Farben [6]

[182] Farben , Analyse und Synthese.

Nach Wilhelm Ostwald unterscheidet man unbunte oder graue Farben mit ihren Endpunkten Weiß und Schwarz und bunte Farben. Ein ziemlich ideales Weiß ist gefälltes Baryumsulfat mit wenig Bindemittel. Das beste Schwarz, was wir kennen, ist nicht völlig lichtlos, sondern remittiert mehr als 2% Licht. Die bunten Farben werden durch die fundamentale Farbengleichung von Ostwald (1916) ausgedrückt: r ± w + s = 1, wobei r den Anteil an einer gesättigten Farbe in irgendeiner Körperfarbe, w den Anteil an Weiß und s den Anteil an Schwarz bedeutet. Den Farbenton mißt man mit Hilfe eines Farbenkreises, dessen Farbentöne gleichmäßig voneinander abstehen und entsprechend beziffert sind. Stellt man die Farbentöne in Gestalt von Karten dar und mischt den zu untersuchenden Farbenton mit der entgegengesetzten Farbe, so findet man eine bestimmte Farbe des Farbenkreises, welche mit der vorgelegten zu neutralem Grau sich vermischen läßt. Hierzu dient ein einfacher Apparat, der aus einer Kombination eines Wollaston-Prismas mit einem Nicolschen besteht. Die Messung der Reinheit einer Farbe ist gegenwärtig nicht unmittelbar möglich, wohl aber kann man den Weiß- und Schwarzgehalt bestimmen. Ostwald beleuchtet deshalb die vorgelegte Farbe einerseits mit dem übereinstimmenden Licht (oder betrachtet sie durch ein entsprechendes Lichtfilter), wobei der schwarze Anteil sichtbar wird und durch gewöhnliche Photometrierung bestimmt werden kann. Wird umgekehrt die Betrachtung in dem entgegengesetzten Licht vorgenommen, so wird dieses von dem farbigen Anteil des Aufstriches verschluckt und damit der Anteil an Weiß bestimmbar. Damit sind sämtliche charakteristische Größen der vorgelegten Farben auf Grund der obigen Farbengleichung bestimmt. Da nun sowohl die Nummer im Farbenkreise wie auch die Reinheit und der Weißgehalt, der den unbunten Anteil der Farbe kennzeichnet, jeweils durch zweiziffrige Zahlen ausdrückbar sind, so stellt ihre Zusammenstellung also eine sechsziffrige Zahl, die Ergebnisse der Farbenanalyse mit einer Genauigkeit dar, die unmittelbar an der Grenze der Unterschiedsschwelle steht, also für so gut wie alle Zwecke mehr als ausreichend ist. – Allerdings zog Ostwald zunächst matte Farben auf glanzlosem Papier in Betracht. Der Einfluß von Bindemitteln auf die Farbenanalyse, z.B. Leinölfirnis für Oelmalerei und Farbendruck, Gummi arabicum für Aquarellmalerei, wird durch weitere Untersuchungen festzustellen sein. Aus der Analyse der Farbe ergibt sich ungefähr ihre Synthese, und es gibt einfache Konstruktionen, die ohne Rechnung gestatten, eine solche Synthese zu finden. Ostwald stellt in einem Farbenatlas die gesamten Farbenkörper in gleichförmiger Verteilung dar. Er enthält ungefähr 3000 verschiedene Farben, welche die Abkömmlinge eines Farbentones vom hellsten bis zum dunkelsten, vom reinsten bis zum trübsten in systematischer Anordnung zeigen [2]. – Ostwald erörtert die Harmonie der Farben und leitet neben den altbekannten harmonischen komplementären Farbpaaren und Farbtriaden noch viele andere harmonisch wirkende Farbenkombinationen ab. Künstler, Graphiker u.s.w. können solche Farbenkombinationen mit Hilfe der im Handel erhältlichen Farbtafeln und Farben selbst erproben. – Eine sehr wichtige Untersuchung von Franz Exner über die Young-Helmholtzsche Dreifarbentheorie oder Dreifasertheorie im menschlichen Auge sowie der Heringschen Theorie der Gegenfarben ist in [3] publiziert. Der Unterschied zwischen beiden Theorien ist ein tiefgreifender. Er ist derselbe, der die Goethesche Farbenlehre von der Newtonschen trennt. Exner gibt auf Grund seiner »Versuche und Bemerkungen zur Farbenlehre« der physikalisch wohlbegründeten Young-Helmholtzschen Theorie den Vorzug. In [3] teilt Exner neue Experimente zum sogenannten Purkinje-Phänomen mit. – Vgl. Farbmeßapparate und Farbenmessung.


Literatur: [1] W. Ostwald, Das absolute System der Farben, Leipzig 1916; Beiträge zur Farbenlehre 1917; Die Farbenfibel, Leipzig 1917; Die Farbenlehre, 2 Bände, 1918 und 1919; Goethe, Schopenhauer und die Farbenlehre, Leipzig 1918. – [2] Ders., Farbenatlas, Leipzig 1919. – [3] Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch., Wien (Mathem.-naturw. Klasse, Abt. Ha, 1918, 127. Bd., S. 1829).

J.M. Eder.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 182.
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