Trevrezent.

»Thut aufWem? Wer seid ihr?

»Ich will ins Herz hinein zu dir

So begehrt ihr engen Raum.

»Was thut es, faßt er mich auch kaum;

Ueber Druck wirst du nicht klagen,

Ich will dir nun viel Wunder sagen.«

Seid Ihrs, Frau Abenteuer?

Was macht der Degen theuer?

Ich meine den werthen Parzival,

Den Kondrîe nach dem Gral

Mit unsüßen Worten jagte;

Manch schönes Weib beklagte,

Daß unerläßlich wär sein Reisen.

Von Artus dem Bretaneisen

Schied er da: wo ist er nun?

Die Märe eilt uns kund zu thun:

Ob er an Freuden ganz verzagte,

Oder hohen Preis erjagte.

Blieb heut ihm seine Würdigkeit

Noch ganz wie sonst, so lang und breit,

Oder ward sie kurz und schmal?[583]

Sagt uns Alles auch zumal

Was noch von seiner Hand geschah;

Ob er Monsalväsch nun sah

Und Anfortas den klagenswerthen,

Dem Seufzer das Herz beschwerten?

Gebt Trost uns aus Barmherzigkeit,

Ob er des Jammers ward befreit.

Laßt hören, gebt uns Kunde,

Ist da Parzival zur Stunde,

Der uns beiden zu gebieten hat?

Nun erhellt mir seinen Pfad:

Gahmurets Sohn, was beginnt

Der süßen Herzeleide Kind,

Seit er von Artus Abschied nahm?

Hat er Freude, hat er Gram

Seitdem erkämpft im Streite?

Stürmt er noch in die Weite,

Oder liebt er sich zu ruhn?

Sagt mir sein Ueben und sein Thun.


Aventüre macht uns nun bekannt,

Erkundet hab er manches Land

Zu Ross, in Schiffen auch zu Meer;

Landsmann, Blutsfreund, oder Wer

Sich ihm tjostierend stellte,

Daß er den siegreich fällte.[584]

So kann sich seine Schale neigen,

So weiß sein Preis empor zu steigen

Und der Andern Preis zu dämpfen.

Er hatt in harten Kämpfen

Der Niederlage sich erwehrt,

Sich so versucht mit Lanz und Schwert,

Wer Preis von ihm zu borgen

Gedachte, thats mit Sorgen.

Das ihm Anfortas verehrt

Bei dem Grale, jenes Schwert,

Da ers im Streite schwang, zerbrach:

Bei Karnant der Brunnen Lach

Macht' es dann ihm wieder ganz;

Stäts mehrt' er seines Ruhmes Glanz.


Wer es nicht glaubt, der sündigt.

Die Aventür verkündigt,

Daß Parzival der kühne Held

Geritten kam in ein Gewäld,

Zu welcher Stunde, weiß ich nicht:

Da stand vor seinem Angesicht

Eine neuerbaute Klause;

Ein Quell lief durch mit Brause:

Sie war darüber ausgehöhlt.

Der junge Degen muthbeseelt

Suchte Abenteuer dort:[585]

Da kam er zu der Gnade Port.

Er fand da eine Klausnerin;

Gott zu Liebe gab sie hin

Magdthum und alle Erdenlust.

Ihrer weiblichen Brust

Entblühte Trauer, ewig neue,

Doch aus der Wurzel alter Treue.


Schionatulander

Und Sigunen fand er.

Begraben lag der Held und todt;

Sie erlebt' auf seinem Sarge Noth.

Sigune la Düschesse

Hörte selten Messe;

Doch all ihr Leben war Gebet.

Ihr rother Mund von Glut gebläht,

Nun war er blass, so ganz erblichen

Seit alle Weltlust ihr gewichen.

Keine Maid litt je so hohe Pein:

Um zu trauern will sie einsam sein.


Da der Fürst sie nicht erwarb,

An ihm die Minne ihr erstarb,

Sie minnte seinen todten Leib.

Wär sie wirklich jetzt sein Weib,

Frau Lunet hätt ihr im Leben[586]

Solchen Rath wohl nie gegeben

Wie sie gab ihrer Frauen.

Man mag noch Frauen schauen,

Bei denen eine üble Statt

Fände Frau Lunetens Rath.

Ein Weib, die um des Lieben willen,

Und der Zucht Gebot zu erfüllen,

Sich enthält fremder Minne,

Täuscht mir kein Trug die Sinne,

Läßt sie's bei ihres Mannes Leben,

Dem ward an ihr ein Heil gegeben.

Kein Fasten kleidet sie so wohl:

Das beeid ich wenn ich soll.

Hernach mag sie beliebig schalten;

Kann sie auch dann noch sich enthalten,

Das ziert sie, keinen schönern Kranz

Trägt sie je beim Freudentanz.


Vergleich ich Freude mit der Noth,

Die Sigunen ihre Treu gebot?

Das sollt ich lieber laßen.

Ueber Blöcke sonder Straßen

Ritt Parzival dem Fensterlein

Allzunah: das schuf ihm Pein.

Er wollte nach dem Walde fragen

Und wohin der Weg ihn werde tragen.[587]

Bescheid zu finden hofft' er da.

»Ist Jemand drin?« Da sprach sie: »Ja.«

Als er die Frauenstimm erkannte,

Auf unzertretnen Rasen wandte

Der Held zurück das Rösselein;

Schon däucht es ihn zu spät zu sein:

Daß er nicht gleich war abgestiegen,

Fühlt' er Scham sich überfliegen.


An des gefällten Baumes Ast

Band sein Ross alsbald der Gast

Und hieng des Schildes Scherben dran.

Der bescheidne kühne Mann

Das Schwert auch von der Seite band:

So trat er zu des Fensters Rand

Nachzufragen wo er wär.

Die Klaus war aller Freuden leer

Und aller Kurzweil bar und bloß:

Nur Jammer fand er, der war groß.

Er bat, daß sie ans Fenster trete.

Da erhob sich vom Gebete

Mit Zucht die Jungfrau bleich und fahl.

Noch immer war ihm dazumal

Wer sie wäre völlig fremde.

Sie trug ein hären Hemde

Unter grauem Rock zunächst der Haut.[588]

Großem Jammer war sie angetraut:

Der hatt ihr hohen Muth gesenkt,

Ihrem Herzen Seufzer viel geschenkt.


Mit Zucht die Magd zum Fenster gieng,

Wo sie den Fremdling wohl empfieng.

Den Psalter trug sie in der Hand.

Parzival der Weigand

Sah sie ein kleines Ringlein tragen,

Dem sie im Leid nicht mocht entsagen;

Sie behielts nach treuer Minne Rath.

Das Steinlein war ein Granat;

Das sah man aus dem Dunkel glühn,

Recht wie Feuer Funken sprühn.

Sie trug ums Haupt ein schwarzes Band.

Sie sprach: »Da draußen bei der Wand

Seht ihr eine Bank gestellt:

Setzt euch, wenn es euch gefällt

Und vergönnt die Muße.

Daß ich zu euerm Gruße

Kommen durfte, lohn euch Gott;

Der hilft getreulich in der Noth.«


Der Degen folgte gern dem Rath;

Vors Fenster setzt' er sich und bat:

»Sitzet ihr da drinnen auch.«[589]

Sie sprach: »Gar selten wars mein Brauch,

Daß ich hier saß bei einem Mann.«

Da hub der Held zu fragen an,

Was sie der Sitte pflege,

»Daß Ihr so fern dem Wege

Wohnet in der Wildniss hier.

Große Unbill scheint es mir,

Herrin, was ihr hier begeht,

Da rings kein Haus euch nahe steht.«


Sie sprach zu ihm: »Mir wird vom Gral

Der Kost genug gesandt zum Mal.

Kondrie la Sorzier

Bringet mir von dorten her

Jeden Samstag in der Nacht

(Den Vorsatz hat sie sich gemacht)

Was ich die Woche haben soll.«

Sie sprach: »Wär mir nur anders wohl,

Um die Nahrung würd ich wenig sorgen;

In diesem Stück bin ich geborgen.«


Da wähnte Parzival, sie löge,

Und daß sie sonst ihn gern betröge.

Er sprach im Spott zu ihr hinein:

»Von wem habt ihr dieß Ringelein?[590]

Stäts hab ich sagen hören,

Liebschaft müsten verschwören

Klausner und Klausnerinnen.«

»An der Rede werd ich innen,

Ihr zeihtet mich der Falschheit gerne.

Wenn ich jemals Falschheit lerne,

Merkt sie wohl, seid ihr dabei;

Wills Gott, ich bin der Falschheit frei:

Aller Fehltritt widert mir

Noch sprach sie: »Diesen Mahlschatz hier

Trag ich um einen lieben Mann.

Seine Minne nie gewann

Ich zwar mit menschlicher That.

Magdthumlichen Herzens Rath

Rieth mir zu seiner Minne.«

Sie sprach: »Er ist hier drinne,

Dessen Kleinod ich trug

Seit ihn Orilus im Kampf erschlug.


Ich will ihm Minne geben

All mein jammerreiches Leben.

Rechte Minne muß ich ihm gewähren,

Da er mit Schwert, Schild und Speren

Um meine Minne wehrlich warb

Bis er in meinem Dienst erstarb.

Reines Magdthum blieb mir noch;[591]

Er ist vor Gott mein Mann jedoch.

Rechnet Gott Gedanken an

Für That, so sind wir Weib und Mann

Verbunden in der rechten Ehe.

Sein Tod that meinem Leben wehe.

Vor Gott soll dieses Ringelein

Uns wahrer Ehe Zeugniss sein.

Es bindet meine Treue fest,

Mit Herzensthränen oft genäßt.


Hier bin ich selbander:

Schionatulander

Und die andere bin Ich

Nun erst überzeugt' er sich,

Daß es Sigune war, die Maid.

Ihr Kummer schuf ihm Herzeleid.

Eh er weiter sprach zu ihr,

Zog er herab das Härsenier,

Daß sie sein bloßes Haupt erschaue.

Da sah an ihm die Jungfraue

Durch Eisenrost die Haut so licht.

Jetzt erkennt sie ihn und spricht:

»Wie, seid Ihrs, Herr Parzival?

Sagt an, wie steht ihr mit dem Gral?

Habt ihr nun seine Kraft erkannt?

Wie ists um eure Fahrt bewandt?«
[592]

Er sprach zur Jungfrau wohlgeboren:

»Ich habe Freud und Glück verloren,

Der Gral giebt Sorgen mir genug.

Das Land, wo ich die Krone trug,

Ließ ich, dazu das schönste Weib.

Geboren ward so schöner Leib

Auf Erden nie von Menschenfrucht.

Ich sehne mich nach ihrer Zucht,

Um ihre Minne traur ich viel;

Doch mehr noch nach dem hohen Ziel,

Wie ich Monsalväsche mög ersehn

Und den Gral: das ist noch ungeschehn.

Base, du vergehst dich schwer,

Sigun, an mir: ich leide sehr,

Und doch feindest du mich an.«

Da sprach sie: »All mein Zorn fortan,

Vetter, sei auf dich verschworen.

Du hast doch Freude viel verloren,

Da die Frage unterließ

Dein Mund, die dir so viel verhieß,

Als dir der edle Anfortas

Dein Wirth, dein Glück, zur Seite saß.

