Entwickelungsgeschichte

Zu den Tafeln ›Entwickelungsgeschichte I-III‹.

1. Entwickelungsstufen eines Plattfisches, Rhombus. Fig. 1 achtfache, 1a vierfache, 1b dreifache Vergrößerung.

2. Nauplius-Larve einer Garneele (Penaeus?). Etwa 50:1.

2a. Etwas älteres Stadium einer solchen (sogen. Zoëalarve). 40:1.

2b. Penaeus. Garneele in natürl. Größe.

3. Nauplius einer Meereichel, Balanus. Etwa 50:1.

3a. Kolonie von Balanus. Natürl. Größe.

4. Nauplius einer parasitisch lebenden Assel, Notopterophorus. Etwa 100:1. 4a. Männchen desselben Krebses (etwa 30:1).

4b. Weibchen (etwa 10:1) von Notopterophorus. Lebt in Ascidien.

5. Nauplius eines an andern Krebsen schmarotzenden Wurzelkrebses, Peltogaster. Etwa 50:1.

5a. Peltogaster auf einem Paguriden. Natürl. Größe.

6. Pentacrinus-Larve eines Haarsterns, Antedon. Etwa 25:1.

6a. Der Haarstern Antedon in 1/2 natürl. Größe.

7. Embryo eines Rochens, Torpedo. Etwa 4:1.

7a. Ein Rochen, Torpedo ocellata in 1/3 natürl. Größe.

8. Embryo eines Haifisches, Scyllium. Etwa 4:1.

8a. Scyllium. 1/3 natürl. Größe.


Die Tafeln Entwickelungsgeschichte sollen die starke morphologische Umbildung solcher Tiere veranschaulichen, die- früh und im unausgebildeten Zustand, also zumeist als Larven, das Ei oder den Mutterleib verlassen und freilebend im Wasser ihre Jugendentwickelung durchmachen. Aus der großen Zahl von Tieren, die sich durch derartige weitgehende Umwandelungen entwickeln, ist hier eine Anzahl charakteristischer Formen herausgegriffen. Zu ihnen gehören unter andern die Krebslarven, die bei den einzelnen Abteilungen der Krebse in verschiedener Weise ausgebildet sind.

Aus unter sich sehr ähnlicher Anfangsstufe, dem sogen. Nauplius-Stadium (Tafel I, Fig. 2–5), gehen im erwachsenen Zustand höchst unähnliche Krebsformen hervor, nämlich Garneelen (Penaeus, Fig. 2b), Seepocken oder Meereicheln (Balanus, Fig. 3a), die auf Tieren oder andern Dingen festwachsen, mit getrennten Schalen versehen sind und früher zu den Muscheln gerechnet wurden, ferner die in Seescheiden schmarotzenden und mit flügelartigen Auswüchsen versehenen Rückenflügler (Notopterophorus), bei denen das Männchen (Fig. 4a) noch weit krebsähnlicher, das Weibchen (Fig. 4b) hingegen durch die schmarotzende Lebensweise stark verändert ist, endlich die auf andern Krebsen schmarotzenden, einem blutroten Sack ohne alle Gliederung gleichenden, also durch den Parasitismus ganz besonders stark modifizierten Wurzelkrebse (Peltogaster, Fig. 5a). Dieses eigenartige, unförmliche Wesen würde man gar nicht für einen Krebs halten, sondern wohl eher für ein wurmartiges Tier ansehen, wenn nicht aus seinen Eiern eine Larve von zweifellosem Krebscharakter hervorginge (Fig. 5). Ganz ähnliche Verhältnisse von einem so außerordentlich starken Abweichen der Larven vom ausgebildeten Tier finden sich bei vielen andern Krebsen, bei vielen Cölenteraten, Würmern, Stachelhäutern, Weichtieren, Manteltieren u.a., wie es die Tafeln II u. III zeigen.

