Petöfi

[660] Petöfi (spr. péttöfi), Alexander, berühmter ungar. Dichter, einer der größten Lyriker des 19. Jahrh., geb. 1. Jan. 1823 zu Kis-Körös im Pester Komitat, wo sein Vater Stephan Petrovics ein wohlhabender Fleischer war, gest. 31. Juli 1849 bei Schäßburg, besuchte[660] die Schulen in Kecskemék, Gyönk, Pest u.a. O. und ging 1838 nach Schemnitz, um das Gymnasium zu besuchen, verließ jedoch die Bergstadt mitten im Schuljahr und begann ein mehrjähriges Wanderleben, in dem wir ihn bald als Schauspieler, bald als Soldat, bald wieder als Student (in Papa) finden. 1842 erschien sein erstes Gedicht: »A borozó« (»Der Weintrinker«), im »Athenaeum« gedruckt und noch mit »Petrovics« unterzeichnet. Die erste Sammlung seiner Gedichte (Ofen 1844) begründete seinen Namen als Dichter. Von nun an entfaltete er seine wunderbare Fruchtbarkeit als Lyriker und versuchte sich auch im Roman mit »A hóhér kötele« (»Der Strick des Henkers«, deutsch in Reclams Universal-Bibliothek) sowie im Drama, doch in beiden letztern Gattungen ohne Erfolg. Unter allen Verhältnissen seines bewegten Jugendlebens an seiner Bildung arbeitend, studierte er die moderne Literatur, lernte deutsche, englische und französische Dichter im Original lesen und übersetzte unter anderm Shakespeares »Coriolan« (Pest 1848), der seitdem im ungarischen Nationaltheater in Petöfis Übersetzung ausgeführt wird. Mit begeisterungsvollem Eifer beteiligte er sich an der Revolution von 1848, deren Vorgefühl sich schon in einigen seiner frühern Gedichte kundgegeben hatte. Am 15. März 1848 veröffentlichte er das Lied »Talpra, Magyar« (»Auf, Magyar«), das in jener Zeit allgemein gesungen wurde, und mit dem er eine längere Reihe revolutionärer Lieder eröffnete. Obwohl er erst ein Jahr zuvor Julia Szendrey geheiratet hatte, trat er im September 1848 in die Honvédarmee, diente unter Bem und zeichnete sich bei mehreren Gelegenheiten durch Tapferkeit aus. Bei Gelegenheit der entscheidenden Schlacht bei Schäßburg 31. Juli 1849 wurde er zum letztenmal gesehen, und nach längerm Zweifel und dem Auftauchen mehrerer »falscher Petöfis« ward endlich mit Gewißheit angenommen, daß er dort gefallen und mit vielen andern Opfern jenes Tages in einem gemeinsamen Grabe bestattet worden sei. Petöfis Lyrik zeichnet sich durch Wahrheit und Natürlichkeit aus; er war der erste, der sich gegen die trockne Schul- und Regelpoesie auflehnte, die bis dahin in der ungarischen Literatur alleinherrschend gewesen, und an Stelle der klassischen konventionellen Rhetorik den ungekünstelten Naturausdruck setzte. Diese Wahrheit und Realistik verschaffte seinen Dichtungen einen ungeheuern Erfolg bei seiner Nation und machte sie zu wahren Volksliedern, in denen die leidenschaftliche Glut sowie die Melancholie und der Humor des ungarischen Naturells zum reinsten Ausdruck kamen. Die erste vollständige Sammlung erschien 1874 in einer illustrierten Prachtausgabe, der später zahlreiche andre, darunter auch billige Volksausgaben und neuerdings eine kritische Ausgabe von A. Haras (1894 ff.) folgten. 1877 wurde in Budapest vorwiegend zur Förderung des Petöfi-Kultus die literarische Petöfi-Gesellschaft gegründet. Die erste deutsche Übersetzung Petöfischer Gedichte veröffentlichte A. Dux (Wien 1846, neue Ausg. 1867); ihm folgten Kertbeny (mit mehreren Sammlungen), Szarvady und M. Hartmann (Darmst. 1851), Opitz (2. Aufl., Pest 1868, 2 Bde.), H. v. Meltzt (2. Aufl., Münch. 1883), Neugebauer (2. Aufl., Leipz. 1885), Aigner (Budapest 1880–82), A. Teniers (Halle 1887), M. Farkas (in »Meyers Volksbüchern«), A. v. Sponer (Leipz. 1895). Aus dem Deutschen wurden Petöfis Dichtungen auch in andre fremde Sprachen übertragen, so ins Englische von Bowring, Butler u.a., ins Französische von Sayous, Desbordes-Valmore, Dozon u.a., ins Italienische von Cassone. Vgl. Opitz, Alexander P. (Bern 1868); kleinere biographische Schriften von Teniers-Herzl (Wien 1866) und Bubenik (das. 1882). Der literarhistorischen Werke über P. in ungarischer Sprache ist Legion; die hervorragendsten sind: Gyulai, Petöfis Leben und Dichtung (Budapest 1884), Ferenczi, Petöfis Biographie (das. 1896, 3 Bde.) und Alexander Fischer, Petöfis Leben und Werke (das. 1890; deutsch, Leipz. 1888).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 660-661.
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