Stapelfaser

[600] Stapelfaser (Neuschappe).

Bereits vor dem Kriege war es bekannt, die Abfälle künstlicher Seide nach Art der Schappe- bezw. Kammgarnspinnerei zu verarbeiten (vgl. Art. Solidoniafaser). Zur ferneren Streckung unserer klassischen Textilrohstoffe, Wolle und Baumwolle, hat man im Kriege Stapelfaser aus Kunstseide besonders hergestellt. Kunstseide wird in Strähnform auf Spulen oder Haspeln aufgewickelt und nach ihrer Aufwicklung in bestimmten Abständen parallel zur Spulenachse durchschnitten, um so aus parallelen Fadenstücken gleicher Länge gebildete Fadenmassen zu erzielen [1], Vom wirtschaftlichen Standpunkte aus erscheint es auf den ersten Augenblick ungerechtfertigt, daß man zuerst einen langen Faden herstellt, ihn in kurze Stücke zerlegt, die man durch regelrechtes Spinnen dann wiederum in einen langen Faden vereinigt. Es ist aber in Rücksicht zu ziehen, daß man solche auf »Stapel« geschnittene Stücke auf vorhandenen Spinnmaschinen der Baumwoll-, Kammgarn-, Schappespinnerei u.s.w. verarbeiten kann, so daß man auf bereits vorhandene Maschinen zurückgreifen und so die Stapelfaser zur Streckung unserer klassischen Textilfasern benutzen kann. Bei der Herstellung der Stapelfaser muß man bestrebt sein, für die Faser auch die richtige Feinheit zu erlangen. Im allgemeinen eignet sich die Kupferoxydfaser besser als Ersatz für Baumwolle als Viskose. Stapelfaser kann sowohl rein für sich als auch in Mischungen mit anderen Fasern versponnen werden. Bei der Verwendung der Stapelfasererzeugnisse ist zu berücksichtigen, daß durch Netzung die Fertigkeit der Kunstseide stark herabgedrückt wird. Man darf also bei Herstellung von möglicherweise in der Nässe zu benutzenden Geweben nicht etwa das eine ganze Fadensystem (Schuß) lediglich aus Stapelfaser herstellen, sondern die Streckung ist so zu vollziehen, daß man Stapelfaser mit Wolle u.s.w. gemischt verspinnt. Ueber die quantitative Bestimmung von Wollestapelfasergemischen mit geeigneter Kupferoxydammoniaklösung vgl. [2]. Die Trennung mit dem Natronlaugekochverfahren ist nicht einwandfrei. Der Feuchtigkeitsgehalt der Stapelfaser bei normaler Luftfeuchtigkeit schwankt nach Art und Herstellung der Stapelfaser. Das ist der Grund, weshalb von dem Kriegsgarn- und Tuchverband Berlin und der Gesellschaft deutscher Kammgarnspinnereien in den Verkaufs- und Lieferungsbedingungen für Kammgarne und Zwirngarne der zulässige Feuchtigkeitszuschlag auf das Trockengewicht bei reinem Stapelfaserkammgarn zu 141/4% bis auf weiteres festgelegt worden ist. Für reinwollene Kammgarne beträgt der zulässige Feuchtigkeitszuschlag 181/4% und bei 50 prozentigem Stapelfasermischgarn 161/4%. Garn aus Gemengen von Wolle und Stapelfaser wird auch wohl als Wostagarn bezeichnet. Um die beim Schneiden entgehenden scharfen Enden zu vermeiden, kann man bei der Kunstseidenherstellung selbst schon eine Trennung in Einzelfasern erzielen, sei es, daß man den Spritzvorgang in bestimmten Intervallen unterbricht [3], sei es, daß man die Fadenstückchen in Intervallen abreißt und dabei die Faserenden spitzenförmig auszieht [4]. Die Kunstseidenstapelfaser, wie sie gewöhnlich in Kunstseidenfabriken hergestellt wird, zeigt den Uebelstand, daß sie nicht gekräuselt ist, nicht die erwünschte Spinnstruktur zeigt. Nach [5] soll man eine genügende Kräuselung erzielen, wenn man die Faser rasch und ohne langsamen Uebergang stark erhitzt oder abkühlt. Auch wattenartige Gebilde hat man aus Kunstseide hergestellt [6]. Das Verfahren besteht im wesentlichen darin, daß man die Celluloselösung unter einem derart geringen Druck in die Erstarrungsflüssigkeit übertreten läßt, daß sie gewissermaßen beim Uebertritt schlierenartig zerfließt und flockige Gebilde ergibt. Dieses Zerfließen des Cellulosestrahles kann noch dadurch begünstigt weiden, daß man jeweils zwei oder mehrere Spritzdüsen so gegeneinander richtet, daß sich die austretenden Flüssigkeitsstrahlen treffen und sich an ihrer Prellfläche schlierenartig verbreitern. Man ordnet auch besondere aus Glas oder Metall bestehende Prellflächen an.


Literatur: [1] D.R.P. Nr. 266140. – Deutsche Faserstoffe und Spinnpflanzen 1920, S. 21. – [2] Textile Forschung 1920, S. 24. – [3] D.R.P. Nr. 319079. – [4] D.R.P. Nr. 319280. – [5] D.R.P. Nr. 319839. – [6] D.R.P. Nr. 317181.

E. Müller.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 600.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: