23. Auf der verwittibten Frau Gräfin zu Castell 51sten Jahrs-Tag

[68] 1722.


Herr Jesu! segne Sie um Deines Namens willen,

Die unser beyder Herz als Vaters Schwester ehrt.

Ach! fahre fort den Geist zu setzen und zu stillen,

Den noch so mancherley von aussen her beschwert!

O Liebe! hast Du nicht für sie den Tod gelitten,

Nicht Deiner Gottheit Glanz mit Dunkelheit bedekt,

Nicht mit dem hellen Schwarm der Schlangen-Brut gestritten,

Nicht Dich in eigner Kraft für Sie auch auferwekt,

Nicht, daß sie herrschete, Dich selbst zum Knecht verkaufet,

Und dürftig arm gemacht, die Seele reich zu sehn,

Nicht Dich mit Flamm und Brand des Zornes selbst getaufet,

Um Sie zu würdigen durch Meer und Feur zu gehn?

Ja, Herr! dis alles ist für Sie sowol geschehen,

Als uns und andere; Ja darum lidtest Du:

Sie soll Dein Antlitz einst versöhnt im Frieden sehen;

Durch Deiner Arbeit Kraft gedeyhet sie zur Ruh:

Ja: aber darum bist Du nicht herab gekommen,

Daß Du nur blos allein der Sünden-Träger seyst.

Du scheinest, Gnaden-Licht und Leitstern aller Frommen,

Damit du uns zugleich von aller Nacht befreyst.

Dein Wandel solte uns, o Gott-Mensch! deutlich weisen,[68]

Wie jeder Gottes-Mensch in unbeflektem Sinn,

Mit seinem Lebens-Lauf den Namen Christi preisen,

Und also streiten soll, daß er den Kranz gewinn.

Als Christ ist man nicht Graf, nicht Fürst, nicht edler Ritter;

Dis dünkt dem edeln Geist ein ungereimter Tand.

Ihr nicht! ist Christi Wort: Die Lehre schmekt wol bitter,

Wenn man des Christen-Staats Gesetze nicht erkant.

Denn hiemit werden nicht die Stände aufgehaben:

Die sind in ihrer Art als wie ein Boten-Schild,

Damit wir durch das Land der Cananiter traben,

Wo als ein Passeport der Ehren-Titul gilt.

Wie macht es dann ein Christ, bey dem sich Würde zeiget?

Er braucht sich seiner Höh, in grosser Niedrigkeit;

Sitzt er im Fürsten-Glanz, die Seele liegt gebeuget,

Und hälts für Tages-Last der letzten bösen Zeit;

Man hofft, wie David einst, mit denen die auf Erden

Verachtetes Geschmeiß in Michals Augen sind,

Zum rechten Ehren-Schmuk hinauf gerükt zu werden:

Und eben darum wird man hier ein kleines Kind.

Das Eine, was man noch vom hohen Stande haben,

Das, wie man ihn allein im Segen führen kan,

Ist: Sich fein öffentlich mit Christo zu begraben,

So ist man droben groß, so hat der Herr gethan.

Das sehen andere, die werden dann beweget,

Und solches schläget uns zu lauter Palmen aus:

Ein Herz, aus Eifersucht zur Seligkeit erreget,

Baut seinem Förderer ein Stük ans Lebens-Haus.

Nun Hochgeborne Frau, Sie heißt hier nicht vergebens

Und nach dem Schatten groß. Sie ist auch Obrigkeit,

Sie kennt die Last davon, die Pestilenz des Lebens;

So mache sich Ihr Geist zur rechten Höh' bereit.
[69]

Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 68-70.
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