esoterisch

[456] esoterisch – sei hier gebucht, weil das Wort anfängt, mißverstanden zu werden; wirklich wie ein Fremdwort, das von Halbgebildeten einfach falsch gebraucht wird. Nach den unzuverlässigen Notizen der griechischen und lateinischen Anekdotensammler unterschied Aristoteles seine Vorträge, vielleicht auch seine Schriften in esoterische und in exoterische; dem engeren Kreise seiner Schüler soll er auf der Morgenpromenade (heôthinon peripaton) seine tiefsten Gedanken mitgeteilt haben, einem weiteren Kreise auf der Abendpromenade (deilinon peripaton) eine populäre Darstellung. Exoterisch behielt ungefähr die Bedeutung populär. Esoterisch aber, das man mit intim, streng wissenschaftlich, oft aber auch mit ehrlich hätte übersetzen können, wurde neuerdings in England auf die Schwierigkeit und Dunkelheit einer Frage bezogen, und die sogenannten Okkultisten (vgl. Art. Okkultismus) behaupteten von sich, sie besäßen für ihre Adepten ein esoterisches Wissen, welches für Laien oder Uneingeweihte nicht mitteilbar wäre. So wurde esoteric im Englischen beinahe zu einem Synonym für mystic; und in einem solchen Sinne habe ich esetorisch schon in deutschem Gebrauche vorgefunden. Wenn die Anekdoten über den engem und weitem Schülerkreis[456] von Aristoteles, wie es scheint, nur Entlehnungen aus den hübschen Legenden über die Schule der Pythagoräer gewesen sein sollten (die Novizen sollen da exôterikoi geheißen haben, weil sieden Meister nicht sehen durften, hinter einem Vorhang standen), dann würde am Ende der Bedeutungswandel von esôterikos jetzt bei den Engländern zu seinem Ursprunge zurückgekehrt sein; denn Pythagoras hatte wohl seine Weisheit aus Ägypten geholt, woher für uns auch der Okkultismus stammt.

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 21923, Band 1, S. 456-457.
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