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[3] Während der Genesung von einer schweren Krankheit, ist das Gemüth zum stillen Hoffen und Dulden mehr als zum heftigen Verlangen gestimmt. Das Gefühl, eine freudenreiche lebenvolle Gegenwart nicht mit vollen Sinnen genießen zu können, beruhigt über einen freudenlosen Zustand.
Unser Gemüth ergreift Vergnügen und Schmerz mit gleicher Gewalt, und eben so stehen Sorge und Verlangen in gleichem Verhältniß. Auf diese Art ertrug ich[3] meine höchstsonderbare Lage mit einer Ruhe, die mir in der vollen Thätigkeit meiner Gemüthskräfte unbegreiflich war.
Das gute wohlmeynende Wesen des Arztes, sein heller Blick, der mit offenbarem Vergnügen auf mir verweilte, gaben mir sogar Muth. Hätte mir dieser Mund ein Unglück zu verkündigen, er würde mir nicht so heiter zulächeln! sagte ich mir oft.
Nur die Unruhe um Charles verfolgte mich mit quälenden Bildern. Sein Verstummen nach dem Schuß, welchen ich an jenem unglücklichen Abend gehört, ließ mich oft seinen Tod befürchten.
Der Verlust eines so treuen Freundes war mir innig schmerzlich;[4] und er war auch das einzige Band zwischen meiner Mutter und mir! Wo sollte ich die geliebte Stimme aufsuchen, die mir nur körperlos, wie ein Laut des Echo aus der Wildniß zutönte!
Als mich der Arzt den nächsten Tag besuchte, sagte er: Die Musik ist ein sehr wirksames Mittel, um den schwachen, verstimmten Nerven wieder Ton zu geben; ich habe eben in dem nächsten Dorfe zwei kleine Musikanten gefunden, zwei liebliche Knaben; ich nahm sie mit hierher, um Ihnen ein kleines Concert zu machen.
Er öfnete die Thür ins Nebenzimmer, und ich hörte ein liebliches Vorspiel einer Guitarre und Flöte.[5] Es war dieselbe Melodie, welche Bettina in Nordheims Garten gespielt hatte.
Mein Busen wallte in sonderbaren anmuthigen Erwartungen; der Arzt beobachtete mich genau, winkte mir freundlich zu, und sagte lächelnd: O, ich bin der guten Wirkung dieses Mittels gewiß!
Die Alte setzte ihre Brille auf, und schüttelte den Kopf; so that sie zu allem, was sie nicht verstand. und wobey sie sich doch ein bedeutendes Ansehn geben wollte.
Jetzt tönte eine reine volle Stimme in die Saiten; ich erkannte Bettina. Meine Augen füllten sich mit süßen Thränen, und ein sanfter Schauer bebte durch meine Nerven.[6] Der Arzt faßte meine Hand und sagte: Sie müssen den einen Knaben sehen, es ist ein so liebliches Kind! Komm herein, Kleiner! rief er; aber geh und sprich ja leise!
Ein Knabe trat schüchtern an die Thür. Er stand im Schatten, und ich erkannte die Gesichtszüge nicht. Nur näher! winkte der Arzt; und jetzt stand Bettina in Knabenkleidern mitten im Zimmer.
Sie sank auf ihre Knie, sah mich mit einem Blick an, in dem sich ihr ganzes Wesen aufzulösen strebte, und verbarg dann ihr Gesicht in ihre beiden Hände.
Der Arzt gebot ihr aufzustehen, zog sie zu sich, und sie stand jetzt dicht an meinem Bette.[7]
Ich reichte ihr meine Hand, der sie einen heißen Kuß aufdrückte, und als sich ihr Haupt wieder erhob, flüsterte sie mir leise auf Italiänisch zu: Nordheim sendet mich zu dir, er ist nicht weit. Gott, was litten wir um dich!
Die Alte schob ihre Brille zurechte, hustete, fand das alles sehr sonderbar; doch wagte sie keine Bemerkung. Der Arzt wußte sie mit unerschöpflicher guter Laune zu unterhalten.
Bettina und ich selbst waren jetzt gefaßt genug, um ein gleichgültiges Gespräch vor der Alten anzuknüpfen. Sie mußte ihren Bruder auch aus dem Nebenzimmer zu mir bringen, beide Kinder betrugen[8] sich mit großer Feinheit. Battista machte sich an Madame Imbert, und wußte durch tausend Schäkereyen ihre Aufmerksamkeit von mir abzulenken.
Bettina spielte mir geschickt einen Brief in die Hände; ich erkannte Nordheims Handschrift, und verbarg ihn in meinen Busen.
Ich hoffe Ihnen morgen einen Spatziergang im Garten verordnen zu dürfen, sagte der Arzt.
Die Alte wollte Einwendungen machen, aber eine scherzhafte Antwort des Arztes brachte sie zum Schweigen.
Auch meine kleine Hofkapelle bringe ich Ihnen bald wieder mit, sagte er beym Abschied.[9]
Bettina küßte meine Hände noch einmahl, und während sich ihr Bruder mir näherte, ergriff sie eine Scheere, die auf dem Tischchen am Bette lag, und schnitt eine Haarlocke ab, die über meiner Schulter lag; schnell hatte sie ihren Raub in ihr Westchen verborgen, drückte die Hand auf ihre Brust, und flüsterte mir leise zu: Es ist für ihn!
Ich erwartete die Ruhestunde der Alten mit klopfendem Herzen. Als ich hörte, daß sie in tiefem Schlafe lag, wagte ich es, meinen lieben Brief zu eröfnen.
»Endlich, meine geliebte Agnes, kenne ich Ihren Aufenthalt. Die qualvollsten Tage meines Lebens folgten auf die schönste Stunde desselben.[10] Aber der Augenblick, welcher uns wieder vereinigen wird, ist nicht fern; unser Leben soll bis dahin ganz der Hofnung gehören. Ich wäre zu Ihnen geeilt, hätte mich der Arzt nicht zurückgehalten. Er fürchtete, eine so ganz unerwartete Erscheinung möchte zu heftig wirken.
»Der Arzt ist einer meiner liebsten Freunde den ich von nun an als den Schutzengel meines Lebens verehre, weil er meine geliebte Agnes erhielt.
»Fürchte nichts mehr, meine einzig Geliebte! Du bist von den Armen der Liebe umgeben, keine Gefahr soll dir mehr nahen. Fürchte auch nicht für die, die dir werth[11] sind, sie sind gerettet, um sich eines schönen Lebens mit uns zu freuen.
»Sobald der Arzt die Reise zuträglich für Sie findet, bitte ich Sie, diesen Aufenthalt zu verlassen.
»Alles wird sich freundlich auflösen.
»Ich schicke meiner süßen Geliebten hier einen Ring, welcher nie von meiner Hand kam; mir dünkte, ihre lieben Blicke ruhten oft darauf, und schienen eine gewisse verworrene Empfindung auszudrücken. Er löse jetzt alle Zweifel des besten Herzens, dessen Vertrauen ich ganz verdienen will.«
Wie sonderbar ward mein Gemüth bewegt, als ich den Ring mit Amaliens Nahmen aus einem Papier[12] wickelte! Die reine Güte meines Geliebten, der treue zarte Sinn dieses Briefes, die seelenstärkende Hofnung, wirkten als wohlthätige Zaubermittel auf mein ganzes Wesen. Alle Sorgen um Charles und meine Mutter fielen von meinem Herzen, das sich ganz in seliger Hofnung erhob.
Arme Amalie! seufzte ich über den Ring mit einer unaussprechlich wehmüthigen Empfindung, als ich ihn wieder einwickelte, um ihn zu verwahren. Aber der erste Abend, wo er von Nordheims Hand in die meine fiel, stand vor meiner Seele, und ich verlor mich in den schönsten Träumen, die die Zukunft an die Vergangenheit knüpften.[13]
Der Arzt fand mich am folgenden Morgen so stark, daß er darauf bestand, ich sollte einige Stunden der freien Luft im Garten genießen.
Ich sah die ganze Façade des Hauses, worin ich mich befand. Es war ein altes, aber sehr großes Gebäude, und schien ganz unbewohnt. Der Garten war ringsum von einer mäßig hohen Mauer umgeben, und einige Durchsichten waren angebracht, wo man durch eiserne Stäbe in die umliegende Gegend blickte. Der Garten stieß an einen anmuthigen Wald, aber die ganze Gegend schien öde und menschenleer, und nur in weiter Entfernung lagen einige Dörfer.[14]
Aus wiederholten Fragen, mit welchen ich die Alte oft überraschte, hatte ich mir zusammengesetzt, daß dieser Ort ohnweit U. läge, welches zehn Meilen von D. entfernt war.
Wem dieses Landhaus zugehöre, hatte ich bis jetzt nicht bestimmt erfahren können, aber als ich im Garten über den Thoren des Schlosses das Wappen des Fürsten von ** bemerkte, blieb mir kein Zweifel, durch welche Autorität ich hiehergebracht worden sei, so unergründlich mir auch die Ursache dieses Benehmens war.
Der Arzt ging an meiner Seite, aber Madame Imbert ging an der andern, und es wurde uns unmöglich, etwas Zusammenhängendes zu sprechen.[15]
Sie werden Herrn von Nordheim sehen! flüsterte mir der Arzt zu, ich konnte ihn nicht länger zurückhalten; aber halten Sie sich, und verbergen sich vor der Alten so viel wie möglich!
Mein Herz schlug hoch, der Athem fing an zu entgehen, und mein gebrochnes Auge richtete sich nach dem unendlichen Blau des Himmels, um Stärke zu sammlen.
Der Arzt warf einen besorgten Blick auf mich, unterstützte mich mit seinem Arm, und sagte mir ins Ohr: Wenn Sie sein Anschaun nicht still zu ertragen vermögen, so eile ich ihn aufzuhalten. –
Nein, sagte ich, es ist schon besser, Sie sollen mit mir zufrieden seyn.[16]
An einem Platz wo man die freie Aussicht auf den Wald hatte, bat mich der Arzt auszuruhen. Es war ein heitrer Herbstmorgen. Der Himmel glänzte im reinsten Licht, und der Wald, der vor uns lag, im Schmuck der mannichfachsten Farben.
Ein Duett von Waldhörnern schallte aus der Ferne, und näherte sich uns in immer wachsenden Tönen. Bald vernahmen wir den Lärm von Pferden und Hunden, und jetzt sahen wir die Reuter aus dem Dickicht des Waldes sich uns nähern.
Der Arzt hielt meine Hand, und ein freundlicher Wink verkündigte mir Nordheims Ankunft.
Er wird nicht mit Ihnen sprechen, flüsterte er mir ins Ohr, nur[17] unter dieser Bedingung erlaubte ich ihm zu kommen.
Es ist Herr von U. mit seiner Jagdgesellschaft, sagte er laut.
Nordheims Gestalt leuchtete mir sogleich aus allen übrigen hervor. Welche Zauberkraft fesselte alle meine Sinnen! Mein Herz flog ihm entgegen, und alles hielt mich zurück. Die Gewalt des Verlangens bewegte mein Herz aufs neue bis zum schmerzlichen Krampf; aber jetzt näherte sich der Geliebte, ich sah die reinen großen Formen von hohem, stillem Geist belebt, und jeder Sturm in meinem Busen schwieg. Wie im Anschaun der reinen Schönheit, fühlte ich nur ein hohes stilles Vergnügen, in dem mein eignes Wesen sich stärkte und erhob.[18]
Seine Augen ruhten auf mir mit süßem Verlangen, mit zarter Besorgniß. Wie fühlte ich die Allgewalt, mit der die Seele sich durch dieses Organ auszudrücken vermag! In wenig Augenblicken stand die ganze Seele meines Geliebten in reiner Klarheit vor mir, wie nach einem sanften Gespräch, und Hofnung belebte mein ganzes Wesen.
Auch Julius war in Nordheims Gesellschaft, und sein sanfter Gruß zeigte mir sein liebendes Herz. Bettina und ihr Bruder folgten. Gleich einer himmlischen Erscheinung wallten die lieben bekannten Gestalten vor mir vorbey, um mir Heiterkeit und Trost zuzulächeln.
Die Vereinigung derer die wir[19] lieben, ist einer der zärtesten Genüsse des Herzens. Meine heitern Blicke dankten dem guten Arzt, der den innigsten Antheil an meiner Freude nahm. Bewahren Sie diese sanfte Geduld nur noch wenige Tage, sagte er mir während einer kurzen Entfernung der Alten. Treue Liebe wacht über jeden Ihrer Schritte. Mit Engels Unschuld wandeln Sie ohne Furcht in Licht und Klarheit. – Ich danke Nordheim alles was ich bin, und das Schicksal konnte mir keine größere Wohlthat erzeigen, als die Gelegenheit, mich dankbar zu beweisen. Im Grunde ist wenig Verdienst hierbey, denn ich war entschlossen, alles für Sie zu thun, sobald ich Sie kennen lernte. – Halten Sie[20] sich ruhig für heute, sagte er, als die Alte zurückkam, und nahm Abschied.
Als ich aus dem Garten zurückging, begegneten mir ein paar alte verlebte Gestalten, die gleich den Schatten der Vorwelt, in den langen Gängen und den öden Gemächern nur noch eine Spur des entflohenen Lebens zu bezeichnen schienen. In der einen erkannte ich den widrigen kleinen Mann, der mir beim ersten Erwachen aus meiner Krankheit den Puls fühlte. Die zweite war ein freundlicher Alter, der mir gütig und vertraulich zulächelte.
Verschiedene Gemächer waren geöfnet, man war beschäftigt sie zu reinigen und auszulüften. Der freundliche Alte bezeigte mir sein Verlangen,[21] mich mit den Seltenheiten, welche sie enthielten, bekannt zu machen, aber mein alter Argus warf einen unwilligen Blick auf ihn, und alle Hausgenossen schienen unter demselben Joch, welches auch mich drückte, zu seufzen. Endlich gelang es doch meinem neuen Freund, der als ein alter Hofdiener auch etwas jener kleinen Künste, welche die große Welt regieren, erlernt haben mochte. Er schwang den Zauberstab der Schmeicheley, und die tausend Augen der Vorsichtigkeit schlossen sich gefällig. Wollen Sie nicht in jenem Cabinet der jungen Dame Ihr Bildniß zeigen? sagte er der Alten. Es ist von wunderbarer Schönheit, und seltner Ähnlichkeit. Sie werden darüber erstaunen,[22] sagte er mir, und schon nahmen unsre Schritte eine andere Richtung. Alle Falten des alten Gesichts klärten sich auf, und legten sich in einen selbstgefälligen Zirkel um Mund und Wangen. Das alte Weib hüpfte uns selbst voran, die Thür zu öffnen. Wir standen vor einer Diana, und ihre Redseligkeit war in vollem Strom, uns die Situation, in welcher das Bild gemacht war, und die Leidenschaft des Fürsten, der es begehrt hatte, zu vergegenwärtigen. Es konnte uns kein Zweifel mehr übrig bleiben, daß man diese Göttin hier nur wegen des Kontrastes gewählt hatte.
Der gute Mann lächelte und winkte mir sein Vergnügen über die[23] gute Laune zu, in welche er die Alte versetzt hatte. Wir besahen nun mehrere Zimmer, ich wurde weniger streng bewacht, und er gewann die Gelegenheit sich mir zu nähern. »Erschrecken Sie nicht, wenn sich in dieser Nacht eine Tapetenthür in Ihrem Zimmer eröffnet, und folgen Sie Still dem Wink, welchen man Ihnen geben wird.«
Ich suchte die Alte diesen Abend zeitig zur Ruhe zu bringen, indem ich mich selbst bald zu Bette legte. Als sie im Nebenzimmer in tiefem Schlaf lag, stand ich auf, zog mich an, und erwartete, welche neue Begebenheit meinen neuen gegenwärtigen Zustand freundlich auflösen, oder auch vielleicht tiefer verwirren würde.[24]
Ich fand wirklich eine verborgne Thür, die ich noch nie bemerkt hatte, und nach der Mitternachtsstunde vernahm ich ein Geräusch an derselben.
Ich bebte vor ungeduldigem Verlangen. Jetzt öffnete sich die Thür, eine verhüllte Gestalt bog sich herein und winkte mir. Ich folgte, und die Hofnung, meine Mutter in dieser Gestalt zu finden, bewegte mein Herz in süßer Freude. Aber eine starke männliche Hand faßte die meine, und führte mich durch einige finstre Gänge.
Sollte es Nordheim seyn? dachte ich, aber mein Herz schwieg, und empfand nichts von dem nahmenlosen Zauber, welcher uns in der Nähe[25] eines geliebten Wesens ergreift. Jetzt öffnete sich vor uns ein erhelltes Zimmer, die Gestalt warf einen langen Mantel von sich, und ich erkannte den Prinzen.
Ists möglich? Sie hier? sagte ich. O Sie kamen gewiß, um das Unrecht Ihres Vaters wieder gut zu machen, mich aus diesem Ort zu befreien und meinen Freunden wieder zu geben!
Gutes, vertrauendes Geschöpf! erwiederte er, ich komme, um Sie Ihrer Mutter zuzuführen. Mein Herz eilte dieser glücklichen Entdeckung ungestüm zuvor, als es sich Ihnen im ersten Augenblick mit Liebe und Verlangen näherte. O meiner Schwester Glück im Besitz einer so lieben Tochter ist groß und einzig![26]
Ihrer Schwester? rief ich aus. Meine Mutter .... O so war jene wunderbare Ahndung keine Täuschung!
Die Seitenthür öffnete sich, und die Prinzessin trat herein.
Bestes Kind! rief sie aus, indem sie mich in ihre Arme schloß, der Augenblick ist endlich gekommen ... Meine Tochter ... Ich lag zu ihren Füßen, sie zog mich an ihre Brust, und unsre Herzen schlugen unter süßen Thränen gegen einander.
Nach den ersten Momenten süßer Verwirrungen, in denen mich auch der Prinz als seine Nichte umarmte, blieb ich allein mit meiner Mutter.
Du bist die Frucht der heiligsten, aber der unglücklichsten Liebe,[27] sagte sie, die unter dem Druck der schwersten Verhältnisse sich von Thränen und Entbehrungen nährte. Meine Freunde, die die fürchterliche Gewalt kannten, mit welcher mein Herz die Gegenstände seines Verlangens ergreift, entrissen dich mir. Ich beweinte dich als eine Todte, während du in holdem Leben aufblühtest. Jetzt da ein längeres Leben mir stilles Dulden und Genießen lehrte, jetzt gab dein Vater dich mir wieder. – Ach und beinah verlor ich ihn selbst! Eine tiefe Finsterniß liegt noch auf unserm Schicksal. Stolz, Härte, kalte Eitelkeit sammlen undurchdringliche Wolken um uns her. O die Menschen können viel Böses beginnen, wenn ihr Herz dem Strahl der[28] Liebe undurchdringlich ist! Unsre zarten, süßesten Neigungen dünken ihnen dann nur leichte Opfer!
Ich lag zu den Füßen meiner Mutter, mein Haupt ruhte in ihrem Schooß, und ihr tiefer, schwermüthiger Blick lösete jede Kraft meines Busens auf. Eine unaussprechliche Bangigkeit faßte mich, doch suchte ich ruhig zu scheinen.
Ich habe noch wenig Erfahrung, meine theure Mutter, aber doch fühlte ich schon oft, wie uns das Herz in der Gefahr wächst, und wie in dringender Noth gleichsam ein guter Engel in den Lauf des Schicksals greift, um die Umstände freundlich zu uns zu fügen. Lassen Sie uns Vertrauen schöpfen. –[29]
Armes Kind! sagte meine Mutter mit einem süßen schmerzlichen Lächeln, du ahndest nicht, welches Opfer man von dir fordert! ...
Sie verlangte eine kurze Erzählung meiner Begebenheiten in jener Nacht, und meines Aufenthaltes an diesem Ort.
Mit dem süßen Vergnügen, mit welchem wir innig Vertrauten die glücklichen Momente unsers Lebens mitzutheilen streben, weil sie ihnen zum eignen Genuß werden, und mit jener Schüchternheit einer hochbewegten Seele, die sich ihr reinstes Glück kaum selbst auszusprechen wagt, entdeckte ich meiner Mutter Nordheims Liebe, unser erstes Zusammentreffen, meine Hofnungen und meinen Schmerz,[30] bis zur glücklichen Stunde, wo sich mir das schönste, edelste Herz ergab.
Meine Mutter war höchst bewegt, antwortete nichts, und schloß mich weinend in ihre Arme.
Er ist das Opfer! tönte es in meinem Innersten; und gleich der kalten Hand des Todes, ergriff ein starres Entsetzen meinen Busen. Mögen sich diese Augen auf ewig schließen, wenn sie sich zu seinem Anschaun nie wieder erheben sollten, sagte ich in mir selbst. Nur eine schaudervolle Ode fand ich in meinem Innern; der Wunsch, mich selbst darin zu verlieren, war mein klärstes Gefühl.
Meine Mutter hieß mich fortfahren, und fragte nach allen kleinen[31] Umständen der unglücklichen Stunde, die mich hier her versetzte.
Ich sprach lebhaft von meiner Sorge um Charles; ob mich gleich Nordheims Zeilen von der Furcht befreiten, ihn verloren zu haben, so sagten sie mir doch auch nichts Bestimmtes über seinen jetzigen Zustand. Wo ist der gute, treue Mann, dem ich so viel zu verdanken habe? O du hast ihm noch mehr zu danken, als du weißt, sagte meine Mutter. Alles – er ist dein Vater! und welch ein Vater, welch ein Mann er ist, wirst du aus einer kleinen Lebensgeschichte sehen, die ich seit unserer ersten Zusammenkunft für dich aufschrieb.
Du hörtest von deinem Pflegevater[32] den Nahmen Hohenfels gewiß mit Verehrung nennen. Ich weiß es, er war der gute Engel jener Gegend, den man bis zur Anbetung verehrt, wie der fromme Wahn einen entschlafenen Schutzheiligen. Und dieser Mann entzog sich der Welt, in welcher ihn die schönsten Verhältnisse fest hielten, entzog sich dem großen Cirkel seiner Wirksamkeit aus Liebe für mich, für dich, mein Kind. Sein glänzendes Leben verschwand wie ein schöner Stern vom Himmel. Alle Augen suchten ihn mit Sehnsucht. Er erhielt, ernährte unsre Herzen mit seinem heiligen Feuer. – Du wirst es fühlen, liebstes Kind, wenn sich der ganze Lauf seines Lebens vor[33] dir enthüllt; wir können nie, nie genug für ihn thun!
Welche Freude empfand ich, in diesem edlen geliebten Mann, der mir gleich anfangs als ein guter Genius erschienen war, meinen Vater zu finden! Die Freude, welche mein Vater von Hohenfels über diese glückliche Erscheinung seines so lang beweinten Freundes fühlen würde, erhöhte mein eignes Glück.
Aber dieser edle Mann, fuhr meine Mutter fort, ist jetzt in den Händen meines Vaters! Warum muß ich es aussprechen! meines Vaters, in dessen ehernem Busen nie ein sanftes Gefühl der Natur keimte. Fühllosigkeit und Mißtrauen sind das Loos derer, die auf einer höheren Stufe zu stehen[34] wähnen, wenn nicht eine besonders reiche Natur ihr beßres Gefühl erhält. Die Sklaverey des Scheins unterdrückte die freie Regungen seines Herzens, die Convenienz wurde aus seiner Tyrannin seine Göttin. Wie sein eignes Daseyn, so opfert er dieser auch jede andere Existenz, die ein unglückliches Schicksal an die seinige knüpfte. Gutes Kind! mußte dich meine unvorsichtige Neigung auch in dieses feindselige Gewebe ziehen!
Lies dieses, sagte sie, indem sie mir zwey versiegelte Papiere gab: das erste enthält einen flüchtigen Umriß meiner Lebensgeschichte; das zweite, Briefe meines Bruders, aus welchen du die gegenwärtige Lage der Dinge sehen wirst.[35]
Ich fordre nichts von dir ..., sagte sie mit zitternder Stimme: mein Herz wird nur Ruhe finden, wenn es aufgehört hat zu schlagen. Dein großmüthiger Vater fordert nichts von dir, er hat jedes Glück dieser Welt für sich aufgegeben, nur das deine kann ihn noch rühren. Fordre nichts von dir selbst, was deinen Frieden für immer stöhren könnte. Ich ahnde eine höhere Kraft in dir, welche mir die Natur versagte; ohne dieses, und ohne den dringenden Rath meines Bruders, hätte ich dir diese Papiere jetzt nicht überliefert.
Der Prinz trat herein, und bat meine Mutter, sich zu entfernen. Höchst bewegt lag sie in meinen Armen, und konnte sich nicht von mir[36] losreißen. Bald riß sie die Papiere, welche sie mir eben zugestellt hatte, aus meinen Händen, und rief: Nein, ich will die Ruhe deiner Liebe nicht morden! Bald gab sie mir sie wieder mit den Worten zurück: Rette deinen edlen Vater!
Als sie mir sie aufs neue entreissen wollte, stellte sich der Prinz zwischen uns, faßte meine Mutter sanft bey der Hand und sagte: Schwester, fasse dich! Unsre Agnes hat den Sinn und den Muth, das Edelste zu wählen. Dein armes Herz hat so viel gelitten, daß deine gesunde Vorstellungsart davon erkrankte. – Wer kann zweifeln in deiner Lage? Agnes muß alles wissen; – die Pflicht wird in ihrem schönen Herzen siegen.[37]
Meine Mutter rief mit wildem Blick: Ja, und die Liebe wird es im Todeskampf brechen. O nur ein Mann, nur mein Gemahl konnte lieben, konnte ein weibliches Herz verstehen. Ihr andern spielt mit euch selbst mit der Leidenschaft, und mit uns. Ich kenne eure Siege! Ihr umfaßt nichts mit der ganzen Kraft eures Wesens, und vermögt darum von allen zu scheiden, und euch noch dazu in eurem eitlen Sinn zu überreden, die Stärke habe errungen, was die Schwachheit aufgab. Nein, von der vollen Hingebung eines weiblichen Herzens, von der Gewalt seiner Neigung, habt ihr weder Gefühl noch Begriff. – Auch nicht von der Zartheit, mit welcher wir in ein[38] anderes Daseyn überfließen, und wie seine Leiden unsern Busen zerreißen. Diese tausend feinen Fäden unsers Wesens, die allen Schmerz der weiten Natur zu dem unsern machen, und diese Gewalt, die uns ganz und einzig in einer Liebe hinreißt und ewig fest hält, öffnet uns eine eigne Welt des Leidens. Trauriges Geheimniß unsrer Existenz! Ihr vermögt euch in eurem Innren zu trennen, mit dem Verstand wahrzunehmen, mit den Sinnen. Wir umfassen alles mit unserm ganzen Wesen, der Schmerz zerstöhrt uns auch ganz. – O verzeih, mein Bruder, ich kenne dein edles treues Herz. – Ich folge deinem Rath, aber aller Muth ist mir entgangen in der Ahndung ihres Leidens. Sie zog mich an ihre Brust.[39]
Ich fühlte nur ihren schmerzlichen Zustand. In meinem Innern war es finster, nur eine schreckenvolle Gestalt bewegte sich schauervoll in dieser Finsterniß, die Furcht Nordheim zu verlieren.
Ich weiß nicht was ich soll, noch kann, meine theure Mutter, sagte ich: aber ich will alles, was Ihnen Ruhe gewährt.
Schone dich, bestes Kind! sagte meine Mutter. O, muß dieser neue Kampf deine noch schwache Gesundheit schon wieder bestürmen! Übermorgen sehen wir uns wieder.
Der Prinz sagte mir noch: Der alte Bediente ist von uns gewonnen, verlassen Sie sich ganz auf seine Treue. Wir sind nicht weit von Ihnen[40] entfernt, in wenig Tagen leben Sie in dem Kreise Ihrer Freunde.
Der vertraute alte Diener brachte mich wieder in mein Zimmer. Mit bebender Hand eröffnete ich die folgenden Blätter, welche das Geheimniß meines Schicksals enthielten, und wendete den Rest der Nacht dazu an, sie zu durchlesen.
»Ich wurde in jener Beschränkung erzogen, zu welcher so oft die isolirte Lage eines höhern Standes führt.
Meine Mutter hielt streng auf einmahl hergebrachte Gewohnheiten, und in allen einfachen fröhlichen Genüssen der Jugend klirrten die Fesseln der Etikette mit ein. Tausend[41] Ermahnungen, die Schicklichkeit, zu der meine Geburt mich verpflichtete, ja niemahls aus den Augen zu setzen, begleiteten jeden meiner Schritte. Natürlich waren diesen Vorstellungen für mich seelenlose Töne, wie alle conventionellen Begriffe es für uns sind, ehe wir die Verhältnisse kennen, aus denen sie sich erzeugen.
Alles was mich umgab zweckte darauf ab, mich zu isoliren, und mein weiches liebe-bedürfendes Herz strebte, mich mit allem zu verbinden. Meine ganze Natur gewann mehr Stärke des Empfindens durch den Widerspruch, den sie von außen erfuhr, als sie vielleicht in einer andern Lage gewonnen hätte.
Ein erhöhter Zauber von magischen[42] Farben umstrahlte alle kleinen Verbindungen, die ich in den seltenen Gelegenheiten anknüpfte, wo ich mit mehreren Kindern meines Alters zusammenkam. Kein Ball, keine Assemblee verging, wo mir nicht irgend eine Gestalt erschien, welcher ich mich mit Liebe näherte, und nach der ich in den folgenden Tagen eine leidenschaftliche Sehnsucht empfand.
Mein Verstand entwickelte sich nicht im gehörigen Verhältniß zu meiner Einbildungskraft. Meine Lehrstunden waren nur mechanische Übungen. Ich gewann Kenntnisse und Fertigkeiten; aber ohne ausgezeichnetes Talent zu besitzen, schlossen sie sich zu keinem Ganzen in meiner[43] Seele, und beschäftigten mich also auch nur einseitig. Es war immer etwas Unbeschäftigtes, etwas Überflüßiges in mir, welches nach einem Organ zur Wirksamkeit rang.
Meine Fantasie, die in keiner Kunstschöpfung erblühen konnte, waltete bildend über meinem gewöhnlichen Lebenskreis, wo sie nur Täuschung und Verwirrung erfuhr und erzeugte. Sie lag als eine Wolke zwischen mir und der Wirklichkeit, meine Genüsse und Leiden bildeten sich nur in diesem Medium, und mein Wesen trat aus dem Kreise der gewöhnlichen allgemein verbindenden Vorstellungen beynah heraus. Ich fühlte es, man faßte mich nicht, und so verlor auch ich das Vermögen,[44] die Menschen um mich her rein zu verstehen. Zu meinem Unglück lagen auch nur lauter verschobene verwirrte Naturen in meinem näheren Kreise. Ein gesundes, starkes, lieblich gestimmtes Gemüth, welches sich dem meinigen zugeneigt, hätte vielleicht die Harmonie unter meinen Seelenkräften, und zu meinen äußern Verhältnissen wieder herstellen können. Aber der belebende Hauch der Liebe blieb mir fremd während meiner ersten Bildung. Mein Herz verschloß sich allen ungefälligen Gestalten meines ältern Cirkels, und die einzige holde Gestalt, die mich umgab, meine ältere Schwester, wurde früh verheyrathet, und schwebte, als sie mich verließ, noch selbst zu sehr[45] in jenem magischen Duft, der auch meinen Gesichtskreis bewölkte, um klar und bestimmt auf mich zu wirken. Mein jüngerer Bruder wurde ganz von mir getrennt erzogen.
Ich war der genaueren Aufsicht einer alten Französin übergeben. Diese wachte sorgfältig über mein Äußeres, über den Anstand mit welchem ich in ein Zimmer eintrat, und über die Art und Weise, wie ich jedem Mitglied der Gesellschaft zu begegnen hätte. Sie selbst glaubte durch den Wiederschein meines Ranges zu glänzen, und erhielt mich nach den Maximen meiner Mutter, in einer strengen Zurückhaltung gegen alles was mich umgab.
Meine Vernunft blieb unkultivirt,[46] aber glücklicherweise blieb mein Herz gesund in seinem besten Vermögen. Ich ehrte die Wahrheit über alles, und war durch die Lebendigkeit meiner innern Erscheinungen zu einer gewissen Erhabenheit des Sinnes gestimmt, die mich über allen kleinen Collisionen erhielt, in denen unsre Gutmüthigkeit oft scheitert.
Ich verlebte meine Tage in einer sonderbaren Wehmuth, zu der ein unbestimmtes Verlangen hinneigt. Die edlen Seiten meiner angebohrnen Verhältnisse wurden nie durch klare Vorstellungen, die einzig ansprechen, an mein Herz gelegt. Das Leben und Wirken für Andere, die immerwährende Sorge und Thätigkeit für ein Ganzes, die gleichsam[47] das reinste Element ist, in welchem ein menschliches Gemüth das reichste und reinste Daseyn gewinnt, diese hatte man mir nie in der nothwendigen Verbindung mit mancher Beschränkung meiner Lage gezeigt.
Wer für andere wirken will, muß seiner selbst gewiß seyn, und die künstlichen Schranken, welche die Großen oft um sich herlegen, sind immer als Symbole, die reelle Eigenschaften erzeugen oder ersetzen sollen, achtenswerth. Ruhe Besonnenheit, Mäßigung gesellen sich gern zu einem gleichförmigen feierlichen Gang des Lebens. Man legte mir zuweilen diese Verhältnisse vor, aber es geschah ohne Klarheit und Wärme. Wie so selten genießen wir einer andern[48] Erziehung als die der Umstände, und wie tausend kleine Begebenheiten machen uns endlich zu dem was wir sind!
Die Musik war das einzige Organ zarter menschlicher Empfindungen um mich her; ich ergab mich ihr, und lernte sie mit Leidenschaft.
Meine Bücher waren einer strengen Wahl unterworfen, aber wie die Vorsichtigkeit immer der Natur eine Lücke geöffnet lassen muß, so schlich sich auch unter dem Vorwande der Sprachstudien, manches Contrebande mit ein.
Die Äneis berührte gewisse zarte Saiten in meinem Wesen am ersten, und während mein alter Lehrer nur Construktionen, Substantive und Adjektive[49] sah, drang die mächtige Stimme der Leidenschaft, in den Schicksalen der armen Dido, an mein Gemüth.
Diese bestimmt gezeichneten Bilder schoben sich meinen italienischen Arien unter, die ich mit großer Wahrheit des Ausdrucks singen lernte.
Ein sanftes, zärtliches Mädchen, die wie ich, unter dem Druck einer sogenannten feinen Erziehung seufzte, bekam auf einer Landparthie, wo ich meine Mutter begleitete, Gelegenheit sich mir zu nähern.
