ich nur mit Scheu in die Höhle zurückkehre. Indessen möcht ich doch morgen das Rosenkränzel suchen. Willst du es erlauben?« – »Mitsammen wollen wir gleich in der Frühe hinuntergehen«, entgegnete ich, »aber nun ist Schlafenszeit. Auf Tobias können wir nicht warten.« Wir begaben uns zur Grotte, und wohl tat uns das Mooslager.

Vom Schlafe fuhr ich auf, als Tobias die Laterne anzündete. Um den schnarchenden Zetteritz nicht zu stören, fragte ich leise: »Nun, Tobias, wie steht's?« – »Schlimm,« raunte er, »ich war bei Hollmann. Die Feindesgefahr ist nicht vorüber. Colloredos Volk hält den Wachstein besetzt. Mein Rat ist, daß wir uns gleich morgen von hier wegbegeben. Allerdings wähnt der Feind, das ganze Goldmachernest sei[381] ausgerottet, doch Hollmann meint, wenn mich etwan jemand gesehen habe, so könne die Abendburg leichtlich neuen Besuch erhalten.« – »Hat dich denn wer gesehen?« – »Ich glaube nicht. Doch wenn mich der gesehen hat, den ich sahe, so stehet es schlimm. Wie ich nach meinem Häusel schaue, wandelt bei den Trümmern ein fremder Mann. Mit breitem Hut, grauhaarig, in schwarzem Spaniolenmantel, dreht mir den Buckel – ja, ein Buckel war's – du errätst wohl, wen ich meine.« – »Giacomini? Also wirklich?« fragte ich bestürzt. »Er wird's gewesen sein, wiewohl ich es nicht behaupte.« – »Dann fort von hier, Tobias! Wir wollen gleich morgen zu den Iserbauden. Diese Nacht wird uns wohl niemand hier oben stören.« Der Oheim streckte sich nun gleichfalls hin, und unser Sorgen ward durch Schlummers Gnade beschwichtigt.

Als der Morgen ob den Bergen glühte, rüsteten wir uns zum Aufbruch. Tobias und Zetteritz wollten erst Dreßler bestatten. Während sie den Leichnam aus dem Walde holten, vernahm ich hinter dem Felsen ein Geräusch wie von einem abgerutschten Steine. Ich ging hin und sah etwas Dunkles in die Tannen schlüpfen. Das kann doch kein Rotwild gewesen sein? denn es war schwarz. Wie sollte aber ein Schwarzwild hierherkommen? Derweilen ich so überlegte, brachten der Oheim und Zetteritz Dreßlers Leichnam, ich ging mit zur Bestattung. Wie wir das Grab zugeschüttet und still gebetet hatten, sagte Tobias: »Vom Ritter Zetteritz vernehm ich soeben, daß er gern seinen verlorenen Rosenkranz wieder hätte. Mich dünket zwar, solch ein Ding wäre zu missen. Doch gehet nur in die Höhle hinunter, ich halte hier oben Wache.«

Nebst Zetteritz begab ich mich also in die Grotte, und wir taten die Steinplatte beiseite. Mit brennender Laterne stiegen wir in die Tiefe und kamen nicht ohne Grauen an die Stätte, wo wir etliche Tage zuvor nebeneinander mit dem Tode gerungen hatten. Gleichwohl mußten wir daselbst verweilen, denn kein Spähen machte den Rosenkranz ausfindig. Wie ich mich nun plötzlich wende, an einer andern Stelle zu[382] suchen, lauert wenige Schritte vor mir geduckt eine Gestalt, und ich erkenne Giacominis stechende Augen, das scheue, verkniffene Gesicht, die hohen Schultern, den gepichten Spitzbart. Im selben Augenblick wird auch Zetteritz des Eindringlings gewahr und hat ihn gleich bei der Gurgel. »Giacomini!« zische ich grimm; »wie kommt Er hierher?« Zetteritz schüttelt den tückischen Zwerg. »Laß ihn los!« sage ich, »er soll uns Rede stehen.« Giacomini sinkt ächzend auf die Knie: »Gnade, ihr Herren! Was hab ich denn verbrochen? Daß ich hier eingedrungen bin, gibt euch kein Recht, mich anzupacken. Erdrosselt bin ich ja schier.« – »Wie hat Er es angestellt, in die Höhle zu gelangen?« forschte ich weiter, »war denn nicht Tobias oben vor dem Eingange?« – »O freilich«, entgegnete Giacomini und erhub sich; »aber Kräuter-Tobias ist nicht dageblieben, ist nach dem Grabe gegangen, in das ihr eben eine Leiche getan habt. Ich sah alles vom Walde, und da ich zu Ihm wollte, Herr Johannes, so hab ich den Augenblick genutzt, hinter Seines Oheims Rücken in die Grotte zu schlüpfen.« – »Was untersteht sich der Schleicher?« rief Zetteritz und packte ihn von neuem an. »Gnade, ihr Herren!« heulte der Italiener, »seid nicht so streng mit einem armen Goldsucher. Oh! Johannes! sind wir nicht Kameraden? Bedenk Er doch, wie wir vor 25 Jahren mitsammen den Schatz der Abendburg heben gewollt. Was folget daraus? Ich hab ein Recht, hier zu sein; damals haben wir ja den Pakt getan, das Gold zu teilen. So geb Er mir mein Teil, Johannes, ich bitte, ich flehe! Dies Herz ist ausgedörrt vom Dürsten nach Golde. O wie hab ich gesucht und alles getan, nichts gescheut, den Schatz ausfindig zu machen. Vergebens! Betrogen hat mich mein Hoffen! Ich verschmachte, verzweifle. Rette mich, Johannes! Du kannst es, du hast den Schatz! Ja, leugne nicht! Kein Goldmacher bist du, ein Schatzgräber bist du! Und hier muß dein Gold stecken. Gib mir davon! Wo ist es, wo?« Und entschlüpft war er der Faust des Ritters. Wie eine schwarze Ratte rannte er im Felsendom[383] umher. Plötzlich der steinernen Riesen vor sich gewahr, kreischte er vor Angst, und ihm schlotterten die Knie. Dann schoß er auf die steinerne Truhe los und griff hinein. Nur Gebeine aber hatten wir darin gelassen. Mit einem Laut des Abscheus warf er weg den Fund und wollte weitersuchen. Doch wieder packte ihn Zetteritz und schob ihn vor sich her dem Ausgange zu. Anfangs sträubte sich der Italiener, dann bat er, man solle ihn loslassen, ruhig werde er ja mit uns gehen. Wir wir an den Höhlenbach kamen, wich Giacomini vor der Steinbrücke zurück. »Ich werde fallen«, sprach er furchtsam. »Ratte!« herrschte ihn Zetteritz an, »bist doch soeben herübergekommen, so mußt du auch wieder zurück.« »Seid still!« antwortete lauernden Blickes der Mensch; »schon gut, ich werde kommen, lasset mir nur Zeit, meinen Schwindel zu meistern. Zeiget mir, wie man hinüberschreitet.« – »Vorwärts, Zetteritz! Er wird schon nachkommen.« Und ich schreite mit der Laterne über die Brücke, Zetteritz folgt. Auf einmal hinter mir ein Schrei: »Schelm, verfluchter!« Und wie ich mich wende, taumelt Zetteritz in die Felsenschlucht. Im Stürzen krallt er nach Giacominis Mantel und reißt den Aufkreischenden hinter sich drein. Mir ist, als solle mein Herz stillstehen. Es beben mir die Knie, ich hebe die Arme empor und schreie ...