Da hätt dir Fragen Heil erjagt;

Doch nun ist Freude dir versagt

Und all dein hoher Muth gelähmt.

Dein Herz hat Sorge nun gezähmt,[593]

Die stäts dir fremde wäre,

Erfrugst du dort die Märe.«


»Ich that wie der sich schaden soll.

Nun, liebe Base, rath mir wohl:

Nahverwandt ja bist du mir;

Und sag mir auch: wie stehts mit dir?

Dein Leid sollt ich beklagen,

Müst ich nicht größres tragen

Als je war eines Mannes Looß:

Meine Noth ist allzugroß.«


Sie sprach: »Dir helfe Dessen Hand,

Dem aller Kummer ist bekannt.

Vielleicht, daß es dir noch gelingt,

Daß ein Pfad dahin dich bringt,

Wo du Monsalväsch ersiehst

Und deinem Herzen Trost entsprießt.

Kondrie la Sorzier ritt noch

Nicht lange fort: hätt ich sie doch

Gefragt, ob sie dahin will ziehn,

Oder anderswohin.

Ihr Maulthier läßt sie dort wohl halten,

Wo der Brunnen fließt aus Felsenspalten.

Mach dich auf und folg ihr unverweilt,

Vielleicht daß sie vor dir nicht eilt:

So holst du sie in Kurzem ein[594]

Da durfte nicht gezögert sein:

Mit Sigunens Urlaub folgt' er bald

Den frischen Stapfen durch den Wald.

Doch ritt ihr Maulthier solche Wege,

Daß bald im dichten Waldgehege

Die Spur verschwand, die er erkoren.

So war der Gral aufs Neu verloren.

Da vergaß er Freud und Lust.

Beßer hätt er jetzt gewust

Zu fragen, wär er hingekommen,

Als damals, wie ihr habt vernommen.


Nun laßt ihn reiten; doch wohin?

Dort sich entgegen sieht er ziehn

Einen Ritter, der sich bloßhaupt trug.

Sein Wappenrock war theur genug,

Der Harnisch drunter stralt von Glanz,

Denn sonst ist er gewappnet ganz.

Der ritt auf Parzival einher

Und sprach: »Herr, ich zürn euch sehr,

Daß ihr dringt in meines Herren Wald.

Fort, sonst ermahn ich so euch bald,

Daß euer Herz sich ferne sehnt.

Monsalväsch ist nicht gewöhnt,

Daß ihm wer so nahe ritt,

Es sei denn daß er siegreich stritt[595]

Oder solche Buße bot,

Die sie vor dem Walde heißen Tod


Einen Helm in der Hand

Sah man ihn tragen, dessen Band

War von seidenen Schnüren;

Einen scharfen Sper auch führen:

Von frischem Holze war sein Schaft.

Der Held band mit Zorneskraft

Sich den Helmhut fest aufs Haupt;

Man hätt es gerne geglaubt,

Er wolle zu den Zeiten

Nicht vergebens dräun mit Streiten.

So schickt' er zu der Tjost sich an.

Spere hatt auch viel verthan

Parzival wie diese reich:

Er gedacht: »Ich wär des Todes gleich,

Ritt' ich dem Manne durch sein Korn:

Wie gerieth' er dann wohl erst in Zorn?

Hier tret ich nur auf wilde Haide.

Versagt ihr Arme mir nicht beide,

So lös ich mich mit solchem Pfand,

Daß mich nicht bindet seine Hand.«


Sie brachten ihre Pferde drauf

Beiderseits in vollen Lauf[596]

Und trieben sie mit Sporenschlägen

Einander pfeilgeschwind entgegen.

Die Tjost gerieth auch beiden jetzt;

Doch in mancher Tjost blieb unverletzt

Parzivals hohe Brust.

Den lehrte Kunst und ein Gelust,

Daß seine Lanzenspitze fuhr

Recht in den Strick der Helmschnur.

Er traf ihn, wo man hängt den Schild,

Wenn es Tiostieren gilt,

Daß der Templer von dem Gral

Vom Ross herabfiel in ein Thal

Und sank die Hald hinunter tief:

Wohl scheint es, daß der Held nicht schlief.


Der Sieger folgt des Schwungs Gewalt;

Umsonst gebot dem Ross er Halt:

Es fiel hinab, zerbrach im Fall.

Den Ast ergriff noch Parzival

Einer Ceder mit den Händen.

Es wird ihn wohl nicht schänden,

Daß er sich ohne Schergen hieng.

Mit den Füßen glücklich fieng

Er sich auf festem Felsengrund.

Im unerreichbaren Schlund

Lag sein Ross da unten todt.[597]

Der Templer aus der Lebensnoth

Floh zu der andern Thalwand hin.

War er stolz auf den Gewinn,

Den er erwarb an Parzival,

So frommt' ihm mehr daheim der Gral.


Da sich Parzival hinauf begab,

Des Templers Zügel hieng herab

Vom Ross, das sich darin verfangen:

Drum war es weiter nicht gegangen,

Als es der Ritter dort vergaß.

Da Parzival im Sattel saß,

Hatt er den Sper nur eingebüßt:

Der Verlust war durch den Fund versüßt.

Gewiss, der starke Lähelein,

Noch der stolze Kingrisein,

Noch der König Gramoflanz,

Noch Komte Laskoit Fils Gurnemans

Hatten nimmer beßre Tjost geritten,

Als womit er dieses Ross erstritten.

Da ritt er weglos immerdar,

Und der Monsalväscher Schar

Bot ihm weiter keinen Streit.

Ihm gebrach der Gral, das war sein Leid.


Wers hören will dem geb ich Kunde

Was ihm widerfuhr nach dieser Stunde.[598]

Doch weiß ich nicht der Wochen Zahl,

Wie lang hernach noch Parzival

Auf Abenteuer ritt wie eh.

Eines Morgens war ein dünner Schnee,

Doch wohl so dicht herabgeschneit,

Daß Frost daraus ward prophezeit.

Es war in einem tiefen Wald:

Da begegnet' ihm ein Ritter alt.

Dem war ergraut des Bartes Haar,

Jedoch das Antlitz licht und klar;

Klar und licht auch war sein Weib.

Die Beiden auf dem bloßen Leib

Trugen Röcke rauhbehaart

Auf ihrer Buß- und Bittefahrt.

Ihre Kinder, zwei Jungfrauen,

Die man gerne mochte schauen,

Giengen auch in solchem Kleid.

Ihnen rieth Bescheidenheit,

Daß sie barfuß waren allzumal.

Seinen Gruß bot Parzival

Dem grauen Ritter, der da gieng,

Von dem er selgen Rath empfieng.

Er mocht ein Landesfürst wohl sein.

Den Frauen folgten Hündelein.

Demüthig schritten, nicht zu hehr,

Ritter noch und Knappen mehr[599]

Sittig auf der Gottesfahrt,

Noch Mancher jung und ohne Bart.


Parzival der Weigand

Trug am Leibe solch Gewand,

Daß sein reiches Ritterkleid

Ihm herrlich stand wie allezeit.

Er fuhr so stolz gerüstet,

Daß er sich anders brüstet

Als jener graue Mann sich trug.

Aus dem Wege früh genug

Wandt er mit dem Zaum sein Pferd.

Gern hätt er fragend sich belehrt

Ueber der frommen Leute Fahrt;

Sie beschieden ihn mit guter Art.

Da war des grauen Ritters Klage,

Daß er die heiligen Tage

Nicht also ehrte nach der Sitte,

Daß er ungewappnet ritte,

Oder barfuß gienge

Und des Tages Fest begienge.


Da gab ihm Parzival Bescheid:

»Herr, ich weiß zu keiner Zeit

An welchem Ziel das Jahr nun steht[600]

Und wie der Wochen Zahl vergeht.

Wie die Tage sind benannt,

Das ist mir Alles unbekannt.

Ich diente Einem, der heißt Gott,

Eh seine Ungunst solchen Spott

Mir gab und solchen Ungewinn,

Da doch nie von ihm gewankt mein Sinn.

Man sagte mir, er helfe gern;

Doch bleibt mir seine Hülfe fern.«


Da sprach der Ritter grau von Haar:

»Meint ihr Gott, den eine Magd gebar?

Glaubt ihr, daß er Mensch geworden

Und heut für uns am Kreuz gestorben,

Weshalb wir diesen Tag begehn,

So muß solch Kleid euch übel stehn.

Denn es ist Karfreitag heut,

Des alle Welt sich billig freut

Und doch in Leid befangen ist.

Sprecht ob ihr höhre Treue wißt

Als die Gott an uns begieng,

Da man für uns ans Kreuz ihn hieng?

Habt ihr die Tauf empfangen,

So muß euch Leid umfangen:

Er hat sein heiliges Leben

Um unsre Schuld dahingegeben;[601]

Sonst wär der Mensch verloren,

Zu der Hölle Pein erkoren.

Wofern ihr nicht ein Heide seid,

Herr, so heiligt diese Zeit.

Reitet eures Weges fort:

Nicht ferne wohnt von diesem Ort

Ein heilger Mann: der giebt euch Rath

Wie ihr büßet eure Missethat.

Wollt ihr ihm Reue künden,

Er spricht euch los von Sünden.«


Seine Töchter huben an zu sprechen:

»Was willst du, Vater, an ihm rächen?

So böses Wetter wie nun ist,

Was räthst du ihm zu solcher Frist?

Hilf ihm vielmehr, daß er erwarme.

Seine geharnischten Arme,

Wie ritterlich und stark sie sind,

Doch ist die Kälte nicht gelind:

Er erfrör und wär er seiner drei.

Hast du doch hier nahe bei

Gezelt und Kleiderkammer stehn;

Käm Artus und sein ganzes Lehn,

So gebräch dir auch die Speise nicht.

So übe denn des Wirthes Pflicht

Und nimm dich dieses Ritters an.«[602]

Da sprach alsbald der graue Mann:

»Herr, meine Töchter sprechen wahr.

Mit Zelt und Hütten jedes Jahr

Fahr ich durch diesen wilden Wald,

Ob es warm sei oder kalt,

Naht uns Dessen Marterzeit

Der stäten Lohn für Dienst verleiht:

Was ich Gott zu Liebe hergebracht,

Das ist euch willig zugedacht.«


Die beiden Jungfrauen

Ließen guten Willen schauen.

Sie baten ihn zu bleiben;

Ihn solle nichts vertreiben,

Sprachen sie mit holden Mienen.

Parzival ersah an ihnen,

Obgleich das Wetter Frost nur bot,

Munde heiß und voll und roth.

Sie hatte Trauer nicht entstellt

Um den Heiland der Welt.

Hätt ich mit ihnen mich entzweit,

Ich nützte die Gelegenheit

Den Kuss der Sühne zu empfahn,

Nähmen sie die Sühne an.

Frauen sind doch immer Fraun:

Wo sie den tapfern Mann erschaun[603]

Da sind sie bald bezwungen;

Das bezeugen tausend Zungen.


Mit süßem Wort, mit holden Sitten

Hörte Parzival sie bitten,

Kinder und Aeltern beide.

Er gedachte: »Wenn ich bleibe,

Gern zieh ich nicht in dieser Schar.

