Uhrengleichnis

[316] Uhrengleichnis – Ich habe an einer früheren Stelle auf einen besondern Artikel Uhrengleichnis verwiesen, dann aber den Gegenstand schon unter dem Schlagworte Okkasionalismus behandelt. So will ich denn aus der kleinen Not eine kleine Tugend machen und, anstatt wiederum zurück zu verweisen, die Gelegenheit benützen und auf einen Vorwurf antworten. Ich hätte Dubois-Reymond überall hart behandelt, und doch hätte Dubois in seinem vielgenannten Vortrage »Über die Grenzen des Naturerkennens« (S. 41) schon die Ansicht ausgesprochen, daß es für die Übereinstimmung der beiden Uhren außer den drei Leibnizschen Erklärungen noch eine vierte gäbe: Leib und Seele sind durch das Werk und das Zifferblatt Einer Uhr bildlich darzustellen. Diese hübsche Umkehrung des Uhrengleichnisses ist aber nicht von Dubois erfunden, sondern von dem viel geistreicheren und tiefsinnigeren Fechner, wie Dubois selbst in einer Anmerkung anerkennt.

Ich möchte jetzt zu bedenken geben, daß auch das Bild von Werk und Zifferblatt Einer Uhr für Seele und Leib nicht genau stimmt. Die Bewegung des Zeigers auf dem Zifferblatte entspricht dem Gange des Räderwerks mathematisch genau, weil diese Bewegung einfach nur eine Funktion der Maschine ist; Leib und Seele aber gehen niemals ganz gleich. Und daß man Leib und Seele in mancher Beziehung überhaupt nicht miteinander vergleichen kann, kommt daher, daß sie eigentlich wie zwei Uhren sind, denen zwei verschiedene Zeitsysteme zugrunde liegen.

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 2 1923, Band 3, S. 316.
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