Wie es dann aber in mir ruft: Rette! – so raff ich mich zusammen und leuchte hinunter. Da wälzt es sich dunkel und zappelt, umspült von Wassergischt, und ächzet, dann keucht Zetteritz halberstickt: »Ratte! Zappele, schluck Wasser, krepiere!« – »Zetteritz!« ruf ich, »bist du heil?« Dumpfes Stöhnen antwortet, und es röchelt, als halte der Tod hier Ernte. Vergebens suche ich nach einer Stelle, um die Steinwand hinabzuklettern. Ein Strick fehlt mir. Her einen Strick! »Tobias! Hilfe!« Ins Felsenbett ruf ich: »Halt aus, Zetteritz, ich hole den Oheim!« Und ich eile zum Höhlenausgang.

O du scharfe Geißel des Schicksals! Wie ich ans Tageslicht komme, liegt am Fuße des Felsens Tobias in seinem Blute.[384] Ich rüttele ihn; er ist unbewußt wie ein Sterbender. Am Hinterkopf hat er die Wunde, und wie ich sie befühle, ist da eine breitgedrückte Kugel, und ich hoffe nun, das Hirn werde nicht zerrissen sein. Den Wasserkrug hol ich, wasche die Wunde, unterbinde die blutende Ader und lege um den Kopf ein nasses Tuch. Dann haste ich wieder in die Höhle hinunter. Abermals leucht ich ins Felsenbett und rufe nach Zetteritz. Keine Antwort, keine Regung. Die dunkeln Menschenleiber sind vom reißenden Wasser stromabwärts getrieben zum Felsenloche, wo es in die Tiefe strudelt. Von Angst gepeitscht, will ich eine Stange oder einen Strick ausfindig machen. Da fällt mir jene Felsenkammer ob dem Höhlenbache ein, wo wir den Goldschatz geborgen und die angewandten Werkzeuge untergebracht hatten. Ich haste hinan zur Schatzkammer und finde einen starken Strick, auch eine hölzerne Rolle zum Hochwinden. An einem Steinzacken über dem Bachloche befestige ich Strick und Rolle und gleite ins Felsenbett hinab. Die mitgenommene Laterne zeigt mir die beiden Menschenkörper vom Tode erstarrt in der Umschlingung eines wütenden Kampfes. Der starke Zetteritz hat den buckligen Zwerg erdrückt, erwürgt, ersäuft, und noch immer hält seine Faust dessen Gurgel. Giacomini aber ist mit einem Dolche dem Ritter zwischen die Rippen ins Herz gefahren. Weder am einen noch am andern zeigt sich eine Spur von Leben.

Ich trenne die aneinandergeklammerten Leichname und binde den Strick um Zetteritz. Emporgeklommen, mühe ich mich eine Weile, den schweren Mann heraufzuziehen. Von meiner Krankheit sind meine Kräfte noch schwach. Abermals begeb ich mich ins Felsenbett und schlinge den Strick um Giacomini, der ja leichter ist, den ich denn auch bald heraufbringe. Wie soll ich aber nunmehr Zetteritz holen, da doch niemand zu meinem Beistand vorhanden? Da kommt mir schauerlicher Rat, und bitter lach ich auf: »Hilf du mir, Meuchelmörder, der du dies Arge angerichtet! Hilf dein Opfer heraufziehen!« Und mit grimmer Laune führ ich den[385] Plan aus: Während Giacomini an des Strickes einem Ende befestigt bleibt, schling ich das andere Ende um Zetteritz. Wieder oben, geb ich dem Meuchelmörder einen Tritt, daß er in die Schlucht gleitet und am gestrafften Strick, der über die Rolle geht, als Gewicht schwebt. Ist seine Schwere auch nicht groß, so hilft sie doch, hinabsinkend, Zetteritz emporziehen. Wie ich Giacomini zum zweitenmal hoch gebracht habe, befällt mich Zittern, und ich muß niedersitzen, mich zu erholen. Endlich schleife ich die beiden Körper aus der Höhle ans Tageslicht. Auch jetzto find ich an ihnen weder Hauch noch Puls. Da brech ich Tannenzweige und decke mit Grün das grausige Bild.