So ungestört hatte ich noch selten der freien Natur genossen! Ein Garten mit alten verschnitzten Hecken, ein Weg durch eine Allee, dahin begränzten sich meine Wanderungen.[50] Ich blickte in die herrliche Gegend, die ich aus meinem Fenster übersah, wie in eine Zauberwelt, zu welcher mir die Brücke hinweggebrochen war. Die schönen Formen der Gebirge, die hohen dunkeln Bäume am Ufer des Flusses, zogen mich an, wie lebendige Wesen, die vielleicht Antheil und Liebe für mich fühlen könnten. Zuweilen wurde ausgefahren, und. ich grüßte die schönen Gegenden, an denen ich vorbey flog, mit stillen Seufzern der Sehnsucht.
Wenn ich zurück in mein hohes dunkles Zimmer kam, rief ich mir die Zauberbilder wieder zurück, und gleich den Gestalten der Fata Morgana schwebten die durchstreiften Gegenden um mich her an den hohen[51] Wänden meines Zimmers, die sich gegen den Plafond in eine angenehme Dämmerung hüllten. Diese Lebhaftigkeit meiner innren Darstellung war mein schönster Genuß.
Mein Glück war unaussprechlich, als ich mit meiner Mutter für ein paar Tage auf ein entferntes Lustschloß ging, und mit meiner Freundin in den kunstlosen Gärten, die sich in einem anmuthigen Wäldchen verloren, frey umherschweifen konnte. Ein sanftes empfindendes Wesen mir so nahe zu fühlen, meinen Genuß an der Natur aussprechen zu können, und ihn aus der Bewegung eines gleichgestimmten Herzens verstärkt zurück zu empfangen, war für mich ein ganz neuer Zustand. Mein[52] innerstes Wesen erschloß sich in seinen tiefsten heiligsten Quellen in jenen Tagen, und die Fähigkeit zu Liebe und Genuß, die ich bis jetzt nur in mir geahndet hatte, gab mir ein stärkeres Gefühl des Daseyns. Ich hatte jetzt einen bestimmten Wunsch, in welchem sich die Kräfte meines Gemüths vereinten: Liebe und Freiheit.
Meine Freundin war liebenswürdig, die feinste Gestalt und das reinste Gemüth zeigten sich in der sanften Gefälligkeit des Betragens.
Auch ich war ihre erste Neigung in der weiblichen Welt, die erste Freundin, die ihren ästhetischen Sinn berührte, der in der Kindheit mehr als man gemeiniglich annimmt, entscheidet.[53]
Der Zauber jugendlicher Träume, der unsern ersten Blick ins Leben begleitet, giebt auch der ersten Mädchenfreundschaft jenen unaussprechlichen Reiz einer unbegränzten Empfindung.
Das vollste Vertrauen belebte alle unsre Gespräche. Meine Freundin hatte unter dem Kreise ihrer Bekannten einen liebenswürdigen Jüngling gefunden, den sich ihr junges Herz bald zu seinem Abgott erkohr. Meine dunkeln Träume hatten noch keinen Gegenstand, und meine Fantasie dichtete sich den schönsten.
Das Wäldchen hinter dem Garten war unser Lieblingsaufenthalt. Eine Gatterthür, die zu einer freien Straße durch den Wald führte, war[54] uns als die Gränze unserer Wanderungen vorgeschrieben, und bey jedem Ausflug begleitete uns die strenge Warnung der Französin, sie niemals zu überschreiten. Natürlich wurde das Gatterthor jetzt das Ziel unsrer Neugierde. Die breite Straße durch den Wald lud uns so lieblich ein, und die Ahndung tausend fröhlich-sonderbarer Abentheuer schwebte uns auf ihr entgegen.
Nach wiederholten vergeblichen Versuchen fanden wir das Gatter eines Abends offen. Wir flogen hindurch, und wandelten unter den alten himmelhohen Fichten umher, mit klopfendem Herzen, als würden sie uns anreden, wie in Armidens verzaubertem Wald.[55]
Bey unsrer Rückkunft fanden wir das Gatter verschlossen. Welcher Schrecken! Angstvoll versuchten wir das Unmögliche, bald uns durch eine kleine Lücke des Zauns hindurchzudrängen, bald über das Gatter zu klettern; und als jedes Bemühen vergebens war, sanken wir ins hohe Gras nieder, und ließen unsern Thränen freien Lauf. Oft hatte unsre Freundschaft sich Gelegenheit gewünscht, durch irgend ein heroisches Opfer ihre Stärke zu beweisen. Jede wollte sich allein alle Schuld an diesem unglücklichen Zufall beimessen. Die Sonne war nah am Untergang, und senkte ihre schiefen Strahlen durch den bläulichten Dampf des Waldes; die ganze breite Straße[56] durch den Wald hindurch, welcher sie gerade gegenüber unterging, glänzte im röthlichem Lichte.
Wir geriethen in die höchste Unruhe, als wir in einem benachbarten Dorfe die Stunde schlagen hörten, die uns zu unsrer Zurückkunft im Schlosse bestimmt war. Die Furcht, unsre schöne, kaum errungene Freiheit mit einemmahle wieder zu verlieren, erfüllte uns mit tausend Sorgen. Wir hielten uns weinend umfaßt, und machten noch einen neuen verzweifelnden Versuch auf das Gatter. Einige Reuter kamen jetzt die Straße durch den Wald her. Der Eine, dem die übrigen zum Gefolge dienten, hatte eine edle Gestalt, die uns gleichsam aus den Strahlen der[57] Abendsonne hervorging, und deren Zuge sich nach und nach aus dem Lichtglanz enthüllten. Immer wurde die Gestalt edler und schöner, und als endlich die lieblichen Formen des Angesichts aus dem röthlichten Schimmer hervorglänzten, dünkte es uns einen freundlichen Bothen des Himmels zu sehen, welcher käme, um uns aus der Noth zu erretten.
Schon war er uns nah, als meine Freundin und ich uns den Gedanken zuflüsterten, ihn um Hülfe anzurufen. Zu gleicher Zeit hatten wir beide diesen Einfall gefaßt; aber als der Ritter, der uns erlösen sollte, dicht vor uns war, hatte ich den Muth verloren, und suchte vergebens nach Worten. Er grüßte uns,[58] und ich war verloren im Anschaun der edlen großen Züge dieses Gesichts, wie mir noch nie eines erschienen war. Schon wendete er uns den Rücken, als meine Freundin ihm nachrief: Mein Herr! Wir sind hier in großer Verlegenheit. Ich bitte ... Schnell wendete er sich wieder gegen uns, und war im Augenblick vom Pferde gestiegen. Was steht zu Ihrem Befehl? sagte er freundlich, und meine Freundin trug ihm unser Anliegen vor. Da denk' ich wohl Rath zu schaffen, sagte er, indem seine Augen die Höhe des Zauns maßen. Nein, das wäre zu gefährlich, sagte er vor sich hin, und ging zum Thore. Mit starkem Arm griff er in die Stäbe des Gatters, und hob den einen Thorflügel aus den Angeln.[59]
Meine Freundin hüpfte hindurch, ich folgte; sie rief einen flüchtigen Dank aus, ich wendete mich noch einmahl gegen unsern freundlichen Erretter, es zog mich eine fremde Gewalt zurück, aber ein Wink meiner Freundin beflügelte meine zweifelnden Schritte.
Und wir haben ihm nur so flüchtig gedankt! war mein erstes Wort gegen Theresen, und mein Gefühl während der nächsten Tage.
Es war etwas Zufriednes in seinem Blick, als ich ihn zuletzt ansah; aber gleichwohl dachte ich mit einer unaussprechlichen Rührung an den Jüngling, und warf mir immer von neuem vor, ihn durch meine schnelle Flucht beleidigt zu haben.[60]
Sein Bild, das Bild der ganzen Scene blieb lebhafter als noch irgend ein anderes Andenken, in meinem Gemüth. Meine Träume hatten jetzt einen Gegenstand gefunden. Die Gestalt des Jünglings stand als ein Riesenbild in meiner dunkeln Zukunft, in dem sich alle übrige Lebensgestalten verloren.
Bald nahm meine Freundin den tiefen Eindruck wahr, welchen mein Gemüth empfangen hatte, und das schwankende Ahnden und Verlangen wurde in unsern Gesprächen zu bestimmten Erwartungen und Planen.
Meine Freundin forschte nach dem Nahmen und Stand des Jünglings, aber lange blieb jedes Bemühen fruchtlos. Er war entflohen,[61] wie eine holde überirdische Erscheinung, und ich überließ mich der innigsten Sehnsucht nach ihrer Wiederkehr um so ungestörter, weil sich diese Empfindung ganz von dem Kreise der wirklichen Welt, die mich umgab, abtrennte.
Die Fantasie flog über alle Schranken, und erhielt das Herz durch Träume und Hoffnungen in den Banden der Leidenschaft.
Der Prinz von *** kam, um bey meinen Eltern um meine Hand zu werben. Welche Gestalt gegen das zauberische Bild voll Kraft und Leben, das in meiner Seele stand! Kein Funken der Kraft noch des Geistes leuchtete aus den schlaffen Zügen; selbst die leichten fröhlichen[62] Regungen der Jugend schienen in den tiefen Falten des Alters erstarrt zu seyn. Seine Reden waren, wie seine Gestalt, ohne Klarheit und Sinn, und jeder Ausdruck, der irgend eine Empfindung darstellen sollte, wurde durch seine klanglose Stimme, die sich oft in einem grinsenden Gelächter verlor, zur widrigsten Karrikatur.
Die Convenienz stimmte für die Verbindung mit dem Prinzen; sie herrschte als Tyrannin in dem Gesichtskreise meiner Eltern: ich sollte aufgeopfert werden.
Meinen Eltern zu widersprechen, war mir undenkbar; eben so undenkbar, dem Prinzen meine Hand zu geben. Ich wurde auch nie um[63] meine Einwilligung gefragt. Meine Mutter beschäftigte sich mit meiner Ausstattung, ich hörte von den Festen bey meiner Verlobung, und in einer tauben Fühllosigkeit wäre ich vielleicht dem Drang der Umstände gefolgt bis zum Altar, wo mich die Verzweiflung erweckt hätte.
Die Gewohnheit in den Träumen der Einbildung zu leben, giebt unserer ganzen Existenz, unserer Art zu handeln, etwas Unterbrochnes, etwas Verwirrtes, welches für den klaren Verstand an das Unbegreifliche gränzt. Wie der Nebel in einem tiefen Thal die Formen der Gebirge verbirgt, daß nur dann und wann, wenn er sich trennt, eine Felsenkuppe hervorragt, so liegt die Fantasie[64] vor unserm Leben. Nachdem dieser oder jener Theil der Gegend vor uns aus dem Nebel steigt, lenken wir unsre Schritte, und unser Thun und Handeln bleibt ein Fragment für den klaren Verstand, der die ganze Aussicht im hellen Morgenlichte erblickt.
Meine innern Erscheinungen rührten mich tiefer, als die Wirklichkeit, und mit einer unglaublichen Verschlossenheit des Sinnes ging ich in einem dumpfen Traum meinem Schicksal entgegen. Nur der sorgenvolle Blick meiner Freundin warnte mich vor dem Abgrund, der sich vor mir öffnete; in ihren Thränen las ich mein ganzes trauriges Loos.
Wir fassen so früh die Gewohnheit,[65] uns mit den Schranken, die jeden unsrer freien Schritte hemmen, durch Ausweichen oder Überspringen abzufinden, daß wir so selten edles Dulden oder muthiges Widersetzen lernen. So oft beugt das Unglück mit unserm Muth unsern Charakter.
Meine Freundin fand den Gedanken, sich zu widersetzen, so unmöglich als ich, und da sie mich resignirt wähnte, erlaubte sie sich nicht die kleinste Bemerkung, die meinen Frieden hätte stöhren können.
Der Hof war zu einem kleinen Fest versammlet. Stumm und gedankenvoll stand ich mit meiner Freundin in einer Ecke des Saals, als mein Vater mit einigen Fremden hereintrat.[66]
Kaum wagte ichs meinen Augen zu trauen, vor denen alle Gegenstände anfingen zu schwanken und in farbigen Lichtstrahlen zu zittern. Unter den Fremden war der junge Mann, das geliebte Bild meiner Träume.
Er ists! flüsterte mir meine Freundin zu, indem sie mir die Hand reichte, mich zu unterstützen. Bald näherte er sich uns; mit einem feinen Lächeln gab er sich das Ansehen einer ganz neuen Bekanntschaft, und nur als er mit meiner Freundin und mir allein blieb, gedachte er unsers Abentheuers. Diese kleine Begebenheit stellte bald eine eigene Vertraulichkeit unter uns her.
Ich fühlte nichts mehr als den[67] Zauber seiner Gegenwart. Meine Freundin hatte von seinen Begleitern seinen Nahmen und seine Verhältnisse ausgefragt. Ein ältlicher überall geschätzter Mann hatte viel zu dem Lobe meines Geliebten gesagt, hatte in wenig Worten ein Bild seines Charakters und Lebens entworfen, das sich mit Flammenzügen in mein Herz schrieb.
Dieser Mann war Nordheims Vater. Sein geübter. Blick, sein klarer Verstand flößte allen seinen Bekannten unbegränztes Zutrauen ein.
Nach seinem Zeugniß schien mir die Stimme der Vernunft für meine Leidenschaft entschieden zu haben. Ich überließ mich dem neuen zarten Gefühl meines Herzens, und wagte[68] zu hoffen, da, wo meine Lage mich verzweifeln hieß. Ich fühlte, daß Hohenfels mich liebte, ob er gleich seinem Betragen strenge Zurückhaltung auflegte. Meine Freundin stand zwischen uns beiden, und von ihren Lippen vernahmen wir Beide das Geständniß einer Neigung, welcher eiserne Verhältnisse ein tiefes Schweigen hätten auflegen müssen.
Der Schmerz, welchen Hohenfels über meine Verbindung mit dem Prinzen äußerte, erweckte jede unbekannte Kraft in meinem Gemüth. Ich begegnete dem Prinzen mit einer Verachtung, die selbst seinem Stumpfsinn nicht entging, und auf die Vorwürfe meiner Mutter über dieses Betragen, gab ich die höchstbestimmte[69] Erklärung, daß ich mich nie zu dieser Verbindung entschließen würde.
Ich ertrug alle schmerzlichen Scenen, welche dieser Erklärung folgten, mit Festigkeit, und da man endlich alle Versuche, meinen Entschluß umzustimmen, fruchtlos fand, bekam der Prinz seinen Abschied; aber mein Vater war so aufgebracht gegen mich, daß meine Mutter mich zu meiner älteren Schwester schickte, um mich den lauten Ausbrüchen seines Zorns zu entziehen.
Den Tag meiner Abreise empfing ich durch meine Freundin einen Brief von Hohenfels. Er wollte meinen Lebensfrieden nicht länger stöhren, sagte er mir; nachdem ich[70] der Gefahr entronnen wäre, mich mit einem unwürdigen Manne zu verbinden, sollte ich um seinetwillen nicht länger die Eintracht mit meiner Familie unterbrechen. Ich sollte ihn vergessen, und er wollte lernen sich meines Glückes zu freuen, wenn er auch nur durch das schmerzlichste Entsagen etwas zu demselben beizutragen vermöchte.
Ich sank in Ohnmacht, als ich den Brief gelesen. Meine Freundin stand weinend an meinem Bette, und suchte mich durch die Hofnung aufzurichten, daß eine glückliche unerwartete Begebenheit unserm Schicksal eine andere Wendung geben könnte. Sie kannte mein Vermögen, das Unmögliche erreichbar zu[71] denken, und hoffte mich so zu heilen.
Wir lasen den Brief noch einmahl, und sein edler Sinn nährte meine Liebe, und gab ihr die Allmacht, welche diese Leidenschaft selbst aus der Hoffnungslosigkeit schöpft, wenn sie sich, nur bestehend auf sich selbst, als ein Kind des Himmels empfindet, und aller Aussicht auf irdisches Glück entsagt hat.
Die Erde fordert uns nur allzubald zurück, so lange wie ihr noch angehören. Verlangen und Sehnsucht zerstörten meine Gesundheit. Die Ärzte glaubten mich dem Tode nahe.
Ich fand an dem Hofe meiner Schwester mehrere Bekannten meines[72] Geliebten. Ich folgte seinem Schicksal mit meinen Gedanken, wußte den jedesmahligen Ort wo er sich aufhielt, und meine Fantasie dichtete sich die kleinsten Umstände seines Lebens. Mein verspannter kranker Sinn lebte in einer Welt erdichteter Genüsse und Leiden, und wenn unser Herz nur in der Dichtung lebt, und keinen Ruhepunkt in der existirenden Welt um sich her findet, dann drohet der Stimmung unsers ganzen Wesens Auflösung oder wilde Zerrüttung.
Eine Gestalt, von der ich wußte, daß er sie kürzlich gesehen, bewegte mein Blut in wildem Kreislauf.
Ganze Tage brachte ich einsam[73] in den Gärten zu, und wiederholte jedes Wort, welches ich in den Tagen unsers Zusammenseyns von seinen Lippen vernommen.
Alle Kleider, welche ich in jener Zeit getragen hatte, bewahrte ich als Reliquien auf, und berührte sie nie, ohne daß ein süßer Schauer durch mein Wesen drang, wie in der Gegenwart des Geliebten.
Oft stärkte mich ein wunderbares Gefühl seiner Gegenwart, und der süße Wahn, daß die Gedanken der Liebenden durch ein eignes feineres Element sich zu begegnen vermögen, erhielt mich in der Zuversicht von seiner daurenden Liebe.
Ich war in einem immerwährenden Traum, und das Gegenwärtige[74] blieb oft von mir ungefühlt, oder falsch vernommen.
Meine Nerven fielen, durch die daurende Verspannung zerrüttet, in wilde Verzuckungen, und in der Erschlaffung, die darauf folgte, brach der dünne Faden, der unsre innere Erscheinungen an die äußere Welt knüpft, oft ganz ab. Ich blickte nur in mich selbst, und die Harmonie der innren Kräfte, die uns der äußern Welt zustimmt, war in fieberhaften Träumen zerstört.
Meine Schwester liebte mich zärtlich. Meine abgebrochnen Reden gaben ihr hinlängliche Einsicht in die Krankheit meines Herzens. Sie ließ meine Freundin zu sich kommen, und wurde mit meinem ganzen Zustand genau bekannt.[75]
Das Mitleid wird in zarten reizbaren Gemüthern zur Leidenschaft, und sieht, wie diese, nur den Augenblick. Meine Schwester selbst suchte eine Gelegenheit zu finden, bey welcher sie Hohenfels dringend und bestimmt zu sich einlud.
Ich saß an meinem einsamen Platz im Garten, als sich mir meine Schwester, meine Freundin und Hohenfels näherten.
Er fuhr erschrocken bey meinem Anblick zurück, lag zu meinen Füßen, die Natur sprach laut, und bald allein, in unsern Herzen. Wir hatten die fesselnden Verhältnisse der Welt vergessen und gelobten uns ewige Liebe und Treue, als ob die Freiheit des goldnen Weltalters uns lächelte.[76] Mit der Hofnung gewinnt die Liebe allbesiegenden Muth und Schlangenklugheit. Ein Priester aus einem kleinen benachbarten Freistaat wurde gewonnen, um uns zu trauen; ich sollte so viel wie möglich an dem Hofe meiner Schwester leben, Hohenfels auf einem Gut in der Nähe, und so hofften wir unsre Verbindung und unser Glück den Augen der Welt zu entziehen. List und Verschlagenheit dünkten uns die natürlichen Waffen gegen ungerechte Anmaßungen der Gesellschaft. Aber gute einfache Seelen rechnen immer falsch, wenn sie sich in Kampf mit der Arglist und den tausend kleinen Leidenschaften wagen, die sich in dem Kreise jeder willkührlichen Gewalt[77] eben so nothwendig, wie die Irrlichter in sumpfigten Gegenden, bilden.
Wir waren in den ersten seligen Tagen unsrer Vereinigung, und genossen das unaussprechliche Glück des tiefsten Friedens in dem regsten Leben der Leidenschaften.
Meine Gesundheit kehrte zurück, die Ärzte gaben Hofnung zu meiner völligen Genesung, und jedes Gefühl meiner wiedergewonnenen Kräfte wurde zum Dank gegen die zarte Pflege der Liebe, die gleich Prometheus belebendem Funken mein Gemüth erhellte.
Die wirkliche Welt sprach mich in ihren tausend holden Formen wieder rein an. Alle schweren Träume waren aus meiner Seele hinweggenommen,[78] und verwandelten sich in leichte liebliche Gestalten. Fast jeden Moment genoß ich das lebhafte Vergnügen eines Erwachenden, dem ein drückendes ungeheures Traumbild im goldnen Strahl der Morgensonne zerrinnt.
Die innigsten wahresten Bande der Natur geben uns nur alle Kraft und allen Reichthum unsers Wesens zu empfinden. Die Hofnung Mutter zu werden, giebt unserm Daseyn eine unendliche Tiefe, und wir fassen die Natur in ihrem zartesten Gewebe und ihren stärksten Banden.
So verlebte ich einige glückliche Monate, die schönsten meines Lebens, denn ein wohlthätiger Schleier ruhte auf allen meinen drückenden Verhältnissen.[79] Nur zuweilen erinnerte mich ein so sorgenvoller Blick meiner Freundinnen an die unsichere Blüthe meines Glücks.
Mein Gemahl schien in einem edlen Selbstvertrauen über jede Besorgniß erhoben. Die reine Thätigkeit in der sein Leben hinfloß, sein immerwährendes Wirken für fremdes Wohl, und sein Leben mit der Natur, gaben seinem Gemüth jene schöne seltne Einfachheit und Klarheit, zu der nothwendig auch ein freundliches Geschick mitwirken muß.
Sein Herz hatte die schöne Gewohnheit gefaßt, nur durch Sympathie zu genießen und zu leiden, und selbst seine Leidenschaft für mich war nur eine lebhaftere Farbe dieser Sympathie.[80] Seine Liebe hatte mich aus dem traurigsten Zustand gerissen, und seine Freude an meiner Genesung erhöhte den Genuß der Leidenschaft.
Welch seltnes Talent zur Glückseligkeit lag in dem Gemüth deines Vaters! Welches Vermögen zum reinen freien Leben in dem schönsten und höchsten!
Aber ein feindliches Schicksal zerstöhrte dieses schöne zarte Daseyn, und warum mußte es meine Hand dazu leihen? Durch mich mußte die reine Natur deines Vaters alle schmerzlichen Gestalten des Lebens kennen lernen, Gewalt der Leidenschaften und den Druck quälender Verhältnisse, vor welchen sein milder Sinn, der sich nie vor dem Ausspruch seines[81] klaren Verstandes entschied, ihn vielleicht immer beschützt hätten.
Er hielt sich so viel an dem Hofe meiner Schwester auf, als es nur immer unsre Lage und die strengste Vorsichtigkeit, welche wir uns auflegen mußten, erlaubte.
Wir glaubten unser Glück jedem neidischen Auge verborgen. Meine Freundinnen wachten über jeden allzulebhaften Ausdruck der Bewegungen meines Herzens, und ihr inniger Antheil an meinem Glück löste mein ganzes Wesen in Genuß und Liebe auf. Meine Schwester war sehr unglücklich verheurathet, und hatte eine zärtliche Leidenschaft überwunden, als ich zu ihr kam. Die tiefe Wunde, welche ihr Herz davongetragen,[82] machte sie empfänglicher meinen Schmerz zu verstehen und zu theilen. Sie freute sich, mich einem Schicksal entzogen zu haben, dessen Bitterkeit sie jede Minute empfand, und suchte sich, so viel als möglich, mit mir in die freundliche Täuschung zu versetzen, als sey das Geheimniß meines Glückes für immer gesichert.
Mein Gemahl war für einige Tage auf seine Güter gereist, als sich der Minister meines Vaters ganz unerwartet bey meiner Schwester anmelden ließ, und sich sogleich des Auftrags entledigte, daß er nach dem Befehle meiner Eltern mich wieder zu meiner Mutter bringen sollte; der Unwille meines Vaters wäre besänftigt, und meine Mutter wünschte[83] meines Umgangs wieder zu genießen.
Meine Schwester verbarg mit Mühe ihre Verlegenheit, suchte tausend Ausflüchte: meine schwächliche Gesundheit, den allzuheftigen Eindruck, den jedes harte Benehmen meines Vaters auf mich machen würde; aber vergebens. Der Befehl meiner Mutter war so bestimmt, daß ich ohne offenbaren Ungehorsam nothwendig abreisen mußte.
Meine Lage machte jedes Außerordentliche in meinem Betragen gefährlich; meine Schwester und meine Freundin selbst riethen mir, für einige Zeit nach D. zu gehen, um jeden Eindruck, den die Welt vielleicht gefaßt haben könnte, so am besten wieder zu vertilgen.[84]
Meine Schwester fand nichts Bedenkliches in dem Auftrag des Ministers, meine Freundin eben so wenig; aber ich las mein Unglück in der falschen, höchst widrigen Mine dieses Mannes, auf dessen Gesicht jeder Ausdruck des Wohlwollens fremd und furchtbar wurde.
Meine Freundin begleitete mich. Ich schied von dem Schlosse meiner Schwester, wie ein Sterbender von dem goldnen Licht des Tages scheidet, ohne Hofnung es wieder zu genießen. Wir kamen an, und eine erzwungene Freundlichkeit in dem Benehmen meiner Mutter bestätigte meine bösen Ahndungen.
Ich zitterte vor der strengen Mine meines Vaters, und bald bemerkte[85] ich, daß man jeden meiner Schritte bewachte. Die alte Französin durchsuchte alle meine Papiere, und meine Freundin hielt man ganz von mir entfernt. Nur bey öffentlichen Gelegenheiten, wo man sie ohne Beleidigung nicht von der Gesellschaft ausschließen konnte, wurde sie eingeladen, und dann gab ich ihr einen Brief für meinen Gemahl, oder empfing einen von ihr.
Mein Gemahl und meine Schwester vermahnten mich zur Geduld. Die letztere versprach mich bald wieder abzuhohlen, und meine Freundin wendete alles an, mich von einem verzweifelnden Entschluß abzuhalten, indem ich oft meinen Eltern alles entdecken wollte.[86]
In dieser beunruhigenden Lage vergingen einige Monathe, als ich meine Freundin in der Nacht vor meinem Bette erblickte. Ich fürchte, wir sind entdeckt, flüsterte sie mir zu. Morgen muß ich zu einer meiner alten Verwandten auf das Land; durch tausend Schwierigkeiten gewann ich diesen Augenblick, um Sie noch einmahl zu sehen.
Ich war aus dem ersten Schlummer erwacht, und fühlte meine ganze Lage in der schauderhaftesten Verwirrung. Getrennt von meinem Gemahl, umgeben von Schlingen der Arglist, in einem Zustand, der mich der schrecklichsten Verlegenheit aussetzte, – wo sollte ich Rettung finden vor der quälenden Sehnsucht,[87] vor den tausend Besorgnissen die meinen Busen füllten. Ich sah keinen Ausweg, vor meiner umwölkten Vorstellung, als die Flucht zu meiner Schwester.
Meine Freundin umarmte mich, als sie mich entschlossen sah, und versprach mich nicht zu verlassen.
Wir packten die wichtigsten Sachen zusammen, mein Schmuckkästchen und meine Börse, und eilten, durch die langen matt erleuchteten Gänge, einer Thür zu, die in den Garten führte; dort hofften wir über die niedrige Mauer leicht ins Freie zu kommen.
Meine Leute vermißten mich, noch ehe wir an der Gartenmauer waren. Meine Mutter wurde sogleich[88] von meiner Flucht benachrichtigt. Sie folgte nur ihrer Heftigkeit, es wurde mehr Lärm gemacht, als die Klugheit anrieth.
Meine Freundin und ich suchten, wie scheue Vögel, das dichteste Laub und die finstersten Gänge durch den Garten, da es eine mondhelle Nacht war; aber bald sahen wir uns von einer Menge Menschen umringt; meine alte Französin und ein Cavalier meiner Mutter waren dabey, und befahlen in ihrem Nahmen sogleich zurück zu kehren.
Meine Freundin wendete alles an, um durch ein unbefangenes Betragen glaubend zu machen, wir seyen nur auf einem Spatziergang begriffen; aber die Alte hatte mein Schmuckkästchen,[89] welches ich unter meinem Arme trug, entdeckt. Ich wurde allein in das Zimmer meiner Mutter geführt, so wie man meine Freundin nach dem Hause ihres Vaters zurückschickte.
So ist es denn wahr! sagte meine Mutter, als sie mich erblickte: Du hast dich und uns alle entehrt. O Gott, was muß ich erleben! – Ich war höchst verwirrt und hatte nur Thränen zur Antwort. Noch nie sah ich ihren Unwillen mit dieser Farbe des Schmerzens vermischt, und der erste Laut der Empfindung, den ich von ihr vernahm, lösete alle Bande, welche seit langen Jahren ihre Kälte jedem Ausdruck des Herzens auflegte.[90]
Mein Zustand gab mir den Muth der Verzweiflung, und ich rechnete um so sicherer auf Schonung, da mein Schicksal unwiderruflich bestimmt war. Ich bat meine Mutter, ihre Kammerfrauen wegzuschicken, und als wir allein waren, versuchte ich Natur und Liebe in ihrem Busen zu erregen. Vor ihrem Bette lag ich zu ihren Füßen, zum erstenmahl drückte ich ihre Hand an meine Brust, und nun wagte ich, ihr meinen ganzen Zustand zu entdecken. Sie hörte mir mit starrer Aufmerksamkeit zu, und als sie vernahm, daß ich vielleicht in kurzem Mutter werden würde, sank sie halb ohnmächtig zurück, ihre kalte Hand stieß mich krampfhaft von sich, und als sie durch meine[91] und ihrer Frauen Hülfe wieder zu sich kam, war ihr erstes Wort ein Befehl für mich, sie augenblicklich zu verlassen.
Ich wurde streng in meinem Zimmer bewacht. Mein Zustand gränzte an den Wahnsinn, nachdem alle meine Hofnungen auf das Herz meiner Mutter mich so bitter getäuscht hatten.
Den dritten Tag kam der Minister zu mir. Er wendete alle Künste an, um einen unangenehmen Auftrag in einen Schleier zweideutiger Worte zu hüllen; aber das Resultat war nicht weniger schmerzlich für mich. Meine Eltern hielten meine Heurath für falsch und ungültig, Hohenfels für einen Räuber[92] meiner Ehre, und wenn wir uns nicht beide mit blindem Gehorsam allen Maßregeln unterwerfen würden, welche mein Vater zu nehmen für gut fände, so würde er lieber die Sache bey den Reichsgerichten zur Verhandlung bringen, mich ganz aus seiner Familie verstoßen, und in lebenslänglicher Gefangenschaft halten, als den geringsten Anschein haben, daß er mein Betragen aus väterlicher Schwachheit entschuldige.
Ihr Herr Vater ist entschlossen, seine beleidigte fürstliche Ehre auf das bitterste zu rächen, sagte mir der Minister: Sie kennen seinen Einfluß am kaiserlichen Hofe, und was hat nicht Hohenfels zu fürchten, wenn der Fürst mit aller Macht dort[93] gegen ihn wirkt? Der Befehl Ihres Herrn Vaters für Sie ist, sich ruhig zu halten; den geringsten Schritt, welchen Sie thun würden, sich Hohenfels wieder zu nähern, wird sein unausbleibliches Verderben nach sich ziehen. Den Vorfall der letzten Nacht sucht man als eine jugendliche Unbesonnenheit zu bemänteln. Ihr Herr Vater war längst durch einen sichern Mann vom Hofe Ihrer Schwester von dem Aufsehn unterrichtet, welches Ihre Neigung gegen Hohenfels dort gemacht, und darum wurden Sie zurück gefordert. Ein äußerst abgemessenes strenges Betragen kann Ihren Ruf wieder herstellen. Geben Sie den Umständen nach, und ersparen Ihren[94] Eltern die bittere Kränkung einer beleidigten Ehre. Mit dem Befehl meiner Mutter, nie wieder ein Wort gegen sie von der unglücklichen Begebenheit zu erwähnen, machte der Minister den Beschluß, und überließ mich meinen quälenden Gedanken.
Die Furcht, Hohenfels in Unglücksfälle zu ziehen, die Sorge für mein Kind, gaben mir einen noch nie gefühlten Muth, mich zu verstellen, um Gelegenheit zu gewinnen, meiner Schwester Nachricht von mir zu geben, und ich vermochte es, mit gefaßter Mine vor meinen Eltern zu erscheinen. Das Verbot meiner Mutter ließ mich doch auf die Furcht gerührt zu werden schließen, und die[95] Hofnung einen günstigen Augenblick zu finden, erschien mir aufs neue, um so mehr, da sie von meinem ganzen Zustand unterrichtet, nothwendig auf Hülfe für mich denken mußte.
Selbst die Verzweiflung muß neue Kräfte sammlen, wenn sie das Herz nicht ganz zu brechen vermag, und ein Traum der Hofnung ist dem siechen Gemüth die Schlummerstunde eines Kranken, eine Erhohlung der Natur zu neuem Leiden.
Einige Tage gingen so hin, als eines Abends ein paar gleichgültige gute Geschöpfe, die ich nicht ungern sah, auf meinem Zimmer versammelt waren.
Neuigkeiten waren der Gegenstand[96] des Gesprächs, als eine unter ihnen mit der größten Unbefangenheit erzählte: der liebenswürdige Herr von Hohenfels sey durch die Unvorsichtigkeit eines Jägers auf der Jagd erschossen worden; seine Leute suchten den Thäter überall auf in der bittersten Wuth.
Ich sank ohnmächtig zur Erde, und als ich wieder zu mir selbst kam, fand ich mich in der fürchterlichsten Zerstöhrung. Der einzige Gedanke, in dem sich mein Wesen zu einem klaren Bewußtseyn zu sammeln vermochte, war, mir den Tod zu geben. Schon hielt ich ein Federmesser, welches ich mir während einer Unachtsamkeit meiner Wächter verschafft hatte, in der Hand, als es[97] mir im Gefühl des kleinen Wesens, welches meinem schmerzlichen Daseyn entkeimte, wieder entsank.
Ich sah niemand als meine Leute und den Arzt um mich her, und blieb mir selbst und meinem gränzenlosen Schmerz ganz überlassen. Keine Thräne des Mitleids linderte die Glut der schmerzlichen Verwirrung in meinem Innern, und rief einen schwachen Laut des Lebens in mein Wesen zurück.
Nachdem ich einige Tage in diesem Zustande gelegen, erblickte ich Herrn von Nordheim unter den kalten todten Gestalten, die mich bisher umgaben. Sein Anblick wirkte wie ein Lichtstrahl in ein dunkles Gewölbe, und rief mich ins wahre Leben zurück.[98]
- Er war ein Freund meines Geliebten, und eine lebendige Gegenwart alles dessen, was wir verloren, ist nie ohne einen zarten Wiederschein des entflohenen Glücks in irgend einer, dunklen Gegend in unsrer Seele. – Er nahte sich mir und sagte leise: Trösten Sie sich, Ihr Geliebter ist nicht todt! Sie werden ihn wie der sehen. Aber sprechen Sie gegen niemand über diese Entdeckung.
