[9] absolut – Vor hundert Jahren war das Wort »absolut« so frech geworden, daß es die grobe Züchtigung durch Schopenhauer auf sich zog. Unbekümmert um Kant, der ein absolutnotwendiges Wesen auch nur zu denken schwierig fand, der beim Begriff des Unbedingtnotwendigen eigentlich gar nichts denken konnte, hatten Fichte, Schelling und Hegel, jeder auf seine Art, das Wort »absolut« wirklich schnöde mißbraucht: Fichte sah in seinem absoluten Ich den Gott der ordo ordinans; Schelling nannte seine Identität von Subjekt und Objekt das Absolute und war unverschämt genug, am Ende sogar das Dogma der Trinität durch die »drei Angesichte« (wörtlich nach dem griech. prosôpon) des Absoluten stützen zu wollen; nach Hegel führt sein dialektischer Prozeß zum Selbstbewußtsein des Absoluten oder der Weltvernunft, Gott manifestiert sich in der absoluten Religion als absoluter Geist. (Der tollste Satz Hegels lautet: »Das Absolute ist die Identität der Identität und der Nichtidentität« [De. I. 251]. Suche ich nach einem festen Beispiel für diese entsetzliche Formel, so fällt mir kein besseres ein als das Wort der Hexen »fair is foul, and foul is fair« oder der deutschen Hexe »Und Neun ist Eins, Und Zehn ist Keins«. Woraus mit Recht zu folgern wäre, daß das Absolute des Hexen-Einmaleins ist.) Darauf konnte nur der Grobianismus Schopenhauers antworten. Das Absolutum sei der neumodische Titel für den lieben Gott, sei der kosmologische Beweis in nuce. »Wer zuerst den Pfiff gebraucht habe, unter diesem alleinigen Wort Absolutum den explodierten und proskribierten kosmologischen Beweis incognito einzuschwärzen, weiß ich nicht mehr anzugeben; aber der Pfiff war den Fähigkeiten des Publikums richtig angemessen; denn bis auf den heutigen Tag kursiert Absolutum als bare Münze.« Schopenhauer wird nicht müde, das Gerede vom Absolutum auf einen verschämten und daher verlarvten kosmologischen Beweis zurückzuführen. »Was bedeutet nämlich das Absolutum? Etwas, das nun einmal ist, und davon man (bei Strafe) nicht weiter fragen darf, woher und warum es ist. Ein Kabinettstück für Philosophieprofessoren!« Schopenhauer hat das[9] Wort nicht vernichtet, wie denn Worte fast immer eines natürlichen Todes sterben und nicht leicht totzuschlagen sind, weil sie zwischen den Menschen leben; auch hat Schopenhauer selbst einmal (halb ironisch freilich) die Materie zum neuen Absolutum gemacht und ganz im Ernste seinen »Willen« gerade dorthin gesetzt, wo vorher Hegels Absolutum saß. Das Wort ist, banal gesagt, aus der Mode gekommen. Man könnte ihm die Worte zurufen, die in Schillers tiefsinnig kolportagehaftem »Geisterseher« der Armenier zu dem Magier spricht: »Taschenspieler, du wirst keinen Geist mehr rufen.« Darum nur wenige Erinnerungen, um die Geschichte des Wortes und den Grund seiner Leerheit und Überflüssigkeit aufzuzeigen. Das Adjektiv absolutus hat seltsamerweise schon im klassischen Latein die beiden Bedeutungen vollkommen und unbedingt. Ich wüßte nicht zu sagen, wie diese Gabelung entstand. Eine Lehnübersetzung aus dem Griechischen ist es nicht. Absolvere im juristischen Sinne der Freisprechung hat sich in der christlichen, besonders katholischen Absolution erhalten. Der grammatische Terminus eines nomen absolutum, d.h. eines Nomens, das an sich einen vollständigen Sinn gibt, wird schon von Priscianus mit dem Beispiele Deus belegt. Und Cicero verbindet öfter die beiden Synonyma absolutus et perfectus.
Da haben wir schon einige Gegensatzpaare beisammen, aus denen so ein Unbegriff noch am besten verstanden werden kann. Bis zu der Zeit von Wolf wird dem Adverbium absolute bald comparate (lat. hieß, was man jetzt Positiv nennt, das adjectivum absolutum oder der gradus absolutus im Gegensatz zum Komparativ) entgegengestellt, bald respective, bald hypothetice. »Denn wo ein gewisser Respect ist, da ist gleichsam eine sonderliche Bedingung«, sagt der fleißige Walch. Fehlt noch der Gegensatz relative, der in unserm Sprachgebrauch noch den besten Sinn zu geben scheint. Dieses Gegensatzpaar ist nun offenbar aus dem Sprachgebrauch des Platon hergenommen, wo die Begriffe entweder kath' hauto oder pros ti ausgesagt werden. An sich, an und für sich bedeutet das erste, relativ bedeutet das zweite. So hat schon Platon und nach ihm[10] Aristoteles die Gottheit definiert als auto kath' hauto meth' hauto. Die große Frage war schon dem erkenntnistheoretisch unklaren antiken Denken der regressus in infinitum; die Gottheit war die ursachlose Ursache, sie wirkt gesetzmäßig (kath' heimarmenên), ist prima omnium causa, ea qua ceterae pendent.
Im Neuplatonismus und dann im Christentum wird Gott zum absolut Großen, zum absolut Seienden. Die Superlative für die Gottheit kommen auf: summum bonum, summa essentia, ens realissimum. Die Superlative steigern sich zu einem Wortrausch bei Augustinus und Minucius Felix und nun, da die Scholastik den griechischen Begriff des kath' hauto mit der christlichen Lehre verknüpft, entsteht der Terminus Absolutum, indem kath' hauto durch per se ipsum oder ens per se (Anselmus) übersetzt wird und dieser scholastische Ausdruck durch den lateinischen Absolutum verdeutlicht. Die docta ignorantia der Mystiker sucht den Ausdruck lebendig zu halten; für Ekkhart, dem Gott zugleich ichts und nichts ist, ist Gott ein »insitzen in sich selber«, und Cusanus (Gott ist quodlibet in quolibet) ist das Absolute vielleicht seine coincidentia oppositorum. Tolle deum a creatura et remanet nihil. Spinozas pantheistischer Gottesbegriff ist da schon vorgebildet: die causa sui, das ens absolute infinitum, das necessario existit, und alle Widersprüche, die aus diesem notwendigen und doch unbedingten Wesen kommen müssen. Die nüchterne docta ignorantia der Dogmatiker treibt das Leben aus dem Begriffe wieder hinaus. »Absolut« wird zu einer Art Superlativ, was freilich wieder ein Gegensatz zum Komparativ scheinen kann. Für Descartes ist Gott Inbegriff der Allweisheit, Allmacht und Allgüte (Vico: posse, nosci, velle), also der Inbegriff absoluter Eigenschaften. Leibniz gar vergleicht ihn mit dem absoluten Monarchen, er sei chef de toutes les personnes ou substances intellectuelles, comme le monarque absolu de la plus parfaite cité ou république. (Auch im Staatsrecht ist absolut ein leerer Begriff, weil der Monarch auch ohne verantwortlichen Minister niemals unbeschränkt ist, niemals unbedingt oder unabhängig,[11] vielmehr immer bedingt durch die gut oder schlecht gewählten Personen seines Umgangs.)
Das Wort absolut hat auf seinem Altenteil noch neue Kraft gewinnen wollen und sich so erst recht in seiner ganzen Ohnmacht gezeigt. Man redet vom absolut Wahren, wie man sogar vom absolut Schönen und absolut Guten redet. Wenn man gar kein sprachliches Gewissen mehr hat, zuletzt von absoluten Werten. Das Schöne und das Gute sind ohnedies Wertbegriffe. Und wer nicht begreift, daß jeder Wert nur eine Relation ist, daß also ein relativer Wert niemals absolut sein kann, dem ist nicht zu helfen.
Ich werde zu zeigen versuchen, daß auch der Wahrheitsbegriff wie alle menschlichen Begriffe nur Relation sein kann. Wäre das aber auch nicht der Fall, so wäre doch zwischen den Bezeichnungen »absolut wahr« und »wahr« kein irgendwie greifbarer Unterschied zu finden. Der erste Ausdruck ist nur lebhafter als der zweite. Wie denn Worte wie absolut (»absolut« oder »unbedingt zuverlässig«), faktisch, fabelhaft usw. Zu Verstärkungspartikeln geworden sind als Ersatz für die pöbelhaft gewordenen Schwüre. Berthold Auerbach, wenn er mir oder andern, gütigerweise, gebeten oder ungebeten, einen Rat erteilte, pflegte ihn mit den Worten einzuleiten: »Ich werde Ihnen das Absolute sagen«. Absolut ist im Gebiete des Denkens so überflüssig und hohl geworden wie ein Fluch.
So ist in der ganzen Wirklichkeitswelt des Seins und des Denkens freilich nur ein Begriff übrig geblieben, auf den absolut sinnvoll angewandt werden könnte: der Begriff Gott. »Absolut« ist wirklich eine Eigenschaft Gottes. Und wenn Gott existierte, so müßten wir das Wort beibehalten, das als Adjektivum so gut zum Substantivum paßt.
Buchempfehlung
Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.
110 Seiten, 4.40 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro