Tao

[267] Tao – In der Sehnsucht nach einer von christlichen Zutaten freien Mystik haben uns feine Menschen seit einigen Jahrzehnten den Taoismus angepriesen. Ellissen gibt viel früher (1840) das chinesische Wort mit Dao wieder: »Wunder wohl müssen vor Dao verschwinden.« Nirgends ist diese durchaus skeptische Mystik hübscher dargestellt, als in den »Reden und Gleichnissen des Tschuang-Tse«, die wir jetzt in der deutschen Auswahl von Buber besitzen, loh möchte aber hier nur darauf hinweisen, daß wir wirklich trotz aller Untersuchungen doch nicht wissen, was der Meister Lao-Tse und was Tschuang-Tse unter dem Worte Tao verstanden. Es kommt schon in einem der ältesten chinesischen Bücher vor, wo es ungefähr die Verbindung von Yang und Yin bedeutet, den Kreisprozeß zwischen dem männlichen und dem weiblichen Prinzip. Doch erst im Gegensatz zu dem Moralprediger Confuzius hat sich der Taoismus zum System entwickelt. Wir werden durch Tao an die christliche Logoslehre erinnert, dann wieder an die Verneinungshymnen des Dionysios Areopagita, endlich an die Identitätsphilosophie. Buber hat (S. 100) sehr richtig gesehen, daß die abendländischen Versuche, Tao als eine Welterklärung aufzufassen, stets mit der jeweiligen Zeitphilosophie zusammenfielen; man sah in Tao die Natur, die Vernunft, sogar die Energie. Ich könnte mich versucht fühlen, in Tao eine uralte Sprachkritik zu entdecken; denn Lao-Tse sagt: »Der Name, der gewinnt werden kann, ist nicht der ewige Name.«

Und wieder sagt Lao-Tse: »Man darf es ansehen als der[267] Welt Mutter. Ich kenne nicht seinen Namen. Will ich es bezeichnen, so nenne ich es Tao« (Tao-te-king, Übersetzung von V. v. Strauß, Kap. 25). Lao-Tse scheint, etwa 200 Jahre vor Tschuang-Tse, der Begründer des Taoismus gewesen zu sein; durch ihn wurde Tao zu einem Schlagworte (im heutigen China zum Namen eines wüsten Aberglaubens mit Priestern, Amuletten, Besprechungszaubereien usw.) für weltfremde, einsiedlerische Weisheit, für eine mystische Ablehnung des Utilitarismus von Confuzius; aber Lao-Tse wußte ebenso wenig wie seine Schüler, was dieses vielleicht schon zu seiner Zeit aus noch altern Schriften übernommene Urprinzip (zugleich des Naturerkennens und der Ethik) eigentlich zu bedeuten habe. Neuere Erklärer haben sich vergeblich bemüht, ihre eigene Weltanschauung in das Rätselwort hineinzulegen; bald ein robustes Christentum, bald eine verschwommene Naturphilosophie, bald, mit besserem Rechte, die Alleinheit der Mystik (wie Buber, dem ich hier überall folgen muß). Nur sind die Chinesen weiser als wir Abendländer, freier von der Sprache, weil ihnen Tao das Urprinzip ist, der Urgrund, ohne daß sie zu einer Bestimmung darüber gekommen wären, kommen könnten, ob dieser Urgrund der Sinnenwelt als eine Ursache gegenüberstehe, als ein gleichartiges Ur-Ding oder als ein völlig unbekanntes Ding-an-sich, gegenüber einer ganz anders unbekannten Erscheinungswelt. Weil aber Tao nur in der Bedeutung »erste Ur-Sache« unserem Gottesbegriff entspräche, nicht aber in der Bedeutung »Ding-an-sich«, darum allein steht der Taoismus höher als alle Theologie des Abendlandes; er behauptet nicht, etwas Wißbares zu lehren.

In Wahrheit wissen wir von Tao ebenso wenig wie von logos, womit Tao gern wiedergegeben wird; wenn das Wort ursprünglich Weg bedeutet hat, so mag das ein Wandertitel für moralische Bücher gewesen sein, den wir im Orient wie im Abendlande oft finden. Was Lao-Tse und Tschuang-Tse dann in das Wort hineinlegten, war die uralte und immer noch lebendige Sehnsucht der Mystik, das Unaussprechliche mit einem Worte auszusprechen. Das Wort sagt nichts, durchaus nichts, was nicht die chinesischen Mystiker aus ihrer (genialischen oder[268] überkommenen) Seelensituation hineingelegt, hineingeheimnißt haben. Das Wort ist nicht nur für das Abendland unübersetzbar, es ist auch für China positiv nicht definierbar, höchstens negativ zu umschreiben: es ist nach Buber (S. 105) das Unerkennbare, im Werden die Ungeschiedenheit, die Ungeschiedenheit auch im Sein, in den Dingen. Wer sich im Abendlande zum Taoismus bekennt, der bekennt sich zu einem suggestiv neuen Namen für den ungenannten Gott der Stummen des Himmels. Und nachdem ich eben zwischen Tao und unserem Gottesbegriff unterschieden habe, möchte ich jetzt hinzufügen, daß wir dennoch Tao religiös, fast theologisch wiedergeben könnten, wenn wir uns von der Sprache befreien und sagen wollten: »Das Gott«. Was wieder noch unpersönlicher mir klänge als etwa: »das Göttliche«.

Ich habe das Wort gebucht, weil es in seiner ganz exotischen Fremdheit noch besser als die griechischen Wörter und ihre Lehnübersetzungen lehrt: die tiefsten Ahnungen der Philosophen lassen sich nicht aussprechen, es geschähe denn in undefinierbaren Worten, deren Gefühlston für die Gläubigen jede Klarheit ersetzen muß, – wie in der Religion.

Meinen Lesern wird es an dieser späten Stelle nicht mehr paradox erscheinen, wenn ich das gute deutsche Wort »Gott« an Undefinierbarkeit und Unübersetzbarkeit mit Tao vergleiche. Natürlich, in die romanischen und slawischen Sprachen läßt sich »Gott« sehr bequem übersetzen, weil alle diese Gemeinsprachen der christlichen Zeit miteinander durch zahllose Lehnübersetzungen zusammenhängen, weil der christliche Katechismus von einem Volke zum andern gewandert ist. Wollte aber ein gelehrter Chinese seinen Landsleuten den abendländischen »Gott« durch das Wort Tao vermitteln, so könnte ihm ein chinesischer Philosoph antworten: »Die Leute im Abendlande können das Wort Gott nicht definieren, und wir können es darum in unsere Sprache nicht übersetzen. Unsere geliebte Muttersprache aber ist der Prüfstein der Wahrheit von Begriffen.« So könnte der chinesische Philosoph sprechen, wenn er die Sprachkritik und Leibniz mit Nutzen gelesen hätte. Und wir sollten uns ein[269] wenig schämen, nicht ebenso vorurteilslos vor dem Tao der Chinesen zu stehen.

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 2 1923, Band 3, S. 267-270.
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