Von ganz besonderm Interesse ist das Verhalten der Stachelhäuter, da bei ihnen die Larven außerordentlich zarte, völlig durchsichtige kleine Tiere sind, die sich an der Oberfläche des Meeres mittels der feinen Bewimperung ihres Körpers schwimmend bewegen (s. Tafel III, Fig. 13, 15, 18 u. 19), während die ausgebildeten Tiere sehr groß werden, von festen Kalkplatten umpanzert am Boden kriechen. Außerdem sind die Larven bilateral symmetrisch, die ausgebildeten Tiere radiär gebaut. Die Haarsterne zeichnen sich in dieser Beziehung noch durch eine besondere Eigentümlichkeit aus, indem bei Antedon (Taf. I, Fig. 6a), wie bei vielen Medusen, das freilebende geschlechsreife Tier aus einem festgewachsenen Jugend- (Pentacrinus-) Stadium (Fig. 6) hervorgeht, während die junge, aus dem Ei schlüpfende Larve ein zartes, durch Flimmerung sich freischwimmend bewegendes Tierchen ist, das sich nach starken innern und äußern Umwandlungen festsetzt und zur Pentacrinus-Larve wird, die bis zur Erlangung der Haarsternform ebenfalls viele Veränderungen durchzumachen hat.

Es seien noch einige Beispiele aus der Reihe der Wirbeltiere gewählt, so gehen die Zitterrochen (Torpedo, Taf. I, Fig. 7a) mit den ihnen verwandten Haifischen (Scyllium, Fig. 8a) ans ganz ähnlichen Larven (Fig. 7 u. 8) hervor.

Die Schollen (Rhombus, Taf. I, Fig. 1–1b) und alle Plattfische sind in ihrer ersten Jugend symmetrisch wie alle andern Fische gebaut; erst allmählich bildet sich mit ihrer Gewohnheit, immer auf einer Seite (der rechten oder der linken) zu liegen oder zu schwimmen, die Asymmetrie aus, und das Auge der Unterseite wandert nach der Oberseite, wobei die Mundpartie verzerrt wird.

Die Erscheinung, daß in der freien Entwickelung eine Anzahl verschiedener, vom ausgebildeten Tier, abweichender Larvenstadien durchlaufen wird, findet sich zwar durchaus nicht allein, aber besonders häufig bei Meerestieren, von deren Larven eine größere Zahl auf den Tafeln II u. III vereinigt ist. Sehr häufig sind die Larven kleine zarte Organismen, die sich flimmernd im Wasser fortbewegen (Fig. 2–6, 8, 11, 13, 15–17), während die ausgebildeten Tiere weit, schwerfälliger, auch ganz bedeutend größer geworden sind, auch wohl eine festsitzende Lebensweise führen. Dies trifft z.B. für die Schwämme zu.

Die Schwämme stellen im geschlechtsreifen Zustand oft große klumpige Massen dar (wir erinnern an den Badeschwamm), die auf Felsen festgewachsen sind oder irgend welche feste Gegenstände, wie Holzstücke u. dgl., umwachsen (s. Tafel Süßwasserfauna I, Fig. 8 u. 10); die Larven hingegen sind äußerst zarte Organismen von fast mikroskopischer Größe (Taf. II, Fig. 4), die mit Hilfe ihrer Bewimperung lebhaft herumschwimmen. So trifft man sie an der Oberfläche des Meeres zu verschiedenen Jahreszeiten; im Mai treten im Süßwasser die schon etwas höher entwickelten Flimmerlarven des Süßwasserschwammes (Spongilla) auf. Ähnliche kleine und zarte Flimmerlarven (die sogen. Planula) besitzen die meisten Cölenteraten (Taf. II, Fig. 5). Hier kommt das bemerkenswerte Verhalten hinzu, daß diese Larven sich festsetzen, während das geschlechtsreife Tier frei lebt. Die Metamorphose verbindet sich nämlich in diesen Fällen mit einem Generationswechsel; aus der Planulalarve geht ein junger Polyp hervor, nachdem sie sich festgesetzt hat, und dieser vermehrt sich wie bei vielen andern Cölenteraten durch Knospung, aber freilich nur durch sogen. terminale Knospung, so daß eine Anzahl hinter, bez. übereinander liegender Individuen und im ganzen ein tellersatzähnliches Gebilde, die sogen. Strobila, entsteht (Taf. II, Fig. 1). Ihre einzelnen Teile, die sich später loslösen und frei herumschwimmen, sind die (sogen. Ephyra-) Larven der Medusen (Taf. II, Fig. 7), in die sie sich später umwandeln, so daß eine zweimalige Metamorphose (Planula und Ephyra) mit dem Generationswechsel verbunden ist.

Als weitere Larvenformen der Cölenteraten erwähnen wir noch die bereits weiter entwickelte, mit Mundkegel und Tentakeln versehene Actinula-Larve mancher Hydroïdpolypen (Fig. 9), die somit schon als freies Stadium die sonst erst später erlangte Polypenform besitzt, ferner die aus der Planula durch eine Art von Umbiegung hervorgehende Larve von Aeginopsis (Taf. II, Fig. 2), die auf diese Weise direkt zur Meduse wird. Bereits auf höherer Ausbildungsstufe stehen auch die schon mit Magenschlauch, Luftflasche und Fangarm versehenen Larvenstadien mancher Siphonophoren (Taf. II, Fig. 12).

Sehr verbreitet ist die Metamorphose bei den Würmern, und zwar kommen auch bei ihnen sehr einfach gebaute Flimmerlarven vor, wie man sie z.B. von den Saugwürmern und manchen Bandwürmern kennt. Bei andern Plattwürmern, nämlich bei den Strudelwürmern, kommt die Müllersche Larve vor (Fig. 3), die in den altern Stadien bereits ziemlich viel von der Organisation und Gestalt des ausgebildeten Tiers erkennen läßt, aber doch noch die charakteristischen Flimmerlappen besitzt, die in der Jugend gegenüber dem mehr eiförmigen Körper weit stärker überwiegen. Verwandte Wurmformen, die Schnurwürmer (Nemertinen), besitzen die helmartig geformte Pilidium-Larve (Taf. II, Fig. 6), die durch eine äußerst komplizierte Metamorphose in den anfangs kurzen, später sehr langgestreckten Wurm übergeht, indem dieser hier im Innern der Larve zur Ausbildung gelangt, die noch ziemlich wenig verändert erscheint, wenn der Wurm bereits ausgebildet ist und die Larvenhaut durchbricht.

Äußerst charakteristisch sind ferner die sogen. Trochophora-Larven der Anneliden; sie sind durch den Besitz von Wimperringen ausgezeichnet (Taf. II, Fig. 8 u. 11), die ihnen zur Bewegung sowie zum Herbeistrudeln der Nahrungspartikel dienen. Sie erscheinen bereits ziemlich hoch organisiert und besitzen außer dem mit Mund- und Darmkanal versehenen After (Taf. II, Fig. 8) noch Tastorgane, Augen, Urnieren etc. Ihnen ganz ähnlich verhalten sich die Trochophora-Larven der Weichtiere, besonders der Muscheln, obwohl es sich bei den Ringelwürmern um gegliederte, bei den Weichtieren um ungegliederte Tierformen handelt. Zuweilen zeigen die Larven der Ringelwürmer eine sehr eigentümliche Ausbildung, indem sie mit verschiedenartigen Körperanhängen und langen Fäden ausgestattet sind (Taf. II, Fig. 10).

