Davidsbund. Der Kampf um Clara.

[21] Leipzig, die einstige Wirkungsstätte Johann Sebastian Bachs, erfreute sich auch zur Zeit von Schumanns Eintreffen eines regen Musiklebens. Seit den Tagen von Heinrich Schütz bis auf die Zeit, da Wien die Führung übernahm, war das kleine Gebiet des heutigen Königreichs Sachsen das klassische Land der deutschen Musik gewesen, und gerade in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts erfolgte hier, zum Theil gestützt auf die alten Traditionen, ein neuer Aufschwung. Die beiden Hauptplätze Dresden und Leipzig theilten sich gewissermassen in die Aufgabe. Während in Dresden das Interesse an der dramatischen Musik vorwaltete und C.M. v. Weber nach erbittertem Kampfe den Feldzug gegen die italienische Oper endlich zu Gunsten der deutschen entschied, war Leipzig die Stadt der klassischen Chor- und Orchesterinstitute. Neben dem altberühmten, damals unter dem Kantor Weinlig, dem nachmaligen Lehrer R. Wagners, stehenden Thomanerchor besass Leipzig noch eine Singakademie, sowie einen Musikverein für weltliche und geistliche Vokalmusik, beide Institute unter Leitung von Aug. Pohlenz. Der Orchestermusik diente der Verein »Euterpe« unter C.G. Müller, sowie vor Allem die am 25. November 1781 von Joh. Adam Hiller begründeten Gewandhaus-Konzerte, die in jener Zeit ebenfalls unter der Leitung von Pohlenz standen, bis im Jahre 1835 Mendelssohn an ihre Spitze trat.

Neben all diesen zum Theil altberühmten Instituten spielte das Leipziger Theater eine verhältnissmässig geringe Rolle; immerhin darf es hier nicht übergangen werden, zumal da in jener Zeit Heinr. Dorn die Stellung eines Musikdirektors bekleidete, ein Mann, der, wie wir sehen werden, später grossen Einfluss auf Schumanns künstlerische Entwicklung gewann.[22]

Schumann bezog nach seiner Ankunft in Leipzig, Herbst 1830, eine Wohnung im Hause Wiecks und warf sich nun mit einem wahren Feuereifer unter dessen Anleitung auf das Klavierspiel. Aber eben dieser Eifer sollte ihm verhängnissvoll werden. Der gewöhnliche Weg zur Erlangung einer möglichst brillanten Fingerfertigkeit war ihm zu langwierig; vermittelst einer selbsterfundenen Mechanik suchte er die Unabhängigkeit der Finger von einander in kürzerer Zeit zu erreichen. Die Folge dieses Experiments war die vollständige Lähmung des rechten Mittelfingers und damit die Unmöglichkeit, das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Wiederum stand Schumann an einem bedeutsamen Wendepunkt seines Schicksals: die Laufbahn des Virtuosen hatte er sich selbst verschlossen, es blieb ihm nichts übrig, als sich nunmehr ganz und gar der Komposition in die Arme zu werfen. Der Klavierunterricht bei Wieck musste natürlich abgebrochen werden; dafür stellte sich aber immer deutlicher das Bedürfniss nach einer systematischen Unterweisung in der musikalischen Theorie heraus. Wohl hatte sich Schumann im Verlaufe seiner bisherigen kompositorischen Thätigkeit die nöthigsten Kenntnisse des musikalischen Satzes erworben. Den Beleg dafür liefern die Kompositionen des Jahres 1831, die »Papillons« (op. 2), seinen drei Schwägerinnen gewidmet, und das später als op. 8 gedruckte Allegro, und nur schwer wollte sich Schumann – trotz all seiner Verehrung für Bach – zu der Ansicht bekehren, dass zum Komponisten doch noch etwas Anderes gehöre, als blosses Gehör und musikalischer Instinkt. Es macht daher seiner Energie alle Ehre, dass er den Entschluss fasste, sich an Heinrich Dorn mit der Bitte um theoretischen Unterricht zu wenden. Dorn, der seine Laufbahn nachmals als Hofkapellmeister in Berlin beschloss und stets in regen Beziehungen zum Kunstleben stand, war ein tüchtiger, erfahrener Musiker; dass Schumann sich durch seinen systematischen Unterricht in hohem Masse gefördert fühlte, beweist die dankbare Anhänglichkeit, die er seinem alten Lehrer noch in späteren Jahren entgegenbrachte. Gaben ihm die Geheimnisse des Generalbasses und strengen Satzes anfänglich auch manche harte Nuss zu knacken, so hob ihn doch bald sein rasches Auffassungsvermögen und sein eiserner Fleiss über alle Schwierigkeiten hinweg und er errang sich allmählich die Herrschaft über alle Ausdrucksmittel des polyphonen Satzes, aus denen er erst seinen eigenen, so wunderbar verschlungenen Stil zu bilden vermochte.[23]