Den Tag brachte ich nun mit des Oheims Pflege hin. Beerenwein, den ich ihm einflößte, schluckte er, und es schien um etliches besser mit ihm zu werden. Gegen Abend sank ich in Schlaf, wachte aber mitten in der Nacht auf und lag schlummerlos. Gebieterisch verlangte etwas in mir, daß ich mein Leben überdenken und Rechenschaft ablegen solle. Auch diesmal suchte mich heim ein guter Geist. Waldhäuser war's; er redete in seiner Treue: »Das liegt nun hinter dir, Johannes. Laß gut sein! Das Beste bleibt dir ja: der Schatz der Ewigkeit! Doch wisse: Willst du ihn haben, so mußt du ihn heben, mußt dein Teil dazu beitragen. Also ist einem jeglichen Menschenkinde verordnet. Denk an die wahre Alchymie und wandle deines Herzens Trachten zu Golde um. Warst bisher in dieser Kunst ein Stümper. Was dir noch fehlte, war Enttäuschung. Soll sich die Seele vom Nichtigen wenden, muß sie bitter davon enttäuscht sein. Nun hast du ja solche Bitterkeit. Eine Hölle hat dir das gleißende Metall bereitet. Drum sage dich los vom Götzen Mammon.« Ich schluchzte, Waldhäuser begütigte, mein Herz ward still und fest. »Ich folge dir, Meister«, gab ich zur Antwort, »ich sage mich los vom Schatz, will nur noch davon eine Spende an die armen Gebirgler tun, daß sie ihre zerstörten Hütten aufbauen können.« Waldhäuser hub abwehrend die Hand: »Nicht doch, Johannes![386] Hüte dich, der Habgier Gift noch fürder in deines Nächsten Herz zu säen. Hast du denn nicht am Italiener gesehn, wie der Durst nach Golde die Seele zur Hölle bereitet?« Sorgenvoll wandte ich ein: »Soll denn das Menschenkind gar keine Habe sammeln und dürftig bleiben sein Leben lang?« – »Denk an des Heilands Warnung vor dem Reichtum. Den Armen fällt es leichter, selig zu werden als jenen, so ihre Seele an den gleißenden Staub verloren.« – Ich fand noch immer keine Klarheit und meinte mutlos: »Hast du denn nicht selber Geld empfangen von deinen geheilten Patienten?« – »Freilich, mein Kind,« erwiderte Waldhäuser mit stillem Lächeln; »aber dies Geld war nicht seelenlos. Unterscheide zwischem totem Gelde und lebendigem. Eine Seele hat jedes Gut, das du erworben hast in redlicher Arbeit für Menschenwohl. Wenn du aber einen vergrabenen Schatz findest, so ist es nicht viel besser, als habest du ihn geraubt. Kein Recht hast du darauf, es fehlt ihm ja die Seele, die dein Schaffen verleiht. Schatzgräber und Goldmacher, Diebe und Räuber erstreben ungerecht Gut, wollen Macht und Lust erlangen, ohne sie zu verdienen. An solchem Gute haftet nicht Segen, sondern Fluch. Verbanne deshalb den Dämon der Abendburg, senke das Gold in unerreichbare Tiefe. Auf, Johannes! Es gilt! Deines Lebens Wende ist gekommen und die Stunde, da dir die wahre Goldmacherei gelingen soll.«


O schicksalreiches Jahr 1635! Seit deinem Johannistage hast du mir absonderlichen Anlaß gebracht, das Hinsterben der Staubgeschöpfe zu beseufzen. Bei welkenden Blumen und vergilbenden Halmen, im Birkenhain, wo schon falbe Läublein taumelten, sah ich manchen Schatten der Unterwelt, mir bekannte Menschen, vom Schnitter Tod gemäht. Und im Septembersturm, im Rauschen des geschwollenen Baches stöhnte die Losung »Vorüber!« Gedemütigt, vom Gold enttäuscht, einsam mit dem schwerverwundeten[387] Oheim hausete ich bei Gräbern und Ruinen. Mit ihrem Leben hatten die meisten meiner Freunde dafür gebüßt, daß sie mir gefolgt waren. Tot war Segebodo, tot Dreßler, tot der ganze Kern meiner Mannschaft. Verlaufen hatte sich der Rest, dem Verrate hingegeben ein Teil meiner Söldner. Tobias hatte nach hitzigem Wundfieber unter meiner Pflege zwar neue Rüstigkeit des Leibes gewonnen, doch aus dem Kopfschaden eine Schwäche des Verstandes davongetragen. Tot war der ungestüme Ritter Zetteritz, tot auch sein Mörder Giacomini. Zu Asche gebrannt die eifersüchtige Berthulde, wie auch das unschuldige Opferkindlein. Und du, meine Thekla? Warum mußtest du dem Messer der Rasenden verfallen? Keine Königin hab ich an meiner Seite; zerbrochen ist der Thron des neuen Reiches, zerstoben mein Traum von Minneglück, von Herrschermacht und gloriosen Taten. Und hilflos weiter stöhnet das arme Vaterland, blutig, zertreten ... Vorüber, vorüber!

Ach, wo sind denn nun jene Helden, einst wie Götter von mir angestaunet? Wo ist der königliche Leu aus Mitternacht, zu dessen Fahne ich geschworen? Wie ein Triumphator durch Teutschland gezogen, hat er sich bei Lützen die Mordkugel geholt. Und seine Gegner, wo sind sie? Auch Tilly, Pappenheim am Waffenhandwerk gestorben. Der reichste aller Gekrönten gar, Friedlands Herzog, so die Kurfürsten und selbst die kaiserliche Majestät von sich dependieren ließ, dieser Abgott der Soldateska, dem die Göttin Viktoria verlobt schien, dieser Cäsar, reißend wie ein Bär und listig wie ein Fuchs, – schändlich ward er umgebracht wie ein zahnloser Hund. Vorüber, vorüber! Schließlich du, mein armer Hans Ulrich – wie mag nun dein Schicksal verlaufen sein? Schreckensposten durchliefen das Gebirge. Erst raunte man, gefoltert sei der Freiherr. Dann hieß es, zu lebenslänglicher Einkerkerung sei er nach Wien transportiert. Zuverlässige Kunde war nicht herauszubringen. »Wo bleibet der Trompeterhansel?« seufzete ich. »Wenn doch der Schatz[388] der Abendburg wenigstens seinem rechtmäßigen Eigentümer, dem Grundherrn, ein Gutes brächte, ihm zur Flucht aus dem Kerker verhelfend! Sollte denn nicht ein einziger Segen vom Golde ausgehen können?« – Seltsam, es kam und kam kein Trompeterhansel, selbst kein Gerücht über ihn.

Einmal im Regensturm, als mir beim Stöhnen des Waldes die allgemeine Vergänglichkeit das Herz abdrücken wollte, war es mir, als trabe durch den Nebel ein Reiter daher. Doch war's nur Spuk; eine schwarze Krähe flog vorbei, und im Bache polterte hohl ein losgerissener Stein.


Im Regengeprassel, im Windesrauschen –

Vorüber, vorüber –

Immer dem einen nur muß ich lauschen:

Vorüber!


Wie düstere Pilger die Wolken ziehn

Vorüber, vorüber.

Wirbelnd des Waldbachs Wellen fliehn

Vorüber.


Aus kahlen Wipfeln hör ich es stöhnen:

Vorüber, vorüber!

Schaurig ein Echo im Herzen höhnen:

Vorüber!


Da hab ich gehastet, hoffend geharrt –

Vorüber, vorüber!

Fiebertraum hat mich gehetzt und genarrt.

Vorüber!


Wie Wasserwirbel mein Leben zerstieben,

Vorüber, vorüber.

Treu ist mir nur das eine geblieben:

Vorüber.


Hei, meine Geschwister Regen und Wind,

Vorüber, Vorüber!

Bin ja wie ihr des Irrwahns Kind –

Vorüber!


Einen Reiter seh ich in Wolken traben;

Bist du's, Vorüber?