Meine Lebenskraft kehrte zurück. Ich konnte den nächsten Tag vor meinen Eltern erscheinen, und mit Verwunderung bemerkte ich an ihrem Betragen, daß sie den ganzen Vorfall vergessen wollten. Meine Mutter ließ mich Abends in ihr Cabinet rufen und sagte:[99]
Ich habe dir vergeben, wende jetzt nur die möglichste Vorsichtigkeit an, um die unglücklichen Folgen deines Leichtsinns zu verbergen; wenn es die Zeit fordert, werde ich dich entfernen. Dank' es der Vorsicht und deinem Vater, daß die Spuren deines Fehlers vertilgt werden können.
Nach einigen Tagen gab mir Herr von Nordheim einen Brief deines Vaters. Er enthielt nur die Versicherung seines Wohlseyns, die Bitte mich für jetzt allen Maßregeln meiner Eltern zu unterwerfen, und die Hofnung, daß wir bald wieder vereint werden würden.
Herr von Nordheim schien das volle Vertrauen meines Vaters zu[100] besitzen. Er sagte mir nur oft verstohlen einige Worte des Trostes, denen sein edler sichrer Blick eine sonderbar überzeugende Kraft gab. Er bat meine Mutter, einige Tage auf seinem Landgut zuzubringen, und dort entdeckte er mir die ganze Lage meines Gemahls.
Schon längst hätten meine Eltern die Geschichte meiner heimlichen Heurath vernommen, doch sich noch immer mit der Hofnung eines unsichern Gerüchts getäuscht, bis mein Geständniß endlich alle Zweifel auflöste.
Unglücklicherweise, fuhr Herr von Nordheim fort, war in jenem entscheidenden Moment niemand als der Minister von C. um Ihren Vater,[101] der bey jeder, auch entfernt scheinenden Begebenheit, eine Beziehung auf seinen Eigennutz zu finden wußte, und diesem hellen Punkt jede andere Rücksicht unterordnete.
Daß Ihr Vater je in Ihre Heurath willigen sollte, war für ihn eine Unmöglichkeit. Streng mußte er, nach seiner, durch lange Gewohnheit eisern gewordenen Vorstellung, diese Schmach seiner Ehre rächen, und alle Bande trennen, die den reinen Glanz seines Geschlechts verdunkelten.
Der Minister wurde von Ihrem Vater mit dem Auftrag an Hohenfels abgeschickt: er müßte Deutschland auf eine unbestimmte Zeit verlassen, jedes Recht auf Sie aufgeben,[102] und um Ihnen Ihre volle Freiheit wiederzugeben, und Ihnen jede Hofnung auf die Zukunft zu benehmen, müsse man Ihnen mit Wahrscheinlichkeit glaubend machen können, Hohenfels sey gestorben. Öffentliche Entehrung, lebenslängliche Gefangenschaft würde Ihr Loos seyn, wenn Hohenfels nicht in diese Bedingungen willigte.
Hohenfels schrieb eilends an Ihre Schwester; Sie war furchtsam geworden durch das Betragen ihrer Eltern, und fürchtete Verdruß mit ihrem Gemahl, wenn die ganze Sache nicht unterdrückt würde. Mit dem Anschauen des Glücks flieht so leicht auch der Muth der Freunde.
Hohenfels, der nur in dem Glück anderer lebte, hatte keinen[103] Muth frey zu handeln, da der Ausgang höchst zweifelhaft war. Er willigte in alles, um das Verderben seiner Geliebten zu verhüten.
Herr von C. erhielt als eine Nebensache von Hohenfels, daß sein Schwager, als Lehnsfolger seine Güter während seiner Abwesenheit administriren sollte, und um dieses zu erhalten, hatte er die ganze Sache, die gewiß einer andern Verhandlung fähig gewesen wäre, zu diesem Extrem geführt.
Vor einigen Wochen kam Ihr Gemahl bey mir an, und vertraute mir die ganze Geschichte. Er bat mich, eilends nach D. zu reisen, um Sie von dem falschen Gerücht seines Todes zu benachrichtigen. Man war[104] mir doch zuvorgekommen, und ich konnte den schon empfundenen Schmerz nur wieder heilen.
Herr von Nordheim gab mir einen Brief von meinem Gemahl. Dieser hielt sich unter einem fremden Nahmen in einer benachbarten Reichsstadt auf, wo er in der größten Eingezogenheit lebte; nur für meine Ruhe besorgt, sagte er mir, daß er in meiner Nähe bleiben würde, um die erste Gelegenheit zu ergreifen, wo er mich ohne Gefahr sehen könnte. Er sagte mir nicht ein Wort über den Verlust seiner Güter und der wirksamen friedlichen Existenz, an welcher sein ganzes Gemüth hing, und suchte nur mich mit freundlichen Aussichten auf eine unsichre Zukunft zu trösten.[105]
Vor der Hand bat er mich, den Frieden in meiner Familie mit jeder Aufopferung und um jeden Preis, zu erhalten. Er würde mir in dem entscheidenden Moment nahe seyn, um die Sorge für das geliebte kleine Wesen, die heiligste Blüthe unsrer Liebe, mit mir zu theilen.
Herr von Nordheim wachte seit diesem über das Geheimniß unsrer Liebe; in seinem Herzen ruhte unser Schicksal, und wir empfingen jede Zusammenkunft, jeden glücklichen Moment von seiner Hand.
Sein sichrer Blick in alle Verhältnisse wachte über unsre Unachtsamkeit. Er und Hohenfels suchten mich mit sanften Tröstungen bis zu meiner Niederkunft hinzuhalten, und[106] Frau von Nordheim, die auch in unser Geheimniß gezogen wurde, versprach, da sie das Vertrauen meiner Mutter besaß, es bey dieser dahin zu bringen, ihr die Sorge für mich und für die nothwendigen Maßregeln bey dieser Gelegenheit ganz allein zu übertragen.
Wie bitter täuschte das Schicksal, oder die kalte Politik meiner Mutter, die mit allen wahren Verhältnissen spielte, meine freundlichen Erwartungen!
Kurz vor meiner Niederkunft (denn jede Bitte, mich früher zu entfernen, blieb unerhört) ließ mich meine Mutter entlegenere Zimmer des Schlosses beziehen, und übergab mich der Wartung einer alten Hofmeisterin,[107] und einem Arzt, der ihr ganzes Vertrauen besaß.
Meine Mutter selbst war in den entscheidenden Augenblicken gegenwärtig.
Wie unaussprechlich reich belohnt für jede Sorge, jeden Schmerz fühlte ich mich durch deinen ersten Anblick, mein geliebtes Kind!
Ein neues, reineres Daseyn bewegte die Elemente meines Lebens. Stärker fühlte ich mich von der Natur umschlungen, und reicheren verdoppelten Sinns, sie in ihrer Endlosigkeit zu fassen. Jeder Kampf dünkte mir ein leichtes Spiel; so erhöhte das geliebte kleine Wesen jedes Gefühl meiner Kraft.
Wenige Stunden hattest du an[108] meiner Brust geschlummert, als meine Mutter befahl, dich, aus Schonung für meine durch die Niederkunft erschöpften Kräfte, in ein entfernteres Zimmer zu bringen.
Noch einen Kuß drückte ich auf deine Stirn, als man dich schlummernd von mir trug: – es war der letzte.
Als ich dich den nächsten Morgen zu sehen begehrte, antwortete man verlegen: das Kind sey nicht ganz wohl. Bald erschien meine Mutter und verkündigte mir deinen Tod.
Auf meine Thränen, auf meine verzweiflungsvollen Klagen, gab sie mir die kalte Antwort:
Die Zeit wird dich lehren, der[109] Vorsicht zu danken, daß sie jede Spur deines Fehlers vertilgte. Dem armen kleinen Geschöpf ist wohl!
Meine Mutter war gütiger als jemahls gegen mich. Sie glaubte meinen Ruf jetzt ganz gerettet, und ich genoß aller Freiheit, die ich nur wünschen konnte. Um meine Heiterkeit wieder herzustellen, machte sie mir selbst Gelegenheit, viel mit der Nordheimischen Familie zu leben.
Mit welchem Schmerz umarmte ich deinen Vater, bey unsrer nächsten Zusammenkunft!
Ein unerschöpfliches Meer von Genuß und Leiden lag in meinem Busen, und das Bild meines Kindes, die wenigen Stunden, wo ich mich des süßen Geschöpfs gefreut,[110] verdrängten die Erinnerungen meines ganzen vergangenen Lebens. Mein innigster Wunsch war, daß mein Gemahl seines Anschauens auch nur für einen Moment genossen haben möchte.
Ich fühlte eine neue Kraft zum Leiden in mir, nachdem ich die stärksten Gefühle meiner Natur durchlaufen, und die ganze Tiefe meines Wesens in Freude und Schmerz kennen gelernt hatte.
Ich selbst drang in deinen Vater, Reisen in entfernte Länder zu unternehmen, um sich aus dem ängstlichen Zustand zu befreien, worin er seit unsrer Verbindung lebte. Er reiste, und besuchte mich alle Jahre auf wenige Tage.[111]
Die Sehnsucht verzehrte mich, ich lebte aufs neue nur in Erinnerungen, und es schien gleichsam als habe die Natur mich durch den Reichthum des innern Lebens für jedes Entbehren, das mir die schwere Hand des Schicksals auflegte, schadlos halten wollen.
Die Schwermuth, die aus dem stäten Rückblick in sich selbst entsteht, und meine wankende Gesundheit, hatten meine Eltern von jedem Gedanken, mich zu verheurathen, zurückgebracht, und ich war wenigstens vor neuen Verfolgungen und gewaltsamen Scenen sicher.
Während der Abwesenheit meines Gemahls, verloren wir unsern vertrauten Freund, den Beschützer unsrer[112] Liebe, Herrn von Nordheim; seine Gemahlin war kurz vor ihm gestorben.
Ich empfing durch Theresen folgendes Billet von ihm; es war kurz vor seinem Tode, mit zitternder Hand geschrieben:
›Für Sie, gutes unglückliches Paar, hätte ich gewünscht noch länger zu leben. Ich fand mich verpflichtet, da mich der Tod übereilt, meinem Sohn einige Dinge zu entdecken, die in der Folge sehr wichtig werden können, und die Hohenfels Güter betreffen. Ihre Verbindung weiß er nicht, diese ist Ihr Geheimniß.
Ich sage es mit freudigem Herzen, indem ich diese Welt verlasse:[113] meine Freunde gewinnen mehr an meinem Sohn, als sie an mir verlieren.‹
Ich hörte von dem jungen Nordheim als von dem edelsten, liebenswürdigsten Manne sprechen. Ich bat meinen Gemahl bey seiner Zurückkunft sich gegen ihn zu eröfnen; aber er schien keine Neigung dazu zu haben, und antwortete mir immer: Die Zeit ist noch nicht gekommen, wir können jetzt nur schweigen und dulden.
Auch meine Mutter starb in dieser Zeit, und nach ihrem Tode erlangte ich von meinem Vater, daß meine Freundin Therese bey mir leben durfte. Er schien von vielen kleinen Zügen jener Begebenheiten nicht unterrichtet[114] zu seyn, und wußte vielleicht nicht, daß Therese einen Antheil daran genommen hatte. Herr von Salm hatte mit Hohenfels vermeintem Tode was er wünschte erreicht, und bezeigte sich gegen mich sehr gefällig.
Therese half mir jetzt bey dem Briefwechsel, und den Zusammenkünften mit meinem Gemahl, und wir konnten weiterer Hülfe entbehren.
Nordheim lebte in entfernten Gegenden, und dein Vater hatte durch sein trauriges Verhältniß, das ihn zur Zurückhaltung zwang, auch von seinem Glauben an die Menschheit verloren.
Meine Mutter hatte mich immer[115] von meiner Schwester entfernt gehalten, und diese hatte ihre Vergebung niemahls erhalten können.
Tiefes eignes Leiden hatte die letztere von der anhaltenden Aufmerksamkeit auf mein Schicksal abgebracht, und als ich sie nach dem Tode meiner Mutter wiedersah, fand ich sie so verändert und muthlos, daß ich eine Vertraulichkeit für keine von uns Beiden rathsam fand.
Sie maß dem allgemeinen Gerücht von Hohenfels Tode natürlich Glauben bey, und der Aussage meiner Mutter nach, glaubte sie wie ich auch, mein Kind sey gestorben.
Sie beobachtete ein tiefes Stillschweigen über die Vergangenheit, und so wurde es auch mir leichter,[116] mein Herz, dessen volles Vertrauen sie noch immer besaß, gegen sie zu verbergen.
Mein Gemahl hatte seit der Zurückkunft von seinen Reisen den Ort seines Aufenthaltes oft gewechselt. Seit dem Tode unsres Freundes waren unsre Zusammenkünfte mit größeren Schwierigkeiten verbunden. Mit dem thätigen heitern Leben deines Vaters, entflog der jugendliche Muth. Aus zärtlicher Besorgniß für mich, deren Leben daran hing, in seiner Nähe zu seyn, ihn oft zu sehen, unterwarf er sich der peinigendsten Vorsichtigkeit. Aus Furcht, auf einen Verräther oder Unvorsichtigen zu stoßen, entbehrte er allen Umgang, und sein schönes[117] Gemüth, das nur in Mittheilung und wohlwollender Liebe gelebt hatte, bekam gleichsam im Überfluß der zurückgedrängten Lebenskraft, eine Unruhe, die sich oft in beinahe phantastische Menschenscheue verwandelte.
Die Mahlerey war seine einzige Beschäftigung, aber sein ganzes Wesen, das nach lebendigem Wirken hinstrebte, fand mehr eine Trösterin, als eine freundliche liebevolle Gesellin in dieser Kunst.
So verstrichen die Jahre. Der Zustand meines Gemahls schmerzte mich tief, und ein innerer Vorwurf, sein friedliches schönes Leben unterbrochen zu haben, erwachte immer stärker in meinem Herzen, je mehr mir alle Verhältnisse des Lebens aus dem[118] Schleier jugendlicher Täuschung hervortraten.
Ich erkannte nur zu sehr, daß es für ein zartes Gemüth unbezwingliche Hydern auf dem Wege zur Glückseligkeit giebt.
Aller sanfte Trost deines Vaters war vergebens, nachdem ich einen klaren Blick ins Leben gethan hatte. Ich sah, so wie viele andere, erst, nachdem ich durch Irrwege auf den Gipfel des Berges gekommen war, die bessere Straße; und das Gefühl, ein inniggeliebtes Wesen von der ebenen heitern Bahn des Glücks, in Dunkelheit und Verworrenheit gezogen zu haben, wurde zum immer regen, nagenden Schmerz in meinem Busen.[119]
Als mein Gemahl während einer unsrer geheimen Zusammenkünfte alles versucht hatte, um mich durch die heitersten Ansichten unsres Schicksals zu beruhigen, und ich dennoch weinend an seine Brust sank, erhob er mich sanft, und blickte mir mit himmlischer Heiterkeit ins Auge. Nun wohl, so laß auch unser Leben voll schmerzlicher Entbehrungen seyn; unsrer Liebe entblühte ein Wesen, reich an tausend schönen Kräften, des reinsten klärsten Daseyns fähig. Du hast eine Tochter, in ihr laß uns leben und genießen. –
Mein starrer, auf deinen Vater gehefteter Blick, suchte den Sinn dieser Rede zu ergründen; noch wagte mein Herz nicht, sich in Hofnung zu erheben.[120]
Deine Tochter lebt! sagte dein Vater, indem er mich an seinen Busen drückte. Verzeih, daß ich dir es bis jetzt verbergen konnte; ich nahm dir ein unaussprechliches Glück, aber welche Unruhe, welche schmerzliche Sorge nahm ich dir nicht zugleich!
Ich glaubte, wie du, ein ganzes Jahr hindurch der Nachricht von dem Tode unsres Kindes.
Auch Nordheims waren davon überzeugt.
Du weißt, wie mein sonderbares Leben mich oft und am liebsten an die entlegensten Orte führte. So kam ich bey meiner ersten Rückreise aus Italien, Abends an einen einsamen Pachthof unweit D. an. Ein junges Weib saß vor der Hausthür,[121] und hielt zwey Kinder auf ihrem Schooße, die sie wechselnd säugte. Ich fragte: Sind diese Kinder Zwillinge? Sie antwortete erröthend: ›Ja.‹ Ich spielte mit den Kindern, von denen das eine eine entzückende Bildung hatte; hohe reine Formen leuchteten aus der lieblichen Fülle der Kindheit hervor, und schon lag in dem Blick der großen blauen Augen eine gewisse süße Bedeutung.
Ich war verloren in dem Anschauen des holden Geschöpfs, als die Frau einen lauten Schrey that, die zwey Kinder unter die Arme faßte, und der Hausthür zurannte.
Ein Stier hatte sich aus den Ställen losgemacht, und lief wüthend auf dem kleinen, rings verschlossenen Hofplatz umher.[122]
Die Hausthür hatte sich unglücklicher Weise beym Zuschlagen verschlossen. Ich nahm meinen Stock, stellte mich vor die Frau, und suchte sie so zu vertheidigen.
Aber der Schrecken nahm ihr die Besinnungskraft; sie setzte das schöne Kind auf einen Pfeiler neben der Hausthür, wo es im Augenblick herabstürzen mußte, und sprang mit dem andern nach einer kleinen Thür in der Ecke des Hofes.
Als ich mich wendete, das Kind zu fassen, wollte der Stier gerade auf dasselbe losstoßen. Lächelnd streckte das kleine Geschöpf die Händchen nach den Hörnern des Stiers aus, als wären diese Werkzeuge seines Todes ein unschuldiges Spielzeug.[123] Ich hatte das Kind in meinen linken Arm gefaßt, und gab dem Stier mit dem rechten einen derben Schlag zwischen die Hörner, daß er zurückprallte.
Die Knechte waren herbeygekommen, das wüthende Thier wurde eingefangen, und als ich mich nach der Frau umsah, fand ich sie in der Ecke des Hofes vor ihrem Kinde knieend.
Ich überreichte ihr die Kleine, die ich gerettet hatte. Sie warf einen freundlichen Blick auf sie, aber alle ihre Zärtlichkeit und Unruhe schien einzig auf das andere Kind gerichtet zu seyn.
Diese Sonderbarkeit in dem Betragen der sonst gutmüthigen Frau[124] fiel mir auf, um so mehr, da ich einen herzlichen Antheil an dem Kinde nahm, das viel schöner und liebenswürdiger war, als der Liebling der Mutter.
Ich übernachtete in dem Hause, und brachte den Abend unter der Familie zu. In Gegenwart des Vaters bemerkte ich die Kälte der Mutter gegen das liebliche Geschöpf, welches auf meinem Schooße ruhete, und machte ihr sanfte Vorwürfe darüber. – Sie erröthete und wurde höchst verlegen.
Warum willst du dem Herrn, der es so gut mit uns meynt, eine Unwahrheit sagen? fiel der Mann ein: es ist nicht unser Kind.
Die Leute wurden immer treuherziger,[125] und ich erfuhr nach und nach so viel, daß das Kind von einem vornehmen Herrn aus D. in ihre Verwahrung gegeben worden sey, daß man ein großes Jahrgeld dafür bezahle, und sich die tiefste Verschwiegenheit ausbedungen habe. Um sich gegen jeden Fremden aus der Verlegenheit zu ziehen, ließen die Leute das Kind für die Zwillingsschwester ihres eigenen Kindes gelten.
Ich erkundigte mich genau nach der Zeit, in welcher sie das Kind bekommen, und mit sonderbaren Bewegungen hörte ich den Tag nennen, an welchem das unsre gestorben war. Es fiel mir jetzt gleich einem Schleier von dem Gesicht der holden Kleinen; ich sah deine Züge in anmuthiger[126] Verjüngung, dein Lächeln, deine Minen. Ich wagte es nicht zu hoffen, aber ich genoß gleich eines holden Morgentraumes dieser Erscheinung. Ich fragte nach allen Umständen, und erkannte in einer genauen Bezeichnung der Person, welche diesen Leuten das Kind übergeben, die alte Hofmeisterin, welche um dich war.
Ich eilte Herrn von Nordheim meine Begebenheiten zu erzählen. Er dachte einige Minuten lang nach, und sagte: ich finde Ihre Muthmaßungen nicht ganz unwahrscheinlich; aber Ihrer Gemahlinn kein Wort davon, auch wenn wir der Sache auf die Spur kommen sollten.
Ihr Herz hat sich jetzt an den[127] Schmerz des Verlustes gewöhnt, und die Unruhe des Besitzes und der nothwendigen Entfernung ihres Kindes würde ihr Gemüth nur in neue Stürme aufregen.
Er kannte alle Personen und Verhältnisse in D. und in kurzem, umarmte er mich, und brachte mir die freudige Nachricht, das holde kleine Geschöpf, zu dem die geheime Kraft der Natur mich hingezogen, sey meine Tochter.
Herr von Nordheim verschafte den Leuten auf dem Pachthof eine bessere Pachtung, und entfernte sie aus der Gegend. Bald gelang es uns, durch Geld und Vorstellungen das Kind von ihnen zu bekommen.
Wie reich fühlte ich mich im[128] Besitz des lieben Geschöpfs, und wie viel kostete es mir, dir die Freude vorzuenthalten!
Aber ich fühlte zu sehr, daß der Rath meines Freundes mit der Klugheit übereinstimmte.
Erst nach dem Tode deines Vaters sollte Agnes dir übergeben werden, nichts zwang dich dann bey dem Aufenthalt in einem fremden Lande, sie wieder von dir zu entfernen. Ich wollte dir ein reines Glück aufbewahren.
Mein unstäter Aufenthalt, meine schnellen Reisen, erlaubten mir nicht Agnes bey mir zu behalten, und wem sollte ich sie mit mehr Ruhe anvertrauen, als meinem vortreflichen Prediger zu Hohenfels![129]
Ich kannte sein edles Gemüth, und die Allmacht seines Geistes auf menschliche Bildung zu wirken. Ich hatte noch einen Freund ohnweit Hohenfels, welcher Arzt in einem kleinen Städtchen war. Er hatte als Feldarzt mehrere Feldzüge mitgemacht, und in den mannichfachsten, oft höchst verworrenen Verhältnissen, in denen er gelebt, solch eine Kraft des Charakters in sich entwickelt, die ihn in dem vollkommensten stoischen Gleichmuth erhielt.
Er lebte nur der Übung seiner Kunst, ohne Familien- oder irgend einer andern nahen Verbindung. Wo es auf Liebe und Mitempfindung ankam, war der Prediger mein erster Freund; wo es nur Rath, kalte[130] Besonnenheit, und den sichern Überblick der Verhältnisse galt, da nahm ich meine Zuflucht zu dem Arzt.
Auch jetzt entdeckte ich ihm mein ganzes Verhältniß. Wir beschlossen, die reine einfache Seele des Predigers nicht mit einem Geheimniß zu belasten, das ihn oft in Verwirrung setzen, und zu Unwahrheiten nöthigen konnte, denen sein himmlisch-reiner Sinn sich nur mit schmerzlicher Verwirrung unterzogen hätte.
Ich war seiner Liebe, seiner zärtesten Sorge für Agnes gewiß, und unter dem Druck der Meinungen und Vorurtheile, die mein Leben so fürchterlich zerstört hatten, war es mir ein wohlthätiges Gefühl, mein Kind entfernt von allen künstlichen[131] Schranken der Gesellschaft zu halten, und nur durch Wahrheit und Natur die Kraft seines Herzens entwickelt zu sehen.
Meine Tochter sollte alles durch sich selbst zu erreichen vermögen, was den wahren Werth des Lebens ausmacht, und die unsichren Geschenke des Glückes sollten weder durch ihren Genuß noch ihr Entbehren ihr beßres Wesen aus seinem Gleichgewicht zu bringen vermögen.
Oft hatte es der Prediger bereut, nicht in früheren Jahren geheurathet zu haben, um jetzt in seinen Kindern wieder aufzuleben.
Ich gebe ihm eine Tochter, sagte ich dem Arzt, und wie groß wird seine Freude seyn, wenn er einst die[132] unaussprechliche Dankbarkeit seines Freundes empfinden wird!
Der Arzt selbst trug das Kind eines Abends in der Dämmerung zum Hause des Predigers. Er sagte ihm, daß er ihm ein Kind, welches durch sonderbare Umstände hülflos geworden sey, übergäbe, um es als sein eignes zu erziehen; die kleinen Ausgaben, die es veranlasse, wolle er mit ihm theilen.
Der Prediger sey durch die Schönheit und den sanften Ausdruck des Kindes so gerührt worden, daß er es sogleich aus Liebe und Neigung aufgenommen habe.
Um die Neugierigen von jeder Spur zu entfernen, wurde ausgemacht, daß Agnes für des Predigers Bruderstochter gelten sollte.[133]
So wuchs unsre Tochter. Kein Kind genoß je einer liebevolleren Sorgfalt.
In des Arztes Hause sah ich Agnes zuweilen unbemerkt, und die Erinnerung der lieben Gestalt begleitete mich wie ein guter Genius.
Sechszehn Jahre waren so verstrichen, als der schnelle, ganz unvorgesehene Tod des Arztes mich in die größte Unruhe setzte, indem ich gezwungen wurde, auf andere Maßregeln zu denken.
Ich finde keinen Menschen in der Gegend von Hohenfels, den es rathsam wäre in unser Vertrauen zu ziehen; ich muß dort, der Salmschen Familie wegen, die größte Vorsichtigkeit[134] beobachten. – Und sollen wir so ganz geschieden von jeder Erscheinung, jeder Spur des nächsten liebsten Wesens, unsre Tage vertrauren? Selbst wenn wir dieses Opfer bringen wollten, so zwingen uns doch die übrigen Verhältnisse zu einem verschiedenen Betragen. –
Ich umarmte meinen Gemahl mit einem neuen unaussprechlichen Gefühl, nach dieser Erzählung. Dein geliebtes Bild, meine Agnes, war zwischen uns, und läuterte unsre Wesen, gleich einer reinen Flamme, zu einem neuen heiligern Daseyn.
Wir durchflogen tausend Plane, um dich in unsre Nähe zu bringen, aber immer war ihre Ausführung mit Schwierigkeiten verbunden, die uns Schrecken einflößten.[135]
Eine Veränderung mußte vorgenommen werden; hätten wir auch unser eignes Glück aufopfern wollen, so waren die Umstände an sich dringend.
Du warst in dem Alter, um an die Zukunft denken zu müssen. Der Prediger war alt, und seine zärtliche Liebe für dich mußte tausend Sorgen erzeugen. Er hatte von dem Arzt nur kleine Summen angenommen, und aus Liebe für dich alles allein tragen wollen, da er zumal wußte, daß der Arzt selbst nicht wohlhabend war. Mein Gemahl hatte es bis jetzt geschehen lassen, weil er dich selbst gern zur Unabhängigkeit von allen äußern Dingen gewöhnt sehen mochte, und wußte,[136] daß er es für die Zukunft in seiner Hand hatte, dem Pfarrer alles zu vergüten.
Aber jetzt, da der Tod des Arztes dich ganz von deinem Vater trennte, und er auch keinen außerordentlichen Schritt thun mochte, welcher zu sonderbaren Combinationen hätte Anlaß geben können, jetzt waren wir deinetwegen in der größten Verlegenheit.
Mein Vater lag in dieser Zeit an einer gefährlichen, von den Ärzten unheilbar geachteten Krankheit darnieder.
Sein Tod veränderte alle Verhältnisse für uns, und wir beschlossen den Ausgang dieser Krankheit abzuwarten, ehe wir eine Veränderung in deiner Lage unternähmen.[137]
In dieser Zeit begegnete dir mein Gemahl auf deiner ganz unerwarteten Reise nach D.
Natürlich hatte dein Pflegevater nach dem Tode des Arztes, von welchem er doch noch eine Aufklärung deines Schicksals erwarten konnte, die Gelegenheit ergriffen, um dich in eine bessere Lage zu versetzen.
Ich nahm diesen Zufall, der dich ohne unser Mitwirken in unsre Nähe brachte, für einen gütigen Wink des Schicksals an.
Ich kannte die Gräfin als eine gebildete kluge Frau, man sprach von ihrer Heurath mit Nordheim, und das Vertrauen, welches mir die letzten Worte des Vaters gegen den Sohn einflößten, beruhigte mich über alle weitere Folgen.[138]
Meine. Sehnsucht nach dir, die nur den Moment ihrer Befriedigung sah, stellte alle diese Gründe in das günstigste Licht. Dein Vater sagte mir: Agnes fühlt tief, aber still; die Kräfte ihres Herzens und Geistes stehen in einem schönen Verhältniß, und nach einigen Jahren der Welterfahrung, wird sie die Kunst erlernen, allen Schlingen der Arglist mit ihrem hohen sichren Blick, und einer feinen Gewandtheit des Betragens zu entgehen. Wir entdecken ihr dann unser ganzes Schicksal, und du genießest vielleicht das Glück sie immer um dich zu sehen.
Der lange Zeitraum, in welchem ich das Vertrauen meines Vaters wieder zu genießen schien, machte[139] uns zu kühn. Er schien alles vergessen zu haben, wenigstens empfing ich kein Zeichen des Mißtrauens von ihm, und nie hatte er ja mein Herz gegen sich eröffnet, weil das seine, ewig verschlossen, nur eine starre Kälte um sich her ergoß.
Ich vermied anfänglich, dich vor der Welt zu sehen, weil ich mein Herz zu verrathen fürchtete; aber bald überflog meine Ungeduld alle Schranken. Meine Freundin, meine einzige Vertraute, hatte sich an einem entfernten Ort verheurathet, und mein Gemahl wagte jetzt selbst nach D. zu kommen; da auch meine Gesundheit aufs neue harte Anfälle litt.
Die Zeit hatte seine ganze Gestalt[140] verändert, und er hatte die Fertigkeit angenommen, seinem Betragen tausend wechselnde Formen zu geben.
Bald gab mein Gemahl meinen dringenden Bitten nach, die Sehnsucht rieb meine Lebenskräfte auf, er mußte oft fürchten, daß ich aus der Welt gehen müßte ohne meine Tochter umarmt zu haben, und bald veranstaltete er unsre erste Zusammenkunft.
Nach dieser durfte ichs wagen, dich vor fremden Augen zu sehen.
Welchen Kampf kostete es mir, dir kalt und fremd zu begegnen! Aber welchen süßen Genuß fand mein Herz im Anschaun deines liebenswürdigen Wesens! Jedes Herz fühlte[141] sich von zärtlicher Theilnahme und süßem Verlangen in deiner Nahe ergriffen.
Mein Bruder liebte dich mit Leidenschaft Selbst die kalte Brust meines Vaters schien ein sanfter Zug der Natur mit Liebe für dich zu beleben. Oft ergriff mich ein beinah unwiderstehliches Verlangen, das tiefe Geheimniß meines Herzens an das seine zu legen, wenn ich ihn dir freundlich zulächeln sah, aber die Furcht lähmte meine Zunge.
Ich bemerkte, wie sehr Julius Alban dich liebte, ich wünschte dein Schicksal durch eine Heurath mit ihm bestimmt zu sehen, es konnte in der engen Verbindung mit solch einem reinen, treuen Gemüth nicht anders[142] als glücklich seyn; aber bald entdeckte ich durch dein eigenes Geständniß deine vorgefaßte Neigung. Dein Vater fühlte die ganze Gewalt hoffnungsloser Leidenschaft in deinem Busen. Er fand dich durch dieses allgewaltige Gefühl so schnell in die Mittagshöhe des Lebens versetzt, fand dein ganzes Wesen solch einer Energie fähig, um das Geheimniß unsers Schicksals zu tragen.
Jener Abend, den die Arglist des Ministers zu unserm Untergang ausersehen hatte, war für die schönsten Genüsse der Liebe und des Vertrauens bestimmt.
Ich erwartete sehnsuchtsvoll meinen Geliebten in meinem einsamen Zimmer. Euer längeres Außenbleiben[143] ängstigte mich schon, als ich den fürchterlichsten Lärm auf dem Hofe hörte. Ich ging an ein verborgenes Fenster, sah euern Wagen mit Lichtern umgeben, hörte schießen, und sank ohnmächtig zurück.
Meine Kammerfrauen hörten den Fall, und kamen mich zu Bett zu bringen. Als ich meine Kräfte nach wenigen Stunden wieder gewonnen, wollte ich nach der Stadt fahren. Meine Leute waren verstöhrt und stumm, und meine Befehle, vorzufahren, blieben unerfüllt.
Ungeduldig über das lange Zögern, drang ich auf eine Antwort. Meine Kammerfrau fiel mir weinend zu Füßen, und sagte mir: man dürfte mich nach dem Befehl meines[144] Vaters nicht nach der Stadt fahren, und überhaupt nicht aus dem Schlosse lassen.
Ein Raub der bängsten Unruhe, der seelen-zerreißendsten Furcht, verlebte ich zwey der schrecklichsten Stunden meines Lebens. Mein Gemahl hatte mehr als gewöhnliche Besorgnisse bey den Veranstaltungen zu unsrer letzten Zusammenkunft geäussert. Jedes Wort, jeder kleine, vorher übersehene Umstand trat jetzt ins klarste Licht meines Gemüths, und meine Angst vermehrte sich mit jedem Augenblick.
Endlich kam mein Bruder, und sein Anblick verscheuchte die Furie der Ungewißheit, die fürchterlichste von allen, aus meiner Einbildung.[145]
Ich vernahm, daß mein Gemahl und meine Agnes außer Gefahr wären.
Sonst hatte er mir nur traurige Wahrheiten zu verkündigen; aber alles wirkliche Übel erscheint uns doch sogleich begrenzt, und ruft unsern Muth wieder zum Kampf, der unter den Riesengestalten der Fantasie erlag.
Mein Bruder machte mir sanfte Vorwürfe, ihm mein Vertrauen nicht früher gegönnt zu haben, und enträthselte mir hernach die Begebenheiten der letzten Nacht, und ihre Veranlassungen.
Der Minister war der erste, welcher meinen Vater mit der Eröffnung deiner Verhältnisse überraschte,[146] sagte mir mein Bruder. In der ersten Aufwallung des Unwillens zog mich mein Vater in die Vertraulichkeit. Der Minister schien es ungern zu sehen, weil er meine Freundschaft für dich kennt, und mir überhaupt nicht recht traut. Auch bewog er meinen Vater, mir seine fernern Maßregeln geheim zu halten.
Aus verschiedenen Gesprächen mit dem Minister, aus den verlegenen Antworten, welche ich ihm oft durch unerwartete schnelle Fragen entlockte, konnte ich mir ohngefähr zusammensetzen, auf welche Art er selbst zu seinen Entdeckungen gekommen war.
Nach dem, was mir mein Bruder ferner hierüber angab, und welches ich mit meiner eigenen Kenntniß[147] der Verhältnisse und Charaktere verband, schlossen wir auf folgenden Zusammenhang:
Der Herr von Salm in Hohenfels hatte bei dem lebhaftesten Interesse an der Entfernung meines Gemahls, auch den schärfsten Blick auf unser Verhältniß. Jeden unrechtmäßigen Besitz umwinden die Schlangen des Verdachts und der Furcht.