Die Mädchen sind so schön fürwahr,

Mein Reiten würde übel stehn,

Da Mann und Weib zu Fuße gehn.

Es fügt sich beßer, daß wir scheiden,

Da Haß mir Jenen muß verleiden,

Den Sie von Herzen minnen

Und auf seine Hülfe sinnen.

Mir hat er Hülfe stäts verwehrt,

Nur meiner Sorgen Zahl gemehrt.


›Herr und Frau,‹ hub er an,

Laßt euern Urlaub mich empfahn.

Das Glück verleih euch volles Heil,

Und Freude werd euch stäts zu Theil.

Ihr süßen Jungfraun beide,

Eure Zucht euch Lohn bescheide,

Daß ihrs so gut gemeint mit mir.

Nun gebt mir euern Urlaub hier.«[604]

Da neigt er sich und Jene neigen;

Sie konnten Klage nicht verschweigen.


Hin reitet Herzeleidens Frucht.

Den lehrte mannliche Zucht

Demuth und Barmherzigkeit.

Dem die junge Herzeleid

Angeboren Treu und Güte,

Traurig ward sein Gemüthe.

Jetzt zuerst gedacht er Seiner Macht,

Der die Welt aus Nichts gemacht,

Der ihn erschaffen und erhalten,

Wie Der gewaltig müße walten:

»Wie, wenn Gott doch sendete

Was meinen Jammer wendete?

Ward er jemals einem Ritter hold,

Erwarb ein Ritter seinen Sold,

Hält er seiner Hülfe werth

Die da führen Schild und Schwert

Unverzagt und mannhaft,

So lös er mich aus Sorgenhaft:

Ist heute seiner Hülfe Tag,

So helf er wenn er helfen mag


Er ritt zurück daher er kam.

Noch standen jene, wie im Gram,[605]

Daß er so von ihnen schied.

Wie ihr getreuer Sinn es rieth,

Blickten ihm die Jungfraun nach.

Doch auch das Herz des Ritters sprach,

Daß er sie gerne möge sehn,

Denn sie waren hold und schön.


Er sprach: »Ist Gottes Kraft so groß,

Daß sie beide, Mann und Ross,

Mag rechte Wege weisen,

Seine Hülfe will ich preisen.

Kann von Gott uns Hülfe nahn,

So weis er dieses Kastilian,

Daß meine Reise glücklich sei:

Seine Güte steh mir hülfreich bei.

Nun geh nach göttlichem Bescheide.«

Zaum und Zügel legt' er beide

Frei zu des Rosses Ohren

Und trieb es mit den Sporen.


Gen Fontän sauvasche wars gegangen,

Wo den Eid hatt Orilus empfangen.

Der fromme Trevrezent dort saß,

Der manchen Montag wenig aß

Und auch den Rest der Wochen.

Sich hatt er abgebrochen[606]

Moraß, Wein, dazu das Brot.

Strenger war noch sein Gebot:

Fisch und Fleisch, und was nur Blut

Trüge, mied sein keuscher Muth.

So war sein heiliges Leben.

Gott hatt ihm solchen Sinn gegeben.

Zu des Himmels Herrlichkeit

Macht' er übend sich bereit,

Indem er fastend Noth erlitt,

Der Freud entsagend widerstritt.


Von Dem erfährt nun Parzival

Die verhohlne Märe von dem Gral.

Wer mich früher drum gefragt

Hätt, und weil ichs nicht gesagt,

Mir Feindschaft bieten wollen,

Verschwendet wär sein Grollen.

Zu hehlen bat michs Kiot,

Weil ihm die Aventür gebot

Es heimlich noch zu wahren;

Niemand sollt es erfahren

Bis im Verlauf der Märe

Davon zu sprechen wäre.


Kiot, der Meister wohlbekannt,

Zu Toled verworfen liegen fand,

Und in arabischer Schrift,[607]

Die Märe, die den Gral betrifft.

Der Charakter ABC

Must er innehaben eh

Ohne nigromantische Kunst.

Ihm half dabei der Taufe Gunst,

Sonst wär die Mär noch unvernommen.

Heidenkunst mag nimmer frommen

Zu künden was uns offenbart

Ist von des Grales Kraft und Art.


Ein Heide, Flegetanis,

Den man um seltne Künste pries,

Hatte manche Vision.

Er stammte von Salomon,

Aus israëlischem Geschlecht erzielt

Von Alters her, eh unser Schild

Die Taufe ward vor Höllenqual.

Der schrieb der Erste von dem Gral.

Ein Heide war er vaterhalb,

Flegetanis, der noch ein Kalb

Anbetete, als wär es Gott.

Wie darf der Teufel solchen Spott

Doch an so weisen Völkern thun?

Will sie zu wahren nicht geruhn

Davor des Allerhöchsten Hand,

Dem alle Wunder sind bekannt?
[608]

Flegetanis den Heiden

Mochte seine Kunst bescheiden

Vom Lauf aller Sterne

Und ihrer Heimkehr aus der Ferne,

Wie lang ein jeder hat zu gehn

Bis wir am alten Ziel ihn sehn.

Menschliches Geschick und Wesen

Ist in der Sterne Gang zu lesen.

Flegetanis der Heid erkannte,

Wenn er den Blick zum Himmel wandte,

Geheimnissvolle Kunde.

Er sprach mit scheuem Munde

Davon: Ein Ding wird Gral genannt;

Im Gestirn geschrieben fand

Er den Namen, wie es hieß.

»Eine Schar ihn auf der Erde ließ,

Die zu den Sternen wieder flog,

Ob Gnad ob Unschuld heim sie zog.

Dann pflegte sein getaufte Frucht

Mit Demuth und reiner Zucht.

Die Menschheit trägt den höchsten Werth,

Die zum Dienst des Grales wird begehrt.«


So schrieb davon Flegetanis.

Kiot der Meister, den ich pries,

Suchte dann aus Wißensdrang[609]

In lateinschen Büchern lang,

Wo ein Volk der Ehre

Je werth gewesen wäre,

Daß es des Grales pflege,

Demuth im Herzen hege.

Er las der Lande Chronika

In Irland und Britannia,

In Frankreich und manch anderm Land

Bis er die Mär in Anschau fand.

Da mocht er lesen sonder Wahn

Vom ersten Ahnherrn Mazadan,

Und die von ihm den Ursprung nahmen

Fand er geschrieben all mit Namen.

Und andrerseits, wie Titurel

Und sein Sohn Frimutel

Den Gral Anfortas überwies,

Des Schwester Herzeleide hieß,

Die Gahmureten trug den Helden,

Von welchem diese Mären melden.

Der ritt nun auf der neuen Fährte,

Von der der graue Ritter kehrte.


Er erkennt die Statt, obwohl nun Schnee

Da liegt, wo Blumen blühten eh:

Es war vor jener Bergeswand,

Wo seine mannliche Hand[610]

Einst Jeschuten Huld erwarb,

Und ihres Gatten Zorn verdarb.

Doch nicht verlor der Weg sich dort:

Fontän sauvasche hieß der Ort,

Zu welchem seine Reise gieng:

Er fand den Wirth, der ihn empfieng.


Da sprach der Einsiedel gut:

»O weh, Herr, daß ihr also thut

In dieser heiligen Zeit!

Hat euch fährlicher Streit

In diesen Harnisch getrieben,

Oder seid ihr ohne Streit geblieben?

Euch stünde beßer sonst ein Kleid,

Ließet ihr Vermeßenheit.

Geruht nun, Herr, und steigt vom Pferde

(Mich dünkt, daß es euch wohlthun werde)

Und erwarmt bei einem Feuer.

Seid ihr auf Abenteuer

Ausgesandt um Minnesold,

Seid ihr rechter Minne hold,

So minnt wie nun die Minne will,

Dieses Tages Minne nehmt zum Ziel;

Ein andermal dient Frauen wieder.

Ich bitte, steigt vom Pferde nieder.«
[611]

Parzival der Weigand

Stieg vom Pferde gleich zur Hand;

Mit großer Zucht er vor ihm stund.

Er that ihm von den Leuten kund,

Die ihn dahin gewiesen,

Seinen Rath ihm angepriesen.

Da sprach er: »Herr, nun gebt mir Rath;

Ich bin ein Mann der Sünde that.«


Als diese Rede geschah,

Wieder sprach der Gute da:

»Euch zu rathen bin ich wohl geneigt:

Nun sagt mir, Wer euch hergezeigt.«

»Herr, im Wald begegnet' ich

Einem Greisen; wohl empfieng der mich,

Und Die da mit ihm waren.

Der, in Falschheit unerfahren,

Wars, der mich euch finden lehrte:

Ich ritt hieher auf seiner Fährte.«

Der Wirth sprach: »Das war Kahenis,

Den man um Tugend immer pries.

Der Fürst ist ein Punturteis:

Es hat der König von Kareis

Seine Schwester zum Gemahl erkoren.

Reinere Frucht ward nie geboren

Als seine Töchter beide,[612]

Die ihr fandet auf der Haide.

Er stammt aus königlichem Hause;

Jährlich besucht er meine Klause.«


Zum Wirthe sprach der Fremdling da:

»Als ich euch vor mir stehen sah,

Hat euch Furcht da übernommen?

Erschrakt ihr, als ich angekommen?«

Das sprach der Alte: »Glaubt mir, Herr,

Der Hirsch erschreckt mich und der Bär

Wahrlich öfter als ein Mann.

Mit Wahrheit ich euch sagen kann,

Ich fürchte nicht was menschlich ist:

Ich hab auch Menschenkunst und List.

Selbstruhm sei fern; doch in dieß Leben

Hätt ich aus Furcht mich nicht begeben.

Nie ist mir so das Herz erkrankt,

Daß ich vor tapfrer Wehr gewankt.

In meiner wehrlichen Zeit

War ich ein Ritter wie ihr seid,

Der auch nach hoher Minne rang.

Manch sündiger Gedanke schlang

Sich durch mein keusches Leben.

Es war mein höchstes Streben,

Daß ein Weib mir gnädig wär;

Vergeßen bin ich des nunmehr.
[613]

Gebt den Zaum in meine Hand.

Dort unter jener Felsenwand

Soll euer Ross sich ruhend stehn.

Nach einer Weile laßt uns gehn

Und brechen Gras und Farrnkraut ab,

Da ich kein ander Futter hab;

Ich hoffe doch, daß wirs ernähren.«

Da wollte Parzival sich wehren,

Daß er den Zaum nicht sollt empfangen.

»Die Zucht kann nicht von euch verlangen

Wider euern Wirth zu streiten:

Laßt Unfug nicht die Zucht verleiten.«

Also sprach der gute Mann:

Da ließ er ihn den Zaum empfahn.

Der zog das Ross nun vor den Stein,

Den selten traf der Sonne Schein:

Das war ein wilder Marstall;

Hindurch gieng einer Quelle Fall.


Parzival stand auf dem Schnee:

Einem kranken Manne thät es weh,

Wenn er Harnisch trüge

Und der Frost so an ihn schlüge.

Ihn führt der Wirth in eine Gruft,

Die nie durchwehten Wind und Luft;

Hier lagen glühende Kohlen,[614]

Da mochte sich der Gast erholen.

