Auf der hohen Schule hatte ihm die Lebhaftigkeit seines Geistes manche kleine Unannehmlichkeit verursacht und von rohen Menschen zuweilen sogar Schläge. Doch nur gemeine Seelen lassen sich von irdischen Unfällen schrecken. Er blieb sich[80] gleich. Erhaben über jeden Sturm des Schicksals und über die Schmerzen seines Rückens, verfolgte er die erwählte Laufbahn, welche ihm unter seinen Mitschülern den etwas dunkeln und seltsamen Namen eines Stänkers erwarb, der aber auf dem Thron eines Weltbeherrschers mit Recht in den Beinamen des Großen verwandelt worden sein würde. Denn bekanntlich ist nichts an sich groß oder klein, sondern wird es erst durch Ort, Zeit und Umstände. Alexander der Große so gut als sein schwedischer Affe Karl der Zwölfte, Karl der Große so gut als sein korsischer Nachahmer, jeder war zu seiner Zeit ein Hans Dampf in allen Gassen und spielte in den Leidensgeschichten der verschiedensten Nationen seine unvergeßliche Rolle, ohne dafür gesegnet zu werden.
Eben diese rege Schmetterlingshaftigkeit des Gemüts, dies Überallsein und nirgends, dies alles in allem sein, zeichnete den edlen Jüngling nicht minder unter seinen Mitbürgern aus als in der Fremde. Seine Mitbürger hatten ohnedem die Gewohnheit, etwas langsam zu denken und vorsichtig einherzuschreiten. Das Glück war ihm hold in allem. Kein Wunder, wenn die meisten Lalenburger ihn für eine außerordentliche Erscheinung in der Welt- und Menschengeschichte hielten und zuletzt alle Spiele des Zufalls für Werke seiner Kraft ansahen und Sachen auf die Rechnung seiner Vielfältigkeit schrieben, von denen er selbst gar nichts wußte.
Sobald er in die Vaterstadt zurückgekommen war, bemerkte man allgemein, daß er an Jahren, Verstand und Körper zugenommen hatte. Er ragte in der Tat um eines Kopfes Länge über die meisten seiner Mitbürger hervor, und daher gab man ihm zur Unterscheidung von andern Gliedern des Dampfischen Geschlechts den Beinamen des Großen. Daß es auch eine Größe des Geistes geben könne, welcher solch ein Beiname gebühre, kam keinem Lalenburger in Sinn; denn ein Geist hat weder Fleisch noch Bein.
Nach einigen Jahren, da der große und souveräne Rat der[81] Stadt und Republik erneuert oder vielmehr nur ergänzt wurde, gelangte er durch Recht der Geburt in die Würde derer, welche die höchste Gewalt übten, Gesetzgeber des Staates waren, und aus welchen diejenigen genommen zu werden pflegten, welchen man die höchsten Ehrenstellen erteilte.
Natürlich mußte es einem jungen, aufstrebenden Jüngling kein geringes Vergnügen sein, zu den Vätern des Vaterlandes zu gehören. Diese Benennung, die höchste und ehrenvollste, welche das erhabene Rom einst seinen vortrefflichsten Regenten gab und in neueren Zeiten die Völker ihren Großen beilegten, erteilten sich die Herren Ratsherren von Lalenburg sowohl gegenseitig in feierlichen Reden als in öffentlichen Verkündungen, selbst wenn sie etwa nur eine Fleisch- und Brottaxe bekannt machten. Bald nach dieser Standeserhöhung warf ihm das Glück noch die Würde eines Staatsbaumeisters der Republik zu.
Ich sage, das Glück. Denn mit Ausnahme der Konsulwürde, welche vom geheimen Stimmenmehr in förmlicher Wahl abhing, wurden zu Lalenburg ohne Ausnahme alle übrigen Ämter durch das Los verteilt. Diese vortreffliche Einrichtung verdient mit Recht bewundert zu werden. Denn nicht nur ward dadurch allem Entstehen von Faktionen und Parteien vorgebeugt, die in Republiken durch den Ehrgeiz der Bürger gewöhnlich veranlaßt werden, sondern die Ernennung empfing damit ein geheiligteres Ansehen. Es waren nicht Menschen, es war der Himmel selbst, welcher durchs Los den Würdigsten bezeichnete. Nun geschah freilich nicht selten, daß dadurch ein Metzger Oberschulrat, ein Barbier Oberpostmeister, ein Garkoch Großschatzmeister der Republik ward. Aber dies beförderte eine Mannigfaltigkeit der Geistesbildung, welche sonst nirgends leicht gefunden wird. Auch bewährte sich immerdar das alte, sinnvolle Sprichwort: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand; ein Sprichwort, welches ursprünglich aus Lalenburg stammt, wie jedermann weiß.[82]
Hans Dampf war daher keineswegs verlegen, als er, der in seinem Leben kaum ein Kartenhäuschen gebaut hatte, Staatsbaumeister der Republik ward. Er übernahm die Aufsicht über die zwei öffentlichen Brunnen der Hauptstadt, über die Landstraßen der Republik, auf denen man ohne besondere Mühe am hellen Tage Hals und Bein brechen konnte, und über sämtliche Staatsgebäude, wozu vornehmlich das Rathaus, die Schule und das Spritzenhaus gehörten nebst Kirche und Pfarrwohnung.
Seine Jugend, sein Reichtum und die neuen Ehrenstellen machten ihn zu einer hochwichtigen Person im Staat. Alle Jungfrauen und Mütter von Lalenburg dachten mit stiller Erwartung an ihn, und Hans Dampf dachte natürlich auch an sie. Aber der Lalenburger Göttinnen waren so viel, daß die Wahl schwer ward, welcher er den Apfel zuwerfen sollte.
Er flatterte prüfend von Blume zu Blume umher. In allen Gassen nährte er eine kleine Liebschaft. Bald waren in Lalenburg keine Bürgerstöchter mehr, die nicht Ansprüche auf das Herz dieses Alkibiades machen zu können meinten.
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Hans Dampf in allen Gassen
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