Den guhthertzigen Lesern.

[491] Mein Simson hat nunmehr sein Grab verlaßen. Er hat sich in die heitere Luft begeben. Er ist aus der Nacht zu Lichte gegeträhten. Nichtsdeszuweniger scheinet Er / mitten in der offenen Luft / noch halb begraben. Doch dünkt mich / Er sei mit der nächtlichen Dunkelheit noch etwas ümhüllet. Doch gleichwohl deucht mich / Ihm fehle noch hier und dar / mitten im Lichte / das Licht. Dannoch darf ich zweifeln /ob Ihm / im Tage selbsten / nicht zuweilen der Tag mangele. Nicht zwar der Scharfsichtigen wegen; denen ein kleiner Schein genug ist: sondern der schwachen und blöden Gesichter wegen; denen die Macht und Kühnheit / samt der Kunst und Wissenschaft alles zu sehen gebricht. Ob nun schon jene /derer so gar wenig seind / keines fremden Lichtes bedürfen; indem ihnen ihr eigenes Licht genug leuchten kan: so mus ich doch diesen zu liebe / derer überaus große Mänge vermuhtlich lüsterner sein wird diesen Wunderheld so wohl von innen / als von aussen zu beschauen / ja ihm selbst / so zu reden / ins Hertze zu schauen / ein sonderliches Licht / ihnen die Augen des Verstandes aufzuklähren / anzünden. Ja ich mus meinem durch Hoch-deutschland reisendem Simson / ob er schon Hoch-deutsch zu reden von mir begriffen / einen Sprachdeuter / oder vielmehr Erklährer seiner Reden zufügen: welche den Ungelehrten / und so mancherlei Wissenschaften noch Unkündigen / ihrer Kürtzbündigkeit wegen / auch sonsten etwas dunkel und undeutlich vorkommen möchten. Und hierzu sollen ihm folgende Anmärkungen dienen: welche nicht allein den Nebel etlicher dunkelen Reden zertreiben / sondern auch zugleich anzeigen werden / woher eine oder die andere geflossen / auch wohin sie zielet. Doch diese begleiten Ihn /nicht die Gelehrten / sondern die Ungelehrten zu unterweisen. Nur den Unwissenden zu gefallen hat sie diese Feder aufgesetzt. Den Wissenden redet Simson selbst Deutsch und deutlich genug. Sie bedürfen keines Anmärkens / noch erklährens.[491] Gleichwohl stehet es ihnen frei / neben dem Simson / auch zugleich seinen Geleitsman zu hören. Ich mag es wohl leiden: doch mit dem Bedinge / daß sie ihn / mit eben der Guhthertzigkeit hören / als er redet; und mit keiner ungewaschenen Zunge sich über ihn zu Splitterrichtern machen: indem es ihnen vielleicht scheinen möchte / daß er in etlichen, Dingen alzuweitschweiffig / in andern alzukurtz redete / ja viel nöhtiges mit Stilschweigen gar überhüpfte. Was dieses letztere betrift / mus ich freilich bekennen / daß wegen änge der Zeit / und Heuffigkeit meiner so mancherlei Geschäfte / nicht alles also / wie mein Wille war / hat können erklähret werden. Auch war mit / bei gleichsam gestohlener Zeit / anders nicht vergönnet / als nur obenhin / und mit gantz flüchtig-färtiger Feder folgende Märkzeilen aufzusetzen. Gleichwohl darf ich hoffen /man werde / dieser Entschuldigung zu liebe / alles im besten aufnehmen. Und in solcher so guhten Hofnung / wil ich diese Voransprache schlüßen / und meine Leser / nächst befehlung in GOttes Obhuht / auf was mehres / gegen künftige Zeit / sofern der Ewiglebende mein Leben fristet / hiermit vertröstet haben.[492]

Quelle:
Philipp von Zesen: Sämtliche Werke, 17 Bände, Band 8, Berlin/ New York 1970 ff., S. 491-493.
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