Eine Kerze ward auch angebrannt:

Da entwappnete sich der Weigand.

Unter ihm lag Reis und Stroh.

Da erwarmten ihm die Glieder so,

Daß seine Haut gab lichten Schein.

Er mochte wohl waldmüde sein:

Lang war er Straßen ferne,

Nur die lichten Sterne

Sein Obdach, Nachts umher geirrt:

Hier fand er nun getreuen Wirth.


Da lag ein Rock, den zog ihm an

Der Wirth, und führt' ihn mit sich dann

Zu einer zweiten Gruft, wo aufgeschlagen

Des Einsiedels Bücher lagen.

Entblößt stand nach des Tages Brauch

Der Altar: jene Kapsel auch

Darauf, die ihm gar wohl bekannt;

Sie wars, auf der einst seine Hand

Schwur den ungefälschten Eid,

Der Jeschutens langes Leid

In Freude verkehrte,

Ihr neues Glück gewährte.


Zum Wirthe sprach der Held sofort:

»Herr, die Heilthumskapsel dort[615]

Erkenn ich, weil ich einst drauf schwur,

Da ich hier vorüber fuhr.

Einen farbgen Sper, der bei ihr stand,

Herr, den nahm hier meine Hand;

Viel Preis hab ich damit erjagt,

Zum mindsten ward es mir gesagt.

Der Gedanke wars an mein Gemahl,

Der mir die Besinnung stahl;

Zwei Tjoste rannt ich doch damit,

Die unbewust ich beide stritt.

Gleichwohl fand ich Sieg und Ehr;

Ach, jetzt hab ich der Sorgen mehr

Als wohl je zuvor ein Mann.

Bei eurer Zucht sagt mir an,

Von jener Zeit wie lang ists her,

Daß ich hinwegnahm jenen Sper?«


Da sprach zu ihm der gute Mann:

»Den Sper vergaß hier Taurian;

Mein Freund erhob darum auch Klage.

Fünfthalb Jahr ists und drei Tage

Seit ihr den Sper euch nahmt zu eigen:

Glaubt ihrs nicht, ich wills euch zeigen.«

Da las er ihm im Psalter all

Der Wochen und der Jahre Zahl,

Die seitdem vergangen waren.[616]

Er sprach: »Nun hab ich erst erfahren,

Wie lang ich irre weisungslos

Und aller Freuden bar und bloß,«

Sprach er: »mir ist Freud ein Traum;

Ich trage Kummers schweren Saum.


Herr, ich thu euch mehr noch kund.

Wo Münster oder Kirche stund,

Darin Gott Ehre soll geschehn,

Da hat kein Auge mich gesehn

In allen diesen Zeiten.

Ich suchte nichts als Streiten.

Zu Gott auch trag ich Haß und Zorn,

Denn Er ist meiner Sorgen Born,

Er hat sie allzuhoch erhaben;

Lebendig ist mein Glück begraben.

Wollte Gott mir Hülfe leihn,

So ankerte die Freude mein

So tief nicht in des Kummers Grund.

Mir ist mein mannlich Herz so wund!

Wie wär es wohl auch heil und ganz,

Da Trübsal ihren Dornenkranz

Mir drückt auf alle Würdigkeit,

Die mir Schildesamt erstritt im Streit

Wider wehrliche Degen.

Das darf ich Dem zu Last wohl legen,[617]

Der aller Hülfe mächtig ist

Und hülfreich Hülfe nie vergißt;

Mir alleine half er nicht,

Was man von seiner Hülf auch spricht.«


Mit Seufzen sah der Wirth ihn an.

»Herr,« sprach er, »laßt von solchem Wahn:

Lernt beßer Gott vertrauen:

Ihr sollt noch Hülfe schauen.

Gott mög uns helfen beiden.

Herr, wollet mich bescheiden

(Aber setzt euch doch dabei)

Und sagt mir unumwunden frei

Wie dieser Zwiespalt sich entspann,

Da Gott euern Haß gewann.

Bei eurer Zucht, hört mit Geduld

Von Mir erst seine Unschuld

Eh ihr über ihn mir klagt:

Seine Hülf ist Allen unversagt.


Ob ich gleich ein Laie bin,

Mir blieb wahrhafter Bücher Sinn

Nicht fremd, die Alle schreiben,

Wie der Mensch getreu soll bleiben

In dessen Dienst, des Hülfe groß

Stäter Hülfe nie verdroß,[618]

Daß unsre Seele nicht versank.

Seid getreu ohn allen Wank,

Da Gott selbst die Treue ist.

Verhaßt war stäts ihm falsche List:

Das soll bei uns zu Gut ihm kommen

Und was er that zu unserm Frommen,

Da der Allerhöchste mild

Uns zu Liebe ward zum Menschenbild.

Gott heißt und ist die Wahrheit,

Drum bleibt ihm Falschheit ewig leid:

Das bedenket immerdar.

Er verläßt uns nicht fürwahr:

Lehrt Ihr auch die Gedanken

Nicht mehr von Ihm zu wanken.


Gott zürnen, das sei fern.

Wer da sieht, ihr haßet Gott den Herrn,

Wähnt euch gewiss am Hirne krank.

Bedenkt, wie Lucifern gelang

Und seinen Genoßen alle.

Sie waren doch ohne Galle:

Wo nahmen sie die Bitterkeit,

Für die ihr endloser Streit

Erwirbt der Hölle bittern Lohn?

Astiroth und Belcimon,

Belet und Radamant,[619]

Und andre, die mir wohl bekannt:

Das lichte himmlische Geleit

Ward höllenschwarz durch Zorn und Neid.


Da Lucifer zur Hölle sank,

Da nahm der Mensch den Anfang.

Gott bildete von Erdenthon

Adamen, seiner Hände Sohn.

Aus Adams Fleisch er Even brach,

Von der uns kommt das Ungemach,

Die den Schöpfer überhörte

Und unser Heil zerstörte.

Von Beiden kam gezweite Frucht:

Dem Einen rieth die Eigensucht,

Daß er in blinder Leidenschaft

Seiner Ahnfrau nahm die Jungfrauschaft.

Hier hebt nun Mancher an zu fragen,

Wird diese Mär ihm vorgetragen,

Wie das möglich könne sein?

Durch Sünde möglich wars allein.«


Parzival versetzte da:

»Herr, ich zweifle doch, ob das geschah.

Wer hat den Vater ihm geboren,

Von dem die Ahnfrau hat verloren

Die Jungfrauschaft, wie Ihr gewähnt?[620]

Ihr hättets beßer nicht erwähnt.«

Der Wirth entgegnete sogleich:

»Aus diesem Zweifel nehm ich euch.

Wenn ich nicht Wahrheit sage,

Führt über Trug dann Klage.

Die Erde Adams Mutter war:

Gott bildet' ihn aus Erde zwar;

Dennoch blieb die Erde Magd.

Nun hab ich euch noch nicht gesagt,

Wer das Magdthum ihr benahm.

Den Kain zeugte Adam,

Der Abeln schlug um eitel Gut.

Als auf die reine Erde Blut

Fiel, ihr Magdthum war entflohn:

Das benahm ihr Adams Sohn.

Da hub sich Menschenzorn und Neid;

Sie währen fort von jener Zeit.


Nichts Reinres doch auf Erden ist

Als die Jungfrau sonder arge List.

Nun seht wie rein die Maide sind:

Gott selber war der Jungfrau Kind.

Von Maiden sind zwei Menschen kommen:

Gott selber hat Gestalt genommen

Nach der Frucht der ersten Maid:

So erwies er hohe Mildigkeit.[621]

Unheil und Freude kamen

Uns aus Adams Samen.

Er will gesippt uns angehören,

Des Lob erklingt von Engelschören;

Doch must aus Sipp uns Sünde blühn,

Daß wir der Sünde nie entfliehn.

Erbarme drob sich dessen Kraft,

In dem Erbarmen wirkt und schafft,

Der im Menschenbild Unbilde litt

Und getreulich wider Untreu stritt.


Ihr sollt den Zorn vergeßen:

Ihr verwirkt das Heil vermeßen.

Für Sünde sollt ihr Buße thun

Und laßt verwegne Rede ruhn.

Wer sein Leid will rächen

Mit ungezähmtem Sprechen,

Von dessen Lohne sei euch kund,

Ihn richtet der eigne Mund.

Nehmt zur neuen alte Märe,

Daß sie euch Treue lehre.

Jener Redner Platon

Sprach zu seinen Zeiten schon

Und Sibylle hat, die Seherin,

Mit untrüglichem Sinn

Vorausgesagt so manches Jahr,[622]

Uns werde kommen fürwahr

Für die Schuld ein hohes Pfand.

Aus der Hölle nahm uns Gottes Hand

Und die göttliche Minne;

Die Frevler ließ sie drinne.


Aus des wahren Minners Mund

Ward uns frohe Botschaft kund.

Der ist ein durchleuchtig Licht

Und wankt in seiner Minne nicht.

Wem er Minn erzeigen soll,

Dem wird mit seiner Minne wohl.

Die Botschaft kündet zweierlei:

Aller Welt zu kaufen sei

Gottes Haß und Gottes Minne:

Welches wählt ihr zum Gewinne?

Der Sünder ohne Reue

Flieht die göttliche Treue;

Wer aber büßet seine Schuld,

Der verdient des Höchsten Huld.


Dem Höchsten wehrt keine Schranke.

Dem Blick der Sonne wehrt Gedanke:

Gedank ist ohne Schloß versteckt,

Vor aller Kreatur verdeckt,

Gedank ist finster ohne Schein;[623]

Doch Gottes Klarheit blitzt hinein.

Sie leuchtet durch die finstre Wand,

Sie kommt verhohlnen Sprungs gerannt,

Der nicht toset, der nicht klingt,

Wenn er in die Herzen dringt.

Sei Gedanke noch so schnelle,

Eh er vor des Herzens Schwelle

Kommt, ist er durchgründet:

Gott wählt, die er würdig findet.

Da Gott Gedanken selbst durchspäht,

Weh Dem, der sündge That begeht!

Wer mit Werken seinen Gruß

Verwirkt, daß Gott sich schämen muß,

Was hilft dem weltliche Zucht?

Wo ist seiner Seele Zuflucht?

Wenn ihr Gott entgegen seid,

Der zu beidem ist bereit,

Zur Minne wie zum Zorne,

So seid ihr der Verlorne.

Nun wendet eur Gemüthe,

Daß er euch dankt, zur Güte.«


Parzival versetzte so:

»Herr, von Herzen bin ich froh,

Daß Ihr mich über Den beschieden,

Der nichts läßt ungelohnt hienieden,[624]

Das Laster noch die Tugend.

Mit Sorgen meine Jugend

Hab ich bis diesen Tag durchlebt,

Mit Treue Jammer nur erstrebt.«


Der Wirth sprach zu dem jungen Herrn:

»Verhehlt ihrs nicht, so hört ich gern

Was euch für Sorgen drücken.

Entdeckt sie meinen Blicken,

Vielleicht daß ihr dann guten Rath,

Den ihr nicht habt, von mir empfaht.«

Wieder sprach da Parzival:

»Meine höchste Noth ist um den Gral,

Und dann um mein ehlich Weib:

Auf Erden lebt kein schönrer Leib,

Der jemals sog der Mutter Brust;

Nach den Beiden sehnt sich mein Gelust.«


Der Wirth sprach: »Herr, ihr sprechet wohl.