Aus den Trochophora-Larven der Weichtiere gehen später die sogen. Veliger-Larven (Taf. III, Fig. 16 u. 17) hervor. Sie besitzen ein dicht mit Wimperhaaren besetztes und als Bewegungsapparat dienendes sogen. Segel (Fig. 16) Velum, das oft mehrteilig ist (Fig. 17), sowie eine bei den Muscheln zweiklappige, bei den Schnecken gewundene Schale. Es tritt also der bedeutende Unterschied zwischen den jungen Flimmerlarven und den schalentragenden, ausgebildeten Formen hier in den spätern Entwickelungsstadien schon deutlich zutage. Im süßen Wasser kommt von diesen Larven nur eine vor, nämlich die der Wandermuschel (Dreissensia polymorpha, Tafel Süßwasserfauna II, Fig. 10), die in ihrer ganzen Organisation wie auch in der Entwickelung den marinen Formen noch näher steht.

Wie die ausgebildeten Krebse, so besitzen auch ihre Larven eine weite Verbreitung im Meer; die frühern Stadien (Nauplius und Zoëa) lernten wir bereits kennen (Tafel I, Fig. 2–5). Taf. III, Fig. 20, zeigt ein solches Zoëa–Stadium, das sich von dem Nauplius durch die größere Zahl der Körperringe und Gliedmaßenpaare unterscheidet.

Schon bei Schwämmen und Cölenteraten sahen wir aus freischwimmenden Larven festsitzende Tiere hervorgehen, und Ähnliches ist bei den Seescheiden der Fall. Diese besitzen geschwänzte, einigermaßen kaulquappenähnliche Larven, die mit Hilfe ihres langen und muskulösen Schwanzes frei im Meer umherschwimmen (Taf. III, Fig. 14). Sie sind im Gegensatze zu den ausgebildeten Tieren mit einem sehr gut ausgebildeten Gehirn und Nervenstrang sowie Sinnesapparat ausgerüstet. Der größte Teil dieser relativ hohen Organisation geht verloren, wenn sich die Larven mit Hilfe ihrer am vordem Körperende befindlichen Haftpapillen festsetzen. Nervenstrang und Chorda des Schwanzes, das den Larven eine gewisse Übereinstimmung mit den Wirbeltieren verleihen und die Verwandtschaft dieser Tiergruppen begründen, werden ganz zurückgebildet und ebenso das Nervensystem größtenteils. Aus der langgestreckten, freischwimmenden Larve wird die gedrungene, am Meeresboden festsitzende Seescheide.

Mit am auffälligsten von allen Fällen von Metamorphose ist diejenige der Stachelhäuter. Ihre bilateral symmetrischen Larven treten uns als sogen. Bipinnaria (Taf. III, Fig. 13) oder Brachiolaria bei den Seesternen, als Pluteus–Larve bei den Schlangensternen (Taf. III, Fig. 15) und Seeigeln (Fig. 19) entgegen. Sie sind mit lappenförmigen Fortsätzen versehen, die sich zu armartigen Verlängerungen des Körpers ausziehen können und wie der Körper selbst eine in sich zurücklaufende Wimperschnur tragen. An diesen Larven entstellt der fünfstrahlige Seestern oder Schlangenstern in einem ziemlich beschränkten Bezirk des Larvenkörpers, welch letzterer nach vollendeter Metamorphose teilweise abgeworfen oder auch während derselben in den Seestern einbezogen wird. Abweichend verhält sich die Metamorphose bei den Haarsternen insofern, als hier auf die freischwimmende tonnenförmige Larve zunächst ein festsitzendes Stadium folgt (Taf. III, Fig. 18), das wegen seiner Ähnlichkeit mit einem Pentacrinus als Pentakrinoïd-Larve bezeichnet wird. Durch Verlust des wie der Körper selbst aus Skelettplatten und Weichteilen bestehenden Stiels (Fig. 18) wird die festsitzende Larve allmählich in die Form des freischwimmenden Haarsterns übergeführt (Tafel I, Fig. 6 u. 6a, Antedon). Weitere Beispiele von Metamorphose mariner Tiere zeigt Tafel I.


Entwickelungsgeschichte I.
Entwickelungsgeschichte I.
Entwickelungsgeschichte II.
Entwickelungsgeschichte II.
Entwickelungsgeschichte III.
Entwickelungsgeschichte III.
Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906.
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