Herr von Salm hatte durch Nachforschungen in der Gegend bald entdeckt, daß der Fremde, welcher sich bei dem Prediger aufgehalten, Herr von Nordheim war. Die Freundschaft meines Gemahls mit der Nordheimischen Familie war ihm nicht unbekannt, und Nordheims[148] besonderer Antheil an Agnes, welcher ihm durch tausend kleine Umstände zu Ohren kam, daß man sogar von einer Heurath sprach, dieses alles erweckte seine Besorgnisse.
Die Neugierde trug sich schon längst mit verschiedenen Gerüchten über Agnes Geburt, zu denen die Aussage eines alten Bedienten des verstorbenen Arztes den ersten Stoff gegeben. Dieser Mensch hatte nähmlich ausgesagt, Agnes sey nicht die Bruderstochter des Predigers.
Man legte sich jetzt aufs weitere Nachforschen bei dem alten Bedienten. Zum Glück hatte sein Herr seine Geheimnisse wohl zu verwahren gewußt; doch erfuhr man: daß Agnes, als einjähriges Kind, durch[149] einen fremden Mann erst in des Arztes Haus gebracht worden sey, und dieser sie hernach dem Prediger übergeben habe.
Die Furcht, welche der Ungerechtigkeit unzertrennliche Begleiterin ist, gab allen diesen ausschweifenden Gerüchten eine feste Gestalt im Gemüth des Herrn von Salm.
Agnes Abreise von Hohenfels gab von neuem Stoff zu den sonderbarsten Muthmaßungen.
Herr von Salm schrieb an seinen Schwager über seine gemachten Entdeckungen. Alles was Intrigue hieß, hatte einen natürlichen Reiz für den alten Minister, und die krummen Wege, zu denen ein geheimes Verhältniß zwingt, entgingen[150] seinem geübten Blick weniger, als die gerade einfache Straße, auf welcher die Unbefangenheit wandelt. Er selbst hatte auf der Fürstin Befehl, die kleine Agnes den Leuten auf dem Pachthof übergeben lassen, und hatte nach der Veränderung ihres Aufenthaltes, die Nachricht von dem Tode des Kindes von ihnen empfangen. Wir hatten diesen Ausweg selbst an die Hand gegeben, weil er allen Nachforschungen am besten Einhalt that.
Der Minister lockte die Leute durch große Versprechungen zu sich, und es war ihm ein Leichtes, ihre gutmüthige Treuherzigkeit in die Schlinge seiner List zu ziehen. Er erfuhr jetzt, daß ein Fremder und[151] der verstorbene Herr von Nordheim sie überredet hatten, ihnen das Kind zu überlassen.
Agnes, welche sogleich die allgemeine Aufmerksamkeit in D. erregte, wurde von dem Minister genau beobachtet. Er kam unsrer ersten Zusammenkunft auf die Spur, und die sonderbare Gestalt des Mahlers, welcher zuweilen in D. erschien, und so vertraut mit Agnes war, erregte seine ganze Aufmerksamkeit. In kurzem blieb ihm kein Zweifel mehr übrig.
Er überraschte den Fürsten vor wenigen Tagen mit der Entdeckung: daß Hohenfels gegenwärtig in D. sey, daß wir beide Mittel gefunden hätten, unser Kind aus den Händen[152] der Leute wieder zu bekommen, denen es meine verstorbene Mutter übergeben, und daß wir wahrscheinlich nur auf einen günstigen Zeitpunkt warteten, unsere Ehe für gültig zu erklären.
Mein Vater entbrannte natürlich im heftigsten Unwillen. Nichts empört das Gemüth bitterer, als getäuschtes Vertrauen, und jeder Beweis der Güte, welchen mit mein Vater in den letzten Zeiten gegeben, entflammte jetzt seine Brust zum unversöhnlichsten Haß.
Er ließ meinen Bruder rufen, erzählte ihm die jetzigen Begebenheiten, und meine frühere Geschichte, von welcher mein Bruder nur schwankende Gerüchte vernommen, über die[153] er mich selbst aus Feinheit nie befragen mochte.
Jetzt beschwor mein Vater meinen Bruder und den Minister, auf Mittel zu sinnen, wie die Ehre seiner Familie zu schonen und zu rächen sey.
Der Verwegene muß sogleich entfernt werden! sagte der Minister. Mein Bruder widersprach ihm nicht, um das Vertrauen meines Vaters in der Sache zu gewinnen, und für mein Bestes handeln zu können.
Aber wo ist jenes Kind, fragte der Fürst: jener unglückselige Zeuge unsrer Schande?
Sie werden sich über die Kühnheit des Plans wundern, erwiederte der Minister. Es lebt an Ihrem[154] Hofe. Die sogenannte Agnes von Lilien –
O Gott, rief der Fürst gerührt: warum hat das Mädchen keinen andern Vater!
Mein Bruder baute auf diese Aufwallung der Natur in dem Herzen meines Vaters die schönsten Hoffnungen. Aber der Minister wußte sie geschickt zu dämpfen, indem er Ehrgeiz und Unwillen wieder erregte, und in ihrer ersten Aufwallung meinem Vater einen Plan des Betragens in unsrer Sache vorlegte.
Mein Vater war gewohnt, nur durch diesen Mann zu handeln. Die Gewohnheit ist die Tyrannin leidenschaftsloser Gemüther, deren Ruhe nicht aus innerem Gleichgewicht, sondern[155] aus Schlaffheit des Herzens entsteht.
Mein Bruder fand den nächsten Tag meinen Vater nie allein, sondern immer in der Gesellschaft des Ministers. Beide waren verschlossen, doch fand er noch immer in meinem Vater die stärkste Abneigung gegen alle gewaltsame Maßregeln, und hoffte, es würde vor der Hand nichts entscheidendes geschehen.
Auch der Minister schien zur Milde gestimmt zu seyn, und zeigte besonders die größte Furcht vor dem Herrn von Nordheim. Er wußte, wie frey dieser zu Werke ging, und hatte schon mehr als eine Beschämung durch ihn erfahren.
Nordheims lebhafte Theilnahme[156] an deinem Schicksal war unverkennbar, sie mochte nun Zärtlichkeit oder allgemeines Wohlwollen zum Grunde haben.
Es war dem Minister, so wie jedem, der Nordheimen handeln gesehen, wohl bekannt, wie sicher jeder Unterdrückte auf seinen Schutz rechnen durfte, und seine Freunde ruhten vertrauungsvoll, wie unter der Aegide der Pallas, an seiner Brust.
Unabhängig durch seinen Charakter, seine Tapferkeit, den hellen Blick seines Geistes und seine äußere ganz freie Lage, war er der zuverlässigste Freund, aber ein furchtbarer Gegner.
Mein Vater selbst hatte eine an Furcht gränzende Achtung für ihn,[157] und daß er auch hier seinen mächtig wirkenden Einfluß fürchtete, nahm ich an dem Befehl wahr, welchen er meinem Bruder gab, von der ganzen Geschichte nicht mit Nordheim zu sprechen.
Diesen Morgen, fuhr mein Bruder fort, kaum nach Tages Anbruch, ließ mich der Fürst rufen. Ich fand ihn sehr bewegt, er schien ermattet nach einer heftigen Anspannung. Mit zitternder Stimme befahl er mir, an seinem Bette niederzusitzen, und sagte: Der Verführer deiner Schwester ist jetzt in meinen Händen in guter Verwahrung, und wir sind vor jedem unvorsichtigen Schritt sicher. Ich ließ ihn gestern Abend, eben wie er zu einer Zusammenkunft[158] eilte, gefangen nehmen, und auf das Schloß ** bringen. Er wagte es, sich gegen meine Leute zu vertheidigen, und empfing eine zum Glück leichte Wunde. Blut will ich nicht vergießen, sondern nur der verhaßten Aufführung deiner Schwester Einhalt thun. Die Welt soll nicht mit Spott, gleich als auf einen weichherzigen Comödien-Vater auf mich deuten, welcher am Ende die Thorheiten seiner Kinder durch seine Vergebung krönt.
Auch für die Kleine ist gesorgt, sie wird nicht wieder in dieser Gegend erscheinen, aber versorgt soll sie werden; ich will dem Mädchen wohl, und was kann das unschuldige Geschöpf für die Thorheit seiner Eltern?[159]
Ich sende den jungen Herrn von Salm, den Neffen des Ministers, in besondern Angelegenheiten nach Frankreich. Agnes empfängt eine Aussteuer von mir, die ihre Hand wünschenswerth machte, besäße sie auch keine weitere Vorzüge, und der junge Mann wird sich zur immerwährenden Entfernung aus seinem Vaterlande um diesen Preis gern verstehen, wie mir sein Oheim versichert.
Eile zu deiner Schwester und hinterbringe ihr diese Nachrichten, nebst meinem Befehl, sich von ihrem Schlosse nicht zu entfernen. Nur der strengste Gehorsam kann ihr die Hofnung auf meine Vergebung erhalten.
Mein Bruder tröstete mich mit den zärtlichsten Versicherungen, meinem[160] Gemahl die Freiheit bald wieder zu verschaffen, und meine Agnes solch einem verhaßten Geschick zu entziehen. Er verließ mich beruhigt, und versprach mir jeden Tag Nachricht zu geben.
Sieh nun, bestes Kind, aus folgenden Briefen den Fortgang der Begebenheiten – die Lage deines Vaters – das Opfer welches man deinem Herzen abzwingen will – und das Unglück deiner Mutter.«
»Als ich von dir zurück kam, liebste Schwester, erfuhr ich, Nordheim habe schon zweimahl nach mir gefragt.[161]
Nach wenigen Augenblicken kam er selbst.
Er grüßte mich ernsthafter als gewöhnlich. Es war etwas schmerzlich Bewegtes in seinen Minen, welches mein Gemüth gewaltig ergriff. Ich hatte ihn nie leidend gesehen, und der Schmerz welcher über seine edle Gestalt ergossen war, gab seinem ganzen Wesen gleichsam etwas überirdisches. Ich fühlte die Gewalt einer regeren stärkeren Natur, die in ihrem inneren Leben gereizt, dennoch ihre Kraft unzerstreut und im schönsten Gleichgewicht empfand.
Er frug mich sogleich, ob ich etwas um die Begebenheiten der letzten Nacht wisse? ob mir der Ort bekannt sey, wo man Agnes hingebracht?[162]
Ich hatte die besten Vorsätze gefaßt, das Vertrauen meines Vaters zu respectiren; aber bey Nordheims geradem vertraulichem Benehmen, vor seinem Blick, der immer mein ganzes Herz zu durchschauen gewohnt war, entfiel mir aller Muth ihm etwas zu verbergen.
Gleichwohl vermochte ich zu sagen: Seyn Sie unbesorgt um Agnes Schicksal, mein Freund, und beruhigen auch die Gräfin. Agnes ist in sichren achtungswerthen Händen. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen nichts weiteres sage, es ist das Geheimniß meines Vaters.
Ihr Herz hat keinen Theil an der ganzen Begebenheit? fragte mich Nordheim.[163]
Als ich diese Frage mit Nein beantwortet, sagte er: Nun so eile ich, den Fürsten sogleich selbst zu befragen.
Es war mir lieb, dem Minister Nordheims thätigen Antheil an dieser Sache lebhaft fühlen zu lassen, und ich erwartete ein schonenderes Betragen gegen Hohenfels, wenn Nordheim in die ganze Verhandlung gezogen würde. Diese Hofnung war, so wie ich die Lage der Sachen damahls einsah, nicht schimärisch.
Ich begleitete Nordheim zu meinem Vater, der eben mit dem Minister arbeitete. Dieser zog sich höchst verlegen in ein Fenster zurück.
Ich komme, sagte Nordheim laut, Ihro Durchlaucht um Schutz[164] zu bitten, gegen ein höchst sonderbares, unbegreifliches Benehmen. Ein unschuldiges liebenswürdiges Mädchen wurde gestern gewaltsam ihren Freunden entrissen. Niemand hat ein stärkeres Recht sich dieser Beleidigung anzunehmen als ich, denn sie schenkte mir ihre Liebe, und ist seit gestern meine Verlobte.
Mein Vater gerieth in die glühendste Verlegenheit, dennoch antwortete er nach wenig Augenblicken kalt und sicher: Es sind gewisse Verhältnisse, Herr von Nordheim, eine sehr sonderbare Lage, welche mich bewogen hat, Agnes von Lilien unter meinen Schutz zu nehmen. Was eine Verbindung mit ihr betrift, so muß ich Sie bitten, diesen Plan aufzugeben.[165]
Aufzugeben? – sagte Nordheim mit zurückgehaltener Heftigkeit: ich kenne nichts in der Welt welches mich hierzu nöthigen könnte, so lange ich hoffen darf, das Glück meiner Geliebten zu machen.
Mein Vater wurde nun immer verlegner und verwirrter in seinen Antworten. Nordheim bestand kühn darauf, von Agnes Aufenthalt unterrichtet zu werden, er zeigte ungemeine Gewandtheit des Geistes, und ehrne Festigkeit des Willens in der ganzen Unterredung. Gegen meinen Vater betrug er sich mit Schonung, aber der Minister bekam manchen drohenden Wink.
Alles ist demnach vergebens sagte er, indem er aufstand um Abschied[166] zu nehmen. Ich habe gezeigt, wie gern ich in den Grenzen der Mäßigung und schuldigen Achtung bleibe. Aber jetzt werden mir Ihro Durchlaucht verzeihen, daß ich mich für ungebunden halte, alle Maßregeln zu ergreifen, die ich nur immer vor meinem eignen Herzen verantworten kann.
Ich wollte Nordheim folgen, mein Vater hielt mich zurück. Er überließ sich den heftigsten Ausbrüchen des Unwillens. Der Minister wußte geschickt, durch seine angenommene Ruhe und Kälte, der Flamme nur noch mehr Öl zuzugießen. Mein Vater that die fürchterlichsten Gelübde, durch welche schwache Charaktere immer ihren eignen unrechtmäßigen[167] Entschlüssen Festigkeit zu geben suchen: nie würde er eine Verbindung zwischen Nordheim und Agnes zugeben.
Nordheims höchst sichres und festes Benehmen vermehrte die Furcht meines Vaters, das Geheimniß seiner Familie in seinen Händen zu sehen. Alle Handlungen, deren Motive im Herzen zu suchen sind, liegen ganz außer dem Gesichtskreise meines Vaters; und wenn er ein Interesse hat, sich solche zu erklären, so schiebt er natürlich falsche Bewegungsgründe unter. Überdem giebt er den Verhältnissen des Standes und Ranges, die einmahl seine Natur ausmachen, auch eine alles überwiegende Wichtigkeit. Unbegreiflich[168] wird es ihm dünken, daß Nordheim die Ansprüche auf Agnes Geburt, nicht geltend machen, oder sie aus Liebe aufgeben könnte. Mein Vater glaubt Nordheim von der ganzen Geschichte deiner Heurath durch seinen Vater unterrichtet; fürchtet, daß das Recht, welches er dir selbst in gewissen Momenten zugestehen muß, durch Nordheims Kühnheit und höheren Geist geleitet, noch obsiegen, und dahin führen möchte, deine Verhältnisse vor der Welt bekannt zu machen.
Wie der Schwache jede Kraft fürchtet, deren Wirkungen er nicht zu ermessen vermag, so sieht er auch lauter Poltergeister um sich her. Güte und Stärke sind die natürlichen Poltergeister eines schwachen Sinns.[169]
Nordheims höheres Wesen fiel meinem Vater auf, als eine neue Erscheinung, welche seine Achtung erzwang. Aber jetzt, da er selbst in Collision mit jenem höheren reineren Gemüth tritt, verwandelt sich die Achtung in Furcht. Die Furcht verwirrt den Verstand, und verhärtet das Herz. Was bleibt uns zu thun und zu hoffen übrig?
Unsre Agnes muß nicht aufgeopfert werden. Ich vermag es nicht zu denken, das sanfte holde Geschöpf, das Schönheit und Wahrheit mit solch einem regen unverstimmbaren Sinn ergreift, sollte für immer an einen Thoren gefesselt werden? Der junge Mensch ist herz- und geistlos. Es wuchs mit Agnes auf, und der[170] Onkel sprach gegen mich von einer Leidenschaft, die er aus Gehorsam gegen seine Eltern unterdrückte, und die jetzt auf einmahl in vollen Flammen auflodert.
Du weißt, was ich von dem denke, und daß ich gewisse Gesichter lieber vom Galgen und Rad, als von Liebe und Tugend reden höre.
Agnes muß gerettet werden; aber daß mein Vater für Nordheim zu bewegen ist, daran zweifle ich. Wir werden einen dritten Weg einschlagen müssen, auf welchem wir vielleicht leichter mit meinem Vater zusammentreffen.
Ich benutzte den ersten freien Augenblick, um zu Nordheim zu eilen.
Ich war entschlossen ihm alles[171] zu entdecken, da ich den innigen Antheil seines Herzens für Agnes empfunden hatte, und mit ihm gemeinschaftliche Maßregeln zu nehmen; aber er war schon abgereist.
Ich suchte die Gräfin auf, sie war unruhig und verschlossen, und wollte, oder wußte mit über Nordheims Aufenthalt nichts zu sagen.
Die kleine Bettina fiel mir im Vorzimmer zu Füßen und rief: Wenn Sie ein Herz haben, die Leiden der Trennung zu fühlen, so sagen Sie mir, wo ist meine Agnes?
Morgen denke ich den Aufenthalt unsrer Agnes zu erfahren. Die Leute, die ich auf Kundschaft ausgeschickt, müssen zurückkommen.«
[172]
»Hohenfels ist außer Gefahr, das Wundfieber war nur leicht, und ist jetzt schon vorüber. Die Wunde ist im besten Zustand, und wir werden uns in kurzem seiner völligen Genesung erfreuen. Man begegnet ihm gütig, aber übrigens wird er streng bewacht. Er ist einem alten Officier übergeben, der sich streng an die Befehle meines Vaters bindet, und von unbestechbarer Rechtschaffenheit ist. In allem was nicht gegen seine Pflicht läuft, ist er mild und gefällig, und hat mir versprochen, Hohenfels mit der größten Aufmerksamkeit zu begegnen. Beruhige dich also, liebe Schwester, über Hohenfels[173] Schicksal, welches an sich nicht unglücklich ist, und unverändert bleiben wird, wenn der Unwille meines Vaters nicht auf das neue gereizt wird. Der Lauf der Natur erinnert mich an den Zeitpunkt, wo es in meiner Gewalt stehen wird, jeden Kummer von deinem Herzen zu nehmen; rüste dich bis dahin mit Stärke und Geduld.
Unsre Agnes ist auf das Jagdschloß B. gebracht worden. Einer alten Französin, einer ehemahligen Liebe des Ministers, an welcher mein Vater auch für kurze Zeit Geschmack fand, ist sie übergeben. Alle Zugänge sind dort für uns offen, da ich einen meiner vertrautesten Leute an diesem Ort habe, einen alten Bedienten,[174] der mir seit meiner Kindheit manchen Dienst that.
Der Mensch ist sehr schlau, und hat sein ganzes Leben hindurch gesucht sich durch das Auslernen fremder Schwachheiten der Dienstbarkeit zu entziehen, ja sich oft zum Herrn seiner Herrschaft zu machen.
Möchte ich dir über die Gesinnungen meines Vaters auch etwas zu sagen finden, welches deinen Wünschen gemäß wäre! Aber noch immer fand ich seinen Sinn unbeugsam, so oft ich Nordheims Nahmen nannte. Die entfernteste Äußerung über Agnes Verbindung mit ihm wies er mit dem heftigsten Unwillen zurück.
Ich fühle wie der Minister darauf[175] arbeitet, meinen Vater immer mehr gegen Nordheim zu entrüsten, um diesen aus dem ganzen Verhältniß zu entfernen.
Mein Vater ist in dem Zustand einer kranken Reizbarkeit, und sein empörter Starrsinn stößt jede milde Empfindung zurück. Ich fürchte, er könnte in diesem Zustand einer harten, ungerechten Handlung fähig seyn; höchst gefährlich wäre es, ihn zu reizen, so lange Hohenfels in seinen Händen ist. Er kennt keinen Frieden, bis Agnes verheurathet und entfernt ist. Die fieberhafte Verspannung seines Wesens, bey seiner Ermattung, seinen dumpfen Vorstellungen, flößet mir inniges Mitleid ein.
Wie furchtbar sind die starken[176] Züge des Gemüths im Alter, wenn sie nicht von der Wahrheit belebt werden!
Ich deutete schon gestern auf eine Idee, die vielleicht alle Partheien vereinte. Meinem Vater war sie nicht fremd, da er sich schon sonst einmahl dafür interessirt hatte.
Der –sche Hof wünschte schon längst Julius als seinen Geschäftsträger in England. Wenn wir meinen Vater bewegen könnten, Julius statt des jungen Salm als einen Gemahl für Agnes zu wählen, so wäre ihr Schicksal, wo nicht ganz der Wunsch ihres Herzens, doch gewiß sorgenlos und heiter. Wüßte ich Nordheims Aufenthalt, ich würde ihn zuerst mit der ganzen Lage bekannt[177] machen, und alles der Leitung seines höheren Sinns überlassen.
Indeß sind die Umstände dringend. Hohenfels muß befreit werden. Bald sollst du deine Tochter sehen, wir müssen alles versuchen, ihr Herz zum Gehorsam zu stimmen.«
Diese Blätter zogen mich in eine Welt neuer Verhältnisse und Gefühle. Seit meiner Jugend war mein Leben nur durch ein einziges Band gehalten. Die Zufriedenheit meines Vaters in Hohenfels, war, nach der innren Regel des Rechts in meinem Gemüth der einzige feste Gesichtspunkt, nach dem sich alle meine Handlungen richteten. Meine[178] ganze Wirksamkeit strebte nach diesem Ziel. Für meinen Vater hatte jeder meiner Schritte Bedeutung, und ich fühlte mein Glück oder Unglück nur in seinem Herzen. Seitdem Nordheims Bekanntschaft mein Wesen den Stürmen der Leidenschaft öffnete, in Momenten wo die Hofnung entfloh, der Puls des Lebens in meinem Herzen stockte, und starre Fühllosigkeit mich ergriff, da erhielt mich das Andenken meines Vaters. Über den Antheil, den er an meinen Leiden nehmen würde, vergoß ich lindernde Thränen, und meine Seufzer nach dem Unendlichen, in dem wir die ganze Verkettung unsers Schicksals denken, hatten den Sinn: Mache mich glücklich, damit[179] mein Vater sich meines Glücks erfreue!
Nordheims Liebe hielt mich mit einem neuen allgewaltigen Band umschlungen. Die Sorge für sein Glück begleitete jeden Pulsschlag meines Herzens. Jetzt erschienen die Gestalten meiner liebenden Eltern, die an meinem Herzen Ruhe suchten, und in meinem heitern Leben Trost, Freude, und Ersatz für ihr eignes schmerzliches Schicksal finden wollten!
Unaussprechliches Mitleid füllte mein ganzes Wesen. Mein eignes Daseyn verlor sich gleichsam in diesem Gefühl; ich hätte alles aufopfern können – selbst das Glück meiner Liebe – nur nicht Nordheims Zufriedenheit.[180] Wenn ich ihn leidend dachte, leidend durch mich! dann versagte mir jede Kraft, und alle Fäden meines Daseyns rissen entzwey.
Physische Ermattung umzog endlich alle diese Vorstellungen gleichsam mit einem Nebel. Das stille Gefühl meines Herzens, jedes eigne Glück der Ruhe meiner Eltern aufopfern zu wollen, stimmte mich zu einer beruhigenden Einheit, in der ich bald einschlief.
Ein paar Akkorde auf der Guitarre erweckten mich wieder. Das Instrument schien dicht unter meinem Fenster gespielt zu werden. Bald ertönte Bettina's Stimme; sanft und halb leise sang sie folgende Worte:
[181]
Du liegst im bangen Schlummer,
Ich irr' im dunklen Wald;
Entferne jeden Kummer,
Dein Freund erscheint dir bald.
Schon flimmert Licht im Schlosse,
Die Knappen rasten nicht,
Gezäumet stehn die Rosse
Im grauen Morgenlicht.
Er schwingt sich auf den Rappen,
Fliegt über Berg und Thal,
Ein Sturm, mit seinen Knappen
Langt an im Abendstrahl.
Und in der Dämmrung Hülle
Birgt sie das hohe Korn,
Jetzt schallt durch Nacht und Stille
Der wackern Jäger Horn.
Es stürmt wie ein Gewitter
Der ganze Troß feldein,
Es stürzen Thor und Gitter,
Der Liebste ziehet ein.
[182]
Des Thurmes Riegel schwirren,
Die Wächter sind entflohn;
Vernimm's, der Waffen Klirren
Sey dir der Liebe Ton.
Ich eilte zum Fenster, und erkannte die Gestalt des guten Mädchens in der Morgendämmerung. Sie stand dicht an einem Spalier an der Mauer unter mir, und vernahm sogleich meinen leisen Ruf.
Leicht wie ein Vogel schwang sie sich auf dem Spalier empor bis zu den Gittern meines Fensters. Ich mußte ihr die Hand reichen, die sie an ihren Mund und an ihre Brust drückte.
Nachdem sie sich beruhigt hatte, vernahm ich von ihr die Lage meines Freundes und den Sinn ihres Liedes.[183]
O, ich konnte deine Entfernung und die Ungewißheit deines Schicksals nicht länger aushalten! rief sie aus. Nordheim war wenige Tage nach dir weggereist, ich erfuhr von der Gräfin, es sey um dich aufzusuchen.
Die Angst und Sorge um dich verzehrten mich, ich hatte Tag und Nacht keine Ruh. Ich war ganz mir selbst überlassen, die Gräfin war durch einen sonderbaren Vorfall in die tiefste Schwermuth verfallen, sie hatte mich ihrer Kammerfrau übergeben, und uns allen befohlen, sie allein zu lassen.
In deinem Zimmer hatte sie das Kästchen gefunden, welches dir meine Mutter in Verwahrung gegeben.[184]
Ich kam dazu, als es geöffnet vor ihr stand. Bleich, auf den Stuhl zurück gelehnt, ein Papier in der Hand haltend, auf das ihre Augen starr geheftet waren, so fand ich sie.
Was ist Ihnen? rief ich, und auf meinen Ruf erwachte sie wie aus einem Traum.
Weißt du wie dieses Kästchen hieher kam? fragte sie heftig.
Von meiner Mutter, sagte ich, durch ihre Heftigkeit erschreckt: sie übergab es an Agnes, als ich in die Stadt kam.
Sie umarmte mich unter heißen Thränen, versprach mich zu lieben, für mich zu sorgen wie für ihre eigne Tochter, und bat mich sie allein zu lassen. Ich beklagte sie herzlich,[185] ob ich gleich von dem allen nichts verstand.
Ich sah wie sie das Kästchen in ihr Zimmer trug; den ganzen Tag wurde niemand vorgelassen.
Mein Bruder war eben in die Stadt gekommen, er fand mich entstellt und bleich wie ein Schatten.
Er hatte von Nordheims Leuten erfahren, daß er sich in der Gegend von U. aufhalte. Laß uns gehn, Agnes aufzusuchen, sagte ich meinem Bruder, und ich will ruhig werden.
Der Weg nach U. war uns bekannt, wir waren ehemahls mit meiner Mutter da gewesen. Mein Bruder ging nach Hause zurück und hohlte ein Kleid für mich, und seine Flöte. Meiner Mutter sagte er, er[186] solle in der Stadt bey mir bleiben. Nun gingen wir des Abends aus dem Hause der Gräfin. So wie die Reise fortging wurde mir leichter, ich sah dich immer am Ziele der selben.
So kamen wir ohne Hinderniß nach U. Schon den andern Tag begegnete mein Bruder einem von Nordheims Bedienten auf der Straße. Er hieß uns ruhig bleiben wo wir wären; den Abend kam ein Wagen uns abzuhohlen. Ich zitterte vor Furcht, man möchte uns zurück bringen, in wenigen Stunden kamen wir in einem Hause an, wo uns deine Freundin Elise empfing.
Dort war ich bald in meinem Element, denn alles war nur mit[187] dir beschäftigt. Elise sagte mir, daß du außer Gefahr seyest, und dich auf einem Schloß aufhieltest, welches nicht weit von ihrem Landgut entfernt läge.
Nordheim und Julius kamen den nächsten Tag. Ich fürchtete, Nordheim möchte meine Flucht von D. mißbilligen. Aber die Liebe für dich entschuldigte alles. Bald bemerkte ich, daß noch etwas geheimnißvolles in deinen Verhältnissen sey, über welches man sich nicht in meiner Gegenwart erklärte.
Julius und Nordheim waren oft abwesend, und unzertrennlich verband sie die Sorge um dich. Nordheim sendete mich jetzt zu dir, mit dem Arzt, er selbst schrieb mir genau[188] vor, wie ich mich zu betragen hätte, und als ich zurück kam, konnte er mit Fragen über dein Aussehen, deine Mienen, deine Stimmung nicht fertig werden. Er ist jetzt für einige Tage verreist, ich bemerkte bald, daß man Anstalten macht, dich diesem Aufenthalt zu entreißen.
Elise sagte mir diesen Abend, daß morgen Nordheim wieder ankommen würde, um dich mit Gewalt zu befreien, wenn alle andere Mittel fehlschlagen sollten.
Dein einsamer Zustand und meine Sehnsucht zerrissen mir die Seele, bey der einbrechenden Nacht trieb es mich fort. Mir war es, als hieße mir eine innre Stimme dir Muth und Hofnung zusingen.[189]
Ich fand mich in der mondhellen Nacht leicht auf dem Waldpfad, der mir durch den Arzt bekannt wurde, hierher.
Gutes treues Geschöpf! rief ich – Ja, dir gab ein guter Genius den Anschlag ein, zu mir zu kommen.
Ich schrieb folgende Zeilen an Nordheim:
»Mein Schicksal steht mit dem Leben meines Vaters in der genausten Verbindung. Unternehmen Sie es nicht, mich diesem Aufenthalt zu entziehen!«
»Wie gern folgte ich dem Wink der Liebe, der für mich auch die Leitung eines höhern Sinnes ist! Aber Umstände, die mein geliebter Freund nicht kennt, halten mich gebunden.«[190]
Ich bat Bettina zurück zu eilen, und bey Nordheims Ankunft sogleich ihm dieses Billet zu übergeben. Sie eilte von mir, wie ein leichter Morgentraum, dessen freundliche Erscheinung uns während dem Lauf des Tages begleitet, um uns als ein Friedensbote beßrer Zeiten, Freyheit und Hofnung zuzuwinken.
Die Sonne ging auf. Der Zauber des Morgenlichts wirkte, im tiefsten Schmerz, im höchsten Glück, immer lebendig auf mein Gemüth. Nordheims Liebe umfaßte mein ganzes Wesen mit freundlicher Gewalt.
Ich habe es genossen, das höchste, zärteste Leben! sagte ich mir selbst. Nichts vermag mir diese Erinnerung, dieses ewig lebendige Daseyn in seinem[191] Herzen zu rauben. Was für wechselnde Erscheinungen auch die Zeit mit sich führen mag, alle müssen sich auflösen in der Ewigkeit der Liebe.
Ich las die Blätter meiner Mutter von neuem. Meiner Eltern Schicksal ergriff mein Herz mit einer schauervollen Gegenwart, und ich fühlte die Nothwendigkeit, diesen theuren Unglücklichen mein Leben und alle Kräfte meines Geistes und Herzens aufzuopfern.
Für meinen Großvater fühlte ich mehr Mitleiden als Unwillen.
Ich sagte mir, noch fordre die Zeit keinen Entschluß, aber ein lebhaftes klares Gefühl sieht immer die Straße, die es zu wandeln hat, vor[192] sich, ehe der Verstand die Verhältnisse abgewogen, und die Vernunft einen Vorsatz gefaßt hat.
Nordheim hatte mein Wort, ihm sollte die ganze Lage vorgelegt werden, von ihm erwartete ich die Richtschnur meines Betragens.
Ich schöpfte sonderbaren Muth und Trost aus diesem Vorhaben. Mein Schicksal mochte nun bitter oder lieblich werden, aber es sollte nur von ihm kommen.
Ich hofte, wenn ich an seinen Muth, den tiefen heitern Blick seines Geistes dachte, der dem ganzen Verhältniß vielleicht eine neue Wendung geben könnte. Ich lebte, wenn ich die Kraft seines Herzens ermaß, dem Rechten und Schönen alles Glück seines[193] Lebens aufzuopfern. Von Julius, wußte ich, konnte mir nichts Böses kommen, ich war seines Edelmuthes gewiß. Aber das Bild meines gefangenen Vaters drängte sich allen diesen Vorstellungen entgegen, und mein Herz zerfloß in Angst und Kummer.
Eine bestimmte Thätigkeit entriß mich der Verworrenheit meines eignen Wesens Das Kind, welches mir meinen lieblichen Traum zurückgerufen hatte, war seit dieser zeit fast immer um mich gewesen, und ich sehnte mich jeden Morgen nach dem heitern Anblick seiner Liebenswürdigkeit und Unschuld. Kaum war es diesen Morgen in mein Zimmer getreten, als es einen Anfall von[194] Krämpfen bekam. Das arme kleine Geschöpf wollte nicht von meinem Schooße, klammerte seine Händchen um meinen Hals, gleich als könnte es nur an meiner Brust genesen.
Der Anblick des physischen Schmerzens ruft unsre ganze Natur auf.
In der Pflege des Kindes vergingen die Stunden des Tages, die sich durch meine unruhigen Vorstellungen zu Jahren des Leidens verlängert hätten.
Der Arzt kam, seinen gewöhnlichen Abendbesuch abzustatten. Die Alte war theils mit dem Kinde beschäftigt, theils schien sie von den Begebenheiten der vergangnen Nacht unterrichtet, und weit entfernt ihren künftigen Herrn durch allzugewissenhafte[195] Treue für den gegenwärtigen zu beleidigen, bezeigte sie sich nachgiebiger und gefälliger gegen mich, da sie auf ein ernsthaftes Interesse des Prinzen schließen mußte.
Der Vorschlag des Arztes, mich allein in den Garten zu führen, wurde angenommen.
Der Arzt las bedenklich aus meinem Gesicht, wo er die Heiterkeit und Ruhe, die er erwartet hatte, völlig vermißte. Er führte mich ans Ende des Gartens in eine Laube, und fragte, ob er einen Freund zu mir bringen dürfe? Nordheim trat aus dem Gebüsch hervor, lag zu meinen Füßen, schloß mich an seine Brust. Süßes heiliges Leben der Liebe, vor dem die Zukunft und Vergangenheit[196] verschwindet, durchflammte uns. In der ersten süßen Verwirrung der Freude war jede Last von meinem Herzen gesunken. Der Arzt entfernte sich. Nordheim hielt zärtlich meine Hand, und als wir wieder Worte finden konnten, strebten unsre Wünsche nach einer Zukunft, die uns vereinen, und unser gegenwärtiges Glück uns für immer versichern sollte. Alle Schwierigkeiten meiner Lage fielen jetzt mit furchtbarer Gewalt auf mein Herz.
Ich habe Ihren Vater gesprochen, sagte mir Nordheim: mit seiner Einwilligung machte ich den Plan, Sie so bald als möglich diesem Aufenthalt zu entreißen. Warum befahlen Sie mir ihm zu entsagen?[197]
Ich sagte ihm die Besorgnisse meiner Mutter. Er war von dem ganzen Verhältniß durch meinen Vater unterrichtet.
Nordheim hatte dem Commandanten der Vestung ein Vertrauen einzuflößen gewußt, das ihm völlig freien Zugang zu meinem Vater gestattete. Auch von D. aus hatte er Nachrichten, die ihn mit dem Widerwillen meines Großvaters gegen unsre Verbindung bekannt machten.
Mit sanften Bitten suchte er meinen Entschluß zu bestimmen. Ich fühlte, daß mir die Kraft fehlte, ihm zu widerstehen, und gleichwohl hielt mich das meiner Mutter gegebene Versprechen. Schonen Sie mich, Nordheim! sagte ich. O, Sie kennen die Gewalt Ihrer Bitten nicht.[198]
Seine Augen ruhten mit innigster Zärtlichkeit auf mir. Welcher Himmel wohnte in den klaren heitern Blicken, die im vollen Vertrauen der Liebe mein ganzes Wesen umfaßten!
Da war kein Zweifel, kein scharfes Beobachten mehr, aber die selige Freiheit eines Wesens das sich ganz hingiebt, und ein reines Herz ganz und rein empfängt.
Wie konnte ich ein solches Herz mißverstehen, solche himmlische Unbefangenheit! rief Nordheim aus. Bitter rächt das Schicksal meinen Irrthum, mein Zögern, meine Untreue an mir selbst, da ich der bessern Überzeugung des Herzens entfloh.
Ich wünschte nicht meine theure[199] Agnes zu überreden, sondern zu überzeugen, fuhr er fort. Der Drang der Verhältnisse muß meine grelle Darstellung unsrer Lage entschuldigen. Ihr Großvater ist ein schwacher unempfindlicher Mann; Ihre Mutter zärtlich, hingebend und durch lange Leiden muthlos. Ihr Onkel keines tiefen Eindrucks fähig, giebt fremde Empfindungen eben so leicht wie seine eignen auf, und wird immer in seinen Handlungen von äußern Rücksichten hingerissen, so sehr sein reiner Verstand sich zu einer entgegengesetzten Handlungsweise bekennt. Was haben wir von dem Zusammenfluß dieser Charaktere zu erwarten? Der Fürst wird nur der Nothwendigkeit nachgeben, und diese[200] allein wird Ihre Mutter und Ihren Onkel zu einem festen Betragen bewegen.
Ich bin gewiß, daß der Minister kein Verbrechen wagt, auch ist Ihr Vater durch die Treue und Redlichkeit des Commandanten geschützt.
Hohenfels Gefangennehmung ist ein Eingriff in die Vorrechte unsres Standes, der nicht ungeahndet bleiben wird. Die Stimme der Freiheit, die uns nicht mehr ins Feld zum offnen Kampf gegen die Unterdrückung lockt, ist darum nicht verstummt. Der Geist jeder Zeit liefert Waffen gegen ungerechte Unterdrückung, für den der sie zu gebrauchen versteht.
Die kalte arglistige Politik, mit welcher der Minister gegen uns[201] wirkt, soll vor dem Geradsinn des Rechts und der Unschuld zu Schanden werden. Ich darf es hoffen, der Fürst selbst wird sich zu uns wenden, wenn wir ihn aus den Banden der Gewohnheit gerissen haben.
Diese armseligen Menschen, die sich zu allem brauchen lassen, deren erstes Gut die Gunst ihres Herrn ist, ziehen die edelsten Charaktere in ihr niedriges Gewerbe herab. Julius, ihr Vater und ich, sollten wir nicht den Kampf mit einem eigennützigen schädlichen Thoren wagen?
Ein edler Unwille glühte auf Nordheims Stirn. Ich fühlte mich hingerissen, aber die Besorgnisse meiner Mutter um die Sicherheit meines Vaters, die Furcht ein unwiederbringliches[202] Gut zu verlieren, kämpfte mit meiner Neigung, dem Geliebten zu folgen.
Geben Sie mir ein Recht, meine Agnes, Sie vor jeder Gewalt zu beschützen, sagte Nordheim zärtlich. Nachdem wir den Segen Ihres Vaters von Hohenfels empfangen haben, eilen wir nach England. Unsre Entfernung wird den Fürsten beruhigen. In kurzem wird er einsehen, wie entfernt mein Herz von jedem Streben des Ehrgeizes ist, und daß ich mit meiner Agnes jede Freude des Lebens besitze. Giebt der Fürst Ihrem Vater die Freiheit, so ist alles vergessen. In der Verborgenheit, wie es ihre Verhältnisse fordern, wird Ihre Mutter die Ruhe des Herzens[203] im Glück ihrer Geliebten finden. Ihr Vater wird bald mit uns, bald mit ihr leben.
Ich schwieg, verloren in dem Glanz der schönen seligen Zukunft, und sah Nordheim lächelnd an.
Eine neue Welt öffnet sich mir in der himmlischen Klarheit deines Wesens, sagte Nordheim mit dem zärtlichsten Ausdruck. Zum erstenmahl giebt sich mein Herz ganz, und der seligste Traum meiner Jugend steigt, wie die Sonne aus Nacht und Dämmerung, strahlend aus den Wogen des Lebens empor. Da ist keine Täuschung des jugendlichen Sinnes, der den Gegenstand seines Begehrens, vom Glanz seines eignen Feuers umleuchtet, erblickt.[204]
Mannichfache Gestalten haben sich in meinem Herzen abgedrückt, sie erregen manch sanftes Andenken, – die Liebe ist so heilig, daß selbst ihre Täuschungen uns werth bleiben. So oft sich mein Herz jener zarten süßen Gewalt der Schönheit überließ, so oft versank es in eine furchtbare Leere zurück, denn Mangel und Beschränktheit zog es in kurzem von jedem Gegenstand wieder ab. Nur deine schöne Natur, die sich im freien Spiel lieblicher Neigungen vor mir entfaltete, erhielt die Regungen des Verlangens in meinem Busen. Nur die innre Freiheit eines Wesens, die angebohrne Grazie des Gefühls, zieht uns in jene Ahndung des Unendlichen, ohne die unser Leben in dumpfer[205] Beschränkung entflieht. Nur die Liebe lehrt unsere Herzen ein Leben ahnden, für dessen Begrif, Verstand und Sinn schwindeln. Holdes Wesen, die Natur in deiner schönen freien Seele ist unendlich, ein rastloses Streben nach dem Höchsten und Schönsten ist ihr innres Leben. Jeder niedre Zweck, jede Kleinheit des Sinnes, ja selbst das edelste, jeder Kampf das Rechte und Schöne zu erringen, giebt ein Gefühl des Mangels und der Eingeschränktheit. Eine selige Fülle ist in deinem lieblichen Wesen. Das Rechte ist dein Instinkt, die Schönheit dein Element, und deine liebliche Fantasie, als ein unerschöpflicher Quell des neuen Lebens, bildet dein eignes Selbst in tausend wechselnden reizenden Formen.[206]
Laß mich es aussprechen, was du bist, sagte Nordheim, indem seine Augen sich mit Thränen füllten. – Fühle mein Glück in der hohen Gestalt deines Wesens, und zwinge so deine holde Bescheidenheit auf deinem Bilde zu verweilen.
Gleichwie vor einer Verklärten schwand die Erde vor mir, und ein Himmel des reinsten Genusses öffnete sich.
Ewiges Wesen! seufzte ich, gieb mir das Vermögen die Gestalt des Innren zu bewahren, die das Glück meines Geliebten macht!
Das Leben hat vielleicht manche Klippe die mir noch unbekannt ist, sagte ich zu Nordheim. Wie manche gute Natur wird vom Schicksal zerstöhrt.[207] Mein theurer Freund, lehre mich selbst die Existenz zu bewahren, die das edelste Herz zu mir zog.
Wir durchflogen den Cirkel unsrer Freunde, und wünschten sie alle mit dem Gefühl unsers Glücks zu beleben. Über Julius sagte mir Nordheim: Seine schöne reine Liebe flößt mir oft die Furcht ein, meiner Agnes den Verlust solch eines Herzens nie ersetzen zu können.
Ich wagte es nicht von der Gräfin zu sprechen, aber Nordheim selbst sagte: Mein ganzes vergangenes Leben werde ich meiner Agnes enthüllen, nachdem uns irgend eine Spur der Gegenwart darauf führt. Wir sehen uns selten rein, wenn wir eigentlich darauf ausgehen, unser innres[208] Daseyn als ein Ganzes vor eine fremde Vorstellungsart zu halten. Und hier, wo der Eindruck so wesentlich zu meinem Glück ist, mißtraue ich meiner Unbefangenheit. Amalie selbst wird unser Verhältniß gegen Sie aussprechen, daß in ihrer zarten weiblichen Seele eine schönere Gestalt gewinnt.
Ein paar glückliche Stunden waren entflogen. Jedes Wort meines Geliebten war voll des heiligen Sinnes der Güte und Liebe. Immer kam er auf seine Bitte zurück, daß ich ihm diesen Abend zu Elisen folgen sollte.
Mein Entschluß schwankte, aber ich fühlte daß mein Herz mich zwang,[209] seinen Bitten nachzugeben. Das Schicksal gab den Ausschlag.
Der Arzt kam eilends zu uns, und meldete, daß der Fürst, die Prinzessin und der Prinz so eben angekommen wären. Die Alte sey in der fürchterlichsten Angst, er selbst hätte ihr versprochen, mich unverzüglich auf mein Zimmer zu bringen.
Nordheim küßte meine Hand mit einem traurigen Blick. Eine Blume, die ich eben zwischen den Fingern hielt, verbarg er in seinen Busen.
Ich fühlte, daß er sich nur aus Schonung für den Arzt entfernte, leise flüsterte er mir zu:
»Um zehn Uhr bin ich wieder an diesem Platz.«
Kaum war ich in meinem Zimmer, als meine Mutter hereintrat.[210]
Der Fürst ist hier und will dich sehen, sagte sie mir. Die Ärzte verordneten ihm das – sche Bad.
Ich und mein Bruder begegneten ihm ganz unvermuthet. Er errieth wo ich gewesen war, aber er war mild gestimmt, und äußerte selbst den Wunsch, dich von diesem Ort zu entfernen. Deine Freundin Elise wohnt in der Nähe, und ich erlangte die Erlaubniß meines Vaters, dich auf einige Tage zu ihr zu bringen.
Die Gefälligkeit, mit welcher der Minister selbst an diesem Plan arbeitete, befremdete mich nicht wenig.
Aber deine Entfernung von diesem einsamen Ort, deine Vereinigung mit deinen Freunden, ist immer ein[211] Gewinn, welchen wir eilend ergreifen müssen.
Meine Mutter befahl mir, mich so sorgfältig anzukleiden, als die Kürze der Zeit es gestattete. Gütig und besorgt um den Eindruck welchen ich machen sollte, half sie mir selbst. Wie sanft bewegte ihre Liebe, ihre süße Sorge mein Herz!
Ich hatte die Alte weggeschickt, um mir Nachricht von dem Befinden des Kindes zu bringen. Sie kam zurück und brachte es selbst mit, man hatte sein ungestümes Verlangen nach mir nicht anders befriedigen können.
Ich hielt es einen Augenblick in meinen Armen, um es zu beruhigen, als der Prinz hereintrat.[212]
Er näherte sich mir, wollte mit dem Kinde scherzen, aber eine glühende Röthe flog über seine Wangen, als er dessen Züge genau betrachtete. Ich hatte die Mutter des Kindes nie gesehen, und Madame Imbert hatte mir gesagt, daß sie sich seiner aus Mitleiden, als eines hülflosen Geschöpfes angenommen.
Der Prinz that mit dem lebhaftesten Ausdruck ein paar heimliche Fragen an die Alte, und wendete sich dann mit einem zärtlichen Blick gegen das Kind. Er zog meine Mutter in ein Fenster, und diese sagte der Alten:
Sie wenden sich künftig an mich über alles was dieses Kind betrifft, ich übernehme seine Erziehung.[213]
Ich war glücklich über die gute Wendung, welche das Schicksal dieses kleinen Geschöpfs genommen, dem ich so manche gute Stunde in meiner Einsamkeit verdankte, und drückte meiner Mutter und des Prinzen Hand an mein Herz.
Das Schicksal hat Sie einmahl zu meinem guten Genius gemacht, liebste Agnes, sagte der Prinz. Die sanften Neigungen Ihres Herzens führen mich zu meinen Pflichten. O warum kann uns nicht das zärteste Band verbinden, und mir für den reichen Gehalt meines Lebens bürgen!
Meine Mutter sagte gerührt: Mein gutes Mädchen wird unser aller Leben verschönern, und uns immer zur Wahrheit und Natur führen,[214] wie ein freundlicher Sonnenblick ins freye Feld lockt.
Wir waren an dem Vorzimmer des Fürsten.
Ich bebte vor dem Anschauen der ernsten strengen Gestalt, von welcher ich den tiefsten Schmerz meines Lebens empfangen sollte, die Trennung von meinem Geliebten; gleichwohl zog mich eine geheimnißvolle, zarte Regung der Natur zu ihr hin.
Der Fürst schien anfänglich noch ernster und kälter als gewöhnlich. Er sah mich scharf an, und ich fühlte, daß die Gewalt, die er durch eine lange Gewohnheit über seine äußern Bewegungen erlangt hatte, doch in diesem außerordentlichen Fall nicht ganz zureichte. Seine Kälte hatte[215] dennoch nichts unfreundliches, und schien mir nur ein Mißtrauen gegen sich selbst anzudeuten.
Er fragte nach meiner Gesundheit. Ich dankte, und mein Herz riß mich hin, mich nach seiner Hand zu beugen. Er zog sie heftig zurück, küßte mich auf die Stirn und sagte: Ich will Ihnen herzlich wohl, gutes Kind, und hoffe Sie werden meiner guten Meinung für Sie nicht widerstreben.
Eine Thräne hing in seinen Augenwimpern, er strebte die Regungen der Natur zu überwinden, und wendete sich von mir.
Unaussprechlich rührte mich der Antheil dieses sonst so kalten Herzens. Ich zitterte vor Furcht, er[216] möchte mir sein Begehren deutlicher aussprechen, und vor der Nothwendigkelt, ihm widerstehen zu müssen.
Wenn das Alter Würde mit Liebe vereint, dann wirkt es mit überirdischer Gewalt auf unser Gemüth, und der Blick eines Greises vor dem die Welt in Erfahrungen und Begriffe aufgelöst daliegt, deutet uns immer mit einem Wink strenger Warnung auf die Straße des Lebens.
Der Minister kam zur Gesellschaft, und mein Innres empörte sich vor dem Anschauen eines Mannes, durch den meine Eltern so viel gelitten hatten, und der auch so feindselig in mein und Nordheims Schicksal zu greifen versuchte.
Das Spiel dämpfte die so ganz[217] disharmonirende Stimmung unsers kleinen Cirkels. Mit welchem Flitter umkleidet der Gang der Gesellschaft unter den höhern Ständen, die einfache Wahrheit des Lebens! Das Gewebe kleiner mechanischer Beschäftigungen umstrickt den Geist und schläfert das rege Herz ein. Jeder lernt endlich so, neben dem was ihm am heterogensten ist, aushalten.
Der Prinz hatte sich entfernt, ich wurde zur Whistpartie unentbehrlich.
Meinem Großvater, meiner Mutter gegenüber, mußte mein Herz sein zärtestes Empfinden verschließen. Die kostbaren Augenblicke eines einzigen Genusses, müssen sie in dieser Nichtigkeit vergehen? sagte ich mir selbst. Es drängte mich beinah unwiderstehlich,[218] die zitternde Hand meines Großvaters von den Karten zurück zu halten, und zu seinen Füßen mein Innerstes auszusprechen. Die Zeit versammlet uns nur einmahl auf diesem Erdball, und unsre unselige Zerstreuungssucht betrügt uns noch um die rasch entfliehenden Momente!
Jede Viertelstunde, deren Verstreichen mir durch eine große Wanduhr verkündigt wurde, machte mich zittern. Die Stunde nahte, in der Nordheim sich im Garten einfinden sollte. Ich rechnete auf seine Einwilligung, bey Elisen den Ausgang unsrer Verhältnisse zu erwarten. Aber sollte er vergebens, ohne einen Laut von mir zu vernehmen, zurückgehen? vielleicht durch mein Stillschweigen[219] in Sorge gerathen, oder zu einem kühnen Unternehmen gereizt werden? Die Unruhe verwirrte meine Vorstellungen immer mehr. Jeder Schlag der Uhr trieb den Angstschweiß auf meine Stirn. Endlich war ich entschlossen, ein schnelles Übelbefinden vorzuschützen, welches den Arzt herbeyrufen würde, dem ich alsdann einen Auftrag an Nordheim geben könnte.
Der innre Scheu vor solch einer Unwahrheit ließ mich zögern. Die Besorgniß meiner Mutter, der meine Unruhe nicht entging, gab mir die Sprache. Meine Lippen öffneten sich zu der Bitte, mich entfernen zu dürfen, als die Thür aufging und Nordheim hereintrat.[220]
Ich bebte vor Freude, und bald vor Furcht einer bittern Erklärung zwischen ihm und dem Fürsten.
Wie angenehm fühlte ich mich überrascht, als ihn der Fürst freundlich willkommen hieß, als einen sehnlich Erwarteten, und ich Nordheim sagen hörte, daß er vor wenigen Stunden erst die Befehle des Fürsten vernommen.
Nordheim grüßte mich zärtlich, und hatte ein so unbefangenes offnes Betragen, wie nur ein Herz einflößen kann, das sich seiner Gefühle erfreut, und sich durch ihre Stärke über jede Rücksicht erhaben empfindet.
Sanfte Freude füllte meine Brust im Gefühl der vielfachen zarten Bande, die sich an mein Herz knüpften.[221] Welch eine neue Welt der Liebe! Nur die Liebe bezeichnete den Kreis meines Wirkens, meines zärtesten Lebens, ich kannte kein anderes Daseyn. Für wenige Momente konnte ich mich dem Gefühl meines Glücks überlassen. Meine Mutter und Nordheim standen in der Vertiefung eines Fensters. Ich hielt ihre Hände vereinigt in den meinen, drückte sie an meine Lippen, und empfing ihre zärtlichen Küsse. Wir waren alle drey zu bewegt um zu sprechen.
Noch ein Herz wird bald an dem unsern schlagen, sagte Nordheim zu meiner Mutter. – Ach, erwiederte sie sanft: Dann bin ich zu glücklich! Ich war gestern bey ihm, sagte Nordheim, und empfing seinen Segen.[222] Wie groß ist sein Herz in der Gewohnheit geworden, für seine Geliebten zu leiden! Meine theure Mutter, ich wage den süßen Nahmen, lassen Sie jede Sorge an meinem Herzen ruhen. Ich nehme den Ölzweig, welchen mir der Minister vor wenigen Stunden reichte, an; aber mit keiner unbewaffneten Hand, denn leicht könnte er sich in einen Dornstrauch verwandeln. Fürchten Sie kein gewagtes Spiel, ich gelobe es Ihnen, ich will die theure Hand Ihrer Agnes nicht eher begehren, bis ich sie aus dem freien Arm ihres Vaters empfange.
In wenigen Tagen sehe ich Sie bey Albans wieder, sagte er mir sanft. O wenn es mir gelänge, den[223] guten edelgesinnten Greis zur Theilnahme an unserm Glück zu bewegen!
Der Fürst bat Nordheim, ihm in sein Kabinet zu folgen, und als sie zum Abendessen zurückkamen, dünkte es mir, als hätten sich einige leichte Wolken vor der Stirn meines Geliebten gesammelt.
Jeder spielte seine Rolle den Abend hindurch, so gut er konnte. Nordheim allein spielte keine, sondern war mit der höchsten Freiheit und Unbefangenheit gegen jeden, was die Natur seines Wesens und des Verhältnisses forderte. Nachgebend und schonend gegen den Fürsten, wie es überlegene Stärke und Mitleid gegen Alter und Schwachheit gebot; kalt, zuweilen schlau gegen den Minister,[224] sanft und gefällig gegen meiner Mutter, leicht und angenehm mit dem Prinzen, und ohne Zurückhaltung zärtlich gegen mich.
Seine Freiheit verbreitete eine allgemeine, für die verworrenen Verhältnisse beinah unbegreifliche Heiterkeit.
Der Fürst wollte früh abreisen. Der Prinz, meine Mutter und der Minister begleitete ihn ins Bad. Auch Nordheim sollte ihm für einige Tage folgen, wegen Geschäfte, über die er mit ihm zu sprechen hätte.
Der Fürst fragte mich beym Abschied, wie ich mit dem Betragen seiner Leute gegen mich auf diesem Schlosse zufrieden sey? Ich lobte ihre Gefälligkeit. Er überreichte mir[225] beym Abschied ein goldnes Etui, in dem ich eine Rolle Louisd'ore fand.
Er entzog seine Hand meinem Kusse nicht, sondern drückte die meine bewegt, und wendete sich schnell von mir.
Meine Mutter und Nordheim verlangten, daß ich augenblicklich zur Ruhe gehen sollte. Ich mußte sie durch die Zimmer führen, wo ich krank gelegen, ihre Liebe, ihre Freude an meiner Genesung belohnten mich für jedes Leiden.
Wie sanft schlief ich ein in der Nähe meiner Geliebten! Leicht und gestärkt erwachte ich, und eilte diesen Aufenthalt zu verlassen. Heilige Erinnerungen bezeichneten diese Mauern.[226]
Madame Imbert sagte mir, daß alles zu meiner Abreise bereit sey. Herr von Nordheim habe es so eingerichtet, daß ich in seinem Wagen reisen sollte, der Doktor sey da, um mich zu begleiten. Sie selbst nahm einen rührenden Abschied, und schien höchst zufrieden über das gute Zeugniß, welches ich ihr beym Fürsten gegeben.
Ich empfahl ihr das Kind, und eilte in das Vorzimmer, den Arzt zu grüßen. Welche süße Überraschung! Ich fand Nordheim bey ihm, der sich mit Fleiß verspätet hatte, um mich noch einmahl zu sehen. Er stärkte mein Herz mit Liebe und Hofnung, sprach von der seligen Zeit, die uns für immer vereinen sollte,[227] und wir schieden leicht und fröhlich im Gefühl des nahen Wiedersehens. Wir flogen über die breite Straße durch den Wald, Nordheim folgte uns, und unsre Wagen begegneten sich noch einmahl.
Eine glückliche Vorbedeutung! rief mir Nordheim lächelnd zu.
Durch die Hülfe des Arztes verließ ich diesen Ort gesund und heiter Er fühlte sich glücklich in meiner Dankbarkeit.
Nordheim, den er bis zur Anbetung verehrte, war der Gegenstand unsers Gesprächs.
Elise und ihr Mann empfingen mich mit herzlicher Liebe. Julius kam so eben von einem Spatzierritt zurück. Er schien heiter. Aber die[228] letzte Zeit hatte eine tiefe Spur der Unruhe in seinen sanften Zügen zurückgelassen, alle Umrisse waren schärfer und bestimmter geworden.
Julius fand mich unerwartet. Elise hatte meine Ankunft erst vor wenigen Stunden durch Nordheim erfahren.
Mein Herz öffnete sich in dem lieben Cirkel, wie in den Tagen unsren ersten Verbindung. Ich dachte mit Elisen der Zeit, wo sie mich zuerst in ihren kleinen Cirkel zog. Glücklich, unsre Freundschaft schon in solcher Vergangenheit gegründet zu finden, riefen wir aus: Alles ist wieder wie in D.!
Nein, alles ist nicht so, sagte Julius. Eine der Göttinnen fehlt, die[229] Hofnung! Schnell faßte er sich wieder, sah mich heiter an und sagte: Bleibt doch die himmlische Schwester, immer mögen die zwey irdischen fehlen.
Ich mußte mit meinen Freunden über meine letzten Begebenheiten sprechen.
Über vieles waren sie unterrichtet. Nordheim hatte größtentheils mit ihnen gelebt, und lebhaft beschrieben sie mir ihre Unruhe, mich in dieser Nähe zu wissen, ohne mich sehen zu können.
Die Verhältnisse meiner Mutter schienen ihnen unbekannt zu seyn, und mit diesen also der eigentliche Grund meines Aufenthaltes auf dem Jagdschlosse.
In der ersten süßen Verwirrung[230] des Wiedersehns liebender Freunde wird nichts genau bestimmt, und während wir uns noch in dieser befanden, ließ sich die Gräfin von Wildenfels anmelden.
Die Sorge um Bettina, und der Wunsch sich mir zu nähern, schienen sie zu dieser Reise bestimmt zu haben.
Nachdem wir die Gräfin empfangen, und die Begebenheiten, die sich seit unsrer Trennung zugetragen, im Verlaufe des Tages gemeinsam besprochen hatten, lud sie mich am Abend zu einem einsamen Spatziergange ein.
Beym ersten Blick hatte ich eine sonderbare Veränderung in ihrem ganzen Wesen wahrgenommen. Die Leichtigkeit und Grazie ihres Betragens[231] hatte sich in Stille und Ernst verwandelt. Sie schien den äußern Eindruck ganz aufzugeben; ihr Innres schien durch Vorstellungen bewegt, die sich an eine höhere Ordnung der Dinge knüpften. Es war eine stille Hoheit um sie her, die sich mit dem Entsagen auf alles was Schein ist, natürlich gattet. Ihre Kleidung war höchst einfach, die sorgfältigste Reinlichkeit schien der einzige Schmuck zu seyn, nach welchem sie strebte.
Sie hörte einen jeden sanft und geduldig an, da sie ihre große Lebhaftigkeit sonst zu mancher Unaufmerksamkeit hinriß. Natürliches Wohlwollen, und eine beständige Resignation ihrer selbst, gab ihrem Betragen eine einnehmende Ruhe.[232]
Ich fragte mich selbst, ob diese bemerkte Veränderung vielleicht nur der Wiederschein meines eignen ruhig gewordenen Herzens sey, das bey ihrem Anblick sonst so selten ohne den Krampf der Leidenschaft geblieben war. Aber meine Freunde hatten mir gleich gefühlt, und theilten mir ihre Bemerkungen noch früher mit, als sie die meinen vernahmen.
Ein tiefes Mitleiden füllte meine Brust, ich hätte zu den Füßen dieser edlen reinen Gestalt sinken mögen, um sie über den Besitz eines Glückes um Verzeihung zu bitten, dessen ich sie so würdig fand.
Ich folgte ihr höchst bewegt durch den Garten. Sie sprach mit vertraulichem Wohlwollen über meine[233] ganze Lage, die sie durch meine Mutter, nebst dem Geständniß ihrer eignen Verhältnisse vernommen. Sie gab mir Hofnung, daß der Sinn des Fürsten sich vielleicht noch günstig zu unsrer Verbindung beugen würde, die er dem Lauf der Natur nach, doch in wenigen Jahren nothwendig voraus sehen müßte. Ich fand schon oft diese sonderbare Erscheinung, sagte sie, daß Menschen, die nicht eine tiefere Ahndung der Seele zum Glauben an eine Zukunft hinreißt, ein gänzliches Unvermögen besitzen, ihre Rolle auf dem Schauplatz dieses Lebens als ausgespielt zu denken. Sie versuchen mit aller Macht in den Lauf der Begebenheiten einzugreifen, und schmieden Fesseln für die fernsten Generationen.[234]
Glücklicher Weise ist Ihr und Nordheims Verhältniß ganz außer dem Einfluß jenes irren Willens. Wenn Sie Ihren Vater frey und Ihre Mutter ruhig sehen, so kann sich Ihr Herz ungetheilt dem Glück der Liebe hingeben.
Ihr Schicksal ist schön und einzig, bestes Kind! rief sie mit einem sanften Lächeln aus. Eine heitre Jugend, in der sich alle Kräfte des Gemüths frey und schön entfalteten, eine edle Liebe, in der sie sich erhöhten und zu dem lebenreichsten Ganzen vereinten, und das stille reine Verhältniß der Ehe, in dem Friede und Ruhe des Himmels liegt, wenn ächte Liebe es webte! Wie verschieden vertheilt das Schicksal[235] seine Gaben! – Mein beßres Wesen mußte untergehen – die Harmonie des Glückes berührte es auf Momente – aber immer löste sie sich in fürchterliche Stürme auf, spät empfange ich mich selbst aus dem Strohm zurück, um dem bessern Erkennen und Wollen noch wenige Jahre der reinen freien Thätigkeit zu widmen.
Die Thränen stürzten über meine Wangen, ich sank an ihre Brust und sagte ihr leise: Ach, ist mein Glück das Opfer Ihres Herzens, so nehmen Sie es zurück: – ich kann so nicht glücklich seyn; durch keinen Raub es seyn.
Mit himmlischer Heiterkeit blickte sie mir ins Auge, drückte mich an ihre Brust und sagte:[236]
Bestes Kind, der Moment ist gekommen, wo mein ganzes Gemüth der reinen Mitempfindung deines Glückes fähig ist. Wie fühl' ichs doch aufs neue so wahr, daß nur in der vollen Klarheit und Einheit des Willens zwey feinfühlende Menschen sich in ächter Liebe begegnen.
Ich empfand es oft, du konntest mich bis jetzt nicht lieben! Seit wenigen Tagen lernte ich mein Innres ganz kennen.
Mein klärstes Erkennen, mein reinster Wille gönnte, wünschte dir Nordheims Liebe seit wir uns kannten. Ich darf es sagen, in sehr verwickelten Lagen, in Lagen, wo die Selbsttäuschung für mich beinah unvermeidlich wurde, habe ich keine[237] Handlung begangen, kein Wort gesprochen gegen das Interesse deines Herzens. Mein folgendes Bekenntniß wird diese Selbsterhebung entschuldigen.
Immer fand ich eine unvertilgbare Schwachheit auf dem Grunde meines Herzens. Den Mann, der mir einzig liebenswürdig schien, ob ich ihn gleich nicht besitzen konnte, vermochte ich doch auch nicht, ohne den bittersten Schmerz, in den Armen eines andern Weibes zu denken. Jetzt reißt das Schicksal mit gewaltiger Hand auf einmahl einen Vorhang vor meinem Leben hinweg, fremde Gestalten treten hervor, und ergreifen mein Innres mit einer Gewalt, die seine ganze Vergangenheit umstürzt.[238]
Ich kann jedes Übel, welches mein jugendlicher Leichtsinn stiftete, wieder vergüten, und die Thränen der Reue, die ich einer Entschlafenen weinte, werden sich in thätiges Wohlwollen, in Übungen der Liebe verwandeln.
Ich will Ihnen in wenigen Zügen die Geschichte meines Lebens vorlegen, und dein gutes zartes Herz wird aus der neuen Wendung meines Schicksals den Frieden eines ungestörten Genusses schöpfen.
In meinem sechzehnten Jahre wurde ich aus der Kinderstube gezogen. Meine Mutter sagte mir, es sey meinem Vater ein vortheilhafter Heurathsantrag für mich geschehen, mein Bräutigam werde in zwey Monaten[239] ankommen, und ich sollte diese Zeit ja gut anwenden, um recht liebenswürdig vor ihm zu erscheinen.
Meine Mutter war ganz ohne Wahrheit und Herz, die Welt hatte ihr gesundes Empfinden zerstört, sie lebte nur im Äußern und liebte auch ihre Kinder nur, in sofern sie ihnen eine glänzende Existenz zu verschaffen gedachte, die auf sie selbst zurückstrahlte.
Mein Vater lebte in seinen Geschäften. Meine zwey Brüder hatte er einem verständigen Hofmeister übergeben, die Erziehung der Töchter überließ er der Mutter, und diese übergab uns einer alten Französin, die weder Herz noch Kopf hatte, und uns als Puppen behandelte, mit[240] denen sie nach Laune spielte, oder sie in Winkel warf.
Das alte Weib hatte eine leichtfertige Imagination, und sie unterhielt uns größtentheils mit Geschichtchen, bey denen sie sich immer angenehmer Zeiten erinnern mochte. Wir empfingen ein treues Gemählde der Weltsitten, aber unsre Gemüther verloren, wo nicht den zarten Duft der Unschuld, dennoch jenen heiligen Scheu, dem ein unwürdiges Betragen als ein unmögliches erscheint.
Meine Schwestern beschützte ihre kalte träge Natur, aber ich faßte lebhaft und schnell, und mein Verstand, der ganz unkultivirt blieb, kombinirte die wenigen Eindrücke,[241] die er empfing, desto sorgfältiger und mannichfacher.
Meine Bildung war gefällig, und vor meinem Spiegel träumte ich mich oft in tausend Situationen, zu denen immer die Bilder meiner Französin die Grundlinien lieferten.
So ist die Welt! sagte mir alles was mich umgab, aber so sollte sie nicht seyn! sagte mir eine innre Stimme, die sich durch nichts übertäuben ließ.
Der Tanzmeister, Schneider und Friseur hatten, wie es meine Mutter begehrte, am meisten für meine Liebenswürdigkeit gearbeitet. Jetzt kam der Tag, an welchem mein Bräutigam in unserm Hause erscheinen sollte. Er kam, geführt von einem[242] alten Oheim, der mich lorgnirte, ein paar Fragen an mich that, und mich dann mit seinem Neffen allein ließ. Dieser, der während der Unterredung mit dem Onkel bescheiden an der Thür stehen geblieben war, näherte sich mir jetzt, und seine Blicke, sein ganzes Wesen stimmte zu den Worten, die einen glühenden Liebesantrag enthielten. Meine Brust wallte ihm entgegen, von dem ersten Hauch jugendlichen Verlangens entzündet.
Unsre Verbindung erfolgte in wenigen Tagen. Wir verlebten das erste Jahr in dem Taumel einer neuen Lage. Die Welt umflocht uns mit tausend Verbindungen, wir kehrten nie in uns selbst zurück, und unsere[243] Neigung, die vielleicht in der Einsamkeit, oder in Lagen, die sie zu Proben aufgefordert hätten, einen ernsten dauerhaften Charakter würde gewonnen haben, verflog jetzt in ihrem ersten Genuß.
Ich bekam kein Kind, die Natur hätte mir sonst vielleicht das Räthsel des Lebens gelöst, das noch verworren in meinem Innren lag; und in der Thätigkeit des Instinkts, der die Mutter zur Sorge für ihr Kind treibt, hätte sich vielleicht meine Vernunft entwickelt, und mir eine wahre Seite des menschlichen Daseyns gezeigt.
Der Glanz der Jugend und des Reizes zog die gedankenlose Menge an mich, die nur von der Neuheit gefesselt wird. Die verlöschende Zärtlichkeit[244] meines Gemahls machte vielen Männern Herz zu Unternehmungen. Einige versuchten es, mich durch die Sprache einer ernsthaften Leidenschaft zu verführen, andere durch leichtsinnige Grundsätze. Die Gesellschaft, in welcher ich lebte, spottete über jede feine und edle Empfindung. Achtung gegen sich selbst tragen, nannten sie Beschränktheit; Schonung für andere, Schwachsinn.
Ohne innre Festigkeit wurde meine Aufführung ein Nachhall dieser Grundsätze. Ich überließ mich jedem flüchtigen Geschmack, jedem Reiz der Augen, und schämte mich beinah wenn ich einige Wochen durchlebte, ohne ein lebhaftes Interesse zu erregen und zu fühlen. Ein eitler herzloser[245] Mann, ein Abgott aller Frauen unsers Cirkels, gab sich endlich das Ansehen mich ausschließend gefesselt zu haben. Er rühmte sich eines vollkommenen Sieges; – aber, Dank sey es meinem Genius! – er rühmte sich ohne Grund. Ich muß es gestehen, mein Betragen gegen ihn hatte die Farbe der Leidenschaft, die mein Herz zu fühlen wähnte; ich würde seinen Anblick noch jetzt nicht ertragen. Die Grazien des Vertrauens und der Freundschaft blühen nur da, wo zwey schöne Seelen in heißer Liebe glühten; wenn der ganze Werth des Geliebten mit der Täuschung der Leidenschaft entflieht, dann bleibt nur Scham und Verachtung in der kalten Brust zurück.[246]
Die Wahrheitsliebe war das einzige Gut, das mir unverloren geblieben war; diese verhinderte meinen Fall. Die innre Nothwendigkeit, die mich zwang ein unwürdiges Betragen zu gestehen, hielt mich davon zurück.
Ich lebte mit meinem Gemahl in einer Entfernung, die seinem Überdruß und meiner Lebensweise gleich willkommen war. Er fragte mich nie über meine Verhältnisse; diese Gleichgültigkeit riß mich immer mehr hin. Ein zärteres Betragen hätte meinen Ruf gerettet, der jetzt unwiederbringlich verloren ging.
Mein Gemahl machte eine Reise nach einem entlegenen Landgut, welches der Familie zugehörte, und als[247] er zurückkam, fand ich eine große Veränderung in seiner Lebensweise.
Er suchte die Einsamkeit, verlebte ganze Tage in seinem Kabinet, und wenn er eine Gesellschaft zu sich bat, so waren es Menschen von Geist und Kenntnissen, denen ich unter dem großen Haufen nie begegnet war.
Er war sanfter gegen mich gestimmt, und empfing mich auf die gefälligste Art, so oft ich ihn aufsuchte. Er bereitete mich auf die Ankunft eines Freundes vor, mit dem er die ersten Jugendjahre verlebt, und dessen Bekanntschaft er während seines Aufenthalts auf seinen Gütern erneuert hatte. Mit Bewunderung, mit Entzücken sprach[248] mein Gemahl von Nordheim; in kurzem erschien dieser in unserm Hause. In der ersten Blüthe der Schönheit, von jeder Grazie geschmückt, entflammte er mein Herz für sich. Ich suchte seine Gunst zu erobern, aber zum erstenmahl fühlte ich mich verlegen, ich war furchtsam in seiner Gegenwart, und jeder Anschlag verunglückte.
Anstatt meine Vorzüge zu bewundern, gab er mir oft auf eine feine Art meine Fehler zu verstehen.
Mein Gemahl hatte eine gute Erziehung bekommen. Er besaß Kenntnisse, und das Verlangen sie zu erweitern entstand natürlich in einem unterrichtenden geistvollen Umgang. Überhaupt gehörte er zu der Gattung[249] von Menschen, die nur durch eine äußere Gewalt einen innern Zusammenhang gewinnen konnten. Im Überfluß erzogen, von Menschen umgeben, die seinen Launen schmeichelten, von Natur mehr leicht und schnell als tiefempfindend, verlor sein Wesen in einer zu großen Fläche. Hätte das Schicksal seine Kraft auf sich selbst zurückgedrängt, hätte das Bedürfniß ihn früher zur Arbeit genöthigt, vielleicht hätte er eine Tiefe gewonnen, die die Natur ohne Hülfe des Schicksals nur seltnen Wesen verleiht.
Der ganze Ton unsers Hauses war seit Nordheims Ankunft verändert. Meine Eitelkeit fühlte sich beinahe in jedem Augenblicke beleidigt,[250] aber mein Herz unaussprechlich angezogen. Meinen sorgfältigsten Anzug, der bisher meine Morgenstunden anfüllte, bemerkte er höchstens nur mit einem leichten Scherz.
Ich hatte nie gelesen, und war nie mit unterrichteten Menschen umgegangen. Jetzt empfand ich das Bedürfniß, von den Gegenständen, die oft in Nordheims Unterhaltung vorkamen, doch wenigstens die Anfangsgründe zu kennen. Ich besuchte meines Mannes Büchersammlung. Mein lebhafter Sinn faßte und verband schnell, und bald zog mich das Interesse meiner eignen Neugier weiter fort. Nordheim half mir auf die gefälligste Art. Ich war immer beschäftigt. Meine wirklich schöne[251] Stimme war gar nicht entwickelt, ich wußte nicht was Fleiß und Anwendung war; jetzt lernte ich dieses Talent üben, und Nordheims Beifall oder Tadel lehrte mich eine richtige Methode finden. Eben so entfaltete sich ein Talent zur bildenden Kunst in mir, das meinem Geschmack Sicherheit und Reinheit gab.
Mein vergangnes unbedeutendes Leben flößte mir Eckel ein, seit die Liebe mein Daseyn beseelte. Nordheims Antheil an meiner Bildung erhielt die Hofnung ihm zu gefallen. Ich wußte, daß er der Liebe nicht unempfänglich war; durch meinen Gemahl hatte ich erfahren, daß er sonst eine schöne Tänzerin unterhalten hatte, und nachdem er ihrer[252] bald müde geworden, sie mit einem ansehnlichen Jahrgehalt entlassen. Wie die wahre Leidenschaft immer ein Ganzes vor sich sieht, dessen Grenzen sich im unermeßlichen Dunkel verlieren; so wußte ich mir auch nicht klar zu gestehen, was ich wünschte und hoffte, aber doch hoffte ich.
Aus den seligsten Träumen, die meine Beschäftigungen unterbrachen, riß mich wohl oft eine Äußerung seines Gleichmuths, seiner völligen Geistesfreiheit. Immer war er bloß durch die Sache interessirt, mit der wir uns eben beschäftigten; ich sah immer nur ihn in der Sache.
In einem Menschen, dessen Fähigkeiten ein richtiges Verhältniß haben, findet keine einseitige Bildung[253] statt. Wie der Verstand anfängt thätig zu seyn, blickt er auf die innren Verhältnisse unsers Wesens, und die Stimme der Vernunft erwacht.
Wie schrecklich beleuchtete ihr erster Strahl mein vergangnes Leben! Gleich einer Schreckengestalt, der wir nicht zu entfliehen vermögen, ergriff mich das Bild meines Leichtsinns, und mähte mit der eisernen Sense des Todes jede keimende Blüthe des Glücks und der Hofnung vor mir nieder.
Die Gesellschaft, der ich mich seit Nordheims Umgang entzogen hatte, fiel jetzt mit unbarmherziger Verläumdung über mich her. Der Mann, der meinen Leichtsinn benutzt hatte, war unedel und unvorsichtig genug sich[254] seines Sieges über mein Herz laut zu rühmen; und die Frauen von üblem Ruf schonten mich natürlich so wenig als sich selbst.
Die Geschichte kam meinem Gemahl zu Ohren. Der Mann, der seine Ehre beleidigt hatte, betrug sich auf die niedrigste Art. Ein Zweikampf erfolgte, während dem ich mit Todesqualen rang. Nordheim, als der vertrauteste Freund unsers Hauses, erfuhr alles. Mein Schmerz grenzte an Verzweiflung, und in seinen bittersten Augenblicken mußte ich mir noch selbst vorwerfen, daß meine Thränen weniger die Furcht der Reue, als meiner unglücklichen Liebe waren, die jetzt nur Verachtung statt der Gegenliebe erwarten durfte.[255]
Ich will deine sanfte reine Seele nicht mit dem Gemählde eines Zustandes kränken, über den eine höhere Natur sie erhebt.
Die Gräfin sank weinend in meine Arme, und nachdem sie ihre Fassung wieder gewonnen, fuhr sie fort:
Mein Gemahl, durch Nordheims Rath, und vielleicht durch manchen leisen Verweis über sein eignes Betragen geleitet, betrug sich auf eine großmüthige Art gegen mich. Wir beschlossen unsern Wohnort zu verändern, und er schien einen Fehler vergessen zu wollen, der ein Verhältniß, welches nur auf Achtung und Vertrauen gegründet ist, für immer zerstört.[256]
Nordheim trennte sich von uns, um eine weitere Reise anzutreten.
In den Tagen meines heftigen Leidens hatte er mir unaussprechliche Milde und Schonung gezeigt, mit rührender Sorgfalt über meine Gesundheit gewacht, und jede schmerzliche Rückerinnerung zu entfernen gesucht.
Ich weiß nicht, ob meine tausendfachbewegte Seele sich in jenen Tagen durch irgend eine unwillkührliche Äußerung verrieth, aber in der kurzen Zeit die wir noch zusammen verlebten, fand ich Nordheim gedrückt und verlegen in meiner Gegenwart. Ich hielt die, einer zarten Seele eigne Feinheit, mit welcher sie sich einer unerwiederten Empfindung nähert,[257] für die Verwirrung der Leidenschaft.
Den letzten Abend vor unsrer Trennung gewann er seine volle Freiheit wieder. Er bat mich zärtlich, jetzt an meiner Ruhe und an der Glückseligkeit seines Freundes zu arbeiten. Er sprach im sanften ruhigen Ton eines Freundes; meine Seele glühte, aber sein höherer Sinn hatte sich gleichsam in meine Brust ergossen. Ich gelobte mir selbst in jenen Augenblicken, nur für meinen Mann zu leben.
Ein verwöhntes Gemüth, das lange der Gewalt jedes Eindrucks nachgab, gewinnt das ruhige Gleichgewicht, in welchem es der Pflicht große Opfer zu bringen vermag, so leicht nicht wieder.[258]
Wir waren auf ein Familiengut gezogen, das in einer menschenleeren Gegend lag. Die Einsamkeit er hielt die innre Glut die mein Wesen verzehrte, jede stille Beschäftigung wurde zu einem Traume der Liebe.
Mein Gemahl empfand es, daß ich unglücklich war, daß unsre Herzen sich nicht wieder begegnen konnten, ohne die Ursache zu kennen. Heitre Laune, ein immer gleiches gefälliges Betragen hätten mir vielleicht seine Liebe und sein Vertrauen wieder erworben, aber die Leidenschaft zieht stürmische Wolken um unsern Geist, wie um unsre Stirne.
Weder mein Gemahl, noch ich, hatten je an häusliche Einrichtung gedacht, und der Mangel der Ordnung [259] und Sparsamkeit fing jetzt an, sich in bittern Folgen fühlen zu lassen.
Ich schadete dadurch, daß ich nichts erhielt; aber mein Gemahl brauchte große Summen, und mein Vermögen war zuerst verschwendet, da es in Capitalien bestand. Mein Gemahl machte öftere Reisen nach den zunächstliegenden Städten, und jetzt häuften sich auch die Schulden auf unsern Gütern.
Ich fühlte, wie nöthig meinem Mann Zerstreuungen waren, und machte bey den unsinnigsten Ausgaben nie eine Einwendung.
Mit seinem guten Genius, mit Nordheim, war die Freude an stillen Beschäftigungen verschwunden, und geistlose Zerstreuungen wurden aufs neue hervorgesucht.[260]
Ich machte mir das stille Dulden, zu dem mich meine immerwährenden Träume ohnedieß hinneigten, zur Tugend, und empfand eine Art von Selbstzufriedenheit dabey.
Bald erfuhr ich, daß mein Gemahl eine Sängerin unterhielt, und meine Leidenschaft, der jeder Schimmer einer Rechtfertigung willkommen war, hatte ihre stille Freude an diesem Verhältniß.
Als Nordheim von seiner Reise zurückkam, sah ihn mein Gemahl in der Stadt; er schrieb mir theilnehmende freundschaftliche Briefe, aber er besuchte mich äußerst selten, und nie allein.
In kurzem entwarf mein Mann den Plan nach Paris zu reisen, um[261] dort in der größten Eingezogenheit zu leben. Mich bat er in eine Stadt zu ziehen, und mich mit einem mäßigen Jahrgelde einzurichten. Die Güter sollten während dem nach einem strengen ökonomischen Plan verwaltet werden.
Ich merkte wohl, wer diesen Plan entworfen hatte. Natürlich willigte ich in alles. Mein Mann schied mit sonderbarer Rührung von mir. Wir beweinten beide unser Schicksal, wie wir es nannten, dem doch nur die Schwachheit unsers eignen Herzens diese traurige Gestalt gegeben.
Ich hatte während meines Aufenthalts auf dem Lande, im Ganzen an wissenschaftlicher Bildung gewonnen. Der Prediger des Orts war[262] ein gelehrter und gebildeter Mann, der meine Wißbegierde lebendig erhielt, so sehr sie auch immer wieder von den Träumen der Leidenschaft unterbrochen wurde.
Vor leerer Gesellschaft beschützte mich mein gebildeter Geschmack, als ich jetzt wieder in der Stadt lebte. Ich liebte die Einsamkeit, und vertauschte sie nur gern mit einem Cirkel, wo Bildung und Geschmack herrschte. Zum Glück fand ich einen solchen, in dem ich mit Liebe empfangen wurde. Aller Umgang, aus dem ein zärtliches oder leichtsinniges Verhältniß entstehen konnte, war mir verhaßt, weil er meine Empfindung für Nordheim berührte, und ich fand in kurzem keine Liebhaber mehr, sondern Freunde.[263]
Die Verwirrung meiner ersten Jugend hatte mir den heitern Frieden der Unschuld für immer geraubt. Ich fühlte eine schreckliche Lücke in meinem Daseyn; nur in einem stillen guten Wirken fand ich eine Art von Ruhe, von Einheit in meinem Innern. Meine Liebe wurde dann von einem Schimmer der Hofnung erhellt, und sie war und blieb das Element meines Daseyns. Die Hofnung erhielt mein Leben.
Nordheim schrieb oft und freundschaftlich von einem Posttag zum andern. Jeden Brief entfaltete ich mit der Ahndung eines zärtlichen Inhalts; immer wurde diese getäuscht, aber immer fand doch auch mein Herz einen neuen Faden, an dem sich seine goldene Träume fortspannen.[264]
Mein Gemahl schrieb mir, in der ersten Zeit seiner Entfernung, alle Woche, hernach alle Monate, und endlich nur von Vierteljahr zu Vierteljahr. Seine letzten Briefe verriethen Unruhe und den Zwang sie zu verbergen.
Was fühlte ich, als nach fünf Jahren der Trennung Nordheim in mein Zimmer trat!
Er brachte mir die Nachricht von dem Tode meines Mannes, und Trauer und Unruhe mischte sich in den süßesten Genuß des Wiedersehns.
Der Tod verändert unser Herz, und der Charakter eines Verstorbenen erscheint immer in anderm Licht, weil er uns getrennt von allen Verhältnissen erscheint, die Furcht und[265] Hofnung in unsrer Brust erzeugten. Er macht alles unwiderruflich. Spuren, die der Gang des Lebens vertilgt hätte, bleiben jetzt wie in Erz gedrückt stehen.
Das Bild eines beleidigten unversöhnten Schattens verfolgte mich, und innre Vorwürfe zerrissen meine Seele.
Der letzte Wille meines Mannes zeigte nur Güte, ja das reinste zärteste Wohlwollen für mich an. Alles von seinen Besitzungen, was nicht Lehngüter waren, hatte er mir zugetheilt, und Nordheim zeigte mir einen Brief, in dem er ihn ausdrücklich und dringend bat, für mein Bestes zu sorgen.
Wir gingen auf das Gut, wo die[266] Geschäfte hinriefen, Nordheim, ich und eine Freundin, ein gutes Geschöpf, das sich unaussprechlich an mich geheftet hatte.
Diese zwey Monate waren die süßesten meines Lebens, obgleich Schmerz, Reue und Hofnung sich sonderbar in mein Innres theilten.
In Nordheims Gegenwart schwiegen Schmerz und Reue, gleich wie aus dem Hain der Göttin die rächenden Erinnyen entfliehen.
Den ganzen Tag sah ich meinen geliebten Freund für mich beschäftigt; den Abend versammelten wir uns. Mit sanfter Heiterkeit suchte er mich zu unterhalten.
In edlen Seelen nimmt das Mitleid so leicht die Farbe der Zärtlichkeit[267] an. Das glänzende Auge, die sanfter bewegte Stimme täuschen ein liebeglühendes Herz, ohnedieß so geneigt an die Empfindung zu glauben, die es fühlt und wünscht.
Wie schrecklich erwachte ich aus meiner Täuschung, als Nordheim bey unsrer Abreise vom Lande sogleich die Anstalten zu einer neuen langen Entfernung von mir machte!
Dieses Umstürzen aller meiner Erwartungen erzeugte eine heftige Krankheit, an der meine Natur längst gearbeitet hatte. Ich fiel in ein hitziges Fieber. Meine Freundin und Nordheim verließen mich nicht. Ich lag am Tode. Nur selten hatte ich einen hellen Augenblick während meiner Krankheit. Ich freute mich in[268] solchem über die Hofnung, aus der Welt zu gehen, und sah Nordheims Sorgfalt für mich mit der zärtlichsten Rührung.
Wie verwundert, wie angenehm überrascht wurde ich, als ich bey meiner Genesung wahrnahm, daß Nordheim seinen Reiseplan geändert hatte.
Als er mich stark genug fand, um wieder an die Zukunft denken zu können, bat er mich um meine Hand.
Ich bebte zurück vor dem Glanz eines unaussprechlichen Glücks; es war eine hohe Erscheinung, die ich nicht zu umfassen wagte; sie kam zu unerwartet, und eine dunkle Ahndung hielt meine Seele gebunden, daß mein Schicksal mir solch ein Glück nicht[269] gewähre. Nur Mäßigung und Dulden hielt die rächenden Göttinnen von mir entfernt; ich ahndete, daß die labenden Früchte des Genusses vor meinen Lippen verschwinden würden.
Ich willigte gleichwohl in alles, was Nordheim wünschte. Sein Betragen blieb sich gleich. Er war der gefälligste zärtlichste Freund, aber einsam fühlte ich mich neben ihm in der Glut meines Herzens.
Der Besitz verändert jeden Gegenstand. Ich fing an zu fürchten, zu zweifeln, und eine rächende Stimme in meinem Innren rufte mir unaufhörlich zu: ich sey eines solchen Glücks nicht werth.
Jetzt dachte ich mir Nordheims[270] edle hohe Gestalt, als meinen Gemahl, im Angesicht des Mannes für den ich schwach gewesen war; – der entscheidende Augenblick war gekommen, ich fühlte es, ich mußte der geliebten Hand entsagen.
Ich war unruhig bis ich meinen Entschluß Nordheim entdeckt hatte, und meiner Freundin, die mein ganzes Herz kannte, kündigte ich ihn zuerst an. Sie fand mein Benehmen grillenhaft, sie kannte mein vergangnes Leben nicht ganz. Als wir einmahl im Gespräch auf Nordheims so schnell aufgegebenen Reiseplan kamen, sagte sie:
Ach es war in jener fürchterlichen Zeit, wo du mit dem Tode rangest! Sein edles Herz vermochte dein Leiden nicht zu ertragen.[271]
Meine Freundin kannte das Gewicht dieser Worte nicht. Nach und nach lockte ich ihr die ganze Geschichte ab.
Alle meine Fieberfantasien waren voll von einer unglücklichen hofnungslosen Liebe. Nordheim hatte dieses oft aufmerksam und höchst bewegt vernommen.
An einem Abende, nachdem ich mit einem schmerzlichen Schrey aus dem Schlaf erwachte, hatte ich ausgerufen: Der Reisewagen fährt vor! – o ich werde wahnsinnig werden! aber still, daß er nicht er fährt warum; es würde ihn betrüben!
Als ich dann mein Haupt lautweinend ins Kopfkissen verborgen, sey Nordheim vor meinem Bette niedergekniet,[272] habe meine Hände mit tausend Thränen benetzt und ausgerufen: Theures, unglückliches Wesen, wenn ich dich retten kann, so nimm mein ganzes Daseyn!
Hierauf habe er zu meiner Freundin gesagt: Diese Scene bleibe ewig ein Geheimniß für unsre Freundin! und sich in der größten Bewegung entfernt.
Ich dankte meinem Genius, daß mein Entschluß dieser Entdeckung zuvorgegangen war. Zum erstenmahl in meinem Leben hatte ich ein Gefühl meiner selbst vor Nordheim, als ich ihn mit der Eröfnung meiner Gesinnung überraschte. Er gab mir tausend Beweise, daß sein Antrag das volle Gefühl seines Herzens[273] war, daß mein Glück in gewisser Art unzertrennlich von dem seinen sey. Als er aber meinen Entschluß unwiderruflich fand, gestand er mir frey, ich hätte das edelste erwählt.
Unsre Gemüther begegneten sich nun in himmlischer Freiheit. Unaussprechlich ist das Verhältniß zarter Seelen, die auf ihre gegenseitige Stärke zu rechnen wagen. Er sagte mir frey, daß er mich nie in dem Sinn geliebt hätte, wie es vielleicht meine volle Glückseligkeit erforderte, daß er das Vermögen zu einer tiefern höhern Empfindung in sich trüge, die als Ideal des höchsten Glückes vor ihm schwebe, und sich noch nie auf einen Gegenstand gesammlet habe.[274]
Welches Glück fand ich darinne, die hohe Seele meines Freundes im holden Vertrauen aufzufassen! welche Erhebung meines eignen Wesens! Mein Zustand war ein Wechsel von Genuß und Leiden. Meine geistigen Kräfte blieben in rascher Übung, ich hatte mein Gefühl immerwährend zu bekämpfen. Nordheim blieb mein zärtlicher Freund; Gewohnheit und Gewißheit des Besitzes, so hoffte er, würden die Dornen der Liebe aus meinem Gemüthe reißen.
Ich genoß seines Umgangs in langen Zeiträumen ungestört. Wenn die Welt unser Verhältniß falsch auslegte, so zeigte sie ihren gewöhnlichen Kurzsinn; gerade seine Reinheit bürgte mir für seine Dauer.[275] Nordheim und ich hatten uns vielleicht zu sehr gewöhnt mit dem Beyfall unsers Herzens zufrieden zu seyn. Es mochte wohl mit unter auch ein guter Mensch an uns irre werden, aber wer uns genau kennen lernte, kam von seinem Irrthum zurück.
So vergingen die Jahre. Je mehr ich in die Welt, in die mannichfachen Lebensweisen der Menschen blickte, je mehr lernte ich die reinen, ersten Naturverhältnisse der Ehe und der elterlichen Liebe ehren. Es schmerzte mich, daß mein Freund sie entbehren sollte; wie ich dir sagte, liebstes Kind, mein beßres Wesen wünschte sein reines Glück, und besiegte die Schwachheiten des Herzens.
Ich darf es hoffen, sie blieben[276] sogar den Augen meines Freundes unbemerkbar, aber keine Gestalt hatte ihn gefesselt, obwohl er nicht immer ungerührt blieb.
Endlich fand er dich, und ich fühlte sein Herz getroffen, seine Seele voll Verlangen, und voll neuer Bilder des Lebens.
Deine sonderbare hülflose Lage, der Gedanke, dein Schicksal in jedem Fall verbessern zu können, stimmte in seinen Plan. Er wollte das Herz, dem er die Ruhe seines Lebens vertraute, ganz kennen, in seiner Kraft des Empfindens, in der Gewalt seiner Neigungen, in dem Vermögen einzig durch Liebe beglückt zu werden. Er eröfnete sich gegen deinen Vater in Hohenfels, der dich uns anvertraute.[277]
Bald entstand ein gespanntes Verhältniß zwischen uns beiden, und jedes verlor an innrer Klarheit und freiem Blick.
Nordheims unaussprechliche Bescheidenheit und Zartheit war mit den zunehmenden Jahren beinah zur Krankheit geworden, die seinen sonst so scharfen Blick umdämmerte.
Er wollte ein einziges reines Glück dem Herzen, das er liebte, gewähren, und schwankte zwischen Verlangen und Furcht.
Bald bemerkte er Julius Neigung, und war entschlossen, jeden Anspruch aufzuopfern, um dein Glück zu machen. Deine sonderbare verwickelte Lage kam dazu, ich selbst fing an irre zu werden. – Ach nur[278] in einem ganz klaren Gemüth faßt das Mißtrauen nie Wurzel!
Nordheim empfand die ganze Gewalt der Leidenschaft, und wollte alle ihre Schwachheiten bekämpfen; ein schweres Unternehmen, dem seine Riesenkraft selbst zuweilen unterlag.
Daher sein ungleiches Betragen, sein heftiges Ergreifen und schnelles Verlassen, das dich gute Seele quälte.
Als ein Genius wachte er über deinem Glück, und die zärtlichste Sorge eines liebenden Vaters beherrschte selbst sein Hoffen und Begehren nach dir.
Ich war entschlossen dich kalt zu prüfen. – Ach du fühlst was das in meiner Lage hieß, und welche Schwachheiten ich zu besiegen hatte![279]
Die Tage nach deinem Verschwinden waren unruhig und angstvoll; Nordheim sagte mir sein völliges Einverständniß mit dir, sein reines Glück in deiner Liebe; – ich theilte sein Empfinden – ja gewiß – aber gleichwohl fühlte ich meinen Busen gepreßt bis zum Zerspringen.
Nordheims Weib, war eine Gestalt die mir undenkbar war, und die mich gleichwohl ängstigte, wie ein Gespenst, mit dem man unsre Kindheit schreckte, uns noch jetzt ängstigen kann, wenn wir uns in einem halbwachenden Zustand befinden.
In dieser Stimmung war ich, als ich in deinem Zimmer jenes Kästchen von Madam Barcino fand.[280] Es war eine kleine Reisechatouille, die ich meinem Gemahl geschenkt hatte, ein sonderbares Kunststück von Schreinerarbeit.
Ich zog an einem verborgenen Fach, um mich ganz zu überzeugen, und sogleich fiel mir ein Blatt von der Handschrift meines Gemahls in die Augen.
Es war eine alte Rechnung, die von ohngefähr in das Fach gekommen zu seyn schien; aber wie verwundert war ich, als ich das Datum am Ende der Schrift besah. Es war vom zweiten Jahre nach dem Tode meines Mannes, und aus Batavia.
Kaum konnte ich meinen Sinnen trauen. Meine Ungeduld kannte keine Schranken, ich erbrach das[281] Kästchen, und fand daß mein Gemahl noch am Leben ist, und daß der edle Grund seiner Entfernung, meine innigste Dankbarkeit, mein ganzes Herz, mein ganzes Leben fordert.
Ich umarmte Amalien unter herzlichen Thränen.
Die rührende Wahrheit, mit der sie mir ihr Gemüth darlegte, der düstre Sinn ihres Schicksals, ein Daseyn, das in der Knospe schon zernichtet wurde; – alles dieses senkte eine unaussprechliche Wehmuth in mein Herz. Ihre schöne anspruchlose Liebe warf ein himmlisches Licht um ihre ganze Gestalt, und mein Wesen wallte in seinen zärtesten Regungen gegen sie.[282]
Ich eile jetzt, einen Freund meines Gemahls, der in der Schweiz lebt, aufzusuchen, sagte die Gräfin. Nach den Nachrichten, die ich von diesem empfangen werde, folge ich meinem Gemahl vielleicht in einen andern Welttheil, vielleicht daß ich ihn zur Rückkehr nach Europa bewegen kann.
Vergebens bat ich sie, dieses Unternehmen aufzugeben, und die Rückkehr des Grafen im Schooß ihrer Freunde zu erwarten.
Nein, rief sie schmerzlich, auf den stürmischen Wogen des Meeres wird mein Herz ruhiger schlagen. Nur einem schuldlos Leidenden wird jede Stunde stiller Trauer zum Segen! Aber wenn eine düstere Vergangenheit[283] in unserm eignen Herzen, und nicht allein in dem Gewebe unsers Schicksals hängt, wenn wir unser eignes Wesen nicht rein aus den entflohenen Begebenheiten zu scheiden vermögen, dann sind die rächenden Göttinnen des Schicksals nur durch Thaten, Mühe und Leiden zu versöhnen.
Lesen Sie die Briefe des Unglücklichen, den die Kraft eines stärkern Herzens, als das meine war, vielleicht in dem Sonnenschein des Glücks erhalten hätte.
Sie gab mir folgenden Brief:
Das Glück, gute Emilie, scheint vor dem thörichten Leichtsinnigen zu[284] fliehen, der es einmahl muthwillig von sich gestoßen.
Bis jetzt zeigte sich mir noch keine Gelegenheit zu einer vortheilhaften Unternehmung, die mir Hofnung machen könnte, unser aller Schicksal zu verbessern.
Wahrscheinlich werde ich in dieser entfernten Weltgegend mein Grab finden, ehe ich meine Glücksumstände wieder hergestellt habe.
Ich kenne Nordheims Großmuth, und bin gewiß, daß du versorgt bist, und meine Kinder gut erzogen werden. Gleichwohl quält mich der Gedanke, daß die armen Geschöpfe nur Wohlthaten empfangen, keine Rechte besitzen sollen. Sollen selbst meine Kinder das Andenken ihres Vaters[285] nicht segnen? Soll es ganz ungesegnet verlöschen?
Ich rechnete auf einen früheren Lohn meiner Arbeit, als ich nach Indien ging, und es that meinem Herzen wohl, meiner Gemahlin meinen guten Willen zu zeigen. Die wenigen Güter die ich noch zurückließ, schienen mir eine geringe Entschädigung für den Verlust ihres schöneren Lebens, ihres ansehnlichen Vermögens, daß sie an meiner Seite verlor.
Meine schwankende Gesundheit, die von diesem Klima bald ganz zerstöhrt werden wird, und der unvorgesehene langsame Gang meiner Unternehmungen, beunruhigen mich über das Schicksal meiner Kinder.[286]
Ich sende dir hier durch einen sichern Freund, der eben nach Europa zurückgeht, einen Brief an meine Gemahlin, aber mit dem ausdrücklichen Befehl, ihn erst dann zu übergeben, wenn du die Nachricht meines Todes durch eben diesen Freund empfangen hast.
Lebe wohl, gute Seele! Ach, meine Kinder haben ihren Vater schon beweint! Glückliches Alter, wo der Tod und ein unersetzlicher Verlust sinnlose Worte sind!
Lebe wohl!
Diese Zeilen sagen Ihnen, daß ein Unglücklicher noch einige Jahre durch litt, wo Sie ihn schon in der Ruhe des Grabes wähnten.[287]
Mein Leben war ein Gewebe leichtsinniger Schwachheiten; nur wenigen Glücklichen vergönnt das. Schicksal, die Folgen ihrer Thorheiten auszulöschen.
Ich wünschte aus einer Welt zu verschwinden, wo ich nur Verwirrung anrichtete und empfand.
Zweymahl riß mich mein edler Freund Nordheim vom Abgrund des Verderbens, rettete meine Existenz, meine Ehre. Heiße Gelübde folgten dem Gefühl dringender Noth, aber ein Charakter, ein Leben, dem einmahl die Folge gebricht, findet sie nur durch die Hülfe eines bessern Genius wieder. Aufs neue hingerissen, fiel ich aufs neue in dringende Schulden. Sollte ich noch einmahl[288] beladen mit unverzeihlicher Schwachheit und Schuld vor meinem edlen Freund stehen? Je gewisser ich seiner Hülfe war, jemehr scheute ich die Hoheit und Güte dieses Wesens.
Ich will seine Achtung gewinnen, oder nie wieder vor ihm erscheinen, beschloß ich, als ich meine Reise nach Indien unternahm.
Ihnen, theure Amalie, wollte ich eine Freiheit wiedergeben, die Sie zu Ihrem Unglück zu früh an mich verloren; an einen Mann, der Sie nicht zu schätzen, Ihre Jugend nicht zu leiten verstand. Die Gesetze unsrer Kirche erlauben Ihnen keine Heurath, so lange ich am Leben bin, und warum sollen Sie Fesseln tragen, die das Glück Ihres Lebens[289] vergiften? Mein gänzliches Verschwinden allein lösete die Verworrenheit, die ich verursachte.
So fühlte ich, als ich Madame Barcino mit der Nachricht meines Todes zu Nordheim schickte. Ich hatte das arme Geschöpf von der Nothwendigkeit meines Verschwindens vom Schauplatz überzeugt, und ein heiliges Gelübde ihrer Verschwiegenheit empfangen.
Ich hoffte bald durch Arbeit und Anstrengung ein kleines Vermögen zu erwerben, mit dem ich meine Kinder versorgen könnte, aber das Schicksal spielte mit meinen Entwürfen.
Wahrscheinlich unterliegt meine geschwächte Gesundheit in kurzem der Gewalt dieses feindseligen Klimas.[290] Von Ihrem guten Herzen wage ich etwas zu bitten, und bin der Erhörung gewiß.
Genießen Sie die Einkünfte des geringen Vermögens, welches ich Ihnen zurücklassen konnte, so lange Sie leben, ungetheilt; aber nach Ihrem Tode gehe es nicht in fremde Hände über, sondern werde ein Besitzthum für meine Kinder. Erst jetzt, da ich das Bittere der Armuth und harten Arbeit unter einem fremden Himmel empfinde, fühle ich den Stachel der Sorge für die Zukunft dieser armen Geschöpfe.
Sollten sie sich als verlassen von ihrem Vater ansehen?
Mein Andenken bleibe von Ihnen nicht ungesegnet. Mein Wille war[291] nie, Sie unglücklich zu machen, aber was ist der Wille einer kraftlosen Brust?
Jetzt, da mich die Einsamkeit des Geistes und Herzens in mich selbst zurückführt, jetzt labt mich oft nach anstrengender Arbeit ein Traum von Ihnen, von allem was wir hätten für einander werden können; aber die Schlange der Reue liegt unter diesen blühenden Träumen.
Alles ist vorbey, ich bin schon für Sie nicht mehr. Auch der Nachhall meines Daseyns, das Schattenleben das ich hier führe, wird bald verlöschen. Ein Wunsch für Ihr Glück wird die letzte Regung meines Herzens seyn. Danken Sie Nordheim für seine Treue an meinen Kindern.[292] – Das Herz entgeht mir im Andenken dieses edlen Freundes, und die Züge meiner Hand verlöschen in Thränen. Leben Sie wohl auf ewig!
Nach diesen Briefen hatte ich allen Muth verloren, Amaliens Entschluß für jetzt zu bekämpfen. Nachdem ich des Unglücklichen Schicksal mit ihr beweint hatte, fuhr sie fort:
Ich eilte sogleich zu Madame Barcino, nachdem ich diese Briefe gelesen. Aus wenigen Äußerungen meines lebhaft bewegten Herzens fühlte sie, daß ich ihr Geheimniß wußte. O Gott! rief sie aus: Sie wissen, daß Ihr Gemahl noch lebt, wissen es, ohne daß ich meinen Eid verletzte![293] Welches Wunder deines Erbarmens! sagte sie, und sank vor einem Marienbild in stillem Gebet nieder.
Ich erfuhr von ihr, daß sie seit diesen Briefen noch einige von meinem Gemahl erhalten. Alle waren traurig, in demselben Sinn niedergeschlagener Hofnungen wie der erste, und enthielten nur Fragen nach den Kindern. Der Freund, durch welchen der Briefwechsel geführt wurde, und der über meines Mannes Schicksal näher als sie selbst unterrichtet schien, lebte in der Schweiz.
Das arme Weib war ein Raub der schmerzlichsten Gefühle, die ihr Gemüth bis zum Wahnsinn verspannt hatten. Sie hörte von einer Heurath[294] Nordheims mit mir, von der sich das Gerücht oft verbreitete.
Da sie von dem Leben meines Mannes überzeugt war, trieb sie ihr Gewissen an, solch eine Entweihung des Sakraments zu verhindern. Ihr abgelegter Eid, das Geheimniß von meines Mannes Leben nie zu entdecken, die Sorge um das Schicksal ihrer Kinder, dieses alles erregte einen fürchterlichen Sturm in der Armen Gemüth, das endlich den friedebringenden Traum als ein Rettungsmittel ergriff. Sie beschwor mich jetzt, da sie mein Gelübde für ihre Kinder zu sorgen empfangen, ihr einen Zufluchtsort in einem Kloster zu verschaffen.
Ich werde mit Nordheim darüber[295] sprechen, und glaube beinah selbst, ihre Fantasie, die von solchem Wahn nur befangen und erkrankt ist, wird auch am besten durch Wahn geheilt werden. Die Gräfin verließ uns den folgenden Tag, versprach mir aber noch einen Besuch vor ihrer Reise nach der Schweiz.
Die alte holde Vertraulichkeit unsers Cirkels umfing mich so sanft in dem stillen häuslichen Leben meiner Freunde! Das Stillschweigen, welches ich über meine Verhältnisse beobachtete, stöhrten ihren Antheil an mir nicht. Es schien ihnen bekannt, daß mein Schicksal in einer entscheidenden Crise lag. Die feine Sitte bürgte mir vor jeder indiskreten Frage; aber mehr als das, ich fühlte auch[296] den stillen Sinn meiner Freunde, der mich dem ungestöhrten Genusse des ahndungsvollen, sanfthoffenden Zustandes meiner Seele überließ. Julius schien sehr beschäftigt, und suchte nicht mich allein zu finden.
Ich schrieb an meinen Vater. Mit welch innigem Antheil rief ich mir jeden kleinen Umstand unsrer ersten Bekanntschaft zurück! Jedes bedeutende Wort, welches ich von ihm vernommen, die geheimnißvolle Kraft seiner Reden enthüllte sich mir jetzt; der Sinn des Vaters hatte meine ahndende Seele getroffen.
Auch dem Prediger von Hohenfels schrieb ich, beruhigte ihn über die sonderbare Begebenheit, deren Entzifferung ich ihm mündlich versprach.[297] Mein Glück, in dem völligen Einverständniß mit Nordheim, legte ich an sein theilnehmendes Herz. Nordheim hatte ihm schon früher geschrieben.
Von Nordheim empfing ich jeden Tag liebevolle Zeilen, die mich mit der Hofnung trösteten, daß unser Glück keine Opfer kosten würde.
Als die Gräfin nach D. zurückging, sollte Bettina sie begleiten, sie bat dringend bey mir bleiben zu dürfen. Auf die Anspannung, in der sie ihre Sorge um mich erhalten hatte, folgte eine Art von kranker Ermattung. Sie weinte an meinem Busen über mein Glück in Nordheims Verbindung, und es blieb mir und ihrem eignen unschuldvollen Herzen unentschieden, ob der Krampf[298] des Schmerzens oder der Freude diese Thränen hervorpreßte.
Sie war verändert, und schien einen Rückblick auf sich selbst zu bekommen, den ihre große Lebhaftigkeit, und die Ungebundenheit ihres Wesens in allen seinen Empfindungen, bis jetzt immer gestöhrt hatte. Ihre Weiblichkeit erwachte, und suchte natürlich nach den Gesetzen des Anstandes, der der innern Sittsamkeit auch einen äußern Ausdruck zu geben strebt.
Julius und Nordheim lebten in der innigsten Verbindung, und wechselten beinah täglich Briefe. Julius sann nur auf unser Glück, und wenn ich ein Wort des Dankes gegen ihn aussprechen wollte, hieß er[299] mich zärtlich schweigen, und sagte sanft: Wer sollte nicht sein Daseyn in dem Glück zweier solchen Menschen finden können!
Nach einer Entfernung von wenigen Tagen kam Julius des Morgens auf mein Zimmer. Er gab mir einen Brief von Nordheim, der mich auf eine neue Wendung unsrer Lage, die ich von Julius vernehmen sollte, vorbereitete, und der sich mit den Worten schloß:
»Meine Agnes allein wird meinen Entschluß bestimmen. Seit das beste Herz an dem meinen schlug, ist sein Glück die erste nächste Bestimmung meines Daseyns geworden, und ich fürchte nur zu sehr in diesem Fall seine Stärke, die ich schon erfuhr.«[300]
Julius sagte mir jetzt, daß eine Veränderung in den Constellationen der politischen Welt es für den Fürsten und das ganze Land äußerst wichtig mache, eine Negotiation, die Nordheim auf seiner letzten Reise an einem nordischen Hofe angeknüpft habe, weiter zu verfolgen. Der entscheidende Moment sey nun gekommen, und von Nordheims persönlichen Eigenschaften und Lokalkenntnissen könne man sich einzig den glücklichsten Erfolg versprechen.
Der Minister fühle das, er selbst habe dem Fürsten die Nothwendigkeit, Nordheim wieder zu gewinnen, vorgestellt.
Über das Verhältniß mit mir zeige er jedoch eine unbegreifliche Unbiegsamkeit.[301] Der Prinz und die Prinzessin glaubten beyde, daß das Gemüth ihres alten kränklichen Vaters so sehr von Furcht und Zweifeln über diese Heurath umstrickt sey, daß es dem Minister jetzt unmöglich falle, die selbst geschlungenen Knoten wieder aufzulösen. Das Verhältniß sey für Nordheims Edelmuth zart, und schwierig zu behandeln. Er verschmähe es, meine Hand, als den Preis eines zu leistenden Dienstes zu fordern. Da er gegen den Minister nicht zeigen dürfe, daß er von den Verhältnissen der Prinzessin unterrichtet sey, so könne er dem Fürsten gar keine Gewalt über Agnes zugestehen. Bey dem Fürsten sey die Sache noch schwerer, und leide beinah[302] gar keine Berührung. Der Prinz und die Prinzessin scheuen es, in den alten Mann zu dringen; ruhige Vorstellungen anzuhören sey er unfähig, und jede Aufwallung des Zorns drohe die schwache Natur zum Kampfe des Todes aufzureizen.
Über Hohenfels hingegen habe Nordheim höchst muthig und bestimmt mit dem Fürsten und Minister gesprochen, und beyden deutlich gesagt: er könne keinem Herrn dienen, der mit einer Ungerechtigkeit beladen sey. Auch habe er das Wort des Fürsten empfangen, Hohenfels solle in einem Monat befreit werden.
In jedem Fall werde Nordheim in Gemeinschaft mit Julius Maßregeln für Hohenfels Sicherheit nehmen.[303]
O warum, meine theure Agnes, sagte Julius, indem er meine Hand faßte: warum ist Ihrem schönen Herzen nicht der volle Genuß seines Glücks gegönnt! Nordheims Abwesenheit kann wenigstens ein halbes Jahr dauern, denn mancher Berg ist zu übersteigen oder zu untergraben; die verschiedendsten Interessen sind zu vereinigen, und auf die verschiedensten Gemüther ist zu wirken: welcher Verlust wäre diese Trennung für die Liebe!
Nordheim drang bey Ihrer Mutter darauf, mit Ihnen vor seiner Abreise getraut zu werden, damit er Sie bitten dürfte, ihm nach Hohenfels Befreiung, an den Ort seiner Bestimmung zu folgen. Die Prinzessin[304] fand den Plan zu gewagt, und fürchtete, der Fürst möchte davon unterrichtet werden.
Nordheim wollte sodann den Auftrag ganz ablehnen. Der Prinz und die Prinzessin bestürmten ihn mit Bitten, ersterer aus Staatsinteresse, und die gute milde Seele in der Hofnung, daß nach vollbrachtem Geschäft, die Heurath mit der Einwilligung des Fürsten geschehen würde. Nordheim mußte endlich beiden in so weit nachgeben, daß die ganze Lage der Sache Ihnen dargelegt werden sollte, und versprach sich nach Ihrer Entscheidung zu betragen.
Mein erstes Gefühl war ungetheilt für die Reise, und es stand als[305] ein Entschluß in meiner Seele, welcher alle folgenden Augenblicke der Schwachheit bekämpfte.
Meinem Verstande war es klar, daß das Interesse fürs Allgemeine die schmerzlichen Gefühle meines Herzens überwiegen müßte, daß es sogar unwürdig sey, sie gegen dasselbe nur abwägen zu wollen. Aber die Sehnsucht der Liebe umschwebte mich mit einer ahndenden schauervollen Gegenwart. Schmerz und Freude tönen mit verstärkter Gewalt von einem Herzen, welches die Liebe in seinen zärtesten Saiten bewegt. Ein leichtes Wölkchen wird zu einem schwarzen Gewitterhimmel, eine Trennung von wenig Monden scheint eine Trennung für die Ewigkeit.[306]
Meine Augen blieben zur Erde geheftet, als Julius ausgeredet hatte. Ein Druck seiner Hand entriß mich der innern Verworrenheit, und als mein Auge seinen klaren Blicken begegnete, fühlte ich die volle Kraft meines Wesens in dem Entschluß des muthigen Duldens.
Nordheim wird reisen, sagte mir Julius sanft, ich lese es in Ihrem Auge.
Ja, mein Freund, erwiederte ich. Könnte ich es versuchen ihn aufzuhalten, wäre ich dann seiner, wäre ich meiner Freunde werth?
Julius suchte mein Herz zu stillen, indem er mit mir auf allen meinen Verhältnissen verweilte, denen er eine günstige Wendung prophezeihete.[307] Sein Herz genoß diese Stunden stiller Vertraulichkeit, und das meine fühlte sich erleichtert.
Des andern Morgens meldete man mir die Ankunft des Prinzen. Ich eilte in das Gesellschaftszimmer: nach der ersten Bewillkommung führte er mich in ein Fenster und sagte:
Meine Agnes, welche Probe hat Ihr Herz zu bestehen? Ist sie nicht zu schwer für solch ein zartes liebendes Wesen? Zwar kenn' ich auch Ihre Stärke ....
Meine Stärke ist meine Liebe, erwiederte ich. Sollte ich Nordheim von einem wichtigen guten Unternehmen zurückhalten, von einer Kraftäußerung, die ihn zum reinsten Lebensgenuß führt? Sollte ich ihm[308] nicht gern auch die Freude noch danken wollen, durch ihn Ihr Bestes, die Ruhe meiner Mutter befördert zu sehen?
Ein reiches Gemüth gab Dir die Natur, liebstes Mädchen! sagte der Prinz. Nordheim, fuhr er fort, wird vielleicht morgen früh hier seyn. Ich bat ihn, die Anstalten zu seiner Reise zu machen, während ich Ihre Einwilligung für ihn abhohlte, aber das schlug er rund ab. Es ist nicht Mißtrauen gegen Sie, noch der Wunsch Agnes Willen zu lenken, sagte er, aber ich muß sie sprechen – ich muß es wissen, fühlen, daß dem besten Herzen keine Gewalt geschieht, daß es der volle Einklang ihres Wesens ist, aus dem sie handelt, nicht ein[309] Moment der Selbstentsagung, deren das schöne Herz so fähig ist. Gern will ich dem Gesetz gehorchen, welches ich erkenne; aber ich sage Ihnen, es steht auf Agnes Stirn geschrieben, und alle andere Rücksichten werde ich dieser aufopfern.
O nie kann ich dieser himmlischen Güte werth seyn! rief ich aus, indem süße Thränen mein Auge füllten.
Sie sind es, bestes Kind, sagte der Prinz gerührt, da Sie den freien Kreis seiner Thätigkeit respektiren. Nordheim kennt die Gewalt, die ihm die Natur über Menschen und Begebenheiten gab, nicht ganz. Die Resultate seiner Wirkungen nennt er nur eine Gunst des Glücks. Da er alles Große mit Leichtigkeit vollbringt,[310] wirkt er stille, sich selbst unbewußt, wie die Natur. Bescheiden wähnt er, ein anderer könne seine Stelle ersetzen, die unersetzbar ist. Wüßte er ganz was er vermag, er hätte jetzt nicht zweifeln können. Verzeihen Sie, Beste! er hätte es nicht gekonnt, selbst aus Liebe für Sie nicht.
So eben fuhr Nordheims Wagen zum Thore herein.
Erhalten Sie Ihren Muth, liebstes Kind, sagte der Prinz.
Alles eilte Nordheimen entgegen. Das Feuer seines Blicks schien gedämpft, still nahm er beym Frühstück seinen Platz neben mir ein, und wagte selten mir ins Auge zu schauen. Klar und immer gegenwärtig, wie gewöhnlich, war sein Geist, aber es[311] war eine Milde, eine Süßigkeit in dem Ton seiner Stimme, vor der mein Innerstes erbebte.
Ich sehne mich nach einer stillen Stunde mit Ihnen, meine Liebste! flüsterte er mir leise zu. Die Gesellschaft zerstreute sich, ich ging auf mein Zimmer, und in wenigen Momenten folgte mir Nordheim mit Julius, der uns sogleich wieder verließ.
Nordheim drückte meine Hand sanft an seine Brust, an seine Lippen, und sagte: Ich komme die Befehle meiner Agnes zu vernehmen, sie hat mich zu ihrem Eigenthum gemacht, ich muß und will alles seyn, was ihr holdes Herz beglückt.
Die süße Gewalt der Liebe ergriff mein ganzes Wesen. Mein[312] Entschluß, jede Kraft meines Busens zerrann wie in einem goldnen Morgennebel; – ich fühle mich leicht und gestaltlos wie Luft, die nur zum Ton in dem Athem des Geliebten werden konnte.
Rechneten Sie nicht zu viel auf die Kraft eines Liebe-erfüllten Herzens, Bester? sagte ich.
Er hielt mich in seinen Armen, mein Gesicht war an seine Brust gelehnt, und als mein Auge dem seinen zu begegnen wagte, glänzte Hoffnung und Freude in seinem feurig-fragenden Blick.
Ach, ich müßte mich des höchsten Lebensglückes unwürdig achten, fuhr ich fort, wenn ich nicht fähig wäre, es durch ein Opfer zu erringen. Nie[313] könnte ich mit mir zufrieden seyn, wenn mein Herz mir jetzt seine Kraft versagte, – wenn ich Sie zurück zu halten strebte, da Sie mir mit so viel Güte einen Einfluß auf Ihren Entschluß gestatten.
Ich gehe also! sagte Nordheim, und seine Augen blieben einige Minuten hindurch starr am Boden geheftet.
Ich wußte es! fuhr er fort, indem er seinen hellen Blick nach mir kehrte, aber mein Herz hörte dennoch auf die Zaubergesänge der Hoffnung.
Ich fühlte einen leisen Vorwurf in diesen Worten, und in dem Ton, mit welchem Nordheim sie aussprach. Mein Busen wallte in Schmerz und Liebe, meine Thränen flossen. Nordheim[314] umfaßte mich sanft, und blickte voll rührender Zärtlichkeit in mein Auge.
Leise flüsterte ich ihm zu:
Mein Einziggeliebter, ach Du fühlst meine Liebe nicht in diesem schmerzlichen Kampfe!
Ja, meine theure Seele, rief er höchst bewegt, – ich fühle es, Du scheidest nicht ohne Schmerz von den ersten Wallungen Deines zärtlichen Herzens. Ich scheide mit wunder Seele von der schönsten Blüthe – vielleicht weniger Tage! Aber ich fürchte es ganz, Du kannst nicht anders handeln.
Mit süßen Worten suchte er nun mein Herz in Frieden zu wiegen. Dann sprach er von seinem Geschäft,[315] von seinen Maßregeln in Ansehung meines Vaters und meiner. Er wünschte, ich möchte mit der Gräfin sogleich in die Schweiz reisen, mein Vater und Julius sollten uns nachkommen. Er selbst würde uns dort wieder finden, und in unsrer Nähe leben, bis alle Hindernisse unsrer Verbindung hinweggeräumt wären.
Die Zukunft stand halb vor meinem Gemüthe, der Zwischenraum der Trennung rollte sich in seiner düstern Einförmigkeit immer enger zusammen.
Wir standen an einem Fenster, und blickten in die weite Gegend, die im Glanz der Mittagssonne schimmerte.
Hell wie die Natur sey unser Gemüth[316] im Scheiden, sagte Nordheim Wie sich ihre Strahlen ewig verjüngen, so hat auch das Glück unsrer Liebe eine ewige Jugend. Ich eile jetzt von Dir, meine Agnes; wenn wir uns wiederfinden, liegen Jahre der Vereinigung vor uns.
Sein Abschiedskuß glühte auf meinen Lippen, sein Auge, in welchem Thränen rollten, kehrte sich noch einmahl nach mir, und er war verschwunden.
Nach wenigen Minuten sah ich seinen Wagen vorfahren. Bald erschien er selbst, von Julius begleitet Er wendete sich nach meinen Fenstern, ich winkte ihm noch ein Lebewohl zu. Welche geheimnißvolle All gewalt ist zwey liebenden Herzen gegeben![317] Der dumpfe zerstöhrende Schmerz, mit welchem ich Nordheim sonst verließ, eh sich sein Herz zu mir gewendet, war jetzt in ein unaussprechliches lebendiges Verlangen verwandelt, in dem meine Seele der Unendlichkeit entgegen blühte.
Auch sein Herz blieb bey mir zurück. Eine glühende Kette des ewig regen zarten Verlangens zog mich ihm nach, und die guten Geister des Himmels webten goldne Träume, die Entfernten zu laben.
Ich sah seinem Wagen auf der langen Straße nach, und als er sich endlich im Gebüsch verlor, und des Schmerzens kalte Hand mein Herz zusammenpreßte, rief mir eine freundliche Stimme aus der lichten glänzenden[318] Luft: Er wird liebend wiederkehren!
Wie todt und kalt scheinen uns selbst die lieblichen Gestalten des Lebens, nach dem ätherischen Daseyn der Liebe! Matt und strahlenlos, wie eine Gegend, in der das purpurne Abendlicht ausgebrannt ist, scheint das ganze Leben.
Julius hatte den letzten Händedruck meines Geliebten empfangen. Er wußte das Segel der Hofnung in meinem Gemüth mit sanften Worten zu schwellen. Aber ich bemerkte eine schmerzliche Anspannung in seinem Wesen, die mir mit jedem Trost von seinen Lippen auch einen Stachel des Schmerzens in den Busen warf.[319]
Der Prinz war nach D. gereist, meine Mutter noch immer mit dem Fürsten im –schen Bade. Ich hatte sie nach Nordheims Wunsch um die Erlaubniß gebeten, die Gräfin in die Schweiz zu begleiten, aber sie bat mich, noch einige Wochen ruhig bey Elisen zu bleiben. Die Gesundheit des Fürsten sey sehr schwankend, er schiene nicht mehr so ängstlich auf meine Entfernung zu dringen. Nach dem Bade würde er noch die schönen Herbsttage auf dem Lustschloß, wo ich mich befunden, zubringen, und ihr sey es ein Trost, mich in ihrer Nähe zu denken. Sobald mein Vater seine Befreyung erhalten, könnte ich sodann mit ihm reisen.[320]
Ich wußte hierauf nichts zu erwiedern, so gern ich auch nach Nordheims Sinn gehandelt hätte, der mir für die Reise noch andere Gründe als mein Vergnügen zu haben schien.
Der Fürst sey höchst zufrieden von Nordheims Betragen, schrieb mir meine Mutter, sie hoffe auf die schönste Entwickelung unserer Verhältnisse.
Alban und Julius waren häufig abwesend, meine gute Elise war meinem Gemüth gleichsam ein sanfter Nachhall seiner Gefühle. Der Genuß des Landlebens, das Interesse, das ich aus der Bekanntschaft mit dem Gang der Landwirthschaft, aus allen. seinen einfachen Beschäftigungen schöpfte, erhielt mich in stiller Erwartung. Nordheims Briefe voll[321] Geist und Leben, voll der unaussprechlichen Einfachheit eines großen liebenden Herzens, waren die Sonnenblicke in diesem Daseyn, welche über das Ganze einen sanften Dämmerschein ergossen.
Die Zeit nahte heran, wo wir die Befreiung meines Vaters erwarteten, aber statt der frohen Erwartungen, nahmen die Briefe meiner Mutter einen ungewöhnlich traurigen Ton an. Auch in dem Cirkel meiner Freunde herrschte Traurigkeit, Unruh und Mißbehagen.
Es war ein dumpfes Mißbehagen, das die Lippen vor jeder vertraulichen Frage zusammenpreßte.
Julius besonders schien höchst gereizt und mißmuthig gegen seinen[322] Bruder, und hatte nur gegen mich die ganze gewohnte sanfte Gefälligkeit des Betragens beybehalten.
Ich glaubte, es sey eine Familienstreitigkeit, die mich unter so edlen innigvereinten Naturen schmerzte, aber natürlich jede Frage unterdrücken hieß. Julius vermied mit mir allein zusammen zu treffen.
Ein Gespräch über Julius Gesundheit, das ich selbst anfing, weil ich seit einiger Zeit besorgt darum war, führte endlich zu einer Erklärung. Alban sagte mir, daß Julius nach einer sehr schnellen erhitzten Reise Blut ausgeworfen hätte. Ich ahndete, die Reise sey zu meinem Vater gewesen. Die Besorgniß um meinen Freund, der etwas rauhe vorwurfsähnliche[323] Ton des Bruders, bebte durch meinen Busen. Ich entfärbte mich, und eilte zum Fenster, um meine Thränen zu verbergen.
Und wie er's treibt! fuhr Alban fort, als bemerkte er mich nicht; dieser schmerzlichste Kampf der Seele, diese zerstöhrende Thätigkeit des Körpers müßten die stärkste Natur aufreiben. Jetzt, da sich alle Verhältnisse von selbst fügen, gleichsam aufdringen, jetzt dem Glück des Herzens entsagen zu müssen, das kann wohl einer zarten Natur den letzten Stoß geben. – Den talentvollen liebenswürdigen Jüngling so zu Grunde gehn zu sehen, ist wahrhaftig seelenzerreißend, sagte Elise.
Mein Herz war wie auseinandergesprengt,[324] alle meine Nerven zuckten vor Schmerz, – ich sank auf einen Stuhl, verbarg meine Thränen nicht länger, und rief aus: O Gott! was vermag ihn zu retten!
Elise faßte meinen Kopf an ihre Brust, sah schmerzlich auf mich nieder, und sagte: Du!
Unmöglich, unmöglich! rief ich. Er selbst wird diese Hülfe verschmähen.
Alban hielt meine Hand und sagte: Fassen Sie sich, liebste Agnes! Da Elise und ich einmahl von unsern Herzen hingerissen wurden, – da Sie einmahl das wichtigste wissen, so muß ich, ohngeachtet des Versprechens, das ich meinem Bruder gab, Ihnen nun auch alles noch übrige entdecken. Vereint wollen wir für unsern Julius sorgen.[325]
Ich lag in dem bängsten Zustand an der Brust meiner Freundin.
Nachdem ich meine Thränen getrocknet hatte, folgte ich Elisen zu Alban.
Er eröffnete mir, daß der Fürst durch den Minister, Julius den Antrag hätte thun lassen, in Diensten des – schen Hofes nach England zu reisen, und ihm dabey zu verstehen gegeben, wie er sich um meine Hand bewerben möchte. Julius habe den Minister abgewiesen; Er werde nie die Verlobte seines Freundes und sich selbst durch solch ein Betragen beleidigen. Der Minister habe erwiedert: die Heurath mit Nordheim werde nie geschehen; und ernst hinzugesetzt: Sie wissen nicht, was für[326] Folgen aus dieser Unbeugsamkeit entstehen können! Julius hochgestimmtes Gefühl und des Ministers glattgeschlissner Weltsinn wären sich gegenseitig so unverständlich geblieben, daß sie nur gehaltlose Worte mit einander gewechselt hätten. Er selbst hätte sich aus des Ministers Reden von den Schwierigkeiten meiner Verbindung mit Nordheim überzeugt. Auch mit dem Prinzen und der Prinzessin hätte er über das Verhältniß gesprochen; beyde sähen diese Heurath als das einzige Mittel an, den Fürsten zu beruhigen, und die ganze verworrene Lage aufzulösen.
Julius glüht von heißer Leidenschaft für Sie, sagte Alban, und arbeitet gleichwohl sich selbst entgegen.[327] Ist das menschliche Gemüth gemacht, solch einen Kampf zu bestehen, da er die geheimsten Fäden des Lebens trennt? Ich will nicht in Sie dringen; aber wenn Ihre Hofnungen scheiterten, und Ihr Herz wendete sich zu spät gegen das im Lebenskampf ermattete Ihres Freundes ...
Ich war verwundet bis in mein Innerstes. Aber die falsche Ansicht meines Verhältnisses, die Alban mir, vielleicht sich selbst unterzuschieben suchte, stumpfte den Pfeil der Empfindung ab, den er an mein Herz warf.
Der Ausdruck einer Empfindung, der nicht trifft, thut immer eine entgegengesetzte Wirkung, und bewafnet den Verstand gegen das Herz.[328]
Es ist hier nicht allein von Gefühlen, von Glück und Unglück die Rede, sondern von der Nothwendigkeit, von Recht und Unrecht, meine theuern Freunde, sagte ich. Ich gab Nordheim mein Wort, wie mein Herz. Was kann ich sonst thun? soll ich mich entfernen?
Elise und Alban baten mich innigst zu bleiben, Julius würde es nicht ertragen.
Wie manche Verwirrung richten gute Seelen im Leben an, wenn sie den Gesichtskreis edler Naturen mit ihren schwächeren Augen beherrschen wollen?
Julius kam noch denselben Abend zurück. Er war heftig, zerstöhrt; meine Brust war gepreßt bis zum[329] Ersticken, in seinem Anschaun wurde mein Herz in Wehmuth aufgelöst.
Den nächsten Morgen ließ er mich um eine Unterredung bitten.
Seine sanften Züge waren entstellt; Fieberröthe glühte auf seinen Wangen.
Mit zitternder Hand reichte er mir einen Brief. Lesen Sie, sagte er heftig. All mein Bestreben, Ihnen dieses zu ersparen, war fruchtlos. – Lesen Sie. –
Mit bebenden Fingern erbrach ich den Brief. Er war von meiner Mutter.
»Wir sind verrathen, mein bestes Kind, alle unsre Hofnungen sind zernichtet Deinem edlen Vater droht lebenslängliche Gefangenschaft. Der[330] böse arglistige Mann kündigte mir in Gegenwart meines Vaters an, Staatsraison erlaube durchaus nicht deinem Vater die Freyheit zu geben, wenn er solche furchtbare Stütze an Nordheim zum Schwiegersohn bekäme. Er werde auf eine – sche Vestung transportirt werden, wenn wir auf der Heurath bestünden.
Die Albansche Familie sey sehr geneigt zu einer Verbindung mit Julius, diese löse den ganzen verworrenen Handel auf, wir müßten dich dazu bewegen. Mein Bruder kann für jetzt nicht wirken, dein Vater ist in dringender Gefahr, – Julius war mir ein guter Engel, – berathe dich mit ihm. – Was kann ich sagen? was rathen? meine Seele[331] ist an den Grenzen des Wahnsinns! – Jeder Gedanke bricht ab. – Der Fürst will dich selbst in den nächsten Tagen sprechen.«
Julius Zustand hielt meine Sinnen beysammen, wie sehr auch mein Gemüth durch den Brief erschüttert war. Ich behielt ihn sprachlos und sinnend in Händen, ob ich gleich keinen klaren Gedanken festhalten konnte. –
Ich las diese Zeilen! rief Julius. Der tückische schändliche Mensch! Staatsraison – Wohl uns, daß diese Nüanz der Schelmerey ein Fremdling auf unsrer Zunge ist. Die Albansche Familie wünscht die Heurath? Ja, so sind diese alten eingerosteten Staatsmaschienen. Jedes individuelle[332] Interesse suchen sie ins Collective zu spielen, zu vernichten. Das ganze lebendige Herz wird so zum leeren Schall, zum todten Zeichen, – ein altes Familien-Dokument. Verzeihen kann ichs meinem Bruder nie, daß er einen Augenblick von den Schlingen des listigen Alten umfangen wurde.
Er faßte sich jetzt, sah mich sanft an und sagte: Was zu thun ist, liebe Agnes? Mir Ihre Hand zu geben? – ein schmerzliches Lächeln verzog seine Lippen. – Nicht wahr, das wäre so in der Manier des Herrn Ministers? Aber mir Ihre Hand geben, – und gleich nach der Trauung mit Ihrem Vater nach der Schweiz reisen, während ich nach[333] England abgehe, – das ist der Ausweg, den Sie zur Rettung Ihres Vaters vielleicht erwählen müssen!
O Julius! rief ich höchst bewegt, und drückte seine Hand an mein Herz: Mit dieser edlen Hand, die das unaussprechlichste Glück eines freyen Herzens machen müßte, mit dieser edlen Hand soll und muß kein leichtsinniges Spiel getrieben werden!
Beste Seele! sagte er mit dem Ton himmlischer Ruhe; was können treue wahre Menschen anders thun, als den unausweichbaren Leiden ihres Schicksals, mit klarem reinem Sinn, fest vereint begegnen! Das holde Vertrauen, mit welchem Sie meiner Liebe entgegen kamen, ist vielleicht ein so unauflösliches Band,[334] als die Gegenliebe selbst. Bleiben Sie immer frey vor mir, und lassen sich von einem Moment der Schwachheit nicht irre machen. Jeder fühlt wohl zuweilen die zwey Seelen in sich streiten; aber das Vertrauen der Freunde macht stark und groß, und giebt der bessern das Übergewicht.
Nordheim betrug sich gegen mich als gegen einen Starken, und ich wurde es. Und warum sollte ich auch bedürftig und schwach seyn?
Was heißt denn Selbstgenuß, wenn nicht die Wirksamkeit für das Glück geliebter Wesen?
Sein Auge glänzte gleich als im überirrdischen Lichte in diesem Augenblick, und drückte den höchsten Zustand des Gemüths aus, eine Klarheit,[335] nur würdig, sich im endlosen Blau des Äthers zu spiegeln.
Aber in seinem Lächeln war etwas, welches auf ein Unvermögen der Natur deutete, sich der Individualität ganz zu entziehen, in der die Angeln unsers jetzigen Daseyns ruhen.
Sein Empfinden erschien in der Sphäre des menschlichen Seyns als Tugend, während aus dem Blick des fessellosen Geistes die Freyheit des Himmels strahlte.
O Julius, sagte ich, meine Achtung für Sie ist grenzenlos. Ihr großer reiner Sinn ist mir zum Schutzgeist gegeben. Er soll mich leiten. Was soll ich thun? Wie können wir meinen Vater befreyen?[336]
Aller Schein der Widersetzlichkeit ist in diesem Moment gefährlich, sagte Julius. Wenn Sie zum Fürsten kommen, willigen Sie in alles. Noch habe ich Hofnung, Ihnen den entscheidenden Schritt, der Ihre Feinheit beleidigen muß, zu ersparen; fällt diese .... Sein Blick sank zur Erde, eine feine Röthe flog über sein Gesicht, aber schnell sah er mir wieder klar ins Auge und sagte: Doch warum sollte es Ihnen zuwider seyn, sich und Ihren Vater durch den Nahmen Ihres Freundes allen weitern Verfolgungen zu entziehen? Sie erwarten Nordheim in der Schweiz. Er lächelte still, schüttelte den Kopf und sagte: Es ist sonderbar, daß mir das Schicksal diese Illusion weniger[337] Momente an Ihrer Seite noch vergönnt!
Es war ein inniges Widerstreben in meinem Gemüth, dem diese Worte seine volle Bedeutung gaben. Die Furcht, Nordheim zu kranken, war es nicht allein, was mich bis jetzt quälte.
Du solltest spielen mit der Ruhe der besten Seele! solltest ihre Träume eines einmahl heiß ersehnten Glücks mit glühenden täuschenden Farben aufs neue beleben! – Ich bebte vor mir selbst zurück. – Aber dein Vater liegt gefangen! so drang eine schneidende Stimme durch mein Innres, und ich mußte der Nothwendigkeit allein gültigem Ausspruch folgen.
Ich war verwirrt und suchte vergebens[338] nach einem Ausdruck. Sanft und schonend sagte Julius: Ich reise diesen Abend zu Ihrem Vater, vielleicht gelingt mir ein gutes Unternehmen. Nordheim hatte vieles vorbereitet, er traute schon bey seiner Abreise nicht recht.
Ich bat Julius innig, sich auf der Reise zu schonen, da seine Brust litte.
Ich ahndete es doch, rief er aus, da ich gestern Abend die zurückgehaltenen Perlen in Ihrem Auge sah, man hat Sie auch mit kleinlichten Besorgnissen gequält!
Ich bat ihn, mild mit seinem leidenden Bruder und Elisen zu seyn, und sich für uns alle zu schonen.
Seyn Sie unbesorgt, Beste, sagte[339] er beim Abschied, ein Leben für Sie – hat immer seinen Werth. Bewahren Sie in jedem Fall die himmlische Unbefangenheit Ihres Gemüths gegen mich. Diese und die große Seele Ihres Geliebten heilten mich von jeder Schwachheit, die die gutmüthige Ängstlichkeit meines Bruders unvertilgbar wähnte.
Mir selbst überlassen verlebte ich einige höchst unruhvolle Tage. Die Nothwendigkeit mußte mir gebieten, aber immer sah ich neue mögliche Fälle, die ihren strengen Schluß abzuändern vermöchten.
Rege Lebensmomente sind es, wo wir selbst die Wagschale unsers Lebens in der Hand zu halten wähnen! Uns ists wie dem Wandrer,[340] der im Schooß der Gebirge im Morgennebel wallt. Alle Gestalten schweben in schwankenden Umrissen vor ihm. Bald erblickt er einen fürchterlichen Abgrund, bald eine lachende Ferne. Aber wenn wir wählen sollen unter den Schmerzen, die unserm Entschluß nothwendig folgen, wenn eines unsrer Geliebten leiden muß, dann drängen sich alle Räthsel unsers engbeschränkten menschlichen Daseyns um uns her, und unser Herz erliegt unter ihrer Last. Die Stimme des Rechts, der innren Nothwendigkeit unsers Wesens, selbst diese spricht nicht stark genug. Wir vermögen uns selbst aufzuopfern, aber ein geliebtes Wesen zu kränken, da versagt unsre Kraft. Unser Herz[341] treibt unsern Verstand im Zirkel des Wahnsinns herum, vergebens versucht er in tausend neuen Combinationen der Verhältnisse, sich dem unausweichbaren Geschick zu entziehen. Glücklich, wem sein Genius hier erscheint, der seinen heiligen Schleier um unser Auge hüllt, und uns mit freundlicher Gewalt fortzieht!
Den dritten Tag nach Julius Abreise kam ein Bothe von meiner Mutter, mit einer Einladung des Fürsten an uns alle, ihn noch heut auf dem Lustschloß zu besuchen.
Ich bemerkte ein geheimnißvolles Wesen zwischen Alban und Elisen. Elise war geschäftiger als je, mich zu schmücken; als sie meine Haare mit Rosen durchflochten hatte, sagte[342] sie: Und die Myrthenkrone hältst du deiner Freundin verborgen, oder Julius wird sie dir erst reichen?
Ach die Myrthe ist kein Baum der Glückseligkeit für uns, sagte ich. Sie schwieg traurig. Alban war nachdenkend auf dem Wege. Es schmerzte mich, daß die guten Seelen Erwartungen schöpften, denen mein Innres widersprach.
Der Fürst empfing mich gütig. Meine Mutter nahm mich in ein Fenster, küßte mich weinend und sagte: Mein Kind, wie kann ich dir danken!
Ich bemerkte lange Gespräche zwischen Alban und dem Minister, geheime Winke des Fürsten. Etwas außerordentliches schien im Werke zu[343] seyn, alle Augen waren auf mich gerichtet. Madam Imbert hielt mich in einem Vorzimmer mit einem weitläuftigen Glückwunsch auf, der alte treue Diener flüsterte mir leise den seinen zu. Alles schien zu einem Feste geordnet. Mein Herz schlug voll ängstlicher Erwartung.
Der Abend war heiter, die Gesellschaft stand auf einem Balcon, vor dem ein weiter Grund lag, den die breite Landstraße in Krümmungen durchschnitt.
Ein Wagen fuhr rasch dem Schlosse zu. Es ist meines Bruders Wagen! rief Alban.
Der Minister fragte den Fürsten, ob er in den Saal gehen wollte, Herr von Alban würde sogleich hier seyn.[344]
Der Fürst bot mir die Hand; ich zögerte ihm die meine zu reichen, und bebte zitternd zurück. Ein sorgsamer Blick meiner Mutter, – und ich folgte ihm ohne Widerrede.
Die Ruhe, die Sie über die letzten Stunden eines Greises verbreiten, sagte mir der Fürst im Gehen, werde ein Segen für Sie.
Die zitternde dumpfe Stimme des Greises, die bebende Brust, die zitternde Hand in der meinen – gab diesen Worten eine Gewalt, die in allen meinen Nerven wiedertönte. Guter Mann, sagte ich in meinem Innren: warum trennen mich die unvertilgbaren Züge des Vorurtheils von deinem Herzen!
Kaum waren wir in den Saal[345] getreten, als ein Geistlicher erschien, der mich mit tiefen Verbeugungen und einem langen Glückwunsch empfing.
Der Bräutigam wird sogleich hier seyn, sagte der Fürst.
Eine Seitenthür in eine kleine Kapelle öfnete sich. Die Lichter glänzten auf dem Altar, der Geistliche stand mit der Agende in der Hand vor demselben. Die Kirche war dichtgedrängt voll Zuschauer, und ein feierlicher Kirchengesang schallte dumpf aus den Hallen des Gewölbes.
Ich athmete schwer, mein Herz zog sich krampfhaft zusammen; bald glühte ich, und bald schüttelte ein Fieberfrost meine Glieder durch einander. Meine Nerven wirbelten vom[346] Kopf bis zur Ferse, mir war als sänke ein Flor vor meine Augen, der immer undurchdringlicher wurde.
Als meine Sinne sich wieder den gegenwärtigen Erscheinungen eröffneten, fühlte ich meine Hände sanft gehalten, und meine Blicke fielen auf den Arzt, auf meine Mutter. Der Anblick des Arztes versetzte mich in andere Zeiten, aber ich schauderte, als ich die Wände des Saales wieder um mich erblickte.
Der Arzt sagte mir: Die Trauung wird nicht vollzogen, Julius sendete mich zu Ihnen. Beruhigen Sie sich, und lesen Sie diese Zeilen.
Er entfernte sich, und ich las:
»Ich war glücklich. Ihr Vater ist frey. Jede Sorge falle jetzt von[347] Ihrem Herzen. Der Arzt wird alles übrige einleiten!«
Das höchste glühendste Leben schwellte meinen Busen, ich sprang auf, lag sprachlos zu den Füßen meiner Mutter, und hielt ihr die Zeilen vor.
Der Arzt kehrte zurück und sagte uns, daß er an Herrn von Alban den Auftrag seines Bruders ausgerichtet, welcher dem Fürsten sogleich gemeldet hätte, daß Julius, von einem schnellen Übelbefinden angefallen, sich für heute entschuldigen müsse, die Ceremonie zu unterbrechen. Der Fürst habe sich mißmuthig auf sein Zimmer begeben, und Herr und Frau von Alban warteten auf mich, um wegzufahren, er selbst wollte uns begleiten.[348]
Elise kam, sich nach meinem Befinden zu erkundigen; sie war mehr sanft traurig, als verstimmt.
Ich versprach meiner Mutter, den folgenden Morgen Nachricht durch den Arzt zu senden, und Alban führte mich zum Wagen.
Wir fahren über E. zurück! sagte er dem Kutscher beym Einsteigen. E. war der Nahme eines kleinen Guts, welches sich Julius besonders eingerichtet hatte.
Der Arzt war ein Vertrauter des Albanschen Hauses. Er wußte Nordheims Liebe für mich; aus meiner Abneigung gegen eine andere Heurath schloß er, wie natürlich, daß der Minister mich zur selben zwingen wollte; dieß befremdete ihn weiter[349] nicht, denn man war seiner krummen Wege, und seiner Einmischung in Familienverhältnisse schon gewohnt.
Julius sey bey ihm vorgefahren, sagte er uns, habe ihn gebeten, eilends in seinem Wagen nach dem Lustschloß zu fahren, und die Briefe an mich und Alban zu bestellen. Während dem sey jener mit noch einem Fremden in eine Postchaise gestiegen, und eilend weggefahren.
Der Wagen des Arztes folgte uns, und wo sich die Straße theilte und nach dem Städtchen zog, stieg er aus, mit dem Versprechen mich den nächsten Morgen bey Albans zu besuchen.
Alban sagte mir, als wir allein waren, wir würden Julius selbst in E. finden, mit noch einem Freunde.[350]
Sein bedeutender Blick sagte mir, daß er wohl wüßte, wer dieser Freund sey. Mein Herz ergoß seinen Dank, seine Bewunderung für Julius mit Entzücken.
Die Gemüther meiner Freunde waren reingestimmt, um ein edles Betragen zu empfinden, ob sie gleich nicht immer die Energie hatten es zu ihrem eignen zu wählen. Mit ihrer ganzen Herzlichkeit faßten sie mich aufs neue, und im Gefühl des hohen Sinnes eines geliebten Bruders, verbanden wir uns wie in einem neuen Element zur zarten Freundschaft.
Julius empfing mich in E. am Wagen, und führte mich in ein entlegenes Zimmer, wo ich die Gestalt meines verehrten Vaters erblickte.[351] Frey lag ich jetzt mit unaussprechlicher Liebe an der treuen Brust, die so oft schon mein Wesen in seinem Innersten vernommen hatte.
Im Gefühl einer Würde, die nicht fürchten darf erkannt zu werden, hatte meines Vaters Gestalt einen Ausdruck von ruhiger Kraft genommen, der stille Verehrung gebot.
Julius wollte sich entfernen, wir baten ihn beyde, sich nicht von dem Glücke unsers Herzens, seinem eignen Werke, zu trennen. Ich vernahm jetzt die Geschichte der Befreiung meines Vaters, von der mich Julius aus zarter Schonung erst nach dem glücklichen Erfolg unterrichten wollte.
Schon damahls, als Nordheim[352] mich selbst gewaltsam aus dem Schlosse des Fürsten entreißen wollte, hatte er auch den Anschlag mit Julius gefaßt, meinen Vater zu befreien.
Mein Vater verwarf den Vorschlag, hoffte, der Sinn des Fürsten würde sich durch mildere Maßregeln am ersten gegen ihn verändern, nur mich wünschte er in Nordheims Händen zu sehen.
Man hatte den Prinzen zu keinem Unternehmen gegen seinen Vater ziehen wollen.
Jetzt, während Nordheims Abwesenheit, wurden die Umstände dringender. Die neuen Drohungen gegen Hohenfels, das Bemühen, mich von Nordheim zu trennen, bewogen Julius nach D. zu eilen, und den[353] Prinzen zu meines Vaters Befreiung aufzurufen.
Äußerst entrüstet über die Unverschämtheit des Ministers, der den Fürsten von Ungerechtigkeit zu Ungerechtigkeit hinriß, beschämt durch die Untreue an Nordheim, entschloß er sich zur lebhaften Wirksamkeit. Er ließ den alten Officier zu sich rufen, entdeckte ihm die Nothwendigkeit Hohenfels zu befreien, und entzog ihn selbst aller Verantwortung, indem er ihn mit einer guten Pension außer Landes schickte. Julius war während dem auf dem festen Schlosse, und die übrige Garnison wurde bestochen. Mein Vater gab den dringenden Umständen nach, und entschloß sich zur Flucht.[354]
Nach einer Zusammenkunft mit meiner Gemahlin reise ich sogleich ab, sagte mein Vater, um unsern Freund in keine weitern Verlegenheiten zu setzen. Wird mir meine Agnes nach der Schweiz folgen? Wird unser edler Freund uns gern begleiten?
Während der ersten Tagereise, sagte Julius, wo ich Ihnen vielleicht dienen kann; hernach versprach ich dem Prinzen, in D. bey ihm zu bleiben.
Wir blieben in Julius Hause, weil es dem Zufluß der Fremden weniger ausgesetzt war.
Den nächsten Morgen kam der Arzt auf mein Zimmer; er hatte meine Mutter schon gesprochen, da er wegen der Krankheit des Fürsten auf das Lustschloß gerufen worden.[355]
Meine Mutter schrieb mir, der Prinz sey angekommen, der Minister sey demüthig gegen ihn, da er uns mit keinem üblen Einfluß auf Hohenfels Schicksal mehr drohen könne, und habe versprochen, Hohenfels Entweichung dem Fürsten ganz zu verbergen, ihn auch über die fehlgeschlagene Trauung zu trösten, und ihm meine Entfernung aufs neue als ein hinlängliches Mittel, das Geheimniß zu verwahren, anzuempfehlen.
»Müssen uns aus dieses bösen Mannes verschobenem Gehirn, wie aus der Büchse der Pandora, alles Übel, alle unglücklichen Begebenheiten hervorgehen? rief mein Vater. Traurig ists, daß die Wirkung des Bösen einen rascheren Gang haben[356] muß, als die des Guten. Der Böse verfolgt nur sein Ziel, tritt ohne Zögern die blühenden Saaten darnieder, durch welche der Gute mit mildem Herzen einen schlängelnden Pfad sucht. Er fühlt, daß er nur die Wirkung des nächsten Augenblicks zu bestimmen vermag, und daß diese, vom raschen Schicksal ergriffen, – in die Fluthen des regen Lebens versinkt. Rein menschlich ist es, keinen Augenblick Böses wirken wollen. Nur einem höheren Genius ist die Zukunft auch zugleich die Gegenwart.«
Wir freuten uns, daß das Gemüth des Fürsten nicht in den letzten Tagen seines Alters noch durch Widersprüche gereizt werden sollte. Ich entschloß mich, ihn noch einmahl zu[357] besuchen, und den Frieden seines Busens ganz herzustellen.
Meine Mutter hatte eine Zusammenkunft mit meinem Vater in einem entlegenen Wäldchen in Julius Garten. Wir überließen diese theuren Augenblicke den glühenden zarten Seelen ganz unentweiht.
Ich begleitete meine Mutter nach dem Lustschloß. – Süße Augenblicke, wo ich ihr Herz ruhig und liebeschlagend an dem meinen fühlte! An Entbehrungen gewöhnt, achtete sie selbst nicht die Entfernung ihrer Geliebten, über dieser ihrer glücklichen Vereinigung.
Der Fürst hörte es gern, als ihm meine Mutter sagte, daß ich mich bey ihm beurlauben wollte. Er lag[358] auf einem Ruhebette, und beugte den Kopf freundlich, als ich mich ihm näherte. Ich war tief bewegt, mir war als risse die kalte unsichtbare Hand des Todes alle goldene Lebenshofnungen aus meinem Busen.
Ich sagte ihm: der Antheil den er an meinem Schicksal genommen, machte es mir zur Pflicht, es für die Zukunft ganz in seine Hände zu legen.
Ich schwöre Ihnen, sagte ich, indem ich an seinem Bette niederkniete, auf das heiligste schwöre ich es, nie eine Heurath als mit Ihrer Bewilligung zu schließen.
Er legte seine zitternden Finger an meine Wangen, Thränen rollten in seinen erloschnen Augen, und sanft sagte er: Wir gehören uns selbst[359] nicht an, der Glanz unsers Hauses ist ein Gut, das wir unsern Nachkommen zu überliefern schuldig sind; – darnach beurtheile mich auch du, gutes Mädchen!
Er umarmte mich und sagte: Was ich für dich thun kann, soll geschehen. Nimm meinen ganzen Segen.
Schmerzlich riß ich mich von ihm los, im Gefühl, daß ich ihn nie wiedersehen würde.
Durch die Thür sah ich ihn noch einmahl, daß er heiter gen Himmel blickte, und hörte, daß er meine Mutter freundlich zu sich rief.
Meine Mutter und der Prinz waren mit meinem Betragen höchst zufrieden, und wir verließen uns unter zärtlichen Umarmungen.[360]
Als Bettina die Reiseanstalten für mich machen sah, drang sie auf das lebhafteste in mich, mich begleiten zu dürfen.
Es schmerzte mich, dem lieben Geschöpf, von dem ich so viele Beweise der treusten Liebe empfing, diese Bitte abzuschlagen, aber ich hatte einen Brief von der Gräfin erhalten, in welchem sie mich bat, ihr Bettina zuzusenden. Battista war schon bey ihr, und wurde als ihr Sohn gehalten und erzogen.
Die Gräfin selbst hatte sich auf unser aller Zureden entschlossen, die Seereise aufzugeben, und ihren Gemahl in Holland zu erwarten. Durch den Freund aus der Schweiz hatte sie die Nachricht seines jetzigen Aufenthalts[361] erfahren. Er war nach dem Vorgebirge der guten Hofnung zurück gereist, wo er auf einer kleinen Besitzung mühselig lebte.
In Holland wollte die Gräfin selbst die besten Anstalten zu seiner Reise nach Europa treffen. Ihre Güter hatten sich unter Nordheims Verwaltung in guten Stand gesetzt, und sie dachte dort mit ihrem Gemahl künftig zu leben.
Bettina wollte immer durch ein leidenschaftliches romantisches Interesse befangen seyn. Ich erzählte ihr das Schicksal der Gräfin, ihr nahes Verhältniß zu ihr, die Hoffnung ihren Vater wieder zu sehen, und ihr reines zartes Gemüth ergriff nun seine Pflichten mit aller Gewalt der[362] Neigung. Ja, ich will leben für die gute unglückliche Frau, rief sie aus, und will mich auszubilden suchen zu deiner und ihrer Freude!
Julius begleitete uns, und schied von uns, in lauter Glanz und Klarheit gehüllt, wie ein Bothe des Himmels, der sich bewußt ist, uns auch unsichtbar gegenwärtig zu bleiben.
Mein Genius hatte mich beim Scheideweg meines Lebens gewaltsam ergriffen und in eine veränderte Laufbahn gezogen. Das ewig reine rege Verlangen meines Wesens nach Nordheim, das mir seit seinem ersten Anschaun durchs Leben folgte, erhielt mich in einem sonderbaren abwechselnden Zustand. Wenn die Zeiträume, welche wir durchleben, mehr[363] nach dem Kreis unsrer innern Erscheinungen bezeichnet werden müssen, als nach den äußern Eindrücken und Spuren, die wir von der Welt um uns her empfangen, oder ihr geben, so sind Tage der Liebe reicher und lebenvoller, als Jahre der Gleichmüthigkeit.
Schmerz und Vergnügen entreißen sich wechselnd die flüchtigen Momente, und der immer lebendige Strom der durch unsre Seele rinnt, nimmt oft das Bewußtseyn mit hinweg. Das Gedächtniß hat keine Zeichen für diese bewegliche Fluth innrer Regungen, das geheimnißvolle Wesen der Musik ist am vertrautesten mit ihnen, die Töne folgen den Zaubereien unserer Gefühle in ihre feinsten Beugungen,[364] in ihr stärkstes unerschöpfliches Leben.
Die raschen schnellen Würfe des Schicksals, die einem so stillen einförmigen Leben folgten, drängten mich gleichsam in mich selbst zurück. Mir war oft, als hätte ich Nordheim durch mein dem Fürsten gegebenes Versprechen gekränkt. Dann war es, als dürfte ich keine Gestalt mehr fest halten, – alles entflog mir unter der Hand, als ein täuschender Schatten. Zur heitern Ruhe und Sicherheit des Daseyns konnte ich auf diese Art nicht kommen, und in meinen klärsten Augenblicken fühlte ich hart ihren Mangel. Unser Wesen scheint so sehr auf eine nothwendige Harmonie mit der uns umgebenden[365] Welt berechnet zu seyn, daß ein gewisses klares Gefühl des Daseyns uns doch einzig aus dieser zuwächst. Und ist nicht am Ende dieses klare Gefühl unsrer Selbst in einem lebenreichen Ganzen, die bleibende Gestalt, in der wir den tausendfach wechselnden Proteus, die Glückseligkeit, fassen?
Mein Vater verstand meinen ganzen Zustand mit seinem gewohnten zarten Sinn. Vergebens hatte ich ihn gebeten, den Freund meiner Jugend in Hohenfels auf unsrer Reise zu sehen. Erwarte eine günstigere Gemüthsstimmung, liebes Kind, sagte mir mein Vater sanft. Der edle Greis ist von jeder Wallung der Leidenschaft so fern, daß ihm der Zustand[366] worin du jetzt bist, unvernehmbar oder zerstöhrend seyn muß.
Ich fühlte diesen Grund nur allzurichtig, und gab meinen Wunsch auf.
Die Zerstreuungen der Reise wirkten bald wohlthätig auf mein Gemüth.
Welchen neuen Ton giebt es unserm innern Sinn, wenn unsre Tage im wechselnden Reiz der Naturerscheinungen verfließen, wenn unser Gesichtskreis sich mit immer neuen Bildern füllt, die im Wechsel des Morgen- und Abendlichtes tausend zauberische Verwandlungen annehmen.
Die weite Natur hat eine beruhigende Antwort für jeden Zustand[367] unsers Gemüths. Wenn wir in dem frischen Duft des Waldes unter einem Gewölbe von Laub in stille Betrachtung versinken, bis alle Schauer wehmüthiger Erinnerungen sich um uns her drängen, dann auf einmahl in eine weite Ferne schauen, wo die feinste Linie am Horizont in den blauen Himmel verfließt, und wo mannichfache Städte und Thürme aus der Ebene steigen; dann wird unsre Fantasie in eine Welt neuer Bilder und Lebensweisen hinübergezogen, und unser Herz erhebt sich aus den Fesseln seines Grams zum freundlichen Antheil an dem Leben und Wirken um sich her.
Wir fühlen unsre Einschränkung, der Kreis unsrer innren Sorgen fängt[368] an sich freundlich und mild aufzulösen, und wir schweben in eine freiere Region hinüber. Die umgebende Welt spricht uns wieder laut an; sie schien uns eine todte Masse, so lang der Kummer auf unserm Busen lastete, und eine lebendige Sympathie verbindet uns wieder mit den Wirkungen des mannichfachen Lebens.
Wir flogen in einem leichten Wagen durch manche liebliche Gegend, und endlich durch den schönsten Theil Oberschwabens der Schweiz zu. Architektur und Mahlerei waren neben den Naturschönheiten, die Hauptgegenstände unsrer Beobachtungen, und mein ungeübter Sinn schloß sich unter der Leitung meines Vaters auf.
Das harmonische Gefühl, welches[369] die reinen Verhältnisse der Baukunst geben, bewegte meine Seele tief, und von allen Schauern der Größe und Erhabenheit durchdrungen, stand ich vor den Monumenten gothischer Kunstfantasie.
Es war mir ein unvergeßlicher Augenblick, als ich zuerst die Eisberge empor steigen sah. Wir selbst scheinen in eine neue Existenz hingezogen, wenn wir unsern Wohnplatz, die Erde, sich mit den Massen der Wolken vermischen sehen. Der Bodensee mit seinen lieblichen Ufern und ernstfeierlichen Bergen, entschleierte sich nach und nach vor uns, und nun eilten wir von einem schönen erhabenen Gegenstand zum andern.
In dieser herrlichen Natur, sagte[370] mein Vater gerührt, wo wir uns auf jedem Schritt von den Zauberformen der Schönheit umfangen fühlen, hier ist der Ort für zwei liebende Herzen, denen das Schicksal nach einem stürmischen Leben noch wenige freundliche Tage vergönnt. Hier wird auch dein sehnendes Herz sich wieder zu den glücklichen Träumen der Zukunft stärken, bis Nordheim zurückkehrt. Hier wollen wir uns einen einsamen Wohnplatz aussuchen!
In der nächsten Stadt, wo wir übernachten sollten, fand mein Vater einen Brief, den er mit sichtbarer Bewegung las.
Der Fürst ist todt! sagte er mir, als er ausgelesen hatte. Der Prinz[371] und meine Gemahlin wünschen unsre schnelle Rückkehr.
Alles ist also aufgelöst, sagte ich. Traurig ist es, daß nur der Tod eines guten Mannes die Verwickelung unsers Schicksals lösen mußte! Sein Leben hätte unser reinstes Glück machen können. Sein Herz war geschaffen, um uns zu lieben. –
Mit Wehmuth, mit Verehrung dachte ich an den letzten Augenblick, wo ich den Greis gesehen. Wie rege war sein Herz! Warum mußten Eigennutz und Arglist es umstricken, seine freien Bewegungen für uns hemmen! O welche heilige Kraft der Liebe unterläge nicht dem weitgesponnenen Gewebe tausend kleiner Leidenschaften! Jedes sanfte Gefühl[372] verwandelte sich zum Schmerz in seinem Busen, wo noch ein Traum von Liebe aufdämmerte.
Mein Vater entdeckte mir den Entschluß, seine Ehe für immer in den Schleier des Geheimnisses zu verhüllen.
Meine Gemahlin und ich ehren so den Willen des Entschlafenen, sagte er. Es lehrte mich nicht nur mein eignes Schicksal, sondern auch der freie Blick ins Leben, daß das stille Fügen in manche Verhältnisse, der Gewohnheit zur Tugend günstiger ist, als das Überspringen derselben. Ich mag mich durch meine Handlungsweise nicht laut zum letzteren bekennen. Mein Vater wollte mich für seine Tochter, aus einer[373] während seiner Abwesenheit von Hohenfels geschlossenen Ehe, erklären, die der Tod wieder getrennt hätte.
Wir beschleunigten unsre Rückreise so sehr als möglich, und nahmen den kürzesten Weg nach D.
Mein Gemüth konnte die heitre Zukunft nicht fassen.
In mehreren Paketen von nachgeschickten Briefen hatte ich keinen von Nordheim gefunden. Tausend Besorgnisse quälten mich, und alle schönen Träume, die mir in der ersten Zeit seiner Entfernung, in dem Zauber eines ununterbrochenen Briefwechsels geblüht hatten, verkehrten sich zu furchtbaren Gestalten. Er hat dein Betragen übel gedeutet, sagte ich mir, und schweigt darum.[374]
Wenn die glückliche Liebe einmahl von der Sorge umschlungen wird, dann ist ihr Schmerz unaussprechlich, weil er zwei Herzen in einem trifft. Die Hofnung schweigt vor dem allgewaltigen Drang des Verlangens, und wird von glühenden Erinnerungen verzehrt. Jedes Geschäft dünkt uns eine Zerstreuung, der Lauf des Tages nur ein mühevoller Wechsel der Arbeit, jedes gleichgültige Wort eine Wunde.
Wenn die Sterne in Osten entglimmen, dann dringt etwas Lebendiges an unser Wesen. Es ist als ob eine sanfte Hand uns faßte, die Seele löste, und hinzöge in das tiefe Blau der unendlichen Ferne.
Das Bild unsrer Liebe wird gleichsam[375] eins mit den Sternen, es ist die geliebte Gestalt, die uns ergreift! Dann hat gleichsam die Unendlichkeit ein Zeichen, einen Ring, an dem wir uns in ihr fest halten, und unser Schmerz löst sich, wenn die Banden des Raums von uns fallen.
Das heilige Leben der Natur, ihre zarten nie verblühenden Gestalten ziehen uns ins Reich der unermeßlichen Kräfte.
Der unendliche Himmel liegt vor unserm Auge, das Geräusch der Wasserströme, Symbole des nie stockenden Lebensquelles der Natur, tönen in unserm Ohre; – so dringt heilige, unendliche Fülle durch unsre Sinne, und der Sturm der Sehnsucht[376] verwandelt sich in ein laues Lüftchen.
Aber jetzt schallt der Ton einer Glocke durch die Nacht, und wir kehren mit unserm Empfinden in das engbegrenzte menschliche Seyn, in die Bande der Zeit zurück.
Unser Herz sucht den Geliebten aufs neue, und findet nur seine Sehnsucht wieder.
Mein Vater, gewohnt in meiner Seele zu lesen, folgte meiner Stimmung. Die Sehnsucht wahrer Liebe hat keine Sprache, aber meine Besorgnisse, meine Unruhe, die sich auf jeder Post vermehrten, wo ich Briefe erwartete und nicht fand, beantwortete er oft nur mit einem stillen[377] Lächeln, oft mit dem sanften Vorwurf:
Und alles dieses um einen ausgebliebenen Brief, der so tausend Zufällen unterworfen ist?
Es war etwas Fremdes in diesem Betragen, was mein Herz verschloß und meine Unruh vermehrte.
Das Wetter fing an trübe zu werden, ein trauriger Nebel lag auf allen Gegenden, wie auf meiner Seele.
Wir fuhren eines Abends tiefer in die Nacht hinein als gewöhnlich. Wir waren beide still in die Ecken des Wagens gedrückt. – Nur zuweilen drückte mir mein Vater lebhaft die Hände. Als der Wagen hielt, stieg mein Vater rasch aus,[378] zog an einer Glocke. Ein Licht erschien in der Thür. Mein Vater gab mir den Arm, wir folgten schnell dem Diener, der das Licht trug, und ich verbarg meine Augen vor dem Schimmer, der mich nach der Dunkelheit blendete.
Die Thür öfnete sich, ein Licht stand ihr gegenüber; bekannt und vertraulich sprach mich die ganze Anordnung beim ersten Blicke an. Es dünkte mir das Zimmer meines Pflegevaters. Wie in einem Zauberkreis von meiner Verwunderung gefesselt, wagte ich nicht, vorwärts zu gehen. Zwei Gestalten erhuben sich vom Kamin. In der Dämmerung, welche die Tiefe des Zimmers umhüllte, schwankte ihr Umriß vor meinen geblendeten[379] Augen. Jetzt fielen die Lichtstrahlen auf sie, – und ich lag in Nordheims, in meines Pflegevaters Armen.
Die Ströme der reinsten unnennbaren Wonne flutheten so gewaltig um mein Herz, daß die Bewegungen des gewöhnlichen Lebens stockten. – Schwindelnd sank ich in Nordheims Arme, zog meinen Vater an mein Herz, und aufgelöst in Harmonie, verhallte mein Bewußtseyn in dem grenzenlosen Genuß der Liebe.
Ich befürchtete es, daß der Eindruck zu stark auf sie wirken würde, – waren die ersten Worte, die ich wieder vernahm. Mein Vater hatte sie ausgesprochen, und der Prediger[380] antwortete: Die Wallungen der Freude hemmen den Lauf des Lebens nur, um ihn mit neuen Schwingen zu beflügeln; sie wird bald wieder bei sich seyn.
Der goldne Duft war vor meinen Augen zerronnen, ich sah die geliebten Gestalten hell vor mir. Nordheim kniete an meiner Seite, und unterstützte mich mit seinen Armen. Ich las nur Zärtlichkeit in seinem Auge, keine Spur des Vorwurfs.
Jedes suchte nun den holden Schatz seiner Empfindungen im eignen Busen zu versenken, um mich mit ihrem allzugewaltigen Ausdruck nicht anzugreifen.
Unser Glück wurde ein sanfter[381] erstohlner Genuß, wir wähnten, uns gegenseitig unsre zeither durchlaufenen Verhältnisse aus einander zu legen, aber augenblicklich ergriff uns wieder die süße Verwirrung liebender Herzen, denen jeder Ausdruck der Sprache schwach und langsam dünkt.
Unser glückliches Zusammentreffen klärte sich jedoch aus dem folgenden Zusammenhang der Begebenheiten auf.
Nordheim hatte sein Geschäft mit einer nur ihm gegebenen Gewalt über die Gemüther schnell und glücklich beendigt. Julius Nachrichten von der Falschheit und Wortbrüchigkeit, zu welcher der Minister den Fürsten bewogen, die Nachricht von[382] der Gefahr, in der Hohenfels schwebte, die Gewalt, mit der man mein Verhältniß mit Nordheim, durch eine andere Verbindung aufzuheben strebte; – dieses alles erfuhr Nordheim erst durch die Briefe, die den Tag vor seiner Abreise ankamen.
Im Zweifel, wie die Sachen stehen möchten, wagte er nicht, mir zu schreiben, sondern reiste selbst mit unglaublicher Schnelligkeit nach D.
An dem Tag seiner Ankunft erfolgte der Tod des Fürsten. Er wollte mir nachreisen, der Prinz bat ihn inständig zu bleiben, auch fürchtete er, wir möchten uns verfehlen. Er schrieb mir; der Prinz, der den Brief zum Einschluß bekam, behielt ihn zurück. Er hatte die Idee einer[383] frohen Überraschung zu lebhaft gefaßt, und leitete alles dahin, sie auszuführen.
Der Minister bekam seinen Abschied, und trug die Schande und den Mißmuth fehlgeschlagner Plane des Eigennutzes mit in die Einsamkeit.
Julius übernahm seine Geschäfte. Sein edles Herz, das jede Thätigkeit in ihrer tiefsten und höchsten Beziehung ergriff, schien in der Wirkung auf ein großes lebenvolles Ganze ein neues Leben zu athmen.
Sein Bruder war sein treuer Mitarbeiter.
Der Prinz bat Nordheim, mit der Salmschen Familie wegen Hohenfels Gütern zu verhandeln. Man[384] wollte wegen des ganzen Verhältnisses kein Aufsehen machen, sie wurde mit einer Geldsumme abgefunden. Nordheim mußte selbst, um die Güter zu übernehmen, nach Hohenfels reisen, und wollte dort die Nachricht meiner Zurückkunft und Reiseroute erwarten, um die er mich in dem untergeschlagnen Briefe gebeten, um mir sodann mit dem Prediger entgegen zu reisen.
Von Nordheim hatte mein Pflegevater die Rückkehr seines geliebten Gutsherrn vernommen, und in diesem auch den Vater seiner Agnes, einen unnennbar verpflichteten Freund kennen lernen.
Herr von Salm war schon abgereist,[385] und alles zum Empfang meines Vaters bereit.
Mein Vater wurde von dem Prinzen benachrichtigt, daß er Nordheim in Hohenfels treffen würde, und dringend gebeten, ihm die Freude unsrer gegenseitigen Überraschung nicht zu verderben.
Meine Mutter genoß unser Glück in der Entfernung, wie es ihre Lage forderte, aber mit dem ganzen Entzücken, dessen ihre zarte Seele fähig war. Ihre warme Einbildung zauberte sie in die Gegenwart ihrer Geliebten, keine Trennung war für sie.
Die gute treue Rosine umarmte mich mit tausend Freudenthränen, hatte mit sibyllinischer Weisheit vorhergesagt, wie es kommen würde,[386] und bediente uns mit unerschöpflicher Redseligkeit. Wie lieblich flogen die guten Geister meiner Jugend um mich her! Aller Hausrath der stillen einförmigen Wirthschaft, jeder Winkel des Hauses rief mir eine holde Erinnerung zurück. Bildend wirkten die Spuren der Vergangenheit auf mein Gemüth; möchte ich bleiben wie hier alles blieb, rein, einfach und still!
Mein Vater sollte den nächsten Tag einen feierlichen Einzug ins Schloß halten; man wollte den guten Leuten, bei denen noch die Feste ein Ausdruck des Herzens sind, die lebendigste Erinnerung dieses Tages schenken.
Man sprach von den Anstalten[387] zu meiner Trauung, sie sollte im Schloß vor sich gehen. Mein Vater, sagte ich zum Prediger, ich wünschte, sie möchte hier seyn, hier in diesem Zimmer voll heiliger Erinnerungen der ersten Stunde der Liebe. O jener Abend, mein Vater, – ist er Ihnen nicht auch so unvergeßlich?
Nordheim dankte zärtlich, stimmte lebhaft in meinen Wunsch ein, und flüsterte mir sanft zu: Wenn es hier seyn darf, meine Agnes, warum nicht heute, warum nicht jetzt? Darf ich Ihren Vater bitten?
Der Prediger hatte Nordheims Wunsch vernommen, und rief lebhaft: Sie haben Recht, der Becher der Freude muß voll werden! Es[388] giebt keinen schönern Augenblick, um Euer Bündniß zu schließen!
Mein Vater bat mich, einzuwilligen.
Rosine wand einen Myrthenstrauch zum Kränzchen, und schmückte mein ehemahliges kleines Wohnzimmer zum Brautgemach.
So reicht mir auch die Vorsicht noch diesen Genuß, rief der Prediger, indem er mich Nordheim zuführte. Ich sehe das Glück meiner Agnes in würdigen Händen.
Ich empfange alles mit ihr, sagte Nordheim. Was ist das Leben, wenn es nicht unser Herz zu einem Ganzen macht? Am Ziel der Wissenschaft, der Tugend fühlt der Mensch immer nur das Wachsthum seiner[389] Kraft, die ganze Kraft selbst fühlt er nur in seiner Liebe!
Man hatte im Dorfe die frohen Begebenheiten vernommen, alles drängte sich zu, und der Abend verging unter rauschender, aber herzlicher Fröhlichkeit.
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