Das ist Kummer, den man haben soll,

Wenn ihr um euer Ehgemahl

Im Herzen tragt der Sehnsucht Qual.

Lebt ihr in rechter Ehe,

Träf euch der Hölle Wehe,

Zu Ende wäre bald die Pein:

Aus solcher Banden Noth befrein[625]

Würd Euch Gottes Hülfe gleich.

Doch nach dem Gral auch sehnt ihr euch;

Ihr dummer Mann, das muß ich klagen.

Den Gral kann Niemand erjagen

Als der im Himmel wird ernannt

Und in den Dienst des Grals gesandt:

Das laßt vom Gral euch offenbaren:

Ich weiß es, hab es selbst erfahren.«

Parzival sprach: »Wart ihr da?«

»Herr,« gab der Wirth zur Antwort, »ja!«

Parzival verschwieg ihm gar,

Daß auch Er einst bei ihm war:

Er frug ihn um die Märe

Wie es mit dem Grale wäre?


Der Wirth sprach: »Mir ist wohl bekannt,

Es wohnt manch wehrliche Hand

Zu Monsalväsche bei dem Gral.

Auch pflegen über Berg und Thal

Dieselben Templeisen

Auf Abenteur zu reisen,

Die sie als Sündenbuße tragen,

Ob sie da Leid, ob Preis erjagen.


Die wehrliche Ritterschaft,

Höret, was ihr Nahrung schafft:[626]

Sie leben von einem Stein,

Dessen Art muß edel sein.

Ist euch der noch unbekannt,

Sein Name wird euch hier genannt:

Er heißet Lapis exilis.

Von seiner Kraft der Phönix

Verbrennt, daß er zu Asche wird

Und dann der Glut verjüngt entschwirrt.

Der Phönix schüttelt sein Gefieder

Und gewinnt so lichten Schimmer wieder,

Daß er schöner wird als eh.

Wär einem Menschen noch so weh,

Doch stirbt er nicht denselben Tag,

Da er den Stein erschauen mag,

Und noch die nächste Woche nicht;

Auch entstellt sich nicht sein Angesicht:

Die Farbe bleibt ihm klar und rein,

Wenn er täglich schaut den Stein,

Wie in seiner besten Zeit

Einst als Jüngling oder Maid.

Säh er den Stein zweihundert Jahr,

Ergraurn würd ihm nicht sein Haar.

Solche Kraft dem Menschen giebt der Stein,

Daß ihm Fleisch und Gebein

Wieder jung wird gleich zur Hand:

Dieser Stein ist Gral genannt.
[627]

Dem kommt heut eine Botschaft,

In der liegt seine gröste Kraft;

Denn heut ist der Karfreitag,

Da man der Sendung warten mag:

Eine Taube sich vom Himmel schwingt,

Die dem Stein hernieder bringt

Eine Oblat weiß und klein.

Die Gabe legt sie auf den Stein:

Dann hebt mit glänzendem Gefieder

Die Taube sich zum Himmel wieder.

Alle Karfreitage

Bringt sie was ich euch sage.

Davon empfängt der Stein genug,

Was Gutes je die Erde trug

Von Eßen und von Trinken,

Was im Paradies mag winken,

Die Erde mag gebähren.

Ihnen soll der Stein gewähren

Was Wildes unterm Himmel lebt,

Was läuft, fliegt oder schwebt:

Die Pfründe giebt des Grales Kraft

Der ritterlichen Bruderschaft.


Doch Die zum Grale sind benannt,

Hört wie ihr Name wird bekannt.

An dem Grale ringsherum[628]

Erscheint ein Epitaphium,

Das sie und ihr Geschlecht benennt,

Denen Gott die selge Fahrt vergönnt,

Ob es Mägdlein sind ob Knaben.

Hinweg läßt sich die Schrift nicht schaben;

Doch wenn der Name gelesen ist

Verschwindet sie zur selben Frist.

Sie kamen all dahin als Kind,

Die nun dort erwachsne Leute sind.

Wohl der Mutter, die das Kind geboren,

Das zum Dienst des Grales wird erkoren!

Ob sie arm sind oder reich,

Darüber freun sich Alle gleich,

Wenn sie ihr Kind zu rufen kommen,

Das in die Schar wird aufgenommen.

Man holt sie her aus manchen Landen;

Sie sind vor sündlichen Schanden

Dort immerdar behütet

Und im Himmel wirds vergütet:

Scheiden sie aus diesem Leben

Wird ihnen dort das Heil gegeben.


Die sich nicht entscheiden mochten,

Als Kampf ward gefochten

Zwischen Trinitas und Lucifer,

All das himmlische Heer[629]

Mit leuchtendem Gefieder,

Zu dem Steine must es nieder

Dort zu dienen diesem Stein:

Wohl muß der hehr und edel sein.

Ob ihnen Gott die Schuld erließ,

Ob er sie später ganz verstieß –

Er mochte thun was ihm genehm.

Dem Steine dienen seitdem

Die Gott dazu benannte,

Seinen Engel ihnen sandte.

Herr, so steht es um den Gral.«

Wieder sprach da Parzival:


»Da Ritterschaft des Leibes Preis

Und doch der Seele Paradeis

Erwerben mag mit Schild und Sper,

So war mir Ritterschaft Begehr.

Ich stritt wo ich nur Streiten fand,

Und meine wehrliche Hand

Näherte sich oft dem Preis.

Wenn Gott nun Kampf zu würdgen weiß,

So soll er Mich zum Gral benennen,

Der, sie werdens bald erkennen,

Sich nie dem Kampf entziehen wird.

Demüthig sprach jedoch sein Wirth:

›Erst müstet ihr vor Hochfahrt[630]

Behütet sein und wohlbewahrt.

Euch verführte leicht die Jugend,

Daß ihr brächt der Demuth Tugend.

Stäts muste Hochmuth fallen.‹

Seine Augen sah man wallen

Beim Gedanken an die Kunde,

Die da gieng aus seinem Munde:


Herr, ein König einst den Gral besaß,

Der hieß und heißt noch Anfortas.

Immerdar erbarmen

Soll Euch und mich Armen

Seine bittre Herzensnoth,

Die Hochfahrt ihm zu Lohne bot.

Seine Jugend und sein reiches Gut

Verlockten ihn zum Uebermuth,

So daß er warb um Minne

Mit ungezähmtem Sinne.


Dem Gral ist solcher Brauch nicht recht:

Da muß der Ritter und der Knecht

Behütet sein vor Leichtsinn;

Demuth giebt beßern Gewinn.

Des Grales werthe Bruderschaft

Hält mit wehrlicher Kraft

Das Volk aus allem Land umher[631]

Stäts so fern durch seine Wehr,

Daß keinem wird der Gral bekannt,

Den er nicht selbst dazu ernannt

In Monsalväsch dem Gral zu dienen.

Unbenannt kam einer doch zu ihnen:

Das war ein einfältger Mann

Und schied mit Sünden auch hindann,

Daß er nicht zum Wirthe sprach

Und frug nach seinem Ungemach.

Ich sollte Niemanden schelten;

Doch Dieser muß der Sünd entgelten,

Daß er nicht erfrug des Wirthes Schaden.

Er war mit Leid doch so beladen,

Die Erde kennt nicht höhre Pein.

Vor ihm schon war Roi Lähelein

An den See Brumban geritten.

Eine Tjost hat da mit ihm gestritten

Libbeals der werthe Held,

Auch ward er in der Tjost gefällt;

Er war geboren von Prienlaskross.

Lählein zog des Helden Ross

An seiner Hand als Beute fort:

So begieng er Raub zugleich und Mord.


Herr, seid ihr nicht Lähelein?

Ihr brachtet zu dem Stalle mein[632]

Ein Ross, den Rossen völlig gleich,

Die sie reiten in des Grales Reich.

Auf dem Sattel steht die Turteltaube:

Es kommt von Monsalväsch, ich glaube.

Das Wappen gab Anfortas ihnen,

Als ihm noch alle Freuden schienen.

Sie führtens früher schon im Schilde:

Da bracht es Titurel, der milde,

Auf seinen Sohn Frimutel.

Unter ihm verlor der Degen schnell

Auch von einer Tjost das Leben.

Seinem Weibe war Der so ergeben,

Daß wohl von keinem Manne mehr

Geminnet ward ein Weib so sehr;

Ich mein in rechten Treuen.

Den Brauch sollt Ihr erneuen

Und minnt von Herzen eur Gemahl.

Befleißt euch seiner Sitten all;

Ihr seht von Angesicht ihm gleich.

Einst war er Herr im Gralesreich.

Ach Herr, wie ist doch Eur Geschlecht?

Wo stammt ihr her? Das sagt mir recht.«


Einer sah den andern an,

Zum Wirthe Parzival begann:

»Ich ward einem Mann geboren,[633]

Der im Kampf das Leben hat verloren

Durch sein ritterlich Gemüthe.

Schließt ihn, Herr, bei eurer Güte

Künftig ein in eur Gebet.

Mein Vater hieß Gahmuret,

Von Geschlecht ein Anschewein.

Herr, ich bin nicht Lähelein:

Hab ich den Mordraub je genommen,

Wars eh ich zu Verstand gekommen.

Es ist jedoch von mir geschehn,

Die Sünde muß ich eingestehn:

Ithern von Kukumerland

Schlug meine sündhafte Hand:

Ich streckt ihn todt dahin aufs Gras

Und nahm ihm was er nur besaß.«


»Weh dir, Welt, wie thust du so!«

Sprach der Wirth; er war der Mär nicht froh.

»Du giebst uns Trübsal und Beschwer,

Kummer und Sorge mehr

Als wahrer Lust: was ist dein Lohn?

So endet deines Liedes Ton

Da sprach er: »Lieber Neffe mein,

Wie mag dir nun zu rathen sein?

Du hast dein eigen Fleisch erschlagen.

Willst du vor Gott die Blutschuld tragen[634]

(Ihr stammet beid aus Einem Blut),

Wenn Gott gerecht als Richter thut

So kostet es dein eigen Leben.

Was willst du zum Ersatze geben

Für Ithern von Gahevieß?

Der nie der Ehre Pfad verließ.

Gott schuf an Ihm was höhre Zier

Dem Leben leiht auf Erden hier.

Nur Andrer Freude mocht ihn freuen,

Der ein Balsam war der Treuen.

Alle Schande floh ihn weit,

Sein Herz bewohnte Würdigkeit.

Nie solltens werthe Fraun vergeben,

Daß du nahmst sein holdes Leben.

Er ergab sich ihrem Dienst so ganz,

Der Frauen Augen stralten Glanz,

Wenn sie ihn sahn, von seiner Süße.

Daß es Gott erbarmen müße!

Warum schufst du solche Noth?

Meiner Schwester gabst du auch den Tod,

Herzeleid der Mutter dein.«

»Nicht doch, guter Herr, ach nein!

Was sagt ihr da,« sprach Parzival,

»Und wenn ich König wär vom Gral,

Das Leid vergüten möcht es nicht,

Davon mir euer Mund nun spricht.[635]

Bin ich eurer Schwester Kind,

So zeigt, daß Ihr mir treu gesinnt

Und macht mir wahrhaft offenbar:

Sind diese Dinge beide wahr?«


Dawider sprach der gute Mann:

»Ich bin es nicht, der trügen kann.

