Das allzeit zufriedene Knäbchen.

[435] Zwei Bauersleute hatten ein Kind und wie es denn in der Welt geht, wo nur eins ist, da wird's verzogen. Die Aeltern hatten aber kein Auge für die Fehler des Bübchens und nannten es immer nur ihr allzeit zufriedenes Kind. Eines Tages war eine Hochzeit im Ort, dazu waren die Bauersleute auch eingeladen und da sie nirgendwo allein hingingen, so nahmen sie auch ihr allzeit zufriedenes Kind mit. Als das Essen vorbei war, kamen Birnen, Nüsse und Anisgebackenes auf den Tisch, von jedem hohe Teller voll. Die Gäste ließen es sich wohl schmecken und der Bräutigam gab den Kindern von allem so viel wie sie haben wollten. Als die Gäste aufstehn und zum Tanze gehn wollten, kam das allzeit zufriedene Kind, stellte sich neben den Bräutigam und weinte bitterlich. Sogleich sprangen die Aeltern von ihrer Bank herbei, um zu sehn, was das sei. Der Bräutigam frug das Knäbchen, was ihm fehle, aber es weinte immer bitterlicher und endlich weinte seine Mutter mit und es verschlug kein Haar, dann hätte der Vater auch geweint. Da frug der Bräutigam wieder: ›Hast du denn Hunger?‹ und das Kind schrie: ›Ach ich bin ja schon satt.‹ ›Das dachte ich mir, ach mein Kind ist ja immer so gern zufrieden‹ schluchzte die Mutter. Der Bräutigam sprach: ›Dann[436] komm her, ich stopfe dir die Hosentasche voll Anisgebackenes,‹ aber das Kind schrie noch ärger: ›Sie sind ja schon Beide voll!‹ ›Dachte ich mir's nicht,‹ schluchzte die Mutter, ›unser Kind ist so gern zufrieden, es muß ihm etwas andres fehlen.‹ Der Bräutigam sprach: ›Dann gehe nach Hause, leere sie aus und komm wieder, dann bekommst du mehr.‹ Da schrie das Kind noch viel ärger: ›Ich war ja schon dreimal zu Hause.‹ ›Nein das ist es auch noch nicht, unser Kind ist so bald zufriedengestellt, Kindeshand ist bald gestillt, es muß ihm etwas andres fehlen,‹ schluchzte die Mutter und weinte bittere Thränen. ›Dann geh nach Hause und komm noch einmal wieder,‹ sprach der Bräutigam; doch da schrie das Kind, wie verzweifelt: ›Wenn ich wieder komme, haben die Andern alles gegessen.‹ ›Wir heben dir Alles auf und essen nichts mehr‹ sagte der Bräutigam und da lachte das Kind ihn an und lief weg. Die Mutter rief aber: ›Ach es ist doch rührend, wie unser Kind ein allzeit zufriedenes Gemüth hat.‹ ›Ja das weiß der Himmel,‹ sprach der Vater, ›so gibt's keines mehr.‹

Quelle:
Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen/Leipzig 1851, S. 435-437.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Hausmärchen
Deutsche Hausmärchen