Vom Stiefelputzer Hinkelbrühe.

[425] Ein Handwerksbursche konnte nirgendwo Arbeit finden, da ging er endlich in das Schloß und verdingte sich dem König als Stiefelputzer Der König frug ihn: ›Wie heißt du denn?‹ ›Ich heiße Vorgestern‹ sprach er. ›Das ist ein sonderbarer Name‹ sprach der König.

Als er den folgenden Morgen der Prinzessin ihre Schuhe blank gewichst brachte, frug sie ihn: ›Wie heißt du denn?‹ ›Ich heiße Hinkelbrühe‹ sprach er. Da lachte sie laut auf und rief: ›Ach was ist das ein wunderlicher Name!‹

Im Lauf des Tages begegnete er der Königin im Garten. Als sie den neuen Diener sah, frug sie: ›Wie heißt du denn?‹ ›Ich heiße Gestern‹ sprach er. ›Das ist ein sonderbarer Name‹ sprach die Königin.

Die andern Bedienten hätten auch gern seinen Namen gewußt und frugen ihn: ›Wie heißt du denn?‹ ›Ich heiße Heute‹ sprach er und sie lachten ihn aus, daß er einen so sonderbaren Namen habe.

Ein Handwerksbursch weiß auch, was lieben ist, das kann[426] man alle Tage hören, wenn sie aus dem Thore ziehen und ihre Abschiedslieder an die Schätze singen, die klingen oft gar betrübt. Der Stiefelwichser wußte das nicht minder, als seine Kameraden und verliebte sich in niemand Geringeres, als in die Königs tochter. Mit seinem Lieben allein war ihm aber nicht gedient, die Prinzessin sollte ihn auch wieder lieben und das schien sie nicht zu wollen, denn wenn er meinte, das Herz müsse ihm vor lauter Liebe brechen und oft ein recht betrübtes Gesicht machte, dann frug sie noch nicht einmal: ›Was fehlt dir Hinkelbrühe?‹ Das trug er eine Zeitlang, aber endlich wurde es ihm zu arg und er sprach zu sich selbst: ›Was ich mit Güte nicht erlangen kann, das will ich schon mit List und Gewalt bekommen.‹

Eines Tages sah er in der Küche, wie die Köchin vom Schlosse Hinkel schlachtete und sie in den Kessel warf, um für die Prinzessin Suppe davon zu kochen. ›Merkst du, Hinkelbrüh? Sie will dich haben,‹ sprach er zu sich selbst, und als es gegen Abend ging, da war sein Plan schon gemacht. Er ging zum Kutscher und sprach: ›Du, die Prinzessin hat mir befohlen, ihre Kammerjungfer um zwölf Uhr über die Grenze zu schaffen, denn die ist plötzlich narrig geworden, und du sollst uns fahren.‹ Dasselbe sagte er später auch den andern Bedienten, welche ihn darüber verspotteten und sprachen: ›Ein Narr wird den andern wohl fortbringen.‹

Als es gegen zwölf Uhr ging, schlich sich mein Stiefelputzer in das Zimmer der Prinzessin, stopfte seine Taschen voll Gold und Geld, faßte dann rasch das arme Mädchen in ihren Decken und[427] lief mit ihr Hals über Kopf die Treppe hinab auf den Hof, wo der Wagen schon stand. Ehe er aber noch aus dem Schlafzimmer war, rief die Prinzessin: ›Hülfe, Mutter, Hülfe!‹ ›Was ist dir mein Kind?‹ frug die Königin erschrocken. ›Ach, Hinkelbrüh, Hinkelbrüh!‹ schrie die Prinzessin. ›Die kann es nicht sein,‹ sprach die Königin, ›die Hinkelbrühe war kräftig und ist dir gesund,‹ denn sie dachte an die Hinkelbrühe, welche am Mittag gegessen worden war. Als sie aber aufstand und in das Schlafzimmer der Prinzessin kam, war das Bett leer. Sie lief ans Fenster, da sah sie wie der Stiefelputzer ihre Tochter in den Wagen legte und dem Kutscher winkte fortzufahren. ›Hülfe‹ schrie sie, ›Gestern hat die Prinzessin geraubt.‹ ›Was tobst du nur,‹ rief der König, der jetzt auch erwachte, ›gestern war sie ja bei uns bis spät Abends.‹ Als er aber aufstand und ans Fenster zu seiner Frau trat, da schrie er gleichfalls: ›Herbei, zu Hülfe, Vorgestern hat meine Tochter entführt!‹ Da stürzten die Diener hinzu, liefen Treppen auf, Treppen ab und suchten den Vorgestern. Auf dem Hof wünschten sie dem Heute noch eine gute Reise mit der narrigen Kammerjungfer, denn je mehr die Prinzessin sich sträubte und schrie, um so mehr lachten sie über ihn und sprachen: ›Seht nur, wie narrig sie ist, der wird Noth mit ihr haben.‹ Mein Stiefelputzer fuhr aber was gibst du, was hast du auf der Landstraße dahin und ruhte nicht, bis er jenseits der Grenze war. Dort miethete er sich ein prächtiges Haus, kaufte sich und der Prinzessin herrliche Kleider und wußte sich bald so bei ihr in Gunst zu setzen, daß sie meinte, sie könne nicht ohne ihn leben.[428]

Der König und die Königin grämten sich unterdessen sehr um ihre einzige Tochter und ließen dem Stiefelputzer große Summen anbieten, wenn er sie zurück nach Hause lassen wolle; er ließ ihnen aber wieder sagen, sie käme nur heim, wenn sie ihn heirathe. Was blieb da übrig? Die Aeltern gaben ihre Einwilligung nothgezwungen, die Prinzessin aber von Herzen gern, denn sie gewann ihn mit jedem Tage lieber und zudem hätte sie ja schwerlich noch einen Prinzen zum Manne bekommen, nachdem sie so lange bei dem Stiefelputzer gelebt hatte.

Quelle:
Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen/Leipzig 1851, S. 425-429.
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