Deine Mutter, da du schiedest, starb;

Die Treu ihr solches Looß erwarb.

Du warst das Thier, das sie da sog,

Der Drache, der da von ihr flog.

Im Traum es ihr beschieden war

Eh noch die Süße dich gebar.


Meiner Geschwister zwei noch sind.

Meine Schwester Tschoisian' ein Kind

Gebar: die Frucht gab ihr den Tod.

Der Herzoge Kiot

Von Katelangen war ihr Mann;

Keine Freud er auch seitdem gewann.

Sigunen, beider Töchterlein,

Befahl man der Mutter dein.

Mitten in meinem Herzen

Muß mich Tschoisiane schmerzen:

Ihr weiblich Herz war so gut,

Ein Wehr vor aller Sünden Flut.[636]

Meine andre Schwester lebt; die Magd

Hat aller Eitelkeit entsagt.

Repans de Schoie pflegt den Gral:

Ihr ist er leicht, ein Federball;

Doch nimmer von der Stelle trägt

Ihn Wer im Herzen Falschheit hegt.

Unser Bruder ist Anfortas,

Der nun besitzt und längst besaß

Des Grals ererbte Herrlichkeit.

Von dem ist leider Freude weit,

Nur daß er von der Hoffnung zehrt,

Sein Kummer werde dort verkehrt

In Wonne sonder End und Ziel.

Wie ich dir, Neffe, künden will

Ist es wunderbar ergangen,

Daß ihn Jammer hält befangen:

Hegst du dann Treu im Herzen,

So muß sein Leid dich schmerzen.


Meinen Vater Frimutel verloren

Wir früh: da ward nach ihm erkoren

Der seiner Söhne ältster war

Zum Vogt des Grals und seiner Schar.

Anfortas wars, der Bruder mein:

Ihm ziemte wohl der Krone Schein,

Obgleich wir Kinder waren.[637]

Als mein Bruder zu den Jahren

Kam, daß ihm der Bart entsprang,

Solcher Jugend thut die Minne Zwang.

Sie pflegt sie allzusehr zu plagen:

Das muß man ihr zum Tadel sagen.

Als Herr des Grals nach Minne streben,

Die ihm die Schrift nicht nachgegeben,

Ist sträfliche Vermeßenheit,

Die Seufzer bringt und Herzeleid.


Mein Herr und Bruder wählte sich

Eine Freundin minniglich

Und hehrer Sitten, däucht es ihn;

Wer sie war, das steh dahin.

In ihrem Dienst hielt er sich so,

Daß ihn alle Zagheit floh.

Da ward von seiner starken Hand

Zerbrochen mancher Schildesrand.

Zu manchem Abenteuer

Trieb ihn Liebesfeuer:

Ward Einer öfter noch bestanden

In allen ritterlichen Landen,

Solches Willens war er frei.

Amor war sein Feldgeschrei:

Der Feldruf ist zur Demuth

Eben auch nicht allzugut.
[638]

Einst ritt der König allein

(Den Seinen allen schuf es Pein)

Aus nach Abenteuern:

Minne sollt' ihm Freude steuern,

Denn noch zwang ihn Minne sehr.

Mit einem giftigen Sper

Ward er in einer Tjost so wund,

Daß er nimmermehr gesund

Wird, der süße Oheim dein.

Getroffen war sein Schambein.

Ein Heide wars, der mit ihm stritt,

Wider ihn tjostierend ritt,

Geboren von Ethnise,

Wo aus dem Paradiese

Gefloßen kommt der Tigris.

Der Heide meinte für gewiss

Den Gral sollt er gewonnen haben.

In den Sper sein Name stand gegraben.

Er suchte ferne Ritterschaft:

Einzig um des Grales Kraft

Strich er über Meer und Land.

Von seinem Streit uns Freude schwand.


Man muste wohl als tapfer preisen

Deines Oheims Kampf; des Speres Eisen

Führt' er in seinem Leib hindann.[639]

Da der junge werthe Mann

Heimkam zu den Seinen,

Da sah man kläglich Weinen.

Den Heiden hatt er dort erschlagen;

Den wollen wir mit Maßen klagen.


Als der König kam, erblichen

Und alle Kraft von ihm gewichen,

Da griff ein Arzt ihm in die Wunde

Und fand das Eisen dort zur Stunde.

Die Spitze war von innen hohl:

Draus floß das Gift zur Wunde wohl.

Aus zog der Arzt die Splitter wieder.

Da fiel ich zum Gebete nieder

Und gelobte Gott aus Herzenskraft,

Daß ich aller Ritterschaft

Hinfort entsagen wollte,

Daß Gott doch helfen sollte

Meinem Bruder aus der Noth.

Fleisch verschwur ich, Wein und Brot,

Und was man blutger Speisen wüste,

Daß ihrer nimmer mich gelüste.

Da hub das Volk erst an zu klagen,

Lieber Neffe, laß dir sagen,

Daß ich des Schwerts mich abgethan.[640]

Sie sprachen: ›Wer wird fortan

Dem Gral zum Schirmer taugen?‹

Da weinten lichte Augen.


Man trug den König vor den Gral,

Ob Gott ihm hülfe von der Qual.

Da den Gral der König sah,

Ein neuer Jammer wars ihm da,

Daß er nicht konnt ersterben.

Tod durft er nicht erwerben,

Da ich mich hatt ergeben

In dieses arme Leben,

Und des Grales Herrschaft

Ruht' auf Seiner schwachen Kraft.

Von Gift war seine Wunde naß.

Was man Arzneibücher las,

Die gaben keiner Hülfe Lohn.

Wider Aspis, Ecidemon,

Ehkontius und Lisis,

Jecis und Meatris,

Der argen Schlangen heißes Gift,

Was man dafür verschrieben trifft,

Und andre giftge Würme,

Was ein Arzt dafür zum Schirme

An Kräutern weiß und Würzen

(Laß den Bericht dir kürzen),[641]

Nichts sollte helfen können:

Gott wollt es nicht vergönnen.


Da schickten wir zum Geon

Boten, und zum Fison,

Zum Euphrates und Tigris,

Den vier Flüßen aus dem Paradies,

So nah ihm, daß sein Ruch so fein

Noch nicht verflogen konnte sein:

Ob ein Kraut geschwommen käme,

Das uns aus der Trauer nähme.

Das war verlorne Arbeit:

Erneut war unser Herzeleid.


Wir versuchtens noch in mancher Weise.

Da griffen wir zu jenem Reise,

Das Sibylle dem Aeneas bot

Wider alle Höllennoth,

Wider des Phlegetons Dunst und Rauch,

Und andrer Höllenflüße auch:

Mit Mühn und Sorgen mancherlei

Schafften wir das Reis herbei,

Ob der grausame Sper

Vielleicht im Höllenfeuer wär

Vergiftet und gelöthet,

Der uns viel Freud ertödtet.
[642]

So war es nicht mit ihm bewandt.

Ein Vogel, Pelikan genannt,

Wenn er junge Brut gewinnt,

Allzusehr die Kleinen minnt:

Wie ihn seiner Treu Gelust

Zwingt, durchbeißt er sich die Brust,

Läßt das Blut den Jungen in den Mund;

Er aber stirbt zur selben Stund.

Da nahmen wir des Vogels Blut,

Ob seine Treu uns käm zu gut,

Und strichens auf die Wunden

So gut als wirs verstunden:


Das half uns keine taube Nuß.

Ein Thier heißt Monicirus:

Das dünkt der Jungfrau Reinheit groß:

Es schlummert ein in ihrem Schoß.

Wir verschafften uns des Thieres Herz

Wider des Königs Schmerz;

Wir nahmen den Karfunkelstein

Aus des Thieres Hirnbein,

Der da wächset unter seinem Horn.

Wir bestrichen ihm die Wunde vorn,

Tauchten drein den Stein sogar;

Doch blieb sie giftig wie sie war.
[643]

Das that uns mit dem König weh.

Wir nahmen ein Kraut, heißt Trachonte

(Von dem Kraute hört man sagen,

Wo ein Drache werd erschlagen

Aus dem Blute wachs es auf.

Das Kraut hat zu der Sterne Lauf

Unerforschlichen Bezug),

Ob uns vielleicht des Drachen Flug

Noch im Kraute möchte frommen

Bei der Sterne Wiederkommen

Und des Mondes Wandeltag,

Der der Wunde Schmerz zu mehren pflag:

Des Krautes edle Eigenschaft

Erwies mit Nichten ihre Kraft.


Wir knieten betend vor dem Gral.

Da stand daran mit Einem Mal

Geschrieben, daß ein Ritter käme:

Wenn dessen Frage man vernähme,

So wär das Uebel abgethan:

Hätt aber Kind, Magd oder Mann

Ihn gewarnt, der Frage zu gedenken,

So möge sie nicht Hülfe schenken:

Der Schade währe fort wie eh,

Und brächte nur noch schärfres Weh.

Die Schrift sprach: ›Habt ihr das vernommen?[644]

Aus Warnung kann nur Schaden kommen.

Auch frag er in der ersten Nacht;

Hernach zergeht der Frage Macht.

Hört man zur rechten Zeit ihn fragen,

Soll Er des Grales Krone tragen

Und sich der Kummer enden:

Die Hülfe will Gott senden.

Das mag Anfortas Heil verleihn;

Doch soll er nicht mehr König sein.‹


Also lasen wir am Gral,

Daß Anfortasens Qual

Damit ein Ende nähme,

Wenn uns die Frage käme.

Wir brachten an die Wunden,

Wovon wir Lindrung oft empfunden,

Nardensalben, Theriak

Und was von ihm empfieng den Schmack,

Nebst dem Rauch von lignum Aloe:

Ihm war doch allewege weh.

Damals zog ich hieher;

Ich finde wenig Freude mehr.

Der Ritter ist seitdem gekommen:

Daraus erwuchs uns wenig Frommen;

Schon hab ich dir von ihm gesagt.

Nur Unpreis hat er dort erjagt,[645]

Daß er das bittre Ungemach

Ersah, und zu dem Wirth nicht sprach:

›Herr, wie stehts um eure Noth?‹

Da seine Einfalt ihm gebot,

Daß er solche Frage mied,

Wie großes Heil darum ihn flieht!«


Sie klagten lange sich ihr Leid.

Inzwischen ward es Mittagszeit.

Der Wirth sprach: »Gehn wir Nahrung holen;

Dein Ross ist übelm Stall befohlen:

Ich weiß uns selber nicht zu speisen,

Will uns nicht Gott die Mittel weisen.

Meine Küche rauchet selten:

Des must du heut entgelten,

Und so lang du willst bei mir verkehren.

Viel Wurzeln zwar dich kennen lehren

Wollt ich, ließ es zu der Schnee:

Gott gebe, daß er bald zergeh!

Nun brechen wir ihm Laub und Gras;

Zu Monsalväsche sicher aß

Dein Ross sich satter oft als hie;

Gleichwohl trefft ihr beide nie

Den Wirth, ders lieber gönnte,

Wenn mans hier haben könnte.«
[646]

Sie giengen aus, der Nahrung nach.

