[Vorwort]

In einem Kreise junger Freunde, die sich auf der ehemaligen Hochschule zu Frankfurt an der Oder den Wissenschaften widmeten, gehörte zu den geselligen Ergötzlichkeiten, daß jeder aus dem Stegreif eine Geschichte erzählen mußte, deren Ende und Ausgang Keiner von den Zuhörern errathen konnte. Einem dieser Erzähler, als ihn die Reihe traf, kam zufällig eine Anekdote zu Hülfe, die er in einem alten deutschen Büchlein, schon im Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts gedruckt, gelesen hatte, und zwar von einem klugen venedischen Edelmann, der, um eine Verschwörung gegen den Staat zu entdecken, sich mit großer Kunst verstellt, unter die Banditen begeben und mit ihnen gemeine Sache gemacht habe. Der junge Erzähler benutzte diesen Stoff so gut, daß die übrigen Nebenbuhler reichlichen Beifall zollten, ihn mahnten, das Geschichtchen schriftlich aufzusetzen, und als dies geschehen war, sogar ein Theaterstück daraus zu versuchen.

So entstand das Schauspiel Abellino, dessen Verfasser sich damals schwerlich träumen ließ, daß das flüchtige Werk eines geselligen Muthwillens bald auf allen deutschen Bühnen lärmen, und sogar zu Engländern, Franzosen und Spaniern übergehen würde. Er selbst sah das Stück in seinem Leben nur dreimal aufführen. Späterhin, da das zusammenhangslose, grobgeschnitzte Marionettenbild auch nach zehn und zwanzig Jahren sich noch auf Thaliens Bretterwelt behauptete, ging er, mit einer Art schamhaften Verdrusses, an neue Bearbeitung desselben, um, wo möglich, das alte Unwerk zu verdrängen, dessen beharrliches Leben weder ihm, noch dem guten Geschmack der deutschen Bühnenvorsteher schmeichelhaft[39] sein konnte. – Er warf jedoch verdrossen auch die spätere Bearbeitung wieder zurück, in der Hoffnung, daß endlich das Vergessenswerthe nothwendig vergessen werden würde. Er irrte sich. Der Bandit trat auch nach dreißig Jahren, selbst auf einigen größern Bühnen, frischerdings hervor. Dies bewog den Verfasser, die spätere Bearbeitung erscheinen zu lassen, um wenigstens seinerseits zu beweisen, daß er dem guten Geschmack eine Sünde abzubitten, mit voller Reue geneigt sei.

Ob die Abbitte keine neue Sünde sei, mögen Andere entscheiden. Er glaubte zum mindesten den alten, verzeichneten Holzschnittfiguren menschlichere Gestaltung und reinere Haltung gegeben zu haben. Das Beste zur Sache würden, hoffte er, die Künstler auf der Bühne hinzufügen müssen.

Nebenbei aber wäre zu wünschen, daß dann diese auch nicht den venedischen Adel in altdeutschen Hüten, spanischen Wämsern und ungarischen Hosen zur Schau bringen möchten; zumal die gesetzliche Tracht der Nobili von Venedig, so lange die Republik bestand, allerdings etwas Würdereiches, wenn auch Einförmiges, hatte. Die in Aristokratien heimische Eifersucht, welche Alles leichter, als Auszeichnung eines ihrer Glieder erträgt, verbot den Edeln der Lagunenstadt, anders, als im langen, schwarzen, talarartigen Rock, der bis auf die Füße niederfiel, vorn herab mit Pelzwerk verbrämt, um den Leib einen breiten, mit silbernen Schildchen verzierten, Gürtel, und die lange venetianische Mütze unterm Arm, zu erscheinen. Nur die Rathsglieder höhern Ranges, wie auch die Prokuratoren von St. Marco, mußten, als Zeichen ihrer Staatswürde, die langen Röcke von karmesin-oder purpurfarbenem Sammt oder anderm Stoff tragen. Selbst der Doge entfernte sich nicht vom üblichen Schnitt der Adelstracht, obwohl sein Talar von königlicher Pracht war, besonders wenn der Fürst im vollen Glanz seiner Würde erschien, das Haupt mit dem herzoglichen[40] Baret oder Corno bedeckt, den vorn ein Rubin, ringsum ein Gewinde von großen, orientalischen Perlen schmückte.

Den zum jungen Abbate degradirten Kardinal des alten Stücks kann man sogar, wenn es sein muß, mit leichter Mühe in einen weltlichen Rock kleiden. Er wird nichts dagegen einwenden. Wenn die lastervollsten Fürsten, wenn die grausamsten Kriegshelden, wenn Neronen und Alba's auf die Bühne gebracht werden, fällt gewiß Keinem ein, daß damit die Ehrfurcht gegen den erhabenen Stand der Fürsten und Feldherren verletzt sei. Aber es läßt sich nachkommenden Geschlechtern erzählen, daß in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hin und wieder für den Klerus höhere Ansprüche, als für den Rang der Könige, Helden und Staatsmänner gemacht worden sind; und daß es Verachtung der Religion, Entweihung des an sich ehrwürdigen Standes der Geistlichkeit geheißen worden ist, wenn etwa ein entartetes Mitglied desselben vom Dichter oder Schauspieler dargestellt wurde, und das in einer Zeit, wo das apostolische Spanien die Urbilder solcher Abbaten zahllos in schauerlicher Wirklichkeit aufwies.

Die Vorrede ist für das nachfolgende Spiel fast zu ernst und zu lang geworden; möchte sie, bei Andern, doch keine Nachrede veranlassen.[41]


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 39-42.
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