80. Auf Mariä Verkündigung

[223] 1729.


DreyEinigkeit, Du allgemeines Wesen,

Du Schöpfer und Erstatter der Natur,

Und Du der Gottheit Lebens-volle Spur,

Du hast Dir eine Werkstatt auserlesen,

Darein Du Dich in voller Kraft gesenkt,

Und daheraus uns Gott mit uns geschenkt.
[223]

Maria war die Gnaden-reiche Esther,

Der Du Dich so in Lieb und Huld verbandst,

Dieweil Du sie der Gottheit würdig fandst,

Maria wars, die liebe selge Schwester,

Man nahm an ihr nichts ungewöhnlichs wahr,

Als daß sie still und arm und herzlich war.


Maria war die Mutter des Geweyhten,

Der ewiglich der Seelen Bräutgam ist,

Und ehe Er die Braut im Throne küßt,

Worauf sich schon die Engel-Chöre freu'ten,

(Weit über Jacob, der sich seins erwarb,)

Fürs Weib in Arbeit lebte, lidt und starb.


O Hochzeit! die man Sabbaths-Ruhe nennet,

O Tag des Herrn! geheimes Bild der Eh',

Ihr Huren-Säue stürzt euch in die See,

Die ihr in eurer Eh' Beflekkung kennet,

Und die ihr nichts um Satans Tieffen wißt,

Kommt her und lernt was eh'lig werden ist!


Ihr Seelen! die sich in die Eh' gefunden,

Nicht, weil sie wider Christum geile sind,

Nicht, weil Natur sich mit Natur verbindt,

Nein! weil sie Gott in diesen Stand verbunden;

Kommt, betet neben mir der Seelen Mann,

Das Kind des Geistes und Mariä an.


Kommt, schwört mit mir dem treuen Zeugen Treue,

Kommt, ruft zu Ihm um Seiner Weisheit Licht,

Damit es euch in allem unterricht',

Und euern Stand den Augenblik verneue,

Zu Ehren Seiner Zeugung opfert euch

Ihm auf mit Geist und Seel und Leib zugleich.


Ihr wisset zwar, daß englische Geberden

Und englisch Wesen blosse Phantasey;

Solange noch der Geist nicht Kerker-frey,

Bis daß wir auch zu Seraphinen werden:[224]

Drum ist die Eh' von aussen nicht bewandt,

Als wie der Geist Mariam dort erkant.


Doch wißt ihr auch, daß eure Herzen Geister

Und Christo völlig ähnlich müssen seyn;

Da muß der Vater durch das Wort hinein,

Da ist der Heilge Geist der einge Meister,

Und ist der innre Grund voll Geists-Natur,

So heiligt er die äußre Creatur.


Drum will der Herr, bevor wir ehlich werden,

Das Aergernis soll in den Tod hinein,

Das Fleisch soll blind, betäubt, beschnitten seyn;

Sonst ist die Eh' der Christen Höll auf Erden;

Wer aber Geist aus Geist geworden war,

Mit dessen Eh' hats weiter nicht Gefahr.


Ein Ehe-Volk in Christi Tod begraben,

Das nur allein bey Christi Schmerzen ruht,

Und dem sonst nichts als Sünde wehe thut,

Kan ausser Dem auch keine Wollust haben,

Der, seit Er nun der Seelen Schmerz gestillt,

Auch die Begier der Seel alleine füllt.


Auf noch einmal! ihr theuren Ehegatten,

In denen sich der Heilge Geist geregt,

So wie Er es alsdann zu machen pflegt,

Wenn Er uns will mit Kräften überschatten,

In denen Er gezeugt die neue Art,

Und sich von Zeit zu Zeit mehr offenbart.


Auf! und dem Mann, dem Herrn, euch hingegeben,

Dem Mann, der sich in unser Fleisch verkleidt,

Und leert sich aus von Seiner Göttlichkeit,

Um in Maria menschlich aufzuleben,

Habt ihr bisher nicht gnugsam nachgedacht,

So thut, als wär't ihr aus dem Traum erwacht.
[225]

O Vater! gib uns rechte Kinder-Sitten,

Der Du uns ja den Herrn zum Bruder giebst;

O Geist des Herrn! der Du Mariam liebst,

Bereit uns auch zu Deinen Gottes-Hütten.

Wir sind durchs Wort, das Wort geht in uns ein,

O möchten wir des Kindes Mütter seyn.


O Jünglings-Volk, und du o Schaar der Mägde,

Faßt euch das Bild Mariä ins Gemüth,

Verleugnet euch, besieget das Geblüt,

Es rege euch, was diese Schwester regte,

Sie wolte freyn, die Gottheit warb um sie,

Sie ließ den Mann, und sprach: Herr ich bin hie!


Bestehet ihr in solcher edlen Gnade,

Und gebt euch Gott auf Band und Freyheit hin,

So bleibet euch ein unverrükter Sinn,

So wachst ihr in der Kraft von Grad zu Grade.

Ihr denkt an nichts, als was euch Gott gebeut,

Und bleibet frey, wenn ihr gebunden seyd.


Herr Jesu! der Du dich als Kindlein regtest

Wir opfern Dir die ganze Kinder-Schaar,

Die je und je Deins Herzens Lust-Spiel war,

Und die Du auch so manchesmal bewegtest,

Ach Geist des Herrn! komm überschatte sie,

Ach Vater! zeuch ihr Herze, sie sind hie.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 223-226.
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