Parzival des Futters pflag;

Wurzeln grub der Wirth, der weise:

Das war ihre beste Speise.

Seiner Regel nicht vergaß

Der Wirth: wie viel er grub, er aß

Kein Würzlein vor der None.

Um der nächsten Stauden Krone

Hieng ers und suchte mehre.

Manchen Tag zu Gottes Ehre

War er nüchtern gegangen,

Fand er nirgend Wurzeln hangen.


Die zwei Gesellen nicht verdroß,

Sie giengen wo der Brunnen floß,

Und wuschen Wurzeln rein und Kraut.

Ihr Mund ward selten Lachens laut.

Dann wuschen sie die Hände sich.

An einem Stricke säuberlich

Trug Eibenzweige Parzival

Fürs Ross. So giengen sie zumal

Zu ihrem Sitz heim vor die Kohlen.

Mehr Speise konnte Niemand holen:

Da war gesotten noch gebraten;

Ihre Küche war gar unberathen.

Parzival in seinem Sinne,[647]

Bei der herzlichen Minne,

Die er zu seinem Wirthe trug,

Meinte doch, es wär genug

Und so gut als einst bei Gurnemans,

Und da zu Monsalväsch im Glanz

Schöner Jungfraun Zug vorübergieng

Und er die Kost vom Gral empfieng.


Sein getreuer Wirth, der greise,

Sprach zu ihm: »Sieh diese Speise,

Lieber Neffe, nicht verschmähe:

Du triffst den Wirth nicht in der Nähe,

Der dirs so gerne gönnte,

Wenn er dich laben könnte.«

»Herr,« sprach Parzival dawider,

»Gott seh nie huldreich auf mich nieder,

Wenn je mich beßer hat geletzt

Was ein Wirth mir vorgesetzt.«


Die Speise, die man auftrug hier,

Wuschen sie sich nicht nach ihr,

Das schadet' ihren Augen nicht,

Wie man von fischigen Händen spricht.

Man könnte mit mir beizen

Ohne mich viel zu reizen

(Wenn ich Habicht oder Sperber hieße),

Daß ich auf die Beute stieße,[648]

Hätt ich keinen vollern Kropf;

Der Hunger blähte mir den Schopf.


Was spott ich der Getreuen hier?

Meine alte Unart rieth es mir.

Ihr wißt doch was den Frommen

Den Reichthum hat benommen,

Warum sie waren freudenarm,

Oftmals kalt und selten warm.

Aus gottgetreuem Herzen

Trugen sie die Schmerzen

In erwählter Armut Stand.

Von des Allerhöchsten Hand

Empfiengen sie dafür den Sold;

Gott war und ward noch Beiden hold.


Zum Stall gieng nach dem kargen Mal

Mit dem guten Manne Parzival,

Der nach dem Ross noch nicht geschaut.

Mit betrübter Stimme Laut

Der Wirth zum Ross sprach: »Mir ist leid

Deines Kummers Bitterkeit

Des Sattels wegen, der dich ziert,

Und der Anfortas Wappen führt.«


Da dem Ross geschehen war sein Recht,

Da hub sich erst der Jammer recht.[649]

Parzival zum Wirth begann:

»Herr und Oheim, hört mich an.

Dürft ichs vor Beschämung sagen,

So wollt ich euch mein Unglück klagen.

Doch eure Güte wird verzeihn:

Zu Euch muß meine Zuflucht sein.

Solche Schuld hab ich mir aufgebürdet,

Wenn Ihr darum mich haßen würdet,

Müst ich dem Trost entsagen

In allen meinen Tagen

Unerlöst von Reue.

Ihr sollt mit Rath der Treue

Beklagen meine Thorheit.

Der auf Monsalväsch zu jener Zeit

Sah des Königs Ungemach

Und doch keine Frage sprach,

Das bin Ich unselger Mann!

So hab ich Armer missgethan.«


Der Wirth sprach: »Neffe, was sagst Du?

Wir müßen alle beide zu

Herzlicher Trauer greifen,

Die Freude laßen schweifen,

Da dich Einfalt so ums Heil betrog.

Gab dir Gott fünf Sinne doch:

Die haben übel dich berathen.[650]

Sprich, welchen Beistand sie dir thaten

In der entscheidenden Stunde

Dort bei Anfortasens Wunde?


Doch will ich Rath dir nicht versagen:

Auch zu tiefes Leid sollst du nicht tragen.

Du sollst in rechten Maßen

Klagen und Klage laßen.

In der Menschheit ist ein wilder Zug:

Oft wird zu früh die Jugend klug;

Will dann das Alter Thorheit üben

Und seine lautre Sitte trüben,

So wird das Weiße schwarz zumal,

Wird die grüne Jugend fahl,

Und weder hier noch dort gedeiht

Rechter Sinn und Würdigkeit.

Könnt ich dich noch ergrünen,

Und das Herz dir so erkühnen,

Daß du Den Preis erjagtest,

An Gott nicht mehr verzagtest,

So möcht es dir gelingen

Solche Würde zu erschwingen,

Daß es Ersatz wohl hieße.

Gott selbst dich nicht verließe.


Gott will dich durch mich belehren.

Lieber Neffe, laß mich hören,[651]

Sahst du zu Monsalväsch die Lanze?

Wenn sich der Stern Saturn im Glanze

An sein Ziel zurückgefunden,

Das war zu spüren an den Wunden

Und an dem späten Frühlingsschnee.

Dann that der Frost ihm grimmig weh,

Dem süßen Oheime dein.

Der Sper must in die Wund hinein,

Daß Eine Noth der andern Noth

Half: der Sper ward blutigroth.


Einiger Sterne Rückkehrtage

Brachte Monsalväsch in Klage:

Wenn sie ob einander stehn,

Feindselig sich vorübergehn.

Auch bleibt die Wunde nicht verschont

Wenn im Wechsel steht der Mond.

In der jetzt benannten Zeit

Faßt den König grimmes Leid:

Ihm thut der scharfe Frost so weh,

Sein Fleisch wird kälter als der Schnee.

Da man ein Gift nun, glühendheiß,

An der Sperspitze weiß,

So wirds den Wunden aufgelegt:

Der Frost gleich aus der Wunde schlägt

Und legt wie Glas sich um den Sper;[652]

Das alsdann nur Niemand mehr

Von dem Eisen lösen kann.

Trebüschet wars, der weise Mann,

Der zwei Meßer schuf mit Silberklingen:

Mit denen läßt es sich vollbringen.

Die Kunst hatt ihn ein Spruch gelehrt

An unsres Königes Schwert.

Man hört wohl sagen vom Asbest

Daß er sich nicht verbrennen läßt;

Doch fiel von jenem Glas darauf,

Gleich schlugen helle Flammen auf

Und der Asbest verbrannte gar:

Wie ist dieß Gift so wunderbar!


Er kann nicht reiten, kann nicht gehn,

Der König, liegen nicht noch stehn,

Nicht sitzen: er muß lehnen

Mit Seufzern, unter Thränen.

Beim Mondeswechsel wird ihm weh.

Brumbane heißt ein naher See:

Da tragen sie ihn hin: beim Fischen

Soll ihn da milde Luft erfrischen.

Das nennt er seinen Waidetag;

Doch was er dort erbeuten mag

Bei so schmerzlicher Beschwer,

Er bedarf zu Hause mehr.[653]

Davon erscholl die Märe,

Daß er ein Fischer wäre.

Das Märchen läßt er walten.

Er hat doch feilgehalten

Nie Salmen noch Lampreten;

Könnt er vor Schmerz sich retten!«


Da unterbrach ihn Parzival:

»Ich fand den König auch einmal

Ankern auf den Wellen,

Den Fischen nachzustellen

Oder zur Kurzweile.

Ich ritt manche Meile

Den Tag auf waldgen Straßen.

Pelrapär hatt ich verlaßen

Erst um den mitten Morgen.

Am Abend trug ich Sorgen

Wo meine Herberg möchte sein:

Da bot sie mir mein Oheim.«


»Nicht gefahrlos war die Fahrt,«

Sprach der Wirth, »denn wohlverwahrt

Von den Templeisen wird der Wald.

Weder List noch Gewalt

Mag da den Reisenden frommen.

Mit Schrecken hat das oft vernommen[654]

Wer da den Tod empfieng im Streit:

Sie nehmen Niemands Sicherheit,

Sie setzen Leben gegen Leben.

Zur Buß ists ihnen aufgegeben.«


»Dennoch kam ich ohne Streit

Durch den Wald zu jener Zeit,

Wo ich am See,« sprach Parzival,

»Den König fand. Dessen Saal

Sah ich am Abend Jammers voll.

O wie laut der Wehruf scholl!

Ein Knapp herein zur Thüre sprang:

Von Jammer gleich der Saal erklang.

Der trug in seinen Händen

Einen Schaft zu den vier Wänden;

Der Sper daran war blutigroth:

Das schuf dem Volke Jammers Noth.«


Der Wirth sprach: »Heftiger als je

War dazumal des Königs Weh,

Denn so kündigte sein Nahn

Uns der Stern Saturnus an.

Der pflegt mit großem Frost zu kommen.

Drauf legen mochte da nicht frommen,

Wovon wir Lindrung sonst empfunden:

Man stach den Sper ihm in die Wunden.[655]

Saturnus steigt so hoch empor;

Die Wund empfand den Frost zuvor:

Die Kälte kam erst hinterdrein.

Es eilte sich nicht so zu schnein,

Die andre Nacht erst fieng es an,

Obgleich mit ihr der Lenz begann.

Groß Leid alles Volk beschwerte,

Da man so dem Frost des Königs wehrte.«


Da sprach der fromme Trevrezent:

»Ihres Jammers war kein End,

Als den Sper die Wunde heischte,

Der ihr eigen Herz zerfleischte;

Ihrer Klage Jammerton

Glich einer neuen Passion.«


Zum Wirthe sprach da Parzival:

»Fünf und zwanzig an der Zahl

Sah ich Maide vor dem König stehn,

Mit großer Zucht den Dienst begehn.«

Der Wirth sprach: »Mägdlein sollen pflegen

(Das Recht verlieh ihm Gottes Segen)

Des Grals, ihm dienen für und für.

Der Gral ist streng in seiner Kür;

Sein sollen Ritter hüten

Mit entsagenden Gemüthen.[656]

Wenn dann die hohen Sterne kehren,

Muß Jammer all dieß Volk beschweren,

Die Jungen wie die Alten.

Gott ließ den Ingrimm walten

Allzulange wider sie:

Wird ihnen Trost und Freude nie?


Neffe, nun bericht ich dir,

Ich weiß, du zweifelst nicht an mir,

Von der Templeisen Leben.

Sie empfangen und sie geben.

Sie nehmen junge Kinder an

Von hoher Art und wohlgethan,

Auserwählt von Gottes Hand.

Wird dann herrenlos ein Land,

Das eines Königes begehrt

Aus der Schar des Grals, das wird gewährt.

Wohl wird des Volks ein Solcher pflegen,

Denn Ihn begleitet Gottes Segen.


Gott schafft die Männer heimlich fort;

Die Jungfraun giebt man offen dort.

