Sechster Auftritt.

[165] Der Doge und Iduella.


DOGE.

Näher, näher nur, Signora.

Sagt mir, wo ist Rosamunde?

IDUELLA.

Froh im Kreise der Gespielen.

Mitten im Zitronenwäldchen,

Auf dem Rasenplatz im Freien.

Dort ist nichts für sie zu fürchten,

Denn die Insel wird ringsum,

Durch die Gondeln, wohl gehütet.

Wollte Abellino nah'n,

Müßt' er schwarze Kunst versteh'n,

Und, vollkommen unsichtbar,

Durch die Gondelwachen gehn.

DOGE.

Sagt mir, ... Euer Blick durchschaut

Rosamundens ganzes Wesen.

Meine Nichte kennt Ihr besser

Als sie selbst sich kennt. Ihr saht,

Wie die zarte Knosp' allmälig

Sich zur Blüthe, – wie das Kind

Sich entfaltet hat zur Jungfrau.

Kein Gedanke kann so leise

Durch des Mädchens Seele schleichen,

Den Ihr nicht sogleich gewahrtet.

Sagt mir, scheint Euch Rosamunde

Nicht, seit ein'ger Zeit, verwandelt?[166]

IDUELLA.

Darf ich fragen: wie verwandelt?

DOGE.

Fremd mit Allem außer sich;

In sich selber still verschlossen,

Wie, wenn sie in ihrer Brust

Ein Geheimniß hüten müßte?

Aenderlich in ihren Launen,

Wie der Märztag? die Gedanken

Weit entfernt oft von der Stätte,

Wo sie mit den Leuten spricht?

IDUELLA.

Gnäd'ger Herr, Ihr malt der Jungfrau

Erstes Insichselbst-Erwachen,

Wie sie stumm ihr Wesen anstaunt,

Das sie nicht enträthseln kann.

Wenn der Schmetterling aus seiner

Pupp' hervorsteigt, und die Flügel

Mit dem Gold und Purpurglanze

Leise aus einander breitet,

Steht er kaum veränderter,

Als die Jungfrau, wenn die Hülse

Ihrer Kindheit von ihr bricht.

DOGE.

Gut. Allein mich dünkt, ihr Herz

Trage eine wunde Stelle.

Sie ist ungewöhnlich reizbar.

IDUELLA.

Allerdings; wie könnt' es fehlen?

Sie ist nun nicht mehr dieselbe,

Die sie einst war; nun nicht mehr,

Wie das Kind, in Anderm lebend,[167]

Sondern heim an sich gewiesen,

Nun sich selbst bedeutsam worden.

Andre Sinnen und Gefühle,

Niegekannte Ahnungen

Haben ihre Welt verwandelt.

Fremd und schüchtern steht sie drinnen,

Und von allem tief ergriffen.

So wie einer Harfe Saiten

Schon im sanften Zug des Windes

Ueber dessen Härte klagen,

Tönet, wenn auch zart berührt,

Das jungfräuliche Gemüth,

Unter Lust und Trauer, wieder.

DOGE.

Laßt mich Euch bestimmter fragen.

Es bewirbt ein großer Fürst sich

Sehr um meiner Nichte Hand;

Ungern würd' ich sie verweigern.

Doch verwahret dies Geheimniß

Tief, Signora! Niemand darf,

Selbst nicht Rosamund', erfahren,

Was ich Euch entdecken möchte.

Zwar sie weiß um die Bewerbung,

Aber lehnt sie standhaft ab.

Ja, so fest scheint sie entschlossen,

Jeden Antrag zu verschmäh'n,

Daß sie wohl, im schlimmsten Fall,

Einen Nonnenschleier lieber,

Als den Trauring, nehmen würde.

Nie hat sie mich sonst durch eine

Widerspenstigkeit gekränkt;

Wie der treue Schatten, folgte[168]

Stets ihr Wille meinen Winken.

Und wie anders steht es nun!

Jetzt belagern meine Bitten

Ihren Eigensinn vergebens,

Sie verwirft des Fürsten Hand!

Sollte sich mein Argwohn irren?

Hat ihr unerfahrnes Herz

Schon vielleicht sich in den Strom

Einer Leidenschaft geworfen?

Liebt sie? Wen? Signora, redet!

Unverhohlen sprecht; sagt Alles!

Ihr wißt Alles.

IDUELLA.

Gnäd'ger Herr,

Wer mag immer ganz verstehen,

Was ein junges Herz bewegt?

Wer mag in die Tiefen sehen,

Die es vor sich selbst selbst verbirgt?

Wie dem Mann der frische Ruhm,

Seine unentweihte Ehre,

So ist erstgeborne Liebe

Einer Jungfrau Heiligthum.

Und, wie seine Klugheit, wacht

Ihr Gefühl des Schicklichen

Für die Reinheit des Kleinodes.

Klugheit ist das Schickliche

In der That und Kraft des Mannes;

Das Gefühl des Schicklichen

Ist des Weibes ganze Klugheit.

DOGE ungeduldiger.

Mit dem krausen Schaum der Worte[169]

Stillt Ihr meinen Hunger nicht.

Nichts, Signora; Sachen! Sachen;

Nennt mir Namen, Tage, Orte.

Wen liebt meine Nichte? – Wen? ...

Warum stockt Ihr? ...

IDUELLA.

Gnäd'ger Fürst ...

DOGE.

Redet offen, ich gebiet' es! – –

Mit argloser Zuversicht

Hatt' ich Euch, wie einer Mutter,

Meinen Liebling anvertraut;

Wollt Ihr mit des Kindes Thorheit

Euch nun wider mich verschwören?

Eine Aussicht auf den Thron

Nun mit Weibertand zerstören?

Nein, Signora, irrt Euch nicht! –

Liebt sie, sprecht, den jungen Ritter

Von Florenz, den Flodoardo?

Seit wie lange? Wer half kuppeln?

Hielten sie Zusammenkünfte?

Wo? bei wem? Was treiben sie?

Warum zaudert Ihr? Das Schweigen

Klagt Euch an; es spricht Euch schuldig!

IDUELLA schon während der Rede des Dogen zu sprechen bemüht, geräth in größere Bestürzung und fällt zu dessen Füßen.

Zürnet nicht, durchlauchter Herzog,

Zürnt nicht! Höret mich zuvor.

Wenn der erste Augenblick

Durch den Schein mich zwar verdammet[170]

Spricht der zweite doch mich los.

Ich bin Eurer Gnade würdig.

DOGE sie bei der Hand erhebend.

Stehet auf. Signora, redet.

IDUELLA.

Das Vertrauen Eurer Nichte

Unbedingt mir zu erhalten,

Mußt' ich meine Zunge binden;

Mußt' ich vor dem Oheim schweigen.

Hätte Rosamundens Argwohn

Ihr Vertrau'n zu mir verdrängt:

Würde sie sich meinem Rath,

Meiner Leitung ganz entrissen,

Ganz, dem steuerlosen Schiff gleich,

Sich der Fluth der Leidenschaft

Wehrlos hingegeben haben.

Sie zu retten, – meine Pflicht

Gegen Euch und Eure Nichte

Zu vollstrecken, mußt' ich schweigen.

DOGE.

Ist sie also noch zu retten?

IDUELLA.

Ja, ich hoff' es noch: durch Trennung!

Schickt den Ritter von Florenz

Jahrelang in ferne Länder.

DOGE legt, wie in Betäubung, die Hand vor Stirn und Augen.

Also wirklich? Flodoarden

Liebt sie?[171]

IDUELLA.

Seit dem Unglückstage,

Da, zum erstenmal, Canari

Euch den Ritter vorgestellt,

Sie zum erstenmal den Fremdling

Im Palast gesehen hatte,

Ward ihr Leben und ihr Weben

Zaubertaumel, Fiebertraum.

Und nachher, als sie auf Corfu,

Durch des Ritters Arm, befreit ward,

Da erschien die heft'ge Neigung

Ihrer dankbegier'gen Seele

Als die heiligste der Pflichten.

DOGE schmerzlich.

Nun genug! – o, schon zuviel! ...


Indem er sie mit einem Zeichen beurlaubt.


Ich werd' Euch auf andre Zeit

Wieder zu mir rufen lassen.

IDUELLA ab.

DOGE allein.

Also muß am gleichen Tage

Mir der Jugend erster Freund

Und des Alters letzte Freude, ...

Alles mir entrissen werden?

O, wie arm sink' ich ins Grab!


Schweigen des Nachdenkens.


Er soll fort! Fort nach Morea ...

Morgen, heut', – auf ewig fort!

Konnte sich die Ungerath'ne

So vergessen, – mich vergessen, ...[172]

Nun, sie lern' auch ihn vergessen!

Fort mit ihm, bis an die letzten

Ufer der bewohnten Welt!

Nichts soll von ihm wiederkehren,

Selbst die ungewisse Kunde

Seines Schicksals, seines Endes,

Muß auf weitem Wege sterben,

Eh' sie unser Ohr erreicht.


Pause.


Gritti! Gritti, sei gerecht!

Ist ihr Leichtsinn sein Verbrechen?

Soll's ihm nun Verbannung lohnen,

Daß dem fernen Asien

Die Verlorne er entriß?

Du hast ihn zum Sohn gesegnet,

Und die erste Vatergunst

Soll ein Todesurtheil werden?

O, daß noch Canari lebte!

Wer gibt Rath und Trost, und führt

Mich aus diesem Labyrinthe?


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 165-173.
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