112. Auf seiner Tochter Theodore, von zwey Jahren, Heimberufung

[316] 1732.


Herz der göttlichen Natur,

Herz der offenbarten Liebe,

Herz der Triebe,

Meine Seele opfert Dir

Diese hier,

Und im brennenden Verlangen

Deine Salbung zu empfangen,

Oeffnet sich des Geistes Thür.


Dieses war des Glaubens Wort,

Welches meiner Tochter Seele

Aus der Höhle,

Und aus alle ihrem Drang,

Aufwerts schwang;

Dieser Stimme stilles Tönen,

Und der Theodore Krönen,

Waren ein Zusammenhang.


Theurer Heiland! sage mir,

Wie gerath ich arme Made

Zu der Gnade,

Daß Du meiner Kinder Last[316]

Selber faßst?

Denn sie kan so bald nicht drükken,

So befreyst Du meinen Rükken,

Den Du sonst beladen hast.


Theodora Caritas

War zwar eins der ungemeinen

Edlen Kleinen;

Ihrer Hütte engen Raum

Merkt man kaum,

Und ihr Kinder-Sinn und Wille

Reget sich in solcher Stille,

Daß man denkt, es sey ein Traum.


Eben drum, du theures Herz!

Spricht der Hirt der kleinen Schafe:

Dorel schlafe:

Weil es ewig Schade wär,

Wenn die Ehr

Einer unbeflekten Seele,

Ueber der Gefahr der Höhle,

Sich ein einigs mal verlör.


Falle hurtig, viertes Looß,

So mir lieblich ausgefallen;

Unter allen

Findest du das schönste Theil.

Fahr in Eil,

Und bleib im zerspaltnen Herzen

Des verklärten Manns der Schmerzen,

Stekken als ein reiner Pfeil!


Hörst du deines Vaters Rath;

Oder singst du deine Lieder

Etwa wieder?

Daß dir ja der Worte Sinn

Nicht entrinn!

Laß dich deinen König küssen;[317]

Will Er aber sonst was wissen,

Statt der Antwort, sinke hin.


Meine Sorg ist aus für dich.

Drum, du Fürst der Seelen-Pflege,

Theurer Hege

Es erstrekt sich ja die Macht

Meiner Wacht

Nur auf die in Hütten wohnen;

Du bist Hüter bey den Thronen;

Nim die Dorel gut in Acht!


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 316-318.
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