Arbeiterwohnungen

Zu den Tafeln ›Arbeiterwohnhäuser I-III‹.

Die gemeinnützige Bautätigkeit ist darauf gerichtet, ohne die Nebenabsicht des Erwerbs die Wohnungsverhältnisse durch den Bau von Kleinwohnungen zu verbessern. Diese gemeinnützige Bautätigkeit weist eine große Mannigfaltigkeit der Organisationsformen auf. Zunächst die Form der Aktiengesellschaft mit Beschränkung der Dividende auf einen mäßigen Prozentsatz und Verwendung etwaiger Überschüsse zu Rücklagen oder zur Erweiterung des Unternehmens. Hierher gehören von deutschen Gesellschaften die bereits 1853 ins Leben gerufene, vor kurzem in Liquidation getretene Mülhausener Gesellschaft für Arbeiterwohnungen, die Gladbacher Aktienbaugesellschaft in M.-Gladbach, die Barmer Baugesellschaft für Arbeiterwohnungen, die sämtlich Häuser zum Erwerb durch die Arbeiter bauen; ferner von Gesellschaften, die ausschließlich Häuser zum Vermieten herstellen: die älteste unter allen augenblicklich in Deutschland bestehenden Baugesellschaften, die 1848 ins Leben getretene Berliner gemeinnützige Baugesellschaft, der gemeinnützige Bauverein in Dresden, die Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen in Frankfurt a.M. und andre. Ähnliche Organisationsformen hat die gemeinnützige Bautätigkeit unter andern in England, Frankreich, Belgien, den nordischen Ländern angenommen. Weniger Bedeutung hat in Deutschland die Form der Gesellschaft mit beschränkter Haftung gewonnen. Beide Organisationsformen arbeiten geschäftsmäßig, insofern sie eine, wenn auch mäßige Kapitalverzinsung anstreben, aber ihre Aktien, bez. Geschäftsanteile sind nur ausnahmsweise marktgängige Effekten geworden, sondern durchgehends in den Händen gemeinnützig denkender Kapitalisten, woraus sich für alle diese Gesellschaften mehr oder weniger der Charakter von Wohltätigkeitsanstalten ergibt. Noch mehr ist dies der Fall bei einer Reihe von Vereinen und Stiftungen, die den Bau von Kleinwohnungen bezwecken. Diese letztern finden ihren Hauptrepräsentanten in der Millionenstiftung des Amerikaners Peabody, aus deren Mitteln in London über 30,000 Wohnungen gebaut sind. Die durch die Vermietung der letztern aufgebrachten Kapitalzinsen werden stets von neuem dem gemeinnützigen Zweck zugeführt, ein Grundsatz, der auch von einigen deutschen Stiftungen, so von der des Verlagsbuchhändlers H.J. Meyer in Leipzig, der Adersschen Wohnungsstiftung in Düsseldorf u.a., übernommen ist.

Von diesen Veranstaltungen mehr oder weniger fürsorglichen Charakters heben sich die von den Wohnungsbedürftigen selbst organisierten Genossenschaften ab, unter denen zwei wesentlich verschiedene Arten zu unterscheiden sind, einmal die ältern, in England, den Vereinigten Staaten von Nordamerika und Belgien heimischen, die nicht selbst bauen, sondern ihren Mitgliedern Vorschüsse zum Erwerb eines Hauses gewähren, und die neuern, von Dänemark ausgehenden und jetzt vor allem in Deutschland zur Entwickelung gekommenen Baugenossenschaften im engern Sinne, die selbst bauen. Unter diesen letztern sind wieder, wie bei den gemeinnützigen Gesellschaften, zwei Richtungen zu unterscheiden, diejenigen Genossenschaften, die hauptsächlich Erwerbshäuser bauen (Flensburger Arbeiterbauverein, Berliner Baugenossenschaft, Arbeiterbauverein für Gaarden, Kiel und Umgegend, Spar- und Bauverein in Blumenthal a.d. Weser), und diejenigen, die sich ein dauerndes Eigentum an den von ihnen erbauten Häusern vorbehalten und die darin befindlichen Wohnungen ausschließlich an ihre Mitglieder vermieten: Hannoverscher Spar- und Bauverein, Berliner Spar- und Bauverein, Bau- und Sparverein in Hamburg und viele andre. In den Baugenossenschaften, deren in den letzten zehn Jahren über 400 in Deutschland entstanden sind, haben wir wohl zur Zeit die wichtigsten Organisationsformen der ganzen gemeinnützigen Bautätigkeit zu erblicken, wobei vor allem auch der sozial-ethische Gesichtspunkt ins Gewicht fällt, daß in der Mitwirkung der Arbeiter selbst bei der Verwaltung ein erziehlicher Faktor zu erblicken ist.