Das Jahr 1831 ist aber auch noch nach einer andern Richtung hin von Bedeutung, nämlich als der Beginn von Schumanns schriftstellerischer Thätigkeit. Es ist ein eigenartiges Spiel des Zufalls, dass sowohl die erste als auch die letzte kritische Arbeit Schumanns einem jungen, aufstrebenden Genie gewidmet ist. Diese sollte späterhin, im Jahre 1853, den Ruhm des jungen Johannes Brahms begründen, jene galt einem Erstlingswerk des neu auftauchenden Chopin, seinen Variationen über Là ci darem aus Mozarts Don Juan. Die in phantastischen Lobeserhebungen sich ergehende Besprechung ist namentlich auch deshalb von Interesse, weil sich hier zuerst die beiden späterhin so bedeutungsvollen Gestalten Florestan und Eusebius finden.

An im Jahre 1832 entstandenen Kompositionen sind zu nennen die zwei Hefte Intermezzi (op. 4), die Uebertragung von 6 Violin-Capricen Paganinis für Klavier (op. 3), sowie der erste Satz einer unbekannt gebliebenen Symphonie in G-moll, den er bei Gelegenheit eines Besuchs in der Heimath Zwickau in einem Konzert der 13jährigen Clara Wieck von dem dortigen Orchester zu hören bekam. Dem ersten folgten noch zwei weitere Sätze, die aber, nie zur Aufführung gelangten.

In Leipzig, wohin er von seiner Reise zu den Zwickauer und Schneeberger Verwandten im März 1833 zurückgekehrt war, vertauschte er seine Wohnung im Hause Wiecks, mit dem er auch fortan in intimem Verkehr blieb, mit einer Sommerwohnung in Riedels Garten. Hier entfaltete sich alsbald ein reges musikalisches, wie namentlich auch gesellschaftliches Leben, das mitunter auch einen ziemlich übermüthigen Charakter annahm. In jener Zeit entstand eine zweite Serie von Bearbeitungen Paganinischer Violincapricen, eine Neubearbeitung der 1830 komponirten Toccata und die Impromptus über ein Thema von Clara Wieck (op. 5). Aber das harmlose Treiben der jungen Freunde fand ein jähes Ende durch den Tod seiner Schwägerin Rosalie, der Schumann in die furchtbarste Erregung versetzte. Auf eine hochgradige Exaltation, verbunden mit den qualvollsten Beklemmungen, folgte ein Zustand »fürchterlichster Melancholie«23 und vollständiger Apathie, die nur langsam von ihm zu weichen begann. Ein neuer Freundschaftsbund war es, der ihm die innere Ruhe wiedergab und die Kraft zu erneuter Thätigkeit verlieh: die Beziehungen zu dem talentvollen Stuttgarter Musiker Ludwig Schun ke, der im Dezember von Wien nach Leipzig übersiedelte.