Den hagern Rappen umflattert von Raben –

Vorüber.
[389]

Nun, dunkler Ritter, willkommen, Tröster,

Du herbes Vorüber!

Mich dünkt, ich werde noch dein Erlöster,

Vorüber.


Wir stürmen ein Weilchen noch um die Wette,

Vorüber, vorüber –

Und trotten zuletzt an ein friedlich Bette –

Vorüber.


Da wirst du die Morgenfanfare blasen,

Mein Heiland Vorüber:

»Träumer, nun ist dein Reiten und Rasen

Vorüber.


Nur immer ins Weite langte dein Hasten:

Vorüber, vorüber!

So ward dein Leben ein einzig Fasten –

Vorüber.


Was du im Weiten nicht fandest, die Ruhe –

Vorüber, vorüber –

Hat Raum genung in der schwarzen Truhe.

Vorüber!«


Als ich am Sonntagmorgen zur Stelle kam, wo ich zuvor meine Predigten gehalten hatte, fand ich die Leute um einen Mann gedrängt. Ich erschrak; denn das war der Trompeterhansel und war's auch wieder nicht. Dem feurigen Reiter von früher glich er nicht anders als dürres, halbverbranntes Holz dem grünen Eichbaum. Erloschen waren ihm die Augen, ausgehöhlt und fahl die Wangen, schwach alle Glieder, zerlumpt die Kleider. Auf dem Steine blieb er sitzen, als ich in den geöffneten Kreis der Leute trat, bot mir trüben Blickes die Hand und brachte kaum die Worte hervor: »Ich kann halt nichts dafür ...«. In Weinen brach er aus, und ich fragte die Leute: »Was ist geschehen?«–»Enthauptet – enthauptet – haben sie unsern gnäidgen Herrn«, lautete eines Schreiberhauers Antwort. Der Trompeterhans nickte, es bebeten seine Lippen, und nachdem er etliche Fassung errungen, kam unter Ächzen und Husten folgender Bericht heraus: »Meine Brust ist krank – es verschlägt mir[390] den Odem – eine Kugel sitzt innen. Wegelagerer haben sie mir zwischen die Rippen gejagt, die feigen Schelme! Vor Regensburg war's, dicht an meinem Ziele mußt ich einbüßen, womit ich unsern Herrn hätte retten können. Ausgeraubt haben mich die Mausköpfe, daß ich halbtot und splitternackt im Walde gelegen bin. Endlich las mich ein reisender Edelmann auf, führte mich im Wagen nach der Stadt und ließ mich von seinem Arzte kurieren – soweit die Kur meiner zerfetzten Lunge noch angedeihen konnte. Da mein Wohltäter, begütert in Polonien, nicht zu den Parteigängern des Wiener Hofes gehörte, durfte ich ihm anvertrauen, daß ich des Herrn Schaffgotsch Befreiung habe betreiben wollen. Braver Diener, sagte der Polnische, als ich vom Krankenbette aufgestanden war – zwar nicht zur Befreiung des Gefangenen mag ich Ihm verhelfen, doch dazu, daß er Seinen armen Herrn ein letztes Mal sehen und sprechen kann. Dahin gehet auch der Wunsch des Herrn Schaffgotsch, den ich heimlich habe informieren lassen. Eile aber tut not, denn schon zimmern sie am Blutgerüst. – Ich erschrak und konnte nicht fassen, wie es so weit habe kommen können. – Ach ja, guter Trompeter – sprach der Polnische – die Wiener Politici brauchen einen gerichteten Anhänger der Friedländischen Partei, um den Meuchelmord zu Eger als eine Vollstreckung Rechtens erscheinen zu lassen. Den höfischen Tonangebern gefügig, hat nun das Kriegsgericht Herrn Schaffgotsch für schuldig erklärt, durch Verschwörung mit dem Friedländer Sedition begangen und die Kaiserliche Majestät hochverräterisch verletzt zu haben. Das Haupt vor die Füße wollen sie ihm legen und warten nur noch die kaiserliche Bestätigung des Todesurtels ab, so stündlich aus Wien eintreffen kann. – Als mir diese Schreckenskunde kam, schrieb man bereits Mitte Julii, meine Kräfte aber waren so gering, daß ich mich kaum fortschleppen konnte. Wenige Tage darauf besuchte mich Wegerer, des gnädigen Herrn Kammerdiener, der treue Konstantin. Gramvoll drückte[391] er meine Hand und konnte zuerst kein ander Wörtlein herausbringen als immer nur: Trompeterhansel – es ist aus! – Dann vernahm ich, wie abscheulich sie dem armen Herrn mitgespielt hatten. Sein Gefängnis war ein Stübel im Rathause, bewacht von zwei Dutzend Mann. Unten in der Erden aber war ein Gewölb, dessen Bekanntschaft dem Gefangenen nicht erspart geblieben. Ihr starret mich an – ja, Leute, gefoltert – gefoltert haben sie den edeln Schaffgotsch – haben ihm die Wippe beigebracht – zentnerschwere Steine an seine Füße gebunden und ihn mit einem Strick an den Armen hochgewunden, daß die Gelenke krachten. Dabei hat ihn ein Auditor der Obstination geziehen, weiterer Ungelegenheiten gewarnt und der Wahrheit erinnert. Ihr Schelme! hat unser Herr geschrien – habet mich bereits verurteilt – und hinterher erst wollet ihr die Wahrheit herausbringen? Oder vielmehr den Schein eurer Gerechtigkeit, da sie selber euch fehlet, soll ich euch geben, ihr henkermäßigen Erpresser! Wie darf man einem schon Verurteilten noch die Tortur applizieren? Schande über solchen Bruch des Rechtes! – Hierauf so hat der Auditor mit der Tortur innehalten lassen und diese feige, saumäßig rechtsverdreherische Ausflucht ergriffen: Mein Herr Schaffgotsch tuet ihm selbsten unrecht, weil er nicht alle näheren Umstände seiner Missetat frei heraussaget und folglich Ursach gibt, daß man also strenge mit ihm prozedieren muß. Vermeinet vielleicht, durch Verschwiegenheit den guten Namen der Seinigen zu erhalten. Aber der Herr muß wissen, daß nicht allein Mutmaßungen, sondern Beweise für seine Schuld vorliegen. Darum ist er auch zum Tode verurteilt. Was aber diese Tortur betrifft, so soll sie Ihn zu mehrerer Heraussagung der Umstände und der Mitschuldigen anhalten. Befugt zur peinlichen Befragung ist das hohe Gericht, weil ein zum Tode Verurteilter bar des Rechtes ist, das nur Lebendigen zukommt. Drum mag der Henker mit Euer Gnaden verfahren wie mit einer toten Kreatur. Ihr seid so gut wie ein Leichnam ...«[392]

»Höllenhunde!« schrie bei diesen Worten des Trompeterhans ein alter Schreiberhauer, und es jammerte, stöhnete, grollte die ganze Gemeinde.

Nach einem keuchenden Husten fuhr der Erzähler fort: »Ja, Höllenhunde, teuflische Pharisäer sind sie alle, so auf den Wink der Pfaffen und Hofschranzen zu Regensburg das Recht verfälscht haben. So hat denn die Tortur ihren Fortgang genommen, und eilf Fragepunkte hat man dem Gefolterten vorgehalten. Der aber hat anfangs nur immer geschrien: Schelme! Ist dann in Stöhnen verfallen und hat schließlich Antworten gegeben – als zum Exempel: Nein! Ich weiß nichts! Nicht doch! Ist nicht wahr! Ein einzig Mal ist er konfuse worden und hat gestammelt: Ja doch, ich will alles sagen – haltet ein! Wie aber dann der Auditor gesprochen: So bekennet, Herr Schaffgotsch, – hat die Antwort gelautet: Tintenfresser! Ich bin kein Herr mehr und bin kein Schaffgotsch mehr – ein Kadaver bin ich, den die Aasgeier zerfleischen – nehmet mir nun endlich meinen letzten Odem – je eher, je lieber – ich mag euch nimmer sehen, ihr Teufelslarven! ... Da nun die Tortur schon drei Stunden gedauert und trotz aller Kunst des Scharfrichters nichts Neues effektuiert hatte, so wurden auf des Auditors Wink dem Opfer die Bande gelöst und die übel zugerichteten Gliedmaßen wieder eingerenket. Den Halbentblößten, der sich nicht aufrecht halten konnte, trugen sie in sein Gefängnis, wo er dem wehklagenden Konstantin die Worte zurief: Sieh, wie die Schinderknechte mich armen Wurm für meine dem Vaterlande geleisteten Dienste zugerichtet haben! Mit Begier, ohne die Arme heben zu können, trank er dargereichtes Bier. Drei Wochen hat er die vom Scharfrichter gelieferten Salben brauchen müssen, bis endlich die Glieder wieder geschmeidiger waren und brauchbar zum allerletzten Gang. Drei Abgesandte des Kriegsgerichts traten ins Stübel und machten Komplimente, Exzellenz hin, Exzellenz her, ohne Worte für ihren traurigen Auftrag zu finden. Bis der edle[393] Herr, ihres Kommens Ziel erratend, ihnen entgegenkam. Lieben Herren – meine Exzellenz ist mir mit Gewalt genommen, und ihr möget euren Auftrag nur geradeheraus sagen. Ich weiß ohnedies, daß mein Blut längst eingeschenket und nur noch ausgetrunken werden soll. Darauf haben sich die Offiziere ihrer Person halber entschuldiget und endlich ihm auf kaiserlichen Befehl das Leben abgesagt. Nun, o Wunder, hat des Herrn Antlitz gestrahlt. Welch angenehme Post! so lautete seine sanfte Antwort. Wahrlich, so süß euch das Leben ist, mir ist es wie Galle, seit mich der Kaiser für meine Dienste also traktieren lassen. O balde, balde möcht ich mich scheiden vom Gelüsten und Hasten dieser eitlen, falschen Welt. Aus enttäuschtem Herzen quillet ein himmlisch Verlangen, alles Unreine hinwegspülend, bis sich am Menschenkinde das Wort erfüllt, so der Heiland bei Jakobs Brunnen gesprochen: Wer das Wasser trinket, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm gebe, wird in ihm ein Brunnen ewigen Lebens. – Hierauf hat ein Offizier die Hände gefaltet und die Worte der Samariterin wiederholt: Herr, gib mir dasselbe Wasser! Der Auditor war auch dabei und meinte herablassend: Kaiserliche Gnade wird erlauben, daß die Hinrichtung hier auf dem Zimmer stattfinde. – Nicht doch! entgegnete aufrecht unser Herr. Mein Gewissen ist nicht scheu, und ich will nach meiner Lebensart lieber unter Gottes Himmel vor aller Welt sterben, als im Winkel abgetan werden. Für mich und die Meinen ist mein Tod keine Schande. – Siehe, da stunden die Richter gleich armen Sündern, spürend, daß sie es wirklich waren. Nun stellten sich auch Jesuiter ein, um noch einmal ihren Bekehrungseifer anzuwenden. Lasset gut sein, Patres, sprach Herr Schaffgotsch. Daß ich euch wiederholt das Ohr geliehen, ist nur zu meiner Unterhaltung geschehen. Nun ich mich ernsthaft um die Himmelsreise zu bekümmern habe, soll mich allein jenes Wort geleiten, so im Anfang bei Gott war und[394] das Licht der Menschen geworden. Hiermit legte er die Hand auf die offene Bibel Lutheri und tat einen Blick auf die Seligmacher, daß sie die Augen niederschlugen und mürrisch gingen. Einer aber sagte auf Latein: Halsstarrigkeit ist nicht die letzte Ursach seines Todes. – Mit seinem Junker Melchior und dem treuen Konstantin allein, besprach unser guter Herr, was noch zu ordnen war. Ließ einen schwarzen Sarg bestellen, für seine hohe Gestalt geräumig. Dem Scharfrichter ward nebst einem Geldgeschenk der Auftrag, einen Schemel bereitzuhalten und dem Sitzenden den Todesstreich unverzagt und getrost beizubringen. Um seinem Heiland eine nüchterne Seele zuzuführen, nahm Hans Ulrich bis zu seiner Hinrichtung nur ein paar Bissen in Bier getauchten Brotes zu sich. Die Nacht brachte er in Andacht zu, sowie mit Schreiben der Valetbriefe an seine Kinder, Verwandtschaft und Freundschaft. Der nächste Tag war ein Sonntag, und da ist es mir gelungen, im Talar eines evangelischen Geistlichen zu unserm lieben Herrn zu gelangen. Bleich und zergrämt sah er aus, doch aufrecht und manchmal wie ein Verklärter. Willkommen, guter Trompeterhans, hat er lieblichen Mundes gesprochen, – ach, wie schade, daß dir die Mausköpfe so übel mitgespielt haben! Ihr Schreiberhauer habet es gut gemeint, daß ihr mich befreien gewollt. Doch ich wäre nicht aus dem Gefängnis entwichen, selbst wenn du mit dem vielen Gelde meine Wächter ihrer Pflicht abspenstig gemacht hättest. Soll ich denn umsonst gelitten haben? Nein, es hat mir mein bitter Leiden die Gewißheit eingebracht, daß es sich nicht verlohnet, ein verdorben Erdenleben auf unrechte Weise festhalten zu wollen und darob das ewige Gut zu verabsäumen. Denn so spricht der Heiland: Wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinet- und des Evangelii willen, der wird es behalten. Sage dem Tielsch-Johannes, dessen ich mich gern erinnere: ich danke ihm für seinen guten Willen, und er solle nur immer so tun, wie damals auf dem Kynast, da er in der Scholarenkomödia[395] als Herrgott, in die Hölle gefallen, dem Teufel das Leder gerbte. Mag er fortfahren, den guten Schreiberhauern beizustehn und dem Vaterlande. Doch soll sich der Goldmacher hüten, wie des Aesopi Hund, nach einem Schatten schnappend, das Fleisch der Weisheit aus dem Maul zu verlieren. Gold ist verderblich, Gunst der Menschen launisch, irdische Macht wankend, nur Wahrheit und Liebe besteht in Ewigkeit ...«

Diese Mahnung des gottseligen Märtyrers, mir überbracht durch einen zweiten Zeugen irdischer Vergänglichkeit, erschütterte mich bis ins Mark, wie ein Posaunenstoß vom Jüngsten Gericht. Ich schluchzete auf und hätte sogleich auf mein Angesicht niederfallen und meine Sünde wider die heilige Wahrheit bekennen mögen. Doch schien es mir angebracht, zu warten, bis der Trompeterhans seinen Bericht zu Ende getan.

Und er fuhr fort: »Kurz war meine Unterredung mit dem edeln Herrn, und ich merkete wohl, daß ihm meine geistliche Verkleidung unlieb. Er betrauete mich mit einem mündlichen Valet für seine Kinder und Freunde. Briefe und Andenken werde sein Hofjunker überbringen. Dann mußte ich aus dem Stübel, weil Herr Prediger Lentzius zum Gottesdienst und Abendmahl erwartet wurde. Ich blieb jedoch im Rathause. Was nun für hochwichtige Worte zwischen Herrn Schaffgotsch und seinem Beichtvater gefallen, hat dieser beschlossen, mit in die Grube zu nehmen. Bei der Kommunion war die Tür zum Korridor offen, so daß die Diener nebst dem protestantischen Teile der Wache kniend bei Gesang und Gebet mittun konnten. Geschahe nicht ohne Vergießung reichlicher Tränen. Habe mein Lebenlang keinen Menschen in dergleichen Andacht und ehrerbietigen Sitten am Tische des Herrn gesehn. Andern Morgens, es war der Hinrichtungstag, wagte ich mich abermals ins Rathaus. Konstantin berichtete, der Herr habe festen Schlaf gehabt, gar geschnarchet und beim Erwachen den Sonnenstrahl mit dem Wunsche[396] begrüßt: Gebe mir mein Heiland nach diesem Lichte das ewige Licht! Bald tat sich uns Besuchern die Türe auf, und lächelnd stund da unser geliebter Herre in schwarzen Unterkleidern, gespornten Reiterstiefeln, einem Koller von Elenshaut mit schwarzen Atlasärmeln, weißem Spitzenkragen, Federhut und gelben Handschuhen. Er küßte den erschienenen Predigern die Hand, segnete seine weinenden Getreuen und nickte mir freundlich zu. Da inzwischen der Oberstfeldprofoß mit seinen Knechten die im Stübel vorhandenen Teppiche und Utensilien aufräumte, sprach unser Herr gütig: Nehmet alles hin; doch die Bücher gehören den evangelischen Geistlichen. Hierauf folgte er dem Profossen in den Rathaussaal, wo der gesamte Regensburger Rat mit tiefen Komplimenten dem Freiherrn die Reverenz machte. Der nun gab allen die Hand und bedankte sich dafür, daß sie ihm an ihrer Dreifaltigkeitskirche eine letzte Ruhestatt vergönnen wollten. Sobald er aus dem Rathause ins Freie trat, hub die zahlreich zusammengeströmte Menge zu schluchzen an, und viele sagten: Ach, welch schöner, hoher, lieber Herre! Von solchem Mitgefühl, das aus selbstlosen Herzen ungewöhnlich herfürbrach, war Hans Ulrich gerührt. Er stieg nun in die schlechte, elende Karosse, mit sechs Schimmeln bespannt. Vorreiter war der Feldprofoß, und als einziger Diener, dem dies vom Kriegsgerichte verstattet worden, ging nebenher der treue Konstantin. Wo unterwegs aus den Fenstern Frauen oder Jungfern heraussahen, zog der ritterliche Herr seinen Hut. Ist so frei im Wagen gesessen, als ging es zum Tanze, nach den Fenstern winkend und lächelnd. Vor dem Gasthause zum goldnen Kreuz hat der Wagen gehalten, weil innen im Saale das Kriegsgericht zur Verlesung des Todesurtels versammelt war. Wie nun General Götz den Vorwurf des Verrats und Eidbruches aussprach, verließ unsern Herrn seine Ruhe, daß er sich auf die Brust schlug und mit erhobenen Schwurfingern aufbrausete: Das leugest du, Götz; am Tage der Auferstehung zitiere ich dich[397] und manchen andern vor das Jüngste Gericht. Nicht schuldig dessen bin ich, was ihr mir zur Last leget! – Der erblichene Götz mußte sich erst sammeln, um fortfahren zu können, daß der Beklagte kaiserlichen Pardons nicht fähig, sondern Ihrer Majestät mit Ehr, Leib und Gut heimgefallen sei, dessenwegen er als ein abscheulich warnend Exempel dem Freimann überantwortet werde, um vom Leben zum Tode zu gelangen, und zwar mittelst des Schwertes derart, daß der Kopf der kleine, der Leib der größere Teil bleibe. Was aber die zuerkannte Abschlagung der Schwurhand betreffe, so sei diese ihm durch kaiserliche Gnade erlassen. – Nicht ohne einen Anflug von Spott hat sich Hans Ulrich geneiget. Dann hat er die Frage getan: Ist es wahr, daß der Platz meiner Hinrichtung die Heide geheißen? Wie Götz dies bestätigte, lächelte unser Herr wehmütig: Also soll ich doch auf grüner Heiden mein Leben lassen. Habe mir oft gewünscht, mein Herzblut dorten zu vergießen, wo ein Kriegsmann hingehört. Furcht vor dem Tode hat mich nie angewandelt, obwohl er mir oft so nahe, daß ich ihn mit dem Finger konnt erreichen. Allerdings sterb ich auf grüner Heiden am kalten Eisen. Doch stirbt es sich auf jede Weise wohl, so man bereit, vor Gottes Angesicht zu treten. – Hier tat ein Oberster einen tiefen Seufzer und meinte: Herr Schaffgotsch machet, daß wir bald mitsterben möchten. – Da sei Gott vor! antwortete unser Herr. Vielmehr möget ihr alle lange leben und, falls es gestorben sein soll, im heißen Kampfe fallen fürs Vaterland. Bis dahin gehabt euch wohl, Kameraden! Ist Zeit, daß ich mich auf jenen Weg begebe, den man nimmer zurückgehen kann. – Wie nun unser Herr vom versammelten Kriegsgericht Urlaub genommen und den Saal verlassen hatte, stunden bei der Treppe zween Jesuiter und baten ihn um des Jüngsten Gerichtes willen, seine Seele nicht so halsstarrig dem Teufel zuzuführen. Ich habe meine Seele schon versorgt, antwortete Hans Ulrich; möchtet ihr dem Jüngsten Tag vertrauensvoll entgegensehen wie ich! Da[398] aber die Pfaffen weiter zudringlich waren, schlug er mit den Händen hinter sich, wie man Mücken scheuchet. Vor dem Gasthause begrüßte die Wache den heraustretenden ehemaligen General unter Gewehr, mit Trommelwirbel, die Offiziere den Degen gesenkt. Erfreut dankte der Geehrte und versicherte, er sterbe als redlicher Soldat. Von hier gings im Wagen zur Heide, wo das Blutgerüst war, von zwei Fähnlein umzingelt; und unter Schwenken der Standarten wirbelten die Trommeln, daß man sein eigen Wort nicht hätte verstehen können. Voll Todesmut stieg Hans Ulrich die Treppe zum Schafott empor, gefolgt vom Profossen und dem treuen Konstantin. Dieser nahm seinem Herrn hurtig den Halskragen ab und band ihm das Haar mit einem weißen Tuche in die Höhe, daß der Nacken frei war. Nun faltete unser guter gnädiger Herr zum allerletzten Gebet die Hände und setzte sich fest und gerade auf den Schemel. So will ich denn diesen Leib verlassen und dies arme Leben; Dir zu eigen geb ich meine Seele, gnädiger Herr Gott – sprach er mit fester Stimme, wie hinterher der treue Konstantin berichtet hat. Dann auf einmal stund hinter ihm der schwarzgekleidete Scharfrichter. Von rückwärts war er hinzugetreten, ließ nun den roten übers Schwert gebreiteten Mantel fallen, schwang es – ich sehe es noch in der Sonne blitzen, – und im Nu war der Streich verrichtet.«

Die Hand über die Augen gelegt, hielt der Trompeterhans inne – und ein einziger dumpfer Seufzer entrang sich den Zuhörern – wie die Bäume zusammenstöhnen, wann der Herbstwind sie ergreift. Männer schlugen die Hände vors Angesicht und schauderten, das Weibsvolk schluchzete. Der Trompeterhans aber raffte sich auf, um noch das Letzte zu berichten, und sprach leise unter Kopfnicken: »Ein glücklicher Streich! Wie ein Springbrunnen schoß das Blut, und zu Boden rollte der Kopf, auf dem der Hut noch saß. Der Körper aber blieb fest auf dem[399] Schemel sitzen, damit er noch auf diese Weise künde, von welchem Geiste er bewohnt gewesen. Konstantin nahm das blutige Haupt, küßte die Stirn und wickelte es in ein schwarzes Tuch. Die anderen Diener traten herzu und betteten die Leiche in den bereitstehenden Sarg, unabgewaschen und ohne daß der Kopf angenähet worden. Legten auch das blutbefleckte schwarze Tuch sowie den Degen hinein. Dies hatte Herr Schaffgotsch ausdrücklich befohlen; so wie er zugerichtet war, wollte er am Jüngsten Tage dem Kaiser unter Christi Augen genübertreten. Und ohne Zweifel, dieser edle Herr, ein vaterländischer Märtyrer, verdient mit Gottes Gnade das ewige Leben.«

Nach dieser Rede sank der Trompeterhans erschöpft zurück und war ächzend an einen Baumstamm gelehnt. »Amen!« murmelten die Zuhörer, und es weinten selbst Männer.

Nun sahe ich das Stündlein zu meiner Beichte und Buße gekommen, faßte mich und sprach: »Ich danke dir, guter Trompeterhansel, für die Treue, so du unserm Grundherrn gezollt hast, und ich bedaure nur, daß dir aus unserm Unternehmen ein schwerer Leibesschaden kam. Das Gold, davon ich dir mitgegeben, war dein Unglück. O wie wahr hat unser verklärter Herr Schaffgotsch gesprochen, da er mich warnete vor dem Golde. Es verdirbet die Seele, indem es vom wesentlichen Gute abziehet und auf nichtswürdige Dinge lenkt. Wäre mir doch eher solch Einsehen gekommen! Doch es muß wohl sein: nicht eher wird das Kind klug, als bis es, vom Glanz des Feuers betrogen, hineingegriffen und sich die Finger verbrannt hat. Nun hat mich der Schaden kuriert und mir ein Wahrheitslicht angezündet. Das soll nicht unterm Scheffel stehen. So vernehmet, ihr Leute, mein Bekenntnis. Ich hab euch zuvor gesagt, ich könne Gold machen. Das ist nicht wahr gewesen. Mein vorgebrachtes Gold war in der Erde gefunden, ein alter Schatz der Iserberge, eigentlich also unserm Grundherrn gehörig. Daß ich mich für einen Alchymisten[400] ausgab, geschah, um mich wichtig zu machen und euer Führer zu bleiben. Allerdings war mein Trachten ohne Selbstsucht – euch nämlich wollt ich helfen, eine Beste zur Abwehr des Feindes wollt ich bauen, und nur deshalb Herr der Berge sein, weil ich mich zum Anführer berufen fühlte. Ein Tor freilich war ich, weil ich die Mittel falsch wählte. Mit Golde hab ich Menschen habgierig gemacht und zu Trug, Raub und Mord angereizt. Wer Wind säet, wird Sturm ernten. Was ich erreichen gewollt, ist kläglich mißlungen. Zusammengebrochen ist die Goldburg, und es haben die stürzenden Trümmer manchen von uns begraben, auch friedliche Hütten zerschmettert. Ich bin daran mitschuldig. Ich bekenne, bekenne! Und bitten tu' ich reuevoll: Vergebet mir!«