In letzter Linie sind nun noch eine Reihe von Maßnahmen in Betracht zu ziehen, die darauf abzielen, den Bau kleiner Wohnungen, insbesondere die Bautätigkeit der gemeinnützigen Gesellschaften und Genossenschaften zu erleichtern und zu fördern. Diese Aufgabe erfüllen einmal eine Reihe von Vereinigungen und Verbänden, indem sie, wie die Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, der Rheinische Verein zur Förderung des Arbeiterwohnungswesens, eine Anzahl von Genossenschaftsverbänden u.a., die Begründung von Bauvereinigungen anregen und die bestehenden durch Überweisung von Musterstatuten, Bauplänen etc. unterstützen und die ordnungsmäßige Geschäftsführung überwachen. Eine weitere Reihe hierher gehöriger Aufgaben liegt auf dem Gebiete der Baupolizeigesetzgebung, der Steuergesetzgebung und der Bodenpolitik der Gemeinden. In letzterer Beziehung ist namentlich der bereits mehrfach beschrittene Weg von Bedeutung, seitens der Gemeinden preiswertes Bauland, sei es durch Verkauf, sei es unter der Form des durch das Bürgerliche Gesetzbuch neu formulierten Erbbauvertrags, für den Bau kleiner Wohnungen zur Verfügung zu stellen (Frankfurt a.M., Halle a.S., Leipzig). Am bedeutungsvollsten für die ganze Frage ist aber die in einer Reihe von Ländern (England, Belgien, Frankreich) geübte Unterstützung der gemeinnützigen Bautätigkeit durch Gewährung von Darlehen aus öffentlichen Mitteln geworden. Für Deutschland kommt in dieser Beziehung in erster Linie die durch das Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz den Versicherungsanstalten erteilte Ermächtigung in Betracht, einen Teil ihrer angesammelten Kapitalien zu mäßigen Zinsen für den Bau von Arbeiterwohnungen herzuleihen. Die Gesamtsumme, die in dieser Form bis zum Schluß des Jahres 1900 zur Verwendung gelangt war, betrug bereits rund 70 Mill. Mark. Aus Anleihemitteln des Reichs und der Bundesstaaten Preußen und Bayern waren bis zu dem gleichen Zeitpunkte weitere 26 Millionen Mark bereitgestellt, um Wohnungen zum Vermieten an in Staatsbetrieben beschäftigte Arbeiter und gering besoldete Beamte zu bauen oder an Baugenossenschaften leihweise zu begeben, deren Mitglieder ganz oder teilweise aus solchen Beamten oder Arbeitern bestehen. Als dringend wünschenswert, wenn der gemeinnützige Wohnungsbau zu einer wirklich ausschlaggebenden Bedeutung gelangen soll, muß es bezeichnet werden, daß weitere Geldmittel für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden, etwa in der Form, daß für räumlich begrenzte Bezirke, Regierungsbezirk, Provinz, Staat, staatliche oder kommunale Banken als finanzielle Mittelpunkte für den gemeinnützigen Wohnungsbau eingerichtet werden, die sich durch Ausgabe von öffentlich garantierten Pfandbriefen die Mittel beschaffen.


Arbeiterwohnhäuser I.
Arbeiterwohnhäuser I.
Arbeiterwohnhäuser II.
Arbeiterwohnhäuser II.
Arbeiterwohnhäuser III.
Arbeiterwohnhäuser III.
Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905.
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