11. Cantata

[324] Daphne:


Sylvander, was hab ich gesehn?

Du liessest Chloen heut ohn einen Morgengruß

Bey dir vorüber gehn.

Ists möglich? reizt dich nicht ihr muntres Angesicht?

Ihr Mund, der klug und schmeichelnd spricht?

Kein Schäfer kann sie hassen:

Sie wollen allesamt das Leben vor sie lassen.

Sylvander du allein

Willst unempfindlich seyn?


Aria.


Die Anmuth blüht auf ihren Wangen.

Vielleicht hat sie dich schon gefangen.

Du schweigst und nährst die reine Gluth.

Ach! schweige nicht: dein sprödes Wesen

Läßt mich mehr als zu deutlich lesen.

Du seyst ihr recht von Herzen gut.


Sylvander:


Das räum ich dir mit freyem Herzen ein.

Ich kann ihr ebenfals wie andre, günstig seyn.

Doch liebt Sylvander nicht,

Wenn er mit Chloen spricht.

Ihr Mädchen denkt wir müssen euch entgegen rennen,

Von einem Blick gleich lichterlohe brennen.


[325] Aria.


Gesteht es nur, ihr guten Kinder,

Ihr wollt, wir sollen zärtlich seyn.

Wie könnt ihr nicht die Augen lenken!

So müssen wir wohl weiter denken;

Gesteht es nur, ihr guten Kinder,

Ihr wollt, wir sollen zärtlich seyn.


Daphne:


Sylvander, rede nicht so frey.

Mir ist es einerley,

Ich bin, wie du gesinnt.

Denn wer mich fangen will, der kommt gewiß sehr blind.

Nichts störet meine Ruh.

Ich scherz und singe mit, und hör auch gerne zu.

Befind ich mich in unsern Reihen,

So tanz ich mit, doch denk ich nicht ans Freyen.


Aria.


Scherzt Schäfer mit den muntern Heerden,

Ergreift den Stock, werft Kloß und Sand.

Rennt Mops mit hundert tausend Sprüngen

Bey eurem Sehnsuchtsvollen Singen

Nach der geliebten Chloe hin;

So denk ich mit Ergetzen:

Der Freyheit ist nichts gleich zu schätzen

Ich liebe sie auch mit Bestand.

Da Capo.


Sylvand:


Komm Daphne, setze dich zu mir.

Sylvander schweret dir,

Die Freyheit und sein Leben[326]

In einer Stunde aufzugeben.


Daphne:


Hier hast du meine Hand

Ich schwere dir bey unserm Hirtenstand,

Mein Herze liebt die Freyheit mehr als Gold.

Ihr Schäfer höret zu, dafern ihr hören wollt.

Sylvander stimme mit mir an,

Was ich itzt kund gethan:


Aria Tutti.


Daphne und Sylvander:


Vertauscht die Hand, vertauscht die Herzen

Ihr Schäfer, liebet, scherzt und springt.

Wir gönnen euch die kurze Freude;

Wir finden unsrer Augen Weide

An dem was man weit edler schätzt.

Da Capo.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, S. 324-327.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hume, David

Dialoge über die natürliche Religion

Dialoge über die natürliche Religion

Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon