Vorwort.

[6] Die Künstlererscheinung Robert Schumanns beginnt sich in unseren Tagen allmählich der Linie zu nähern, auf der der Musikforschung ein vorurtheilsfreies geschichtliches Urtheil ermöglicht wird. Schumann hat aufgehört, für uns ein Problem zu sein. Die Quellen, aus denen sein reicher Geist seine Nahrung gezogen, liegen klar vor unseren Augen; den belebenden Hauch, der seit seinem Auftreten unser modernes Musikleben durchweht, vermögen wir bis in seine feinsten Wirkungen zu verfolgen. Und vor Allem: dank der pietätvollen Sorgfalt seiner Gattin und des unermüdlichen Forschers F. Gustav Jansen haben wir auch über die Persönlichkeit des Künstlers Aufschlüsse erhalten, die, abgesehen von ihrer Ausführlichkeit, namentlich auch vermöge der geistigen Anregung, die dem Leser auf Schritt und Tritt geboten wird, zu den werthvollsten Besitzthümern der musikalischen Quellenkunde gehören. Welche Fülle edelsten Genusses bieten nicht Schumann's Briefe und Schriften dem Musikforscher, dem Literaturgelehrten, dem künstlerisch veranlagten Menschen überhaupt!

Dieses letztere Moment mag es denn auch entschuldigen, wenn in vorstehender Schrift der Versuch unternommen wird, die ausgedehnte Reihe der Schu mann-Biographien noch um ein Glied zu erweitern. Es war das Bestreben des Verfassers, den Meister selbst soviel als möglich zu Worte kommen zu lassen, denn »Mensch und Musiker suchten sich immer gleichzeitig bei mir auszusprechen« – so lautet Schumann's eigenes Bekenntniss, das bei einer so nach Innen gekehrten Natur gewiss erhöhte Beachtung verdient.

Schumann's ungemein vielseitige Begabung hebt ihn von Anfang an über den Rahmen der engeren Musikgeschichte hinaus. Seine Stellung zu Jean Paul und zu E.T.A. Hoffmann fällt für seine eigene Entwicklung sowohl, wie für die gesammte Geistesgeschichte jener Zeit wohl kaum weniger schwer ins Gewicht, als etwa sein Verhältniss zu Schubert oder Weber. Seine Epoche gehört ganz offenkundig zu denen, deren geistige Kräfte in ihrer vollen Lebendigkeit nicht einseitig mit den Mitteln der musikalischen oder literarischen Forschung, sondern nur durch enges Zusammenwirken beider sich erkennen lassen. Die vorliegende Skizze hat es sich zur Aufgabe gemacht, speziell diesem Punkte einen höheren Grad von Aufmerksamkeit zu Theil werden zu lassen.

Dieser Standpunkt führt aber noch zu einer weiteren Erwägung, deren Richtigkeit der seither erfolgte Wandel der Anschauungen zu bestätigen scheint. Hatte man früher den Kompositionen grossen Stils, den Symphonien u.s.w. die[7] meiste Bedeutung zugemessen, so beginnt man nunmehr dem Klavierkomponisten Schumann sein Augenmerk zuzuwenden. In der That hat derjenige nicht Unrecht, der, um Schumann's Eigenart an der Quelle zu studiren, sich in die Klavierkompositionen der Sturm- und Drangperiode versenkt. Hier suchen sich wirklich Mensch, Musiker und Dichter gleichzeitig auszusprechen; diese Werke sind Spiegelbilder nicht allein von Schumann's eigenen äusseren Erlebnissen, sondern von dem gesammten revolutionär-phantastischen Geist jener Periode überhaupt. Aus diesem Grunde ist ihnen auch in vorliegender Skizze ein breiterer Raum gegönnt worden.

Die erste Anregung zu dieser Arbeit ging vor einer Reihe von Jahren von Herrn Dr. Max Friedländer in Berlin aus, dessen Güte ich auch die Ueberlassung manches Autographen verdanke. Auch Herr Prof. Reimann hat mich in liebenswürdigster Weise mit Rath und That unterstützt. Die künstlerische Ausstattung verdankt das Buch zumeist den Schätzen der Berliner Kgl. Bibliothek, der Manskopf'schen Sammlung in Frankfurt a.M. und des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Zu grösstem Danke verpflichtet bin ich Herrn Oberbibliothekar Dr. Kopfermann in Berlin und Herrn Dr. E. Mandyczewski in Wien, welcher mir manches werthvolle Stück aus dem Nachlass von Joh. Brahms bereitwilligst zur Verfügung gestellt hat.


Berlin, August 1902.

Der Verfasser.

Quelle:
Abert, Hermann: Robert Schumann. Berlin 1903, S. 6-8.
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