So brach das Jahr 1834 an, das Schumann selbst »das merkwürdigste seines Lebens« nennt.24 Das bedeutsamste Ereigniss bildete die Begründung der »Neuen Zeitschrift für Musik«, deren erste Nummer am 3. April erschien. Sie ging hervor aus einem Kreise gleichgesinnter, um Schumann gescharter Genossen, von denen Schunke, Wieck, Ortlepp und die uns schon bekannten Knorr und Dr. Glock als die ersten auf den Plan traten; in der Folgezeit schlössen sich immer mehr hervorragende Persönlichkeiten an, vor Allem Carl Banck, der sich durch zahlreiche Aufsätze und rege Betheiligung an der Redaktionsthätigkeit[24] grosse Verdienste erwarb. Die Tendenz der Zeitschrift richtete sich gleichermassen gegen die damals herrschende Kunst wie gegen die Kritik. Hinsichtlich jener sollte sie »die ältere Zeit anerkennen, die nächst vergangene als eine unkünstlerische bekämpfen, die kommende als eine neue poetische vorbereiten und beschleunigen helfen«25. »Der Jugend und der Bewegung« in der Kunst galten die Bestrebungen des neuen Bundes26; sie richteten sich in erster Linie gegen die leichten, gehaltlosen Salonkompositionen im Geiste eines Herz und Hünten, die damals eine grosse Gefahr für den Geschmack des Publikums bildeten. Zugleich aber sollte auch der saft- und kraftlosen Kunstkritik, wie sie[25] damals namentlich von Fink, dem Redakteur der »Allgemeinen musikalischen Zeitung«, geübt wurde, ein Riegel vorgeschoben werden. Die Idee der Begründung einer derartigen Vereinigung war nicht neu; sie war bereits dem Kopfe C.M. v. Webers entsprungen, der im Jahre 1810 mit der Schöpfung des »harmonischen Vereins« ähnliche Bestrebungen verfolgte, nur dass Weber, in dem der musikalische Schöpferdrang doch die schriftstellerischen Neigungen weit überwog, nicht zur Verwirklichung seiner Absichten gelangte. Schumann hat mit seinem »Davidsbunde« diese Bestrebungen Webers zum Ziele geführt. Allerdings ist zuzugestehen, dass für den Musiker Schumann die Pflege der Musikschriftstellerei keineswegs von so grossem Vortheil war, wie man wohl annehmen könnte. Mag er auch fortan durch seine kritische Thätigkeit dazu angehalten worden sein, über Wesen und Ziele seiner Kunst selbstständig nachzudenken, so wurde doch ebendadurch seine eigentliche künstlerische Schöpferkraft in ihrer Entfaltung gehemmt. Ganz abgesehen von dem grossen Zeitverlust, war es das mit der schriftstellerischen Thätigkeit gegebene reflektirende Element, das der ursprünglichen, naiven Entwicklung seines Talentes hindernd in den Weg trat. Komponist und Redakteur lagen sich daher auch die ganze Zeit über in den Haaren27, und der endgültige Triumph des ersteren über den letzteren ist auch für das Leben Schumanns, dieses gebildetsten und gemüthvollsten aller musikalischen Schriftsteller, ein schlagender Beweis dafür, dass das schöpferische Genie seine Bestrebungen in erster Linie nicht durch Worte durchsetzt, sondern durch Thaten.

Der jugendfrische, energische Ton der Zeitschrift verfehlte seine Wirkung auf das Publikum nicht. Sie fand sehr rasch eine weite Verbreitung und der Kreis ihrer Mitarbeiter vergrösserte sich immer mehr. Aber auch die Gegner rüttelte sie aus ihrer Lethargie auf. »Bündler rechts, Bündler links, Figaro hier, Figaro da«, schrieb Fink im selben Jahre,... »bis jetzt aber sind wir noch auf dem Platze und haben Lust, ein Wörtchen mitzureden, und zwar ordentlich«. Es entstand eine gereizte Polemik zwischen den beiden Zeitungen, die begreiflicherweise auch die Kompositionen Schumanns in Mitleidenschaft zog: sie wurden seit 1834 seitens der »Allg. Zeitung« einfach totgeschwiegen.

Wir sind schon mehrere Male der Davidsbündleridee begegnet. Sie ging Hand in Hand mit der Begründung der Zeitschrift und kennzeichnet sich als eine echte Schöpfung der an Jean Paul grossgezogenen Dichterphantasie Schumanns, der seine Gedanken gerne in ein mystisches, mit allerlei geheimnissvollen Anspielungen durchwobenes Gewand einkleidete. Florestan, Eusebius und Meister Raro finden sich schon in dem Chopin-Artikel von 1831, nunmehr treten sie mit ihren Genossen als »Davidsbündler« auf den Plan. Der Name entspricht der Tendenz der Zeitschrift, die der Bekämpfung jeglichen Philisterthums galt; die Namen Florestan und Eusebius aber verkörpern die beiden in Schumanns Brust wohnenden Seelen. Der Gedanke liegt sehr nahe, dass die erste Anregung zu dieser Idee von dem Brüderpaar Walt und Vult in Jean Pauls »Flegeljahren« ausging. Hinter Florestan verbirgt sich die kraftvoll vorwärtsstürmende, männliche, hinter Eusebius die mehr innerliche, weibliche Seite seiner Künstlernatur: Meister Raro endlich, hinter dem man wohl nicht mit Unrecht einige Züge Fr. Wiecks vermuthet, sollte die Verschmelzung beider zu einer höheren Einheit darstellen. Dieser phantastischen Zergliederung von Schumanns eigenem Ich entsprach nun auch die weitere Ausgestaltung der Davidsbündleridee. Die Fülle wechselnder Stimmungen, die seine Seele fortwährend bewegten,[26] veranlasste ihn zur Schöpfung der verschiedenartigsten Kunstcharaktere, die er zu Vermittlern seiner Gedanken erkor. Da und dort mögen wohl die Züge eines seiner Freunde hervorleuchten; der Hauptsache nach jedoch war der ganze Davidsbund seine ureigenste Schöpfung, er »existirte nur in dem Kopf seines Stifters.«28 Die Idee stand geraume Zeit im Mittelpunkte seines gesammten Denkens. Sie ist wirksam in seiner kompositorischen Thätigkeit, sie offenbart sich in dem eine Zeit lang gehegten Plane eines Romans »Die Davidsbündler«, ja es gab sogar eine Zeit, wo Schumann beabsichtigte, dem Bunde ein wirkliches Leben, mit äusserlichen Abzeichen, zu geben.29 Wie stark seine Dichterphantasie am Werke war, zeigen am besten die Berichte aus den »Büchern der Davidsbündler«, die zum Theile wirkliche Blüthen einer reizvollen Novellistik sind.30

Das zweite wichtige Ereigniss dieses Jahres war die Bekanntschaft mit einer jungen Dame, Ernestine von Fricken, die aus ihrer Heimath, dem an der böhmisch-sächsischen Grenze gelegenen Städtchen Asch, nach Leipzig übergesiedelt war, um bei Wieck Klavierunterricht zu nehmen. Obwohl weder besonders schön, noch hervorragend geistig begabt, entfachte sie doch in dem jungen Künstler eine glühende Leidenschaft, die ihrerseits vollkommen erwidert wurde und in Kurzem zu einer förmlichen Verlobung führte. Zu gleicher Zeit lernte Schumann eine zweite Dame kennen, Henriette Voigt, die hochgebildete Gattin eines Leipziger Kaufmanns, bei der ihn sein Freund Schunke eingeführt hatte. Auch zu ihr trat der damals gemüthlich stark erregte Schumann in ein schwärmerisches Freundschaftsverhältniss, (er nennt sie einmal eine »As dur-Seele«),31 das bis zu ihrem frühen Tode (1839) anhielt.

Das Verhältniss zu Ernestine spiegelt sich auch in den Kompositionen dieses Jahres wieder: es sind die »Études symphoniques« (op. 13), Variationen über ein Thema von Ernestinens Vater, sowie vor allem der 1835 vollendete »Carnaval. Scènes mignonnes sur 4 Notes pour Piano, op. 9,« dasjenige Werk, das uns Schumanns gesammte Denk- und Schaffensweise wohl unter allen am getreusten wiederspiegelt.

Der Carneval, den Schumann selbst merkwürdigerweise schon bald nach seiner Entstehung ziemlich abfällig beurtheilte32, erregte nach seiner Veröffentlichung das hohe Interesse Franz Liszts, der ihn sogar in gewisser Hinsicht über Beethovens Diabelli-Variationen stellte und ihm einen Ehrenplatz in seinen Konzertprogrammen einräumte, ohne indessen anfänglich den erhofften äusseren Erfolg damit zu erzielen.

Das Ende des Jahres 1834 brachte für Schumann den schmerzlichen Verlust seines treuen Freundes Schunke, der am 7. Dezember seinem Brustleiden erlag. Zugleich schieden Wieck und Knorr aus der Redaktion der Zeitschrift aus und es folgten im Anschlusse daran[27] ärgerliche Differenzen mit dem Verleger Hartmann, die mit der Zahlung einer Abstandssumme an diesen und mit der alleinigen Uebernahme der Zeitschrift durch Schumann endigten.

Das Jahr 1835 verlief äusserlich ruhig; den Komponisten Schumann zeigt es uns von einer neuen Seite mit der »Pianoforte-Sonate, Clara zugeeignet von Florestan und Eusebius« (Fis moll op. 11) und der Gmoll-Sonate (op. 22, Henriette Voigt gewidmet). Dagegen wurde das folgende Jahr, 1836 für Schumann von der allerhöchsten Bedeutung: es brachte ihm den Verlust seiner Mutter (am 4. Febr.), die Lösung seines Verhältnisses zu Ernestine und die allmählich immer stärker aufkeimende Neigung zu der damals 17jährigen Clara Wieck. Die Beziehungen zu Ernestine waren mehr und mehr erkaltet; welcher der äussere Anlass zu der offiziellen Lösung des Verhältnisses im Januar 1836 war, entzieht sich unserer genaueren Einsicht; sicher ist nur, dass beide Theile in Freundschaft auseinandergingen.

Der intime Verkehr Schumanns mit Wieck hatte sich seit langer Zeit naturgemäss auch auf dessen hochbegabte Tochter erstreckt. Schon im Jahre 1832 schreibt er: »Wir sind wie Geschwister«33. Der Ton seiner Briefe an sie aus den Jahren 1833–36 nimmt an Vertraulichkeit stetig zu. Im Laufe des Sommers 1835 zeigen sich die ersten Anzeichen der aufkeimenden Liebe; Clara erscheint ihm »täglich, ja stündlich, innerlich wie äusserlich reizender«;34 und ein auf der Zwickauer Post abgefasster Brief setzt die entscheidende Erklärung zwischen Beiden bereits voraus. Es war der Beginn eines jahrelangen Kampfes um den Besitz der Geliebten mit deren Vater, der sich nach Kräften der ohne sein Wissen abgeschlossenen Verbindung widersetzte, eines Kampfes, der die Liebenden stetig zwischen höchster Lust und bitterster Resignation hin und her schleuderte, der aber auch zugleich in Schumann den Mann sowohl als auch den Künstler zur höchsten inneren Reife bringen sollte. Der Hauptgrund, den Wieck der Verbindung der beiden entgegensetzte, war wohl – abgesehen davon, dass er seine allzujugendliche Tochter noch nicht aus der Hand geben wollte – die noch keineswegs gesicherte Lebensstellung Schumanns. Als daher dieser im Vertrauen auf die Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit, die ihm »der Alte« im äusseren Verkehr immer noch entgegenbrachte, im September 1837 brieflich um Claras Hand anhielt, erhielt er eine entschiedene Absage. Die tiefe Niedergeschlagenheit, welche dieser Bescheid in seiner Seele hervorrief, wich indessen bald dem Entschlusse, durch Verbesserung[28] seiner äusseren Lebensstellung alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen. Er hoffte, dieses Ziel durch die Verlegung der Zeitschrift nach Wien zu erreichen, und versprach sich von dieser Veränderung eine beträchtliche Erweiterung seines Wirkungskreises.

Auch die Kompositionen dieser Zeit spiegeln die erregte Stimmung wieder, worein Schumann die Entwicklung seiner Herzensangelegenheit versetzt hatte: vor allem die von Leidenschaft durchglühte Phantasie in C-dur (op. 17), dann das »Concert sans Orchestre« (op. 14), endlich die »Phantasiestücke« (op. 12) und die »Davidsbündlertänze« (op. 6) aus dem folgenden Jahr.

Die auf Wien gesetzten Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Der Verlegung der Zeitschrift thürmten sich von Anbeginn an, namentlich von Seiten der österreichischen Zensur, unüberwindliche Hindernisse entgegen und so musste denn Schumann nach langen Verhandlungen im April 1839 wieder unverrichteter Dinge nach Leipzig zurückkehren. Aber seiner inneren Entwicklung war der Wiener Aufenthalt ausserordentlich förderlich. Zwar das lebensfrohe Wienerthum erschien ihm nach näherer Bekanntschaft fade und allzu oberflächlich; trotz seiner Bewunderung für die Oper suchte er die Künstler vergebens, die »ganze Menschen sind und Shakespeare und J. Paul verstehen«.35 Aber für die gesammte Musikwelt im höchsten Grade bedeutsam sollte sein Besuch bei Franz Schubert's Bruder werden. Hier entdeckte er nämlich in dem Nachlass des von ihm so schwärmerisch verehrten Meisters eine ganze Reihe unbekannter Manuskripte, darunter auch die grosse C-dur-Symphonie. Alsbald setzte er sich mit der Firma Breitkopf & Härtel wegen der Herausgabe derselben in Verbindung; die Symphonie übersandte er Mendelssohn in Leipzig, welcher sie in einem Gewandhaus-Konzerte am 12. Dezember 1839 zu Gehör brachte. Schumann, der der ersten Probe beiwohnte, schrieb voll Entzücken an seinen Freund Becker aus Freiberg: »Es ist das Grösseste, was in der Instrumentenmusik nach Beethoven geschrieben worden ist; selbst Spohr und Mendelssohn nicht ausgenommen!«36 Auch eine äussere Auszeichnung wurde ihm damals zutheil: die Universität Leipzig übersandte ihm das philosophische Doktor-Diplom.A1

Jnzwischen hatte sich das Verhältniss zwischen Schumann und Wieck aufs Schärfste zugespitzt. Die Stimmung des letzteren wurde immer[29] erregter, immer mehr steigerte er sich in den Widerstand gegen die Verbindung: der beiden jungen Leute hinein. Als alle in Güte unternommenen Vermittlungsversuche scheiterten, da riss auch Schumann die Geduld. Er rief die Hilfe des Gerichts an. Wieck's Gründe wurden für unerheblich erklärt, aber trotzdem dauerte es bis zum 1. August 1840, bis der richterliche Consens eintraf – eine für die Liebenden unsäglich qualvolle Zeit, in der namentlich auch Schumann's schöpferische Thätigkeit schwer gelähmt war. Endlich, am 12. September 1840, fand die so schwer erkämpfte Verbindung in der Kirche des nahe bei Leipzig gelegenen Dorfes Schönefeld statt. Die Vereinigung mit der Geliebten eröffnet für Schumann in jeder Hinsicht eine neue Lebensphase.

Fußnoten

A1 Vgl. das Faksimile auf S. 31.

Quelle:
Abert, Hermann: Robert Schumann. Berlin 1903, S. 21-30.
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