Zuerst war alles starr, Augen und Mund rissen sie auf. Dann sah ich finstere Blicke auf mich gerichte. Noch schwieg die Gemeinde. Dann murmelten die Leute mit einander, immer unwilliger. Schließlich kam ein bitter Auflachen, und Maiwald höhnte: »Das also war dein Lichtreich, Johannes! Mich hast du gescholten, weil ich Beute gemacht, in offenem Kampfe dem Feinde was abgenommen und es der Gemeinde geben gewollt. Du aber eignest dir heimlich einen Schatz an, Gold aus unsern Bergen, und statt mit uns zu teilen, legst du deine Hand darauf und wirst ein Lügner, ein Großsprecher. Als Goldmacher blähest du dich auf, um unser König zu sein. Ei ja doch! Und nun du den Karren in den Dreck geschoben, flennest du: Vergebet mir! Was haben wir davon, daß du bereuest, und daß wir vergeben? Wer bauet unsere Hütten wieder auf? Wer schafft uns Vieh und Getreide? Her mit deinem Golde! Wo ist es? Her damit!« – »Ja, her damit! Entschädige uns!« riefen rauh die anderen. Meine Demut war in Gefahr, in einem Aufbrausen unterzugehen, mein Odem stürmte. Doch die Hand auf die Brust gepreßt, sprach ich heimlich zu mir selber: »Stille! Recht geschiehet dir, auch wo Unrecht dich geißelt.« Ich zog meinen[401] schmalen Geldbeutel und sprach: »Was ich zu eurer Entschädigung bieten kann, ist dies wenige – drei Dukaten, ererbt von meinen Eltern ...«. Höhnisch lachte Maiwald. Ich aber sah ihm frei ins Auge und fuhr fort: »Lache nicht, habe Achtung vor diesen Münzen! Mit Kreuzlein sind sie bezeichnet, weil sie, von meinen Eltern in ehrbarer Arbeit erworben und für den Sohn aufbewahrt, nichts gemein haben mit dem gottlosen Mammon. Nimm das gute Geld für die Gemeinde, Maiwald! Vor dem ausgegrabenen Schatz aber behüte euch hinfürder der Himmel. Versteckt liegt er, daß ihn kein Mensch mehr findet. Machet keine langen Gesichter! Lasset uns keine Toren mehr sein! Wie denn? Jenes Gift, das so viele Opfer gefordert hat und meine Eingeweide abscheulich grimmen macht, soll ich das wie Zuckerbrot an euch austeilen? Lasset mich zufrieden, da ich nun endlich euer Heil im Auge habe. Und wehe euch, so ihr nach dem Schatz Gelüsten traget! Ich verfluche das Gold. Zu den Dämonen der Tiefe ist es versenkt, und wer ihm nahet, soll das Grauen der Hölle kosten.«

Solche Einschüchterung – Gott sei's geklagt – wirkte mehr, als selbst der weise Salomon durch Predigt hätte ausrichten können. Scheu glotzten mich alle an und schwiegen. Hierauf legte ich den Beutel mit den drei Dukaten hin, tat einen tiefen Seufzer und ging. Man schimpfte hinter mir her, ich nahm es ruhig hin und hörte bald nur die guten Waldbäume summen. Und wie früh Morgens durch schwindende Flore der Nacht immer holder und farbiger die Blüten der Erde schimmern, so kam aus all dem Trüben, das mich umschleiert hielt, nunmehr ein sacht Grüßen, als ob unschuldige Kindlein mich anlächelten. Und da ich beim Abendburgfelsen einsam war, strahlte rings die Welt so rein, als gäb es keine Schuld. Wie ein Freiersmann kam ich mir vor, der nach nächtlichem Irren endlich sich heimgefunden hat zur Braut.
[402]

Ein Wandrer tappt in Nacht und Dünsten;

Wonach er suchte, wußt er nicht,

Da hat verlockt mit Gaukelkünsten

Zu Sümpfen ihn ein Flackerlicht.

Er taumelte hinein und hielt den Rausch der Sinne

Für benedeite Minne.


Und falsche Schätze sah er strahlen,

War allen Leibeslüsten hold,

Vernahm mit Gier der Großen Prahlen

Und griff nach Purpur, Lorbeer, Gold.

Er rang und raufte drum, im wirren Fiebertraum,

Doch seine Hand griff Schaum.


Wach auf, Genarrter! Herold Morgen

Macht alle Nachtgespenster fliehn.

Von Bergeseinsamkeit geborgen,

Im heilgen Lichtstrom darfst du knien.

Gib hin die dumpfe Stirn! Der rote Sonnenmund

Küßt dich von Schuld gesund.


In Weiheschauern wird nach oben

Zur spät gefundnen Sonnenbraut

Der Freier auf den Thron gehoben

Und Herz dem Herzen angetraut.

O tiefes Auge, gib mir Ewigkeit zu trinken!

Laß mich in dir versinken!


Wie ich so lag, war mir, als wolle mich mein Schöpfer umbilden, und der ewige Friede weihete mich zu seinem Kinde.

Hernach stund ich auf und tat den Gang in die Höhlentiefe. Der Schatzkammer galt er. Eine Last Kostbarkeit nach der andern holte ich und trug sie dorthin, wo der Höhlenbach ins Loch strudelt. Gold und Silber, Geschmeide und Edelstein warf ich hinein. Und wie die Felsengurgel ihren letzten Schluck getan und den Mammon in der Erde Eingeweide hinuntergeschlungen hatte, fühlte ich mich frei und verstund an mir des Heilands Wort zu Nicodemo: »Wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Was vom Fleisch geboren wird,[403] das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Laß dich's nicht wundern, daß ich dir gesagt habe: Ihr müsset von neuem geboren werden. Der Wind bläset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er führt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.« Ich ahnte, daß ich von neuem geboren, aus dem Geiste geboren werden solle für das wahrhaftige neue Reich, so da ist ein Reich des Lichtes, der Unschuld und Liebe in Ewigkeit.

Quelle:
Bruno Wille: Die Abendburg. Jena 1909, S. 342-404.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Abendburg
Die Abendburg: Chronika Eines Goldsuchers in Zwolf Abenteuern...
Die Abendburg: Chronika eines Goldsuchers in zwölf Abenteuern
Die Abendburg

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Casanovas Heimfahrt

Casanovas Heimfahrt

Nach 25-jähriger Verbannung hofft der gealterte Casanova, in seine Heimatstadt Venedig zurückkehren zu dürfen. Während er auf Nachricht wartet lebt er im Hause eines alten Freundes, der drei Töchter hat... Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.

82 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon