[43] Man könnte die unveränderliche Übernahme technischer Erfindungen und ihre Anpassung an den Geschmack oder das Bedürfnis recht gut mit Entlehnung und Lehnübersetzung der Bezeichnungen vergleichen, weniger höflich mit Diebstahl und Hehlerei. Und da ist es zu beachten, daß die Kulturgeschichte mit der Zeit ehrlich geworden ist und jetzt ohne Rücksicht auf Nationaleitelkeit dem wahren Erfinder sein Recht zu geben sucht, daß aber die Sprachwissenschaft in unzähligen Fällen sich gegen die Erkenntnis sträubt, mit der Sache sei auch der Name entlehnt oder angepaßt worden. Nur wo die Wortgeschichte ein Ausweichen nicht gestattet, wird Entlehnung oder Lehnübersetzung zugestanden. Und doch ist der Vorgang, den wir heutzutage unaufhörlich beobachten können, keine Eigentümlichkeit unseres Zeitalters der Technik und des Verkehrs; zu allen Zeiten muß es so gewesen sein, ist es so gewesen. Ich gebe ein paar Beispiele aus den verschiedensten Gebieten der technischen Künste.
Die Architektur gebraucht fast ausschließlich Worte, die entlehnt sind: aus dem Lateinischen, dem Griechischen, dem Italienischen, dem Französischen, dem Arabischen. Sonst unerklärliche Wörter verraten ihre Herkunft, wenn man den Begriff der Lehnübersetzung zu Hilfe nimmt. Unser altes Kemenate kommt vom Spätlateinischen caminata und bedeutete (nach caminus, Feuerstätte, cheminée) ein geheiztes Zimmer; davon ist Stube (ital. stufa, Badestube) offenbar eine Lehnübersetzung; überraschenderweise hat franz. poêle eine parallele Wortgeschichte: es bezeichnete ursprünglich einen heizbaren Raum, wahrscheinlich von lat. pensile.
Die Küche hat eine große Menge ihrer gegenwärtigen Namen (für gute Küche) aus dem verdorbenen Latein der mittelalterlichen Klöster, aus dem Küchenlatein. Ich setze die Unzahl von Entlehnungen als bekannt voraus und erinnere nur an wenige Übersetzungen. Aus ital. cavolifiori, franz. choux-fleur (süddeutsch Karfiol) wurde Blumenkohl, das dem Österreicher[43] fremd und geziert erscheint. Ganz eingedeutscht ist Rührei, doch aber Übersetzung von lat. ova misculata, franz. omelette. Was die Franzosen pets de nonne nennen, heißt am benachbarten Rhein Nonnenfürzchen. Ich möchte zwei Vermutungen hinzufügen. Das schwed. sexa wird häufig als die Sechsuhrmahlzeit erklärt; daß die Zeit nicht stimmt, würde allerdings nicht stören, da sich die Namen der Mahlzeiten, die von der Zeit hergenommen sind, leicht verrücken. Könnte aber sexa nicht eine schlechte Aussprache von russ. zakuska (Imbiß) sein, dieses wieder eine Lehnübersetzung von franz. goûter? Sehr wahrscheinlich ist es, daß franz. assiette (von lat. situs) ursprünglich das bedeutete, was wir jetzt für eine schwer zu erklärende abgeleitete Bedeutung halten: die Lage; sodann die Lage, den Platz bei Tische; als es auf Umwegen, die noch nicht ganz aufgeklärt sind, zu der Bedeutung Teller kam, wurde für den Platz bei Tische das neue Wort couvert herangezogen, für den gedeckten Platz mit allem Zubehör; und dieses couvert haben wir peinlich genau mit Gedeck übersetzt.
Die Wortgeschichte des Kriegswesens erzählt von unzähligen Entlehnungen, denen man die Geschichte des Kriegswesens selbst ablesen oder abhören kann. Die Namen der Waffen (fusil und Flinte, couleuvrine und Feldschlange), die Namen der Rangtitel (Kapitän und Hauptmann), die Namen der Befestigungen (forteresse und Festung, parapet, ital. parapetto und Brustwehr) deuten gut darauf hin, welche Nation zur Zeit der Entlehnung oder Übersetzung gerade die besten Heereseinrichtungen hatte. Besonders interessant ist das Wort laden in seiner militärischen Bedeutung. Man kann nach dem Sprachgebrauche die Ware laden (Steine, Säcke), aber auch das Gerüste, das zur Fortbewegung der Ware bestimmt ist (den Wagen, das Schiff). Das Gefäß, der Behälter wird gefüllt beim Laden: der Raum der Kelter, des Hochofens, des Schmelztiegels, der Kanone. Das Füllen der Waffe, das zunächst bei den Geschützen von großem Kaliber (Lehnwort aus dem Arabischen, qalib = Modell) ein wirkliches Beladen war, machte die Waffe schußbereit; und diesen Sinn hat auch ital. caricare franz. [44] charger. Man achte darauf, daß die kriegerischen Italiener schon vor Einführung der Feuerwaffen sagten: caricare la balestra, l'arco, den Bogen spannen; das alte technische Wort der Soldaten ging unverändert oder in Übersetzung auf die neue Waffe über. (Man vergleiche für einen ähnlichen Übergang des militärischen intendere auf die Feuerwaffe den Art. Absicht.) Vielleicht besteht zwischen caricare und laden eine noch viel ältere Beziehung. Wenn eine Last auf ein Vehikel geladen wird, so denkt man immer an den Zweck der Fortbewegung; nun könnte laden mit leiden, ursprünglich soviel wie leiten, reisen oder reisen machen zusammenhängen, wenn auch nicht so eng wie caricare mit carrus.
Von den Worten der Landwirtschaft sei nur eines angeführt, das vielleicht noch althochdeutsche Lehnübersetzung ist: Getreide; trotzdem das Wort im heutigen Sinne zur Lutherzeit noch so neu war, daß oberdeutsche Bibelglossare Luthers Getreide durch Korn, Frucht (lat. fructus) erklären zu müssen glaubten. Getreide wird allgemein als das aufgefaßt, was der Boden getragen hat, der Ertrag. Die häufige Anwendbarkeit des Begriffs der Lehnübersetzung läßt mich nun vermuten, daß alle andern Erklärungsversuche für franz. blé, altfr. bled, verfehlt waren, daß Diez vollkommen im Rechte war, als er franz. blé, ital. biada von spätlat. ablatum oder dem Plural ablata herleitete; es wäre dann blé eine unverständlich gewordene Verstümmlung, Getreide eine heute noch verständliche Übersetzung des lateinischen Wortes.
Ich darf wohl, ohne Widerspruch zu befürchten, auch die Medizin unter die technischen Künste rechnen; wem das nicht gefällt, der mag die Beispiele unter eine vornehmere Rubrik einordnen. Und ich will mich mit der Aufzählung von Übersetzungen aus dem Arabischen begnügen, weil es dafür eine übersichtliche Vorarbeit gibt, die von Hyrtl.
Seitdem Hyrtl, der berühmte Anatom und gewissenhafte Philologe, seine wortgeschichtlichen Untersuchungen veröffentlicht hat, kennt man im einzelnen den Einfluß der arabischen Ärzte auf das Medizinerlatein des spätem Mittelalters. Für[45] Hyrtl, dem ich natürlich nur folgen kann, waren fast nur die latinisierten arabischen Ausdrücke von Interesse, und nur gelegentlich erfahren wir von Lehnübersetzungen aus dem Arabischen oder dem Hebräischen. Er gibt (S. 43 d. Einleitung) überdies eine ganze Reihe deutscher Ausdrücke aus dem 16. Jahrh., die wieder Lehnübersetzungen der lateinischen Lehnübersetzungen aus dem Aarabischen waren.
Ich setze aus dieser Sammlung deutscher Übersetzungen, von denen viel heute noch üblich sind, vorläufig einiges her: Hirnschale und Hirnkasten, nach testa, theca oder olla cerebri (prov. noch oulle), Mandeln, Magenmund, Speiseröhre, Pfeilnaht (suttura sagittalis), Herzgrube (scrobiculus cordis), Herzbeutel (marsupium cordis), Hodensack (bursa), Blasenhals, Muttermund (os vulvae), Nasenflügel, Zahnfleisch (caro dentium), Gaumenvorhang (velum palati, jetzt genauer Segel), Kehldeckel (coperculum laryngis), Stimmritze (rima glottidis), Schamspalte (rima pudendi), Hirnbalken (trabs) usw.
Wäre nun auch ein Teil der Wortgeschichten Hyrtls durch die Forschungen der neuesten Arabisten korrigiert worden, so bliebe doch die Invasion dieser semitischen Ausdrücke und Vorstellungen ein unvergleichliches Beispiel für die internationale Entlehnung ganzer Disziplinen. Besäßen wir nicht so genau die Brücken, die da zu den lateinschreibenden Ärzten des Abendlandes herüberführen, so wäre uns ein großer Teil ihrer Sprache ebenso unerklärlich, wie uns altgriechische Ausdrücke für Tiere, Pflanzen usw. unerklärlich sind, deren Wortbrücken nach Asien vor der historischen Zeit zerstört worden sind. Und wiederum: wenn in der Seeschlacht von Lepanto die Türken gesiegt hätten und dann vielleicht Europa nach Gottes Ratschluß türkisch geworden wäre, so wären heute vielleicht die Brücken nach Griechenland zerstört, unsere naturwissenschaftliche Literatur würde arabisch gedeutet, und kaum eine dunkle Sage wüßte von einer Anlehnung an ein altes Volk der Griechen zu erzählen.
Ich will an Bekanntes nur kurz erinnern. Die arabischen Ärzte des 12. und 13. Jahrh. (die in der Geschichte der Philosophie ebenso philosophische Zwischenhändler waren) lasen die[46] klassischen Schriften der griechischen Ärzte nicht in den Originalen, auch ihren vergötterten Galenos nicht; sie mußten sich bei dem Zufallsgange ihrer Kultur an Übersetzungen halten, die von syrischen und alexandrinischen Juden und von nestorianischen Christen hergestellt worden waren und die dann erst auf Befehl bildungsfroher Kalifen ins Arabische übersetzt wurden. Als nun die arabischen Schriften in die Gelehrtensprache des Abendlandes übersetzt wurden, verstanden die Übersetzer gewöhnlich kein Griechisch, das Arabische nicht immer gut und schrieben ein barbarisches Latein. Dazu kommt, daß in Spanien und dann zu Anfang des 13. Jahrh. in Montpellier jüdische Ärzte die Vermittlung übernahmen, und daß die Folgezeit also manches für arabisch hielt, was hebräisch war. Aus diesen historischen Tatsachen ergibt sich die Verhunzung so vieler technischer Ausdrücke, über welche zu klagen Hyrtl nicht müde wird. Für meine Absicht sind die oft abenteuerlichen Wortverstümmlungen ganz unwesentlich. Dagegen möchte ich noch auf zwei Tatsachen hinweisen, die in unserer Sprache an die Zeit gemahnen, da Araber die Lehrmeister des christlichen Abendlandes waren. Materiell ist nicht nur die spanische Sprache, sondern auch die deutsche voll von arabischen Worten aus jener Zeit. Besonders Astronomie, Botanik und Chemie: Zucker, Zibeben, Sirup, Ambra, Elixier, Amalgam, Naphtha, Kampfer, Ingwer, Bezoar, Tarif, Alchemie, Alkohol, Alkali, Almagest, Admiral, Algebra, Almanach, Aldebaran, Azimuth, Zenith und Nadir (?), Alambic usw. Geistig ist viel von der eigentümlichen Phantastik der Araber wie versteinert zu uns hierübergekommen. Die Araber bildeten gern neue Begriffe mit Hilfe der Vorstellungen von Vater (ab), Mutter (mum) und Söhn (ibn): der Ehemann hieß Vater der Frau, der Hahn Vater des Wachens, die Nacht Mutter der Sterne, der Pfeil Sohn des Bogens; so werden wir weiter finden Fieber als Mutter der Wärme, Pupille als Tochter des Auges und Hirnhaut als Mutter des Gehirns. Und nun einige beachtenswerte Worte aus der Fülle, die Hyrtl bietet.
Schon bei den Römern hieß die Haube, mit der Kinder bei[47] rasch verlaufenden Kopfgeburten mitunter auf die Welt kommen: galea, bei Mädchen vitta. Aus dem Orient stammt diesmal nicht das Wort, wohl aber der Aberglaube an diese Glückshaube oder das Wunschhütel. Ein caput galeatum war ein Glückskind; heute noch im Französischen: né coiffé.
Die Namen der Schädelnähte sind Übersetzungen bald aus dem Griechischen, bald aus dem Arabischen. Sogar der Name des griechischen Buchstaben Lambda hat sich in der Lambdanaht erhalten, wurde aber von Unkundigen wohl auch suttura lande genannt.
Anus heißt lateinisch sowohl After als altes Weib; auf den möglichen Zusammenhang möchte ich nicht eingehen. Es fanden sich dann barbarische Lateiner, welche vetula für anus setzten und auch das os ani die vetula nannten.
Retina ist kein lateinisches Wort, sondern von dem lateinischen Arabisten Gerardus, dem Übersetzer des Canon Avicennae, für den Teil des Sehnervs eingeführt worden, der den Glaskörper wie ein Netz umschließt; und wir haben es mit Netzhaut übersetzt. Auch die Linse (des Auges), die jetzt aus der Anatomie in die Optik übergegangen ist, ist kein sehr altes Wort. Sie wurde im Altertum oft recht poetisch: Seele des Auges, von Galenos auch das Göttliche des Auges genannt, noch bei Vesal, dann humor glacialis oder auch grando, das Hagelkorn. Am häufigsten wurde sie gutta genannt, der Tropfen; der graue Staar hieß gutta opaca, der schwarze Staar, bei dem die Linse ungetrübt bleibt, gutta serena. Linse a kos, phakôdês im Deutschen eher Lehnwort als Lehnübersetzung nach dem lateinischen lens, findet sich schon im Griechischen, ist aber noch bei Hippokrates die Bezeichnung für Sommersprossen. Die Frucht Linse ist also lateinisches Lehnwort; die Übertragung auf die Augenlinse Lehnübersetzung. (Die Bezeichnungen für die Teile des Gehörgangs sind Lehnübersetzungen aus dem Griechischen.)
Für die Achselvene, wie für die empfindliche, unter einer feinen Haut gelegene Hüftvene haben die Arabisten Ausdrücke[48] we vena titillaris, titillicum; vom Kitzeln heißt die Achselgrube jetzt noch im Französischen chatouilloire.
Der Ausdruck Röhre kommt bei den Alten nicht vor. Die Araber nannten die beiden Stücke des Vorderarms Röhrenknochen, alsaid oder asseyd; die ältern Arabisten übersetzten Ulna und Radius mit Canna oder Arundo major und Canna oder Arundo minor. Canna ist wohl gewiß ein semitisches Wort, hebräisch qanch; was nicht hinderte, daß cana in den abendländischen Sprachen eine reiche Wortfamilie gründete. (Kanehl, Kanone.) Auch die Knochen des Unterschenkels haben im Hebräischen und im lateinischen Avicenna die Namen großes Rohr (Schienbein) und kleines Rohr (Wadenbein); aber doch schon griechisch (wann?) aulos, Flöte, für Röhrenknochen, so auloi podôn für Schien- und Wadenbein.
Wahre und falsche Rippen ist neuere Lehnübersetzung. Hippokrates nannte die sieben obern Rippen, die sich ans Brustbein anschließen, synaptas, Galenos erst nennt sie gnêsias, für genesias, von genos, was dann durch alêthês, pseudês ersetzt mit wahr, falsch übersetzt wurde, mittelalterlich costae verae, perfectae, completae, legitimae, germanae, und non verae, imperfectae, spuriae, illegitimae, adulterinae, nothae, mendosae (eigentlich imperfectae, fehlerhafte, dann wohl mit mendaces verwechselt).
Auf dura und pia mater, als von der arabischen Metapherart herstammend, ist schon hingewiesen; die Hirnhaut wurde Mutter des Gehirns genannt. Noch merkwürdiger ist pia mater. Man kannte zur Zeit des Galenos nur zwei Hirnhäute, die mêninx sklêra oder pacheia (dura, crassa) und die innere zartere mêninx leptê (tenuis). Arabisch heißt tenuis raqiq. Der Mönch, der den Haly Abbas übersetzte, fand im Wörterbuch für raqiq die mönchisch bequemere Erklärung fromm, milde, und so stand und steht für mêninx leptê über das Arabische hinweg die falsche Lehnübersetzung pia mater. Wie denn überhaupt die seltsamen Namen der organisch auch heute noch nicht deutbaren Formen der Gehirnteile, gleich den Namen der zufällig sich dem Auge aufdrängenden Sternbilder, alte[49] Lehnübersetzungen sind. Ein altes vermis (im Gehirn) ist lateinische Übersetzung von dudah, Hirn- wie Herzkammern wurden thalami genannt; die Sehhügel wurden bald nach den Hoden, bald nach den Hinterbacken benannt. Als nun die Sehhügel ihren alten Namen thalami wiedererlangten und den Schimpfnamen nates an das vordere Vierhügelpaar abgaben, lag auf ihnen die Zirbeldrüse, von den Testes aus gerechnet, die glandula oder der penis cerebri. Mit drolligem Purismus, weil ihm das Aufliegen des Penis auf den Nates unziemlich schien, hat Vesal die Teile umgetauft. Nicht für immer.
Die Alten nannten die helleren Teile des Gekröses lactes, auch die Hoden der Fische; wir sprechen da noch heute von Milch.
Schlüsselbein ist eine unverständlich gewordene Lehnübersetzung von klêis, was ursprünglich Querbalken, Riegel hieß, und nicht Schlüssel, mit dem ja das Schlüsselbein auch verzweifelt wenig Ähnlichkeit besitzt. Wir haben das Wort auf dem Umwege über Araber und lateinische Arabisten: clavicula.
Der Darm wurde von den Arabern in die bekannten sechs Abteilungen geschieden; die Anatomen des 14. Jahrh. zählten aber, nach dem Vorgange von Hippokrates, von unten an; wie eben schon Hippokrates den Mastdarm archos principium intestinorum genannt hatte; woher vielleicht Arsch. Gut lateinisch ist für das rectum der Name longanon, von Schylhans mit Arsdarm und Schlechtdarm (glatter Darm) übersetzt; dieses Stück des Schweinsdarms diente schon bei den Römern zum Wurstmachen; heute noch ist im Spanischen longaniza (Wurst) erhalten.
Das Stück des Duodenums, das jejunum heißt, hat seinen Namen (angeblich) davon, daß es nunquam continet, quod accipit, also immer fastet; ist aber schon richtige oder falsche Lehnübersetzung von nêstis, was von nê esthiein hergeleitet wird. Auch das Duodenum selbst übersetzt das griechische dôdekadaktylos womit freilich früher etwas anderes bezeichnet worden war. Erst Galenos stellte im Pylorus genau die grenze zwischen Magen und Darm fest, von pylê und ôreô;[50] es wurde von den Neulateinern und den Italienern mit portanarius und ähnlich wiedergegeben, woher unser Pförtner.
Der Ringknorpel hatte bis auf Galenos keinen Namen, und das fiel so auf, daß er cartilago innominata (anônymos), der anonyme Knorpel genannt wurde. Galenos Benennung krikoeidês (von krikos oder kirkos) ist die Unterlage für die Lehnübersetzung Ringknorpel. Die Araber, die eine sehr ungenaue Kenntnis des Kehlkopfes hatten, übersetzten anônymos mit la isma lahon, was nach F. Müllers Vermutung (des orientalistischen Helfers von Hyrtl) zu Galsamach verhunzt wurde, welches Wort viele Teile der Larynxgegend vom Gaumensegel bis zum Ringknorpel bedeutete.
Bekannt ist, daß der Adamsapfel seinen Namen von der hebräischen Legende hat, ein Stück vom verbotenen Apfel sei dem ersten Menschen vor Schreck stecken geblieben und als der sog. Adamsapfel zur Erinnerung und zum Zeichen des Sündenfalls zu sehen. Die Griechen nannten das Ding nach dem Vogelkropf; bei Haly Abbas findet sich der Ausdruck pomum granatum. Der hebräische Ausdruck tappuach haadam, pomum viri rührt daher, daß der Vorsprung beim Manne viel stärker wahrnehmbar ist. Nach Hyrtls ansprechender Vermutung erklärt sich die eben erwähnte Legende daraus, daß adam Mann bedeutet, aber zugleich den Namen des ersten Menschen.
Die alten Namen der Zähne haben wir aus dem Arabischen: die Schneidezähne, die Lachzähne (risorii, gelasinoi), die Weisheitszähne. Allerdings kannten schon die Alten die letzte Bezeichnung: sôphronistêres dentes sapientiae (die übrigen Zähne im Gegensatz dazu recht albern dentes stultitiae); aber die arabische Lehnübersetzung erhielt sich in der arabischen Form Neguegil oder ähnlich lange bei den lateinischen Arabisten.
Im Mittelalter unterschied man venae pulsatiles und quietae für Arterien und Venen; die Aorta, als die Haupt-Schlagader (Lehnüb. für v. pulsatilis) hieß auch vena elevabilis, womit eine Lehnübersetzung von aorta (aeirein, erheben) versucht worden war.[51]
Die Carotiden haben ihren griechischen Namen von karos, sopor, tiefer Schlaf; die Araber übersetzten sopor oder das gleichbedeutende hebräische tardemah mit subat; die Arabisten nannten also die Carotiden arteriae oder venae subethales; Vesal, in seiner Weise ein Purist, d.h. ein Gegner des barbarischen Arabisten-Latein, führte die Bezeichnung soporalis ein. Sehr wahrscheinlich nun, daß von dieser alten Bezeichnung her der Zweig der Arteria soporalis, dessen Pulsschlag in regione temporali besonders leicht fühlbar und sichtbar wird, oder die Gegend den deutschen Namen Schlaf oder Schläfe erhielt; denn an die schlafbringende Wirkung einer Kompression der Carotiden glaubte man fest; eine schmerzstillende kennt man noch immer. In einer lateinischen Übersetzung des Averroës heißen sie geradezu arteriae somni. Die Bezeichnung subethales ist wieder verschwunden, aber doch nicht ganz; in der Provence nennt man eine Kinderkrankheit, die rasch zu völliger Bewußtlosigkeit führt, subé oder subeth puerorum, wohl von der Sarazenenzeit her.
Brustkorb scheint Lehnübersetzung eines crates oder cratis costarum (zuerst bei Lactantius); crates war ein Weidengeflecht, ein Korb; die Wortgeschichte ist unsicher, weil die Ähnlichkeit mit einem Korbgeflecht doch wohl erst beim Anblick eines Skeletts erscheint.
Im Deutschen, Französischen, Englischen und Niederländischen finden wir ein entsprechendes Wort (Rude, verge, roede) für das männliche Glied, die germanischen Worte Lehnübersetzungen von virga, das im Altlateinischen nur Zweig heißt und erst als Lehnübersetzung des arabischen al-kamarah Penis bedeutete, aber in diesem Sinne selbst in die modernen Sprachen nicht überging. Schamteile usw. ist natürlich Lehnübersetzung des bereits homerischen aidôs (ta aidoia.) Unzählige Spitznamen für den Penis gehen in Lehnübersetzungen, Falschübersetzungen und lasziven Spaßen von Volk zu Volk. Veretrum, doch wohl von vereri, also Schamteil; bei lateinischen Spaßmachern finden wir dafür veru, Bratspieß.
So wanderten richtige und falsche Beobachtungen der Anatomen[52] und Mediziner auf dem zufälligen Umwege über die Araber zu uns, wissenschaftliche Kenntnis und Aberglaube durcheinander; wir werden noch erfahren, daß Wahrheit und Glaube (vgl. Art. Wahrheit) eigentlich gar nicht widersprechende Begriffe sind; wir werden also sagen können: die Gegenstände des Glaubens sind es, die mit ihren Namen von Volk zu Volk wandern.
Ich könnte nicht enden mit solchen Belegen, wenn ich nun auch die Wanderungen und besonders die Lehnübersetzungen von Wörtern der Mythologie und Religion, der Mathematik und der Astronomie, also nur der wichtigsten Gebiete des Glaubens und des Wissens, aufzählen wollte, wenn ich gar die Entlehnungen und Lehnübersetzungen der Naturgeschichte (wo die Beispiele von Tier- und Pflanzennamen nicht zu zählen sind) sammeln wollte. Mir ist es ja besonders darum zu tun, die Macht der Entlehnungen in den Nationalsprachen überhaupt nachzuweisen, besonders aber die Macht der Entlehnung bei den Ausdrücken der Geisteswissenschaften, vor allem die Bedeutung der Entlehnung für die philosophischen Begriffe. Vorher sei noch der Fälle gedacht, wo nicht einzelne Wörter, sondern gleich ganze Wortfolgen entlehnt wurden, Kunstprodukte der Sprache: politische Schlagworte, Sprichwörter, Scherze, Anekdoten, Novellen usw. Es handelt sich um die unabsehbare Reihe von wandernden Motiven.
Buchempfehlung
Das Trauerspiel erzählt den letzten Tag im Leben der Königin von Georgien, die 1624 nach Jahren in der Gefangenschaft des persischen Schah Abbas gefoltert und schließlich verbrannt wird, da sie seine Liebe, das Eheangebot und damit die Krone Persiens aus Treue zu ihrem ermordeten Mann ausschlägt. Gryphius sieht in seiner Tragödie kein Geschichtsdrama, sondern ein Lehrstück »unaussprechlicher Beständigkeit«.
94 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro