45. Auf der Frau Geh Raths-Directorin und Land-Vögtin letzten Geburts-Tag

[132] 1725.


Zwar bebt der Erden Kreis von so viel eitlen Lasten;

Doch ist sein kleinster Theil am allerschlimmsten dran;

Weil er das ganze Heer der christlichen Phantasten

Auf seinem Boden trägt, und kaum ertragen kan.

Wo hat ein Wanders-Mann bey solcherley Barbarei,

Da man das Menschen-Fleisch zu feilem Kauffe trägt,

So einen Glaubens-Grund gelesen und erfahren,

Drauf mancher unter uns sein Haupt so sanfte legt?

Solt ein und anderer der fernen Hottentotten

Das christliche Gesetz, und einen Christen sehn,

Und wüßte nicht, wie der, des Heiligsten zu spotten;

So würden ihm gewiß die Augen übergehn.

Wie man dem Teufel sonst in abgelegnem Hayne

Mit zitterndem Verdruß bey denen Heiden dient;

So weyht man hier dem Herrn die unbelebten Steine,

Da Satans Bild und Sinn dafür im Herzen grünt.

Vermeynte wol ein Mann von ungeübten Sinnen,

Bey mancher Prediger geschminkten Künsteley,

Und bey der Hörenden verächtlichen Beginnen:[132]

Obs auch der pure Ernst mit allen beiden sey?

Und dennoch kommet man beynahe ins Gedränge,

Wenn ein geweyhter Tag mit anzusehen ist.

Wer ists? Wem dienet sie, die ungeheure Menge?

Sie dient: Sie nennet sich nach einem: Jesus Christ.

Nach Jesu? Das ist der, von dem auch Feinde sagten:

Er sey ein freundlicher, ein angenehmer Mann;

Er thu den Bösen Guts, Er helfe den Geplagten,

Und niemand sehe Ihm was ungeschiktes an.

Wer aber seyn dann die, so sich nach Jesu heissen?

Der eine liegt und schläft; der andre frißt und säuft;

Der dritte möchte sich mit allen Menschen schmeissen;

Indem der vierte Geld und Gut zusammenhäuft.

Hier seh ich Gleichnisse von so viel fremden Thieren;

Hier dächt ich nimmermehr ein rechtes Menschen-Bild,

Geschweige Jesu Sinn und Wesen, auszuspüren:

Nächst diesen ist die Welt mit Narren angefüllt.

Wie geht es immer zu? Kommt etwa Jesu Wandel

Den armen Sterblichen zu unbegreiflich für?

Gewiß, wo dieses nicht ein ungereimter Handel,

Daß Jesus immer spricht: Ihr Menschen lernt von mir,

Und hat es unser Herr nicht allzuhoch getrieben;

Man solte in der That auch andre Christen sehn.

Drum ist bey mir der Schluß nach allem übrig blieben:

Dem Jesu Schritt vor Schritt in Schwachheit nachzugehn.

Wird sich nun dermaleins vor Seinem Richtstuhl zeigen,

Daß ich die Saite so, wie Er, zu hoch gespannt;

So kan ich mich vor Ihm in muntrer Demuth neigen

Und sprechen: Also hab ich Deinen Sinn erkant.

Ihr, die ihr veste glaubt: Das Christenthum seyn Grillen,

Und sprecht so gerne Hohn dem Zeuge Israel,

Fehlts euch nicht überhaupt an einem guten Willen;

So ist noch Rath für euch, errertet eure Seel!

Hebt eure Augen auf, und sehet auf die Hunde,

Vielleicht erblikt ihr auch ein wohlgeartet Lamm,[133]

Und damit laßt euch ein, vernehmt aus seinem Munde,

Wie ihm geschehen ist, da es zum Hirten kam.

Vermuthet ihr vielleicht, als wärens Phantasien,

Damit man seinen Sinn so leicht benebeln läßt:

So wißt, ein kluger Christ weiß sich zurükzuziehen;

Ersieht er aber Grund, den hält er Felsenvest.

Es gibt auch unter uns gewisse blöde Seelen:

Doch, ein verkürztes Maaß der menschlichen Vernunft,

Macht uns am wenigsten den Lebens-Weg verfehlen.

Wer Christum glaubt und liebt, gehört in Christi Zunft.

Ihr aber sehet zu, daß auf des Richters Frage

Warum ihr Christen hießt, und nicht gewesen seyd?

Ihm euer Herz alsdann mit Muth und Wahrheit sage:

Es fehlte nur an Kraft, der Wille war bereit.

Du theure Jüngerin! Dein Wandel und Bezeugen

Hat mich und andre mehr zu Jüngern zugericht't:

Wie kan ich dann itzund von Christo stille schweigen,

Da deine ganze Art von Christo Jesu spricht:

Ich fasse mich zwar kurz: doch wirds ein Kluger merken,

Ein Unverständiger mag zu Postillen gehn:

Wir aber wollen uns an diesem Tage stärken,

Und Jesum, unsern Gott, mit einem Lied erhöhn.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 132-134.
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