Darum war kein Hinderniss,

Als der König Kastis

Herzeleidens hat begehrt:

Mit Freuden ward sie ihm gewährt.[657]

Deine Mutter ward ihm angetraut;

Doch nicht genoß er seiner Braut:

Es kam der Tod und grub sein Grab.

Zuvor er deiner Mutter gab

Waleis und Norgals

Mit Kanvoleis und Kingrivals:

Das ward ihr öffentlich gegeben.

Der König sollt unlange leben:

Zu seiner Heimat fuhr er wieder;

Da legt' er sich zum Sterben nieder.

Die Köngin und ihr Doppelland

Erwarb da Gahmuretens Hand.


Der Gral giebt Jungfraun unverstohlen,

Die Männer giebt er hin verhohlen.

Ihre Frucht dereinst nimmt er zurück,

Blüht ihren Kindern auch das Glück

Des Grales Schar zu mehren:

Das wird die Schrift dann lehren.


Frauenminne muß verschwören

Wer zur Schar des Grales will gehören.

Nur dem König allein

Gebührt ein Weib, an Tugend rein,

Und jenen, welche Gott gesandt

Zu Herren herrenlosem Land.[658]

Die Vorschrift ließ ich unbeachtet,

Da das Herz nach Minne mir getrachtet.

Mir rieth die blühnde Jugend

Und werthen Weibes Tugend,

Daß ich in ihrem Dienste ritt

Und oft in blutgem Kampfe stritt.

Mich däuchten so geheuer

Die wilden Abenteuer,

Daß ich nicht mehr turnierte.

Ihre Minne führte

Mir ins Herz der Freude Schein:

Da wollt ich ernsten Kampf nicht scheun.

Zu ferner wilder Ritterschaft

Zwang mich ihrer Minne Kraft,

Daß ich ihre Gunst erkaufte.

Der Heid und der Getaufte

Galten mir im Streite gleich:

Ich dachte, Sie wär lohnesreich.


Ich trug um Sie Beschwerde

In drei Theilen der Erde,

In Europa und in Asia,

Und im fernen Afrika.

Wollt ich schöne Tjoste reiten,

So must ich vor Gaurivon streiten;

Auch hab ich manche Tjost gethan[659]

Vor dem Berge Feimorgan.

Manch schöne Tjost ward mir verliehn

Vor dem Berg Agremontin.

Wer der Innern Trotz will dämpfen,

Der muß mit feurgen Männern kämpfen;

Die äußern Völker brennen nicht

Wie Mancher dort den Sper auch bricht.

Als am Rohas ich im Steierland

Abenteuer sucht' und fand,

Da kamen tapfre windsche Männer

Entgegen mir als Lanzenrenner.


Ich fuhr von Sevilla

Auf dem Meere gen Sicilia,

Durch Friaul bis gen Aglei.

Weh, o weh und heia hei!

Daß ich jemals deinen Vater sah!

Denn ich fand und sah ihn da.

Zu Sevilla zog ich ein

Als der werthe Anschewein

Eben Herberg genommen.

Seine Fahrt macht mir das Herz beklommen

Die er that gen Baldag,

Wo er in einer Tjost erlag,

Wie ich dich selber hörte sagen.

Ewig muß ich ihn beklagen.
[660]

Mein Bruder ist ein reicher Mann.

Er sah die Kosten nicht an,

Wenn er mich heimlich von sich sandte.

Wenn ich von Monsalväsch mich wandte,

Sein Insiegel nahm ich da

Und führt' es gegen Karkobra:

Da fällt ins Meer der Plimizöl

In dem Bisthum Barbigöl.

Auf seinen Siegelring berieth

Mich da der Burggraf, eh ich schied,

Mit Gefolg, und was ich nöthig fand

Zu einem Zug ins Heidenland

Oder anderm Abenteuer;

Da war ihm nichts zu theuer.

Ich kam allein gen Karkobra;

Bei der Heimkehr ließ ich wieder da

Das Gesind und alle andern Stücke

Und ritt gen Monsalväsch zurücke.


Nun höre, lieber Neffe mein:

Da der werthe Vater dein

Zuerst mich in Sevilla sah,

Ansprach er mich als Bruder da

Seines Weibes Herzeleid,

Und hatte doch zu keiner Zeit

Mein Angesicht zuvor gesehn.[661]

Auch war ich, muste man gestehn,

Schön wie kein Mann gesehn noch ward:

Noch hatt ich damals keinen Bart.

Als er in meine Herberg fuhr,

Da verneint ich es und schwur

Manchen ungestabten Eid.

Er hielt sich drauf mit Sicherheit;

Zuletzt gestand ichs insgeheim.

Mit großen Freuden fuhr er heim.


Sein Kleinod verehrt' er mir;

Was Ich gab, nahm er mit Begier.

Du sahest meine Kapsel hie;

Grüner als der Klee ist sie:

Ich ließ sie aus dem Steine

Bilden, den mir gab der Reine.

Zum Knappen ließ er mir Itheren:

Das Herz gab seinem Neffen Lehren,

Daß aller Falsch an ihm verschwand,

Dem König von Kukumerland.

Wir durften Fahrt nicht länger meiden

Und musten von einander scheiden.

Da zog er in des Baruchs Land;

Zum Rohas fuhr ich selbst zuhand.


Von Cilli kam ich hingeritten.

Drei Wochen hatt ich dort gestritten,[662]

Da schien es mir genug gethan.

Zunächst von Rohas ritt ich dann

In die weite Stadt Gandein:

Sie ists, nach der der Ahnherr dein

Einst Gandein ward genannt.

Da machte sich Ither bekannt.

Diese Stadt liegt dort genau,

Wo die Greian in die Drau,

Ein goldreich Waßer, rinnet.

Da ward Ither geminnet,

Als er deine Muhme fand.

Sie beherrschte dieses Land;

Ihr Vater, Gandein von Anschau,

Gab sie diesem Land zur Frau.

Lammire wurde sie genannt;

Aber Steier heißt das Land.

Durchstreifen muß der Lande viel

Wer Schildesamt verwalten will.


Nun dauert mich mein Knappe roth,

Um Den sie mir viel Ehre bot.

Ither war dir nah verwandt;

Vergaß der Sippe deine Hand,

Gott hat ihrer nicht vergeßen;

Er kann sie wohl nach Gliedern meßen.

Willst du mit Gott in Frieden leben,[663]

Sollst du dafür ihm Buße geben.

Ich muß dir jammernd künden:

Du trägst zwei Todsünden.

Ithern hast du erschlagen;

Auch deine Mutter sollst du klagen,

Der ihre große Treue rieth,

Daß sie aus diesem Leben schied,

Da Du von ihr geschieden.

Nun folge mir, hienieden

Büße deine Missethat,

Daß wenn einst dein Ende naht,

Irdsche Drangsal dir erwirbt,

Daß dort die Seele nicht verdirbt.«


Weiter ohne Zornes Hast

Frug der Wirth seinen Gast:

»Noch hab ich, Neffe, nicht vernommen:

Wie bist du an dieß Ross gekommen?«

»Herr, dieß Ross hab ich erstritten,

Da ich von Sigunen kam geritten,

Die ich vor ihrer Klause sprach.

Einen Ritter flüglings stach

Ich dann herab und zogs hindann;

Von Monsalväsche war der Mann.«

Der Wirth sprach: »Blieb er denn am Leben,

Dem es Anfortas hat gegeben?«[664]

»Herr, ich sah ihn heil entgehn

Und fand dieß Ross mir nahe stehn.«

»Des Grales Volk berauben

Und dabei doch glauben

Seine Freundschaft zu gewinnen,

Das ist thöricht Beginnen.«

»Herr, ich nahms in offnem Streit.

Wer deshalb mich der Sünde zeiht,

Der prüf erst näher, wie es kam:

Er erschlug das meine, dem ichs nahm.«


Wieder sprach da Parzival:

»Wer war die Jungfrau, die den Gral

Trug? den Mantel lieh sie mir

Der Wirth sprach: »Neffe, war er ihr

(Sie ist auch deine Muhme),

Sie lieh ihn nicht zu eitelm Ruhme:

Du solltest dort Gebieter sein

Des Grals und ihr, nicht minder mein.

Dein Oheim gab dir auch ein Schwert,

Das dir mit Sünden nun gehört,

Da leider keine Frage kund

That dein wohlberedter Mund.

Laß die Sünde bei den andern stehn;

Zeit ists, daß wir zur Ruhe gehn.«

Nicht Bett noch Kissen ward gebracht:[665]

Sie lagen auf dem Stein zu Nacht;

Ihrem herrlichen Geschlecht

War solch ein Lager nicht gerecht.


So blieb er bei ihm vierzehn Tage.

Sein pflag der Wirth wie ich euch sage:

Kraut und Wurzeln allein

Musten ihre Speise sein.

Der Held trug die Beschwerde,

Daß sein süßer Trost ihm werde,

Da ihn der Wirth von Sünde schied,

Mit gutem Rath ihn wohl berieth.


»Wer wars,« so frug einst Parzival,

»Der in der Kammer lag beim Gral,

Grau von Haar, von Antlitz hell?«

Der Wirth sprach: »Das war Titurel.

Der ist deiner Mutter Ahne:

Zuerst ward des Grales Fahne

Zum Schutz befohlen seiner Hand.

Ein Siechthum, Podogra genannt,

Hält ihn gelähmt ans Bett gebunden.

Seine Farb ist nimmer doch geschwunden.

Den Gral erblickt sein Angesicht;

Drum mag er auch ersterben nicht.

Der Greis giebt ihnen guten Rath.[666]

In seiner Jugend manchen Pfad

Ritt er zu tiostieren.

Willst du dein Leben zieren

Und immer würdiglich gebahren,

Die Fraun zu haßen must du sparen.

Fraun und Pfaffen, wie bekannt,

Unbewehrt ist beider Hand;

Doch schirmt die Pfaffen Gottes Segen.

Dein Dienst soll ihrer treulich pflegen,

So wird dereinst dein Ende gut.

Der Pfaffheit zeige holden Muth:

Was auf Erden sieht dein Angesicht,

Das vergleicht sich doch dem Priester nicht.

Sein Mund verkündet uns das Wort,

Das unser Heil ist, unser Hort;

Auch greift er mit geweihter Hand

An das allerhöchste Pfand,

Das je für Schuld verliehen ward.

Ein Priester, der sich so bewahrt,

Daß er sich ganz ihm hat ergeben,

Wer könnte heiliger leben?«


Das war der Beiden Scheidetag.

Ihn küsste Trevrezent und sprach:

»Deine Sünden laß mir hier:

Gottes Huld erfleh ich dir.[667]

Leiste, was ich dir gesagt:

Halte fest dran unverzagt!«

Von einander schieden sie:

Ihr mögt euch selber denken wie.[668]


Quelle:
Wolfram von Eschenbach: Parzival und Titurel. 2 Bände, Stuttgart 1862, Band 2.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Parzival
Parzival. Text und Übersetzung. Mittelhochdeutscher Text: Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text Nach Der Sechsten Ausgabe Von Karl Lachmann. Mit ... Und in Probleme Der Parzival-interpretation
Parzival - Band 1: Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch
Parzival - Band 2: Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch
Parzival: Band 1 und 2
